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Zarte Schleier niederrieselnden Wassers


Stadtteil: Wedding
Bereich: Rehberge, Cité Joffre
Stadtplanaufruf: Berlin, Sansibarstraße
Datum: 27. Mai 2019
Bericht Nr.:656

In den Rehbergen hätte man fast statt des heute vorhandenen Volksparks einen Park mit wilden Tieren ansehen können. 1915 plante Carl Hagenbeck auf dem unbebauten Rehberge-Gelände die Anlage eines Tierparks wie in Hamburg. Aber nicht nur Tiere, auch Menschen aus den damaligen deutschen Kolonien ("Schauneger“) sollten im Park ausgestellt werden, es sollte eine Völkerschau werden ähnlich wie bei der Gewerbeausstellung im Treptower Park. Der Erste Weltkrieg kam dazwischen, doch als Vorbereitung waren schon die Straßen im angrenzenden Afrikanische Viertel benannt worden, die an Deutschlands Vergangenheit als Kolonialmacht erinnern und deshalb heute umstritten sind.

Zu Anfang dehnte sich die Jungfernheide bis zu den Rehbergen aus. Das sandige, teilweise mit Kiefern bestandene Gelände gehörte zum Gutsbezirk Tegeler Forst, später zum Gutsbezirk Plötzensee. Der Leutnantsberg verweist auf die militärische Nutzung der Sanddünen als Übungsgelände für die Kavallerie und zwei Garde-Regimenter. Bei der Eingemeindung nach Berlin wurde der Schwarze Graben zur Grenze nach Westen. Heute stehen dort am Fuße des Leutnantsberges Kleingartenanlagen, jenseits des Grabens liegt die Cité Joffre, die wir im Verlauf unseres Spaziergangs durchqueren.

Berlin und der Wald
Mit Waldgebieten sind die Berliner früher nicht zimperlich umgegangen. Vom Stadtwald, einem ausgedehnten Waldgebiet, das sich früher links der Spree von Berlin/Cölln südlich bis nach Köpenick erstreckte (Köllnische Heide), blieben nur einzelne begrenzte Waldflächen in Treptow-Köpenick erhalten. Für die Villensiedlung Grunewald wurde kräftig abgeholzt, Bismarck hatte das durchgesetzt, um durch ein Kopplungsgeschäft den Ausbau des Kurfürstendamms zu finanzieren. Mit dem Gassenhauer "Im Grunewald ist Holzauktion" haben die Berliner das aufs Korn genommen.

Beide Weltkriege haben dazu geführt, dass Berliner aus bitterer Not bei der Suche nach Brennholz Waldgebiete vernichtet haben. Der Tiergarten, der schon durch Luftangriffe beschädigt war, wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wegen des Kohlemangels buchstäblich verheizt, auf den freien Flächen wurden Kartoffeln und Gemüse angebaut. Während des Ersten Weltkriegs erging es den Bäumen in den Rehbergen genauso. Man ließ die Bevölkerung auf der Suche nach Feuerholz gewähren, erst als Spekulanten anfingen, das kostenlose Holz teuer zu verkaufen, beendete man das mit Hilfe der Reichswehr.

Zur gleichen Zeit kaufte der kommunale Zweckverband Groß-Berlin dem preußischen Staat ausgedehnte Waldflächen in der Berliner Umgebung ab, um den Wald vor Veräußerung und Bebauung zu bewahren. Dieser "Dauerwaldvertrag" von 1915 besteht bis heute, Berlin gilt heute als die waldreichste Millionenstadt in ganz Europa, der größte Teil der Wälder ist im Eigentum der Stadt.

Die Rehberge
In der Zeit der Märzrevolution von 1848 waren Arbeitslose als Notstandsarbeiter damit beschäftigt, Sumpfgebiete trockenzulegen, den Spandauer Schiffahrtskanal auszuheben und den Sand auf den Rehbergen zu verteilen. Sie schlossen sich als "Rehberger" den protestierenden Arbeitern der Märzrevolution an, demonstrierten für ihre Rechte und nahmen an Barrikadenkämpfen teil.

Aus den sandigen Teilen der Rehberge war bis vor dem Ersten Weltkrieg Streusand gewonnen worden und Scheuersand für die Dielenböden in Berliner Wohnungen. Der Wind türmte die Sandflächen zu Dünen auf. Im angrenzenden Wedding waren die Sandstürme gefürchtet. In den 1920er Jahren wurde damit begonnen, die Rehberge in einen Volkspark zu verwandeln. Erwin Barth, der Stadtgartendirektor von Groß-Berlin, begann sein Amt 1926 mit einem Paukenschlag. Den vorgefundenen Entwurf seines Vorgängers konnte er "weder in künstlerischer noch in gartentechnischer Beziehung verantworten". Mit stimmungsvollen Zeichnungen verschiedener Parkszenarien überzeugte Barth den Magistrat von seinem Alternativentwurf, der dann verwirklicht wurde. Auch die Kleingärten am Schwarzen Graben wurden nach einem Entwurf von Barth angelegt.

Rathenau-Brunnen
Auf einer Anhöhe im Park - am Beginn der Rodelbahn - steht der Rathenaubrunnen, gewidmet dem AEG-Gründer Emil Rathenau und seinem Sohn, dem Außenminister Walther Rathenau. Der Bildhauer Georg Kolbe, der viele realistische Figuren und Portraitköpfe modelliert hat, schuf eine runde Bronzeschale, in der sich eine Spirale nach oben windet. Vom oberen Rand der Schale rieselt Wasser in einem zarten Schleier nieder, sodass die hinter dem Wasser durchschimmernde Spirale wie ein "kräfteumsetzendes Triebwerk" wirkt. Die Bevölkerung konnte sich mit diesem modernen Werk nicht anfreunden, im Volksmund hieß der Brunnen "Steuerschraube". In der NS-Zeit wurde der 1930 eingeweihte Brunnen bereits vier Jahre später als "Denkmal für jüdische Bürger" entfernt.

1987 wurde eine Nachbildung des Rathenaubrunnens von Harald Haacke aufgestellt. Haacke war auf Nachschöpfungen im Sinne der Denkmalpflege spezialisiert, von ihm stammt auch der Gänselieselbrunnen auf dem Nikolsburger Platz und die Pietà, das zentrale Element der Neuen Wache. Dem heftig beschmierten Brunnen im Volkspark Rehberge fehlte bei unserem Besuch der attraktive Wasserschleier. Mit freundlicher Erlaubnis kann ich aus dem Nachlass Haackes ein Foto zeigen, auf dem der Brunnen in Betrieb ist.


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Die Ringer
Die Plastik zweier Ringer im Eingangsbereich an der Afrikanischen Straße hatte der Bildhauer Wilhelm Haverkamp 1906 ursprünglich für den Schillerpark entworfen. Dort stand sie seit 1920, dann musste sie in der NS-Zeit einem Schiller-Denkmal weichen. Das Material aus dem Rathenaubrunnen im Volkspark, den man eingeschmolzen hatte, soll entweder für das Schillerdenkmal im Volkspark oder für die Kopie auf dem Gendarmenmarkt verwendet worden sein. Im Stadtbild ist in der Andreasstraße die "Vatergruppe" des Bildhauers Wilhelm Haverkamp zu finden, die Marmorskulptur eines sitzenden Handwerkers mit Sohn. Die Bildhauerin Renée Sintenis gehörte zu den bekanntesten Schülern des Kunstprofessors.

Wohnanlage Sansibarstraße
An der Bayerischen Straße in Wilmersdorf hatten wir vor kurzem die Portale an den Wohnbauten der Architekten Heinrich Iwan und Stephan von Zamojski bewundert. Dort umrahmen Mindener Wandplatten mit Ornamenten die Eingänge. Auf unserem heutigen Weg haben die beiden Architekten zwischen Müllerstraße und Volkspark Rehberge zwei Straßenkarrees bebaut und auch dort die Hauseingänge betont, mit Backsteinen, die in Lagen gegeneinander versetzt sind. Die Fenster sind zu horizontalen Bändern zusammengefasst.


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Die Randbebauung rund um die Sansibarstraße passt sich an die unterschiedlich zulässigen Gebäudehöhen an. Gegenüber dem Volkspark sind nur dreigeschossige Bauten erlaubt, ansonsten vier Stockwerke. Deshalb werden zum Park hin die Gebäude in mehreren Stufen niedriger, um an der Afrikanischen Straße in zwei würfelförmigen Bauten mit Flachdächern zu enden.

Cité Joffre
Hinter dem Schwarzen Graben erreichen wir die Cité Joffre, eine Wohnsiedlung aus der Zeit der französischen Besatzungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg wie die Cité Foch, Cité Guynemer und Cité Pasteur. Das Berliner Bauamt hatte die Gebäude in den 1950er Jahren im Auftrag der Franzosen errichtet. Aber auf deutsche Planungs- und Bauvorschriften nahmen die Alliierten wenig Rücksicht, genau wie die Amerikaner bei der Bebauung des Düppeler Feldes. Die Straßen mit den blauen Straßenschildern waren Privatgelände, die Benennung war französisch und endete auf Allée, Rue oder Avenue. Dabei gab es komplizierte Name wie die "Allée Camille St. Saëns", die den Komponisten ehrte, für Deutsche aber kaum zu buchstabieren oder verständlich auszusprechen war.

Nach Abzug der Franzosen entdeckte das Bezirksamt Wedding, dass Straßennamen "kurz, einprägsam und gut verständlich" sein sollen, übernahm die Straßen in städtischen Besitz und änderte ihre Benennung, weiterhin aber mit Bezug auf Frankreich. Sind neue Straßennamen wie Charles-Corcelle-Ring oder Tourcoingstraße auf den neuen weißen Schildern jetzt "gut verständlich"? Man kann es bezweifeln.

Testgelände, Munitionsplatz, Volksfestgelände
Im Bereich der Cité Joffre und des angrenzenden Volksfestgeländes hatte seit 1889 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Chemisch-Technische Reichsanstalt Versuche und Tests unternommen. Dabei ging es um Werkstoffe, Gastechnik, Tankanlagen, Zünder, Schieß- und Sprengmittel.

Die Franzosen als Besatzungsmacht übernahmen diesen Standort und richteten hier ein Munitionsdepot ein, das vom Gelände des Flughafens Tegel weichen musste. Von Wällen umgeben standen in dem neuen Bereich 43 oberirdische Bunker, zwei Wachtürme und mehrere Nebengebäude. 1999 wurden die Bunker und Sicherungsanlagen abgerissen und der Platz in einen Veranstaltungsplatz umgewandelt. Wenn jetzt hier geballert wird, geschieht es an den Schießbuden des Volksfestes. Für die Umwidmung wurde ein Bebauungsplan aufgestellt, der die Volksfeste zum "festen Bestandteil des öffentlichen Lebens der Stadt" erklärt, werden sie doch "von Berlinern/Berlinerinnen und ihren Gästen zur Erholung und zum Vergnügen aufgesucht". Auch die Imagewirkung für die Stadt wird bekräftigt.

Legatenfonds (Stiftung) für Militärangehörige
An die Cité Joffre grenzt im Norden die Julius-Leber-Kaserne an, die in der NS-Zeit für die Luftwaffe errichtet worden war und von den Franzosen als "Quartier Napoléon" genutzt wurde. Wie eine zivile Exklave ist am Charles-Corcelle-Ring ein Villengrundstück von dem Kasernengelände ausgespart und von der Kasernenmauer umgeben worden. Die Villa gehört dem Rohdich'schen Legatenfonds, einer Stiftung, die aktuell als Ziel formuliert, "Soldat_innen und zivile Mitarbeiter des Militärs, die unverschuldet in eine wirtschaftliche Notlage geraten sind", zu helfen. Ursprünglich sollte die Stiftung die Bildung von Kindern fördern, aber die Geschichte dieses Legats zeigt, wie biegsam doch alle Brüche der Zeitläufte überwunden werden können, wenn man ein gutes Ziel vor Augen hat.

Der preußische Kriegsminister und General der Infanterie Friedrich Wilhelm von Rohdich verstarb 1796 kinderlos, aber nicht unvermögend. Auf seinem Grundstück Pariser Platz 3 steht heute der Neubau der DZ-Bank von Frank Gehry, damals befand sich dort das Palais "Auf der Dorotheenstadt am Quarree". Als Direktor des Potsdamer Großen Waisenhauses hatte Rohdich miterlebt, wie Kinder an Tuchmanufakturen, Gewehrfabriken und andere Betriebe vermietet wurden, wo sie bis zu 10 Stunden täglich arbeiten mussten. Rohdich war humanistisch geprägt, als Freimaurer gründete er eine militärische Feldloge, also eine ambulante Freimaurerloge, die im Krieg mitzieht.

In seinem Testament hinterließ Rohdich seinem Grenadiergarde-Bataillon, dem er als Chef vorstand, sein Vermögen mit der Auflage, aus den Vermietungsüberschüssen seiner Villa die Erziehung der Kinder von Batallionsangehörigen zu finanzieren. Die Einkünfte sollen "zu 'ewigen Zeiten' zur Erziehung der Kinder des Bataillons einzig und allein Verwendung finden", verfügte er. Die Franzosen waren schon einmal als Sieger in Berlin, während ihrer Besatzung wurde 1806 Rohdichs Bataillon aufgelöst, den Träger der Stiftung gab es nicht mehr.


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Die Berliner Militärs, nicht um eine kreative Lösung verlegen, gründeten danach zwei neue Garde-Bataillons und setzten sie anstelle des aufgelösten als Träger ein. Es war keine einwandfreie Rechtsnachfolge, aber ein guter Zweck, deshalb gab es keinen Protest.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden durch den Versailler Vertrag militärische Organisationen aufgelöst. Wieder "suchte und fand man hinreichende Kontinuitäten in einem neu aufgestellten Verband", der Träger wurde zum zweiten Mal ausgetauscht, gegen den testamentarisch verbrieften Wunsch des Gründers, dass auf ewig "sein" Bataillon begünstigt werden solle. Der Reichswehrführer Johannes von Seeckt sorgte für die "Traditionsübernahme" durch ein neu aufgestelltes Potsdamer Infanterie-Regiment der Reichswehr. Damit war das Legat über diese Zäsur hinweggekommen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es den nächsten Bruch: Die in Ostberlin ansässige Stiftung wurde von der DDR enteignet und aufgelöst. Erst nach der Wende hat das Bundesverteidigungsministerium als neuer Träger sie wiederbelebt, doch der Bundesfinanzminister wollte das Stiftungskapital nicht herausrücken, das sich die DDR angeeignet hatte. Deshalb musste die Stiftung das Grundstück am Pariser Platz verkaufen, zum Schluss war nur noch Geld da. Mit dessen Hilfe wurde ein Gebäude "in enger Anbindung an die Julius-Leber-Kaserne" angemietet und 2007 schließlich erworben. Ausgetauscht waren der Träger (Bundeswehr statt Rohdichs Bataillon), das Stiftungsvermögen (Rohdichs Villa) und der Stiftungszweck (Sozialfürsorge statt Bildung). Geblieben ist nur das Wappen des Legatenfonds von 1796 mit dem doppeldeutigen Wahlspruch "Semper talis" ("immer gleich").

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