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Bier und Schokolade


Stadtteil: Mitte
Bereich: Rosenthaler Vorstadt (Neu-Vogtland)
Stadtplanaufruf: Berlin, Ackerstraße
Datum: 4. Januar 2011

Johann und Daniel, zwei Brüder aus Graubünden im Schokoladenland Schweiz, kamen 1819 als Migranten nach Berlin und brachten ihre Fähigkeit zur Schokoladenproduktion aus ihrer Heimat mit. Johann hatte Zuckerbäcker gelernt, Daniel eine Brauerlehre abgeschlossen. Auch wenn sie in Berlin getrennter Wege gingen, hatten sie hier gemeinsam 1831 die "Kreazom- Chocolade" - ein Getränk - erfunden und schützen lassen. Johann gründete die "Johann Josty & Co." und eröffnete in Berlin und anderen deutschen Städten Cafés, im "Café Josty" am Potsdamer Platz verkehrten Heinrich Heine, Joseph von Eichendorff, die Brüder Grimm, Theodor Fontane, Adolph Menzel, Erich Kästner.

Daniel gründete die Josty-Brauerei, führte das Lagerbier ein und schrieb ein Buch über Bier "aus seinem Bierfass", das er entsprechend seiner Herkunft in drei Sprachen (darunter räteromanisch) verfasste. Seine Brauerei errichtete im Innenhof der Bergstraße 22 in Mitte ein imposantes Gebäude mit reich geschmückter neugotischer Sandsteinfassade. Über dem spitzen Satteldach des vorspringenden Mittelteils "weht" eine Wetterfahne, zwei auf Podesten stehende Figuren erheben die Becher zum Trunke, eine weitere Aufforderung zum Trinken richtet die männliche Büste über dem Eingangsportal an den Besucher, die mit einem Trinkgefäß in der Hand aus einem Wappen herauswächst. Es half alles nichts, der Brauereimarkt erlebte im Laufe der Jahre eine klassischen Verdrängungswettbewerb durch die Großen dieser Industrie, zuerst wechselte die Josty-Brauerei den Besitzer und wurde zur Bergbrauerei, 1930 wurde die Produktion dann ganz eingestellt.

Zu DDR-Zeiten verfiel auch dieses Gebäude, nach der Wende wurde es restauriert und beherbergt unter anderem im ehemaligen Sudhaus das Restaurant Maxwell, das nach Angriffen in Kreuzberg hier eine neue Heimat gefunden hat und sicherlich die geschützte Lage in einem Innenhof schätzt. Weiterhin sind Büros, Ateliers und großzügigen Wohnungen entstanden, und Räume werden als Ferien-Appartements vermietet.

Die Zeiten, in denen Ost-Berlin vor allem graue, bröckelige Fassaden mit jahrzehntelangem Renovierungsrückstand zeigte, sind vorbei, doch vereinzelt fallen immer noch Bauten ins Auge, die sich in ihrer DDR-Optik krass von den umliegenden Häusern abheben. In der Ackerstraße nahe der Torstraße steht so ein Haus, und die von den Bewohnern angebrachten Erläuterungen belegen seine Geschichte, die vor allem auf eine Verweigerungshaltung des Hauseigentümers hindeuten. In Fall des Hauses Schwarzenberg in der Rosenthaler Straße haben die Bewohner ihr Haus gekauft, sie heben sich bewusst mit ihrer Subkultur von dem sie umgebenden Kommerz und Glanz ab, die Hauswände sind geradezu ein Graffiti-Musterbuch. Im "Linienhof" in der Linienstraße wehren sich linke Bewohner gegen linke Architekten, die das Gebäude zu einem Projekt selbstbestimmten Bewohnens machen wollen, die Fronten sind erstarrt.

Zwischen Invalidenstraße und Torstraße hat Friedrich der Große ab 1751 auf einer Sandwüste die Kolonie Neu-Vogtland angelegt, um die ausländischen Saison-Bauarbeiter anzusiedeln, damit sie ihr Geld hier ausgeben und nicht im heimischen Sachsen, insbesondere dem sächsischen Vogtland (denn das war das "Ausland"). Die Sandwüste wiederum war entstanden, weil außerhalb der Stadt vor der Palisadenbefestigung rigoros die Bäume abgeholzt wurden, danach fegte der Wind wahre Sandstürme über die Stadtgrenze. Von der Siedlung sind keine Bauten erhalten, nur der Stadtgrundriss blieb erhalten, wenn auch in Einzelfällen Parzellen zur Neubebauung zusammengelegt wurden (Brunnenhof, Ackerhöfe). In vier Reihen wurden einstöckige Häuser mit jeweils zwei Wohnungen mit Stube, Kammer und Küche gebaut. Die erste Reihe war die heutige Brunnenstraße, die zweite und dritte die Ackerstraße und die vierte die Bergstraße, die Benennung der Straßen erfolgte erst nach 1800.

Die Bewohner von Neu-Vogtland waren schlecht angesehen, hier war das Armenviertel Berlins, die Polizei konnte "die Handwerksburschen und Tagelöhner, die zügellos sonnabends, sonntags und montags ihr Fass feiern" kaum bändigen, die Nähe von Invalidenhaus und Galgen tat ihr übriges für einen schlechten Ruf. Im Zuge der Industrialisierung wurden ab 1820 die Siedlungshäuser durch größere Wohnhäuser ersetzt, in der Gründerzeit ab 1875 gab es eine zweite Neubauwelle, wobei der Stadtraum hemmungslos verdichtet wurde, indem man mehrere Gebäude hintereinander schachtelte. Lediglich zwei Auflagen der Brandpolizei mussten dabei beachtet werden: im Hof musste sich die Feuerspritze drehen lassen (5,34 Meter im Quadrat) und die Gebäudehöhe durfte die Straßenbreite nicht überschreiten, damit bei einem Brand das gegenüber liegende Gebäude nicht beschädigt wurde. Ein Zeitgenosse formulierte: "Zusammengepfercht in verwanzten Löchern, Wand an Wand, Tür an Tür, leben schlecht bezahlte Arbeiter, geplagte Tagelöhner, Huren und Zuhälter, abgestumpfte Familienväter und betuliche Mütter, mit ihrer ewig hungrigen Brut".

Wer heute in der Rosenthaler Vorstadt flaniert - wie wir es tun -, bekommt keinen Eindruck mehr von dieser Geschichte. Die Bürgerhäuser haben das DDR- Grau abgeworfen (bis auf das eine in der Ackerstraße), die Innenhöfe (Ackerhöfe, Brunnenhof, Josty-Brauerei) sind Schmuckstücke, manchmal stehen ein Haus aus der ersten Miethausphase mit 3 Etagen, ein 5-Etagen- Gründerzeithaus und ein Neubau der Nachwendeära unmittelbar nebeneinander an der Straßenfront.

Ein Haus von 1854 in der Brunnenstraße, mit einer "Etagenfabrik", also den typischen Fabriketagen hinter dem Wohnhaus, ist unser letztes Ziel für heute. Wir gönnen uns noch einen Kaffee, dann geht es von der Bernauer Straße wieder nach Hause.
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Über den „Linienhof“ und das das Haus Schwarzenberg: Unglücklicher Fall eines Steines


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