Bezirke
  Straßenverzeichnis     Personen     Themen     Aktuell     Forum  
Charlottenburg-Wilmersdorf
Friedrichshain-Kreuzberg
Lichtenberg
Marzahn-Hellersdorf
Mitte
Neukölln
Pankow
Reinickendorf
Spandau
Steglitz-Zehlendorf
Tempelhof-Schöneberg
Treptow-Köpenick
Allgemein:
Startseite
Ich bin NEU hier
Hinweise
Kontakt
Impressum
Datenschutz
Links
SUCHEN
Sitemap

Zwischen den Bahngleisen


Stadtteil: Schöneberg
Bereich: Rote Insel
Stadtplanaufruf: Berlin, Leberstraße
Datum: 12. Juni 2017
Bericht Nr: 590

Eine Insel im Stadtgrundriss - sie kann von Straßen eingeschlossen, von Wasser umflossen oder von Schienen umgeben sein. - Beispiel Wasser: Die Spree und zwei Kanäle lassen Moabit zur Insel werden. Aber es gibt Brücken, vorbei ist die Zeit, als man mit der Gondel herüber fuhr. - Beispiel Straßen: Wo Hohenzollerndamm, Berliner und Konstanzer Straße zusammen kommen, steht eine Russisch-Orthodoxe Kathedrale auf einer Insel inmitten dichten Autoverkehrs. - Beispiel Schienen: Rund um die Victoriastadt zwischen den S-Bahnhöfen Ostkreuz, Rummelsburg und Nöldnerplatz formen die Schienen im Stadtgrundriss die Figur eines Auges, einer Linse nach. In Schöneberg führt ein von Schienen umgebenes Stadtquartier sogar den Begriff "Insel" in seinem Namen: die Rote Insel.

Die Rote Insel
Vom Potsdamer Platz kommend, streben auf dem Weg nach Süden die Wannseebahn und die Dresdner Bahn ab Höhe Bülowstraße auseinander. Die Monumentenstraße führt bereits mit zwei verschiedenen Brücken über die Gleise, an den S-Bahnhöfen Schöneberg und Südkreuz liegt dann schon mehr als ein Kilometer Ringbahn zwischen ihnen. Diese drei Bahngleise machen das Wohngebiet um die Leberstraße und Hohenfriedbergstraße zu einer Insel. Die heutige Leberstraße war als erste Straße der Roten Insel in der Gründerzeit 1872 von dem Terrainentwickler Lenz auf einem Ackerstreifen angelegt worden. Parallel dazu wurden weitere Straßen wie die Gotenstraße angeordnet.

Gedenkort für Julius und Annedore Leber
Die Leberstraße ist nach Julius Leber benannt, genau wie der S-Bahnhof und die Bahnbrücke an der Kolonnenstraße. Julius Leber, SPD-Reichstagabgeordneter und erklärter Gegner des Nationalsozialismus, wurde bereits im Jahr der "Machtergreifung" 1933 von den Nazis inhaftiert, später wieder freigelassen. Zusammen mit seiner Frau Annedore organisierte er den Widerstand. Lebers Kohlenhandlung in der Torgauer Straße war Treffpunkt der Gleichgesinnten. In einer neuen Reichsregierung nach dem Attentat auf Hitler sollte er Innenminister werden. Durch einen Spitzel der Geheimpolizei verraten, wurde Leber vom Volksgerichtshof verurteilt und in Plötzensee hingerichtet. Der Stadtteilverein Schöneberg arbeitet daran, die ehemalige Kohlehandlung zu einem Gedenkort zu entwickeln.

Zweimal Abrissplänen widerstanden
Der Schwerbelastungskörper an der Dudenstraße weist bedrohlich darauf hin, dass in diesem Gebiet für Hitlers Welthauptstadt "Germania" Großbauvorhaben geplant waren, die die gewachsene Stadtstruktur ausradiert hätten. Die geplante Nord-Süd-Achse zwischen Südkreuz und Reichstag hätte die Rote Insel zerstört, von den Friedhöfen Zwölf Apostel und St. Matthäus wurden bereits Gräber nach Stahnsdorf umgebettet. Durch das Ende des Naziregimes blieb dann aber die Bausubstanz der Roten Insel unangetastet.

West-Berlin plante in den sechziger und siebziger Jahren eine autogerechten Stadt mit einem Netz von Stadtautobahnen. Zum zweiten Mal war die Rote Insel bedroht, die Westtangente hätte direkt durch das Quartier geführt. Dass diese Stadtautobahn heute an der Brücke über den Sachsendamm endet, ist der "Bürgerinitiative Westtangente" zu verdanken, in der sich Bürger gegen den autogerechten städtischen Kahlschlag zusammenschlossen.

Gasometer und Energieforum
Weithin sichtbar ist der Gasometer, der 1913 in der Südwestecke der Roten Insel errichtet wurde als flexibler Gasbehälter für das Gaswerk in der Torgauer Straße. Er konnte "atmen", je nach zu speichernder Gasmenge seine eiserne Glocke ausfahren, Teleskopelemente machten es möglich. Nach der Stilllegung 1995 rostete er vor sich hin, bis er zum Mittelpunkt eines Technologieparks wurde.


mit KLICK vergrößern

Alles Müller oder was? Die Stadt der Zukunft wird rund um den Gasometer vorausgedacht. Dort ist der Energie-Campus von Reinhard Müller (und nicht das Milch-Imperium von Theo Müller, dem ich diesen Werbespruch entliehen habe). Hier versammeln sich die Tüftler, die die Energiewende voranbringen und Mobilität ohne Umweltbelastung schaffen wollen. Müller ist sich der Attraktivität seines Energieparks EUREF sehr bewusst ("100 Firmen mit 2.000 Mitarbeitern"). Er will nicht nur von der Dominicusstraße eine eigene Zufahrt zu seinem Gelände haben, sondern auch von der Stadtautobahn, die unter der Sachsendamm-Brücke ihren Geist ausgehaucht hat. Die Ringbahn und der Cheruskerpark müssten dafür gequert werden, aber das sind für Müller nur Kleinigkeiten.

Günter Jauch hatte im Gasometer ein Gastspiel gegeben mit seinem Sonntagabend-Polittalk, der ihm aber nicht so recht gelingen wollte und nach vier Jahren zu Ende war. Innerhalb der Stahlkonstruktion ist jetzt noch die Tragluftkuppel vorhanden, die den bespielbaren Raum schaffte. Sie soll ersetzt werden durch Büros, die nicht ganz bis oben in das 78 Meter hohe Bauwerk eingefügt werden. Doch vorher können sich Schwindelfreie über Stahlstufen bis zum obersten Umgang führen lassen und von dort aus die Stadt anschauen.

Bei unserem Spaziergang fällt uns ein großes Polizeiaufgebot auf, das in Seitenstraßen und im Umfeld des Gasometers verteilt ist, fast unauffällig und ohne Pulks zu bilden. Im Vorfeld des Hamburger G20-Gipfels findet auf dem Müller-Campus eine zweitägige Konferenz statt, bei der Industrie- und Schwellenländer beraten, wie Investitionen in Afrika gefördert werden können. Bundeskanzlerin Merkel verbindet damit die Erwartung, die Flucht von Afrikanern nach Europa einzudämmen. Gegendemonstranten verlangen, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und nicht den afrikanischen Kontinent wie ein Einkaufszentrum zu betrachten, in dem man sich bedienen kann.

Elektrizitätswerk Südwest
Die "Schöneberger Linse" um den Tempelhofer Weg zwischen Ringbahn und Sachsendamm ist eine Ungegend, eine abweisende Wüste, geprägt durch Industriegrundstücke mit unspezifischen flachen Bauten, abweisenden Mauern oder Zäunen, Unkrautstreifen. Drei Bauten durchbrechen diesen Eindruck: Eine Wohnanlage an der Gotenstraße Ecke Tempelhofer Weg. Hier weist eine Gedenktafel auf Alfred Kardinal Bengsch hin, den Bischof des Bistums Berlin, später Erzbischof und Kardinal, der hier gewohnt hat. Am westlichen Ende kurz vor dem Sachsendamm steht - heute ohne räumliche Verankerung - eine Knaben- und Mädchenschule, die der Schöneberger Stadtbauinspektor Egeling kurz nach 1900 gebaut hat.

Der dritte interessante Bau verweist auf die Vergangenheit der Schöneberger Linse als Standort des Elektrizitätswerks Schöneberg, nicht weit vom Gaswerk in der Torgauer Straße entfernt. Der Backsteinbau Gotenstraße Ecke Tempelhofer Weg ist der letzte Zeuge des Schöneberger Kraftwerks, das Jahrzehnte lang dem drängenden Werben der Bewag und der Vereinheitlichung des Berliner Stromnetzes widerstanden hat. Im Zusammenhang mit dem Umspannwerk in der Wilmersdorfer Prinzregentenstraße hatte ich über dieses listige Zaudern der Schöneberger geschrieben.


mit KLICK vergrößern

Vergessen wir die Künstler_innen nicht
Über ihr erstes Treffen mit Marlene Dietrich sagte Hildegard Knef: "Ich fühlte mich ein bisschen wie ein Konfirmandenkind, das eigentlich einen Knicks machen muss." Die Dietrich war eine halbe Generation älter als die Knef und bereits seit achtzehn Jahren in Hollywood, als die Knef ihren ersten Auftritt am Broadway in New York hatte. Beide hatten zu unterschiedlichen Zeiten in der heutigen Leberstraße auf der Roten Insel gewohnt, sind sich aber erst in New York begegnet. Beide wurden amerikanische Staatsbürgerinnen, die Dietrich, als sie vor den Nazis emigrierte, die Knef nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Dietrich arbeitete an ihrem Mythos und zeigte sich im Alter nicht mehr öffentlich, die Knef war zwei Wochen vor ihrem Tod zum letzten Mal im Fernsehen zu sehen.

An beiden Häusern in der Leberstraße sind Gedenktafeln angebracht. Für die in Ulm geborene Hildegard Knef an dem Haus Nr.33, in dem sie als Kind in Berlin zuerst gewohnt hat. Zwei Gedenktafeln befinden sich am Geburtshaus Nr. 65 von Marlene Dietrich.

Bevor der Maler Horst Baluschek seine Ehrenwohnung und sein Atelier im Turm der Ceciliengärten bezog, hat er zwölf Jahre lang auf der Roten Insel in der Gotenstraße und Cheruskerstraße gewohnt. Von seiner Wohnung im obersten Stock der Cheruskerstraße 5 aus blickte er auf die Eisenbahn und die Gasanstalt mit dem Gasometer. Das sind Motive, die sich in seinen Bildern wiederfinden. Die Eisenbahn schwenkte damals über die Cheruskerkurve von der Ringbahn zum Potsdamer Bahnhof ein, inzwischen ist dort ein Park.


mit KLICK vergrößern

Schöneberger Terrassen
An der Dominicusstraße zwischen Ebersstraße und Feurigstraße befindet man sich im Blockinnern unvermutet in einer Grünanlage mit hohen Bäumen und Sträuchern, Kinderspielplatz und Sitzbänken. Ein bis zu 11 Stockwerke aufragendes Terrassenhochhaus aus Betonfertigteilen steht als Quergebäude in dem Baublock, der sich auf der Straßenseite mit 6 Geschossen der Umgebungsbebauung anpasst. Der Terrassenbau erinnert an die sehr viel ausladendere Autobahnüberbauung in der Schlangenbader Straße, die zeitgleich geplant wurde.

Auf diesem Grundstück produzierte seit 1871 die Berliner Bären-Brauerei (vorher: Schöneberger Schloßbrauerei) das Bärenpils. Nachdem in den 1960er Jahren die Gebäude am Straßenrand zur Verbreiterung der Dominicusstraße abgerissen worden waren, stellte 1975 die Brauerei in den im Grundstücksinnern gelegenen Brauereigebäuden die Produktion ein. Alle Gebäude wurden abgerissen. An ihrer Stelle entstanden zur Straße hin Wohn- und Geschäftsgebäude und im Blockinnern Wohnhochhäuser.

Diese "Schöneberger Terrassen“ sind gerade vom Landesdenkmalamt als Bauwerke der Nachkriegsmoderne unter Schutz gestellt worden. „Sie sind nicht gerade ein Ausdruck städtebaulicher Schönheit“, knurrt der baupolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Bezirksparlament. Das typische Missverständnis, dass Baudenkmale "schön" sein müssen, kann man also auch von einem auf Baufragen spezialisierten Politiker hören. Tatsächlich geht es aber um Zeugnisse einer Epoche, die es wert sind, der Nachwelt überliefert zu werden, auch wenn der Zeitgeist über deren Ästhetik hinweggegangen ist.


Das gemeinsame Flaniermahl muss heute ausfallen. Der eine Flaneur ist in das Katz-Orange in der Bergstraße in Mitte eingeladen. Hier war früher die Brauerei Josty, über dem Eingangsportal im Innenhof begrüßt eine männliche Büste mit einem Trinkgefäß in der Hand den Besucher.

--------------------------------------------------------------
... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
--------------------------------------------------------------

--------------------------------------------------------------
... und hier sind weitere Bilder ...
--------------------------------------------------------------

--------------------------------------------------------------
Unsere Route:
--------------------------------------------------------------

zum Vergrößern ANKLICKEN



Die Müllkippe lebt
Vom Dampfauto zum Dieselmotor