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Kein Urwald mitten im Berliner Westen


Stadtteil: Wilmersdorf
Bereich: Villenkolonie Grunewald, Hundekehle
Stadtplanaufruf: Berlin, Gottfried-von-Cramm-Weg
Datum: 8. August 2016
Bericht Nr: 555

In der Villenkolonie Grunewald reichen an der Ostseite des Hundekehlesees die Gartenanlagen der Villen bis zum See hinunter. Von der Nordseite des Sees wurde 1909 berichtet, dass sich über einen 3 - 4 Meter breiten Fußpfad jahrzehntelang ungehindert ein "Strom naturfroher Millionen Menschen in den nahen grünen Wald ergoß". 1897 hatte der konservative Abgeordnete Graf Tschirschky-Renard im preußischen Herrenhaus vergeblich versucht, den Grunewald zu schützen und zu einem „Urwald" nach dem Vorbild amerikanischer Nationalparks zu entwickeln, fand aber keine Mehrheit für seinen Antrag. Wenn wir heute denken, der Wald sei unberührte Natur, dann übersehen wir die Eingriffe menschlichen Wirtschaftens seit vielen Jahrhunderten - der Wald ist keine Wildnis, sondern eine Kulturlandschaft. Schon allein das Vorhandene zu erhalten, ist für den Naturschutz eine riesige Aufgabe. Ein Urwald in der Nähe des Kudamms war auch schon vor hundert Jahren nicht mehr als eine Vision. Und doch hat sie eine Entwicklung in Gang gesetzt, der Berlin heute einen imposanten Grüngürtel verdankt.

Im Grunewald ist Holzauktion
Das Forstrevier gehörte dem preußischen Staat, genutzt wurde es von den Bewohnern Berlins und seiner Vororte. In großer Zahl wanderten sie durch den Wald, der Forst diente ihnen als Erholungsgebiet. Der Staat war dagegen mehr auf Erlöse aus dem Verkauf von Bauland bedacht. Dieser Interessengegensatz zwischen Preußen und der Stadt Berlin prägte die weitere Entwicklung des Grunewalds. Auch wenn die Abgeordneten den "Urwald" ablehnten, gaben sie der preußischen Staatsregierung doch mit, das Forstrevier Grunewald nicht durch Verkäufe zu schmälern, sondern im Interesse des Publikums wie einen Park zu bewirtschaften.

Reichskanzler Bismarck reiste 1871 zur Kaiserkrönung nach Versailles und sah in der französischen Hauptstadt Paris die Boulevards - so etwas wollte er für Berlin auch haben. Er brachte ein Bankenkonsortium unter Führung der Deutschen Bank dazu, den Ausbau des Kurfürstendamms zu finanzieren und ließ sich als Kompensation darauf ein, einen Teil des Grunewalds abzuholzen, um dort eine Villenkolonie zu errichten. Große Mengen Holz wurden nach der Rodung zu Billigpreisen verkauft, mit dem Gassenhauer "Im Grunewald ist Holzauktion" haben die Berliner das aufs Korn genommen.

Dieses Kopplungsgeschäft zu Lasten des Forstgebiets empörte weite Teile der Bevölkerung, Waldvernichtung wurde zum Politikum. Es entstand eine Umweltbewegung und mit ihr der "Berliner Waldschutzverein". Der kommunale Zweckverband Groß-Berlin konnte schließlich 1915 ausgedehnte Waldflächen in der Berliner Umgebung vom preußischen Staat kaufen, dazu gehörten der Grunewald und der Tegeler Forst. In diesen "Dauerwaldvertrag" verpflichtete sich die Stadt, den Wald vor Veräußerung und Bebauung zu bewahren und ihn auf Dauer zur Naherholung und Trinkwasserversorgung zu erhalten.

Hundekehle
Unser Spaziergang durch einen Teil der Villenkolonie Grunewald führt uns in den Bereich des Hundekehlesees. Er gehört zu einer Seenkette, einer eiszeitlichen Schmelzwasserrinne, die über Grunewaldsee, Krumme Lanke, Schlachtensee und Nikolassee bis zum Wannsee reicht. Eine kleinere Seenkette zum Halensee wird durch den Dianasee und den Koenigssee gebildet, die beide für die Villenkolonie künstlich angelegt wurden, um sumpfiges Gebiet zu entwässern und wertvolle Wassergrundstücke zu schaffen. Wo der Name Hundekehle herkommt, darüber gibt es viele Theorien. Ob hier Hunde gequält oder in einem Hundezwinger gehalten wurden, ob mit Kehle eine Quelle gemeint war oder die schmale Bergenge zwischen zwei Seen, wir müssen das nicht entscheiden.

Die Villenkolonie wird durch zwei Bahnhöfe erschlossen, die heute "Grunewald" (an der verlängerten Stadtbahn) und "Halensee" (an der Ringbahn) heißen. Dabei wurde der Bahnhof an der verlängerten Stadtbahn zunächst auf den Namen "Hundekehle" getauft und hatte damals eine Direktverbindung zur Ringbahn von einem eigenen Bahnsteig aus. Von einem anderen Bahnsteig fuhr die "Kanonenbahn" bis zur französischen Grenze, das Militär hatte im deutsch-französischen Krieg die strategische Bedeutung der Eisenbahn entdeckt. Fünf Jahre nach der Bahnhofs-Einweihung gab es eine verwirrende Umbenennung: Der Name "Hundekehle" verschwand, "Grunewald" trat an seine Stelle, und der Bahnhof an der Ringbahn hieß fortan nicht mehr "Grunewald", sondern "Halensee". Am heutigen Bahnhof Grunewald gibt es aber immer noch die Abstellanlage und Wagenhalle Hundekehle, sie wurden nicht umbenannt. Vom S-Bahnhof Grunewald ist die Gedenkstätte "Gleis 17" zugänglich, die an die Massendeportationen jüdischer Mitbürger in die Vernichtungslager von Theresienstadt und Auschwitz erinnert.

Walther Rathenau
An der Kurve der Koenigsallee Höhe Hundekehle steht die "Junggesellenvilla" von Walther Rathenau. Die Eingangstür ist auffällig schmal (nur für eine Person?), der Bau ist schlicht bis auf ein umlaufendes Ornamentband zwischen den zwei Etagen. "Vornehme Schlichtheit und kühle Eleganz des preußischen Klassizismus" zeichnen die Villa aus, die Rathenau selbst entworfen hat. Er setzte sich damit ab vom Historismus der Kaiserzeit, von den Gebäuden "der erliehenen Herrlichkeit aus Gips, Stuck, Kunstmörtel und Zement, die sich in Nudeln, Kringeln, Zöpfen und Locken bläht und ballt".


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Rathenau war ein talentierter Maler, als Architekt war er Autodidakt ohne Ausbildung. Der mit der Ausführung beauftragte Architekt bekam präzise die Details der Fassade und der Innenausstattung vorgegeben. Andererseits schrieb Rathenau Bücher und Aufsätze zur Politik und Philosophie, damit hätte er den "Mangel an Familienleben" kompensiert, sagte er einmal. Er litt unter seiner Einsamkeit, obwohl er voll gefordert war als Großindustrieller (AEG) und Politiker.

Walther Rathenau war nur wenige Monate lang Außenminister der Weimarer Republik, und doch ist sein Wirken für die internationale Anerkennung Deutschlands nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg epochal. Die im Versailler Vertrag auferlegten Reparationen konnte Walther Rathenau in Verhandlungen mit dem Westen mildern, mit der Sowjetunion erreichte er sogar die vollständige Aufhebung durch den Rapallo-Vertrag. Auf dem Weg von seiner Villa ins Außenministerium wurde er 1922 ermordet. Im Lustgarten fanden sich 220.000 Menschen zu einer spontanen Trauerkundgebung ein, im ganzen Reich kam es zu Massendemonstrationen. Beerdigt wurde er im Erbbegräbnis seines Vaters auf dem Waldfriedhof Oberschöneweide (Wuhlheide). In seiner Villa an der Koenigsallee wohnte später der den Nationalsozialisten nahe stehende Bildhauer Arno Breker.

Ullstein-Villen
Der Verleger Hans Ullstein - Seniorchef des Verlagshauses Ullstein in zweiter Generation - hatte sich am Dianasee eine Villa gebaut, die 2013 für ein Neubauprojekt in einen Schutthaufen verwandelt wurde, obwohl sie voll funktionsfähig war und zuletzt als DRK-Klinik gedient hatte. In der Villenkolonie gab es kaum Kriegsschäden, das Villensterben begann erst nach dem Zweiten Weltkrieg, seit rücksichtslose Immobilienentwickler mit Abrissen und Neubauten maximale Rendite aus den übergroßen Grundstücken herausholen, so wie man es schon in den 1970er Jahren beispielsweise an der Rehwiese beobachten konnte.

Wenn die englische Queen Elisabeth offiziell Geburtstag feiert, sind im Juli in London 1.400 Soldaten in Gardeuniformen samt Bärenfellmütze im Einsatz und 200 Pferde bei der Parade "Trooping the Colour" (sinngemäß übersetzt: "Regimentsfahnen zeigen"). Elisabeths tatsächlicher Geburtstag im April wird zurückhaltender begangen, im kleinen Kreis in Schloss Windsor. Die B.Z. - Berlins Boulevardzeitung aus Springers Ullstein-Zeitungsverlag - berichtete im letzten Jahr von einer dritten Geburtstagsfeier der Queen, und zwar in Berlin in einer früheren Ullstein-Villa an der Höhmannstraße. Louis Ullstein, der nach dem Tod seines Vaters, des Verlagsgründers Leopold Ullstein, die Leitung des Verlages übernommen hatte, ließ an der Regerstraße Ecke Höhmannstraße ein repräsentatives Landhaus mit großer Bibliothek errichten. Hier residiert heute der britische Botschafter.

Tatsächlich war es während ihres Berlin-Besuchs nur ein Geburtstagsempfang des britischen Botschafters in der ehemaligen Ullstein-Villa. "Ein Heimspiel für die B.Z.", jubilierte das (Ullstein-)Blatt, war die "BZ am Abend" doch von dem Verleger Louis Ullstein 1904 als erste deutsche Boulevardzeitung geschaffen worden. Die im gleichen Verlag wie die B.Z. erscheinende "Welt" hatte in diesem Jahr einen besonders sensiblen Geburtstagsartikel über die englische Königin veröffentlicht, Titel: "Queen Elizabeths Ableben ist einfach unvorstellbar".

Die denkmalgeschützte Treppe
Die Ullstein-Villa an der Höhmannstraße steht auf einem Grundstück, das einen Block weit bis zur Nikischstraße reicht. Das Portal des Eckgrundstücks ist diagonal über Eck angelegt und stellt damit einen Bezug zu der Treppe her, die den Niveausprung zur niedriger liegenden Koenigsallee ausgleicht. Die öffentliche Treppe ist in drei Abschnitte aufgeteilt und eher unauffällig, und so mag man sich fragen, warum sie ein Baudenkmal sein soll.


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Aber es bekommen nicht "schöne" Bauten den Denkmalstatus, sondern Bauten, die für eine bestimmte Epoche von Bedeutung sind. Die öffentliche Treppenanlage ist einzigartig in der Villenkolonie Grunewald, sie erschließt höhenmäßig den Zugang zur Koenigsallee und wird durch die Ecklösung des Ullstein-Grundstücks in den Villenkontext eingebunden. Genügend Gründe, um sie vor Veränderungen zu schützen.

Inszenierungen
Oskar Kaufmann hatte sich als Theaterarchitekt (Renaissance-Theater, Hebbeltheater, Volksbühne, Kroll-Oper) einen Namen gemacht. Wenn ein Fabrikant sich von ihm auf einem mehr als 9.000 qm großen Grundstück eine Villa errichten lässt, dann darf man eine architektonische Inszenierung erwarten. Das Gebäude steht auf einer Böschungskante, hinter der das Grundstück zum Hundekehlesee abfällt, das Anwesen erstreckt sich so über seine Grenzen hinaus in die Landschaft. (Haus Konschewski, Gottfried-von-Cramm-Weg)

Ein rhythmisch schwingendes Landhaus hat Kaufmann an der Douglasstraße 15-17 geschaffen. Zwischen zwei turmartigen Vorsprüngen wölbt sich die Fassade in einer Rundung nach innen. Seitlich von diesem Mittelteil setzt sich die Fassade durch zurückgesetzte niedrigere Flügel fort. Rundbogentüren im Erdgeschoss und verspielt umrahmte Rechteckfenster im Obergeschoss vervollkommnen das ungewöhnliche Gebäude.

In dem Doppelhaus gegenüber mit zwei unterschiedlichen Giebeln - Fachwerkgiebel auf der einen Seite und Neorenaissance auf der anderen - lebte der Stummfilmregisseur Friedrich Wilhelm Murnau. Sein Vampirfilm "Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens" ist weltberühmt und war wohl der Auslöser dafür, dass im letzten Jahr sein Kopf aus der Gruft auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf von dem einbalsamierten Körper getrennt und entwendet wurde.

Der ausgedehnte Garten der Villa Harteneck in der Douglasstraße ist heute als Park öffentlich zugänglich. Die Hauptfassade der Villa öffnet sich nicht nur Straße, sondern quer dazu zum ehemaligen Barockgarten, von dem nur noch eine Fontäne erhalten ist. Von der Straße nicht einsehbar gibt es einen Landschaftsgarten und ein Tal mit einer Wiese hinter der Böschungskante des in Richtung Dianasee abfallenden Grundstücks.

Inmitten der Bernhard-Wieck-Promenade sehen wir eine Mädchenfigur, die aus der halbhohen Spontanvegetation herausragt. Ängstlich nimmt sie die Arme an den Körper, damit sie den Brennnesseln fern bleibt. Der Bildhauer Fritz Röll hat diese Skulptur in den 1910er Jahren geschaffen. Er hatte sein Atelier in der Hundekehlestraße. Dort im Garten hat Röll sie 1943 vergraben, bevor er aus Berlin floh und nicht mehr zurückkehrte. Seine Erben schenkten sie dem Land Berlin. Das Bild einer weiteren Röll-Skulptur nutze ich als Ikone auf dieser Homepage. Mein Eingangsbild zeigt den "Sandalenanzieher", der im Lietzenseepark steht.


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Wir müssen uns hier versagen, über die vielen prominenten Bewohner der Villenkolonie Grunewald zu berichten. Und das dem Tennissport gewidmete „Steffi-Graf-Stadion“ taucht wie manche historische Bauten nur in unseren beiden Bildergalerien auf. Wegen der vielen Botschaften und Botschafter-Residenzen könnte man die Villenkolonie fast auch "Botschaftsviertel" nennen. Die Reiterstaffel der Bundespolizei ist kein Grunewald-Thema mehr, sie zieht von der Koenigsallee nach Stahnsdorf in einen Neubau mit Reitplatz, Schmiede, Pferdekoppel und Wirtschaftshof um. Zum Schluss unseres Stadtrundgangs nimmt man uns beide Flaneure im Garten des La Maremma fröhlich auf und stellt uns gut komponierte italienische Speisen auf den Tisch. Auch dem italienischen Wein verweigern wir uns nicht.

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Ein früherer Rundgang in der Villenkolonie Grunewald:
Millionen für eine Villa - gern auch in bar
Friedhof der Villenkolonie Grunewald:
Amüsierbetrieb und Toteninsel

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route:
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