Bezirke
  Straßenverzeichnis     Personen     Themen     Aktuell     Forum  
Charlottenburg-Wilmersdorf
Friedrichshain-Kreuzberg
Lichtenberg
Marzahn-Hellersdorf
Mitte
Die alte Mitte
Regierungsviertel, Hauptbahnhof und mehr
Tiergarten
Wedding
Neukölln
Pankow
Reinickendorf
Spandau
Steglitz-Zehlendorf
Tempelhof-Schöneberg
Treptow-Köpenick
Allgemein:
Startseite
Ich bin NEU hier
Hinweise
Kontakt
Impressum
Datenschutz
Links
SUCHEN
Sitemap

Krauses Haar und schwarze Haut


Stadtteil: Wedding
Bereich: Afrikanisches Viertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Nachtigalplatz
Datum: 3. Februar 2021 (Update zu 3. August 2009)

Krauses Haar und schwarze Haut konzentrieren sich im Afrikanischen Viertel in Wedding wie in keinem anderen Kiez in Berlin. Von den mehr als 20.000 Afrikanern aus 54 Nationen wohnen 15% hier im Viertel (1). Es gibt einen vom Bezirksamt unterstützten Afrikanisch-Deutschen Klub, der dazu anregen will, "froh und zufrieden das friedliche Miteinander zu genießen", und unter der Schirmherrschaft des Bezirksbürgermeisters erscheint ein Magazin „Afrikanisches Viertel“. Die Tageszeitung taz titelt: "Der Wedding wird schwarz".

Seit mehr als 300 Jahren leben Afrikaner in Berlin. Bei einem ersten Kolonialabenteuer hat Brandenburg-Preußen sich ab 1681 am internationalen Sklavenhandel beteiligt. Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. verkaufte später alle preußischen Übersee-Besitzungen an die Niederländisch-Westindische Kompanie und bekam dafür neben Bargeld "12 Negerknaben", davon sechs mit goldenen Ketten geschmückt. Seitdem gab es schwarze Heeresmusiker in der preußischen Armee, die Mohrenstraße in Mitte ist wahrscheinlich nach ihnen benannt (2).

Später wurden "Schauneger“ ausgestellt, über hundert Afrikaner, die in der „Deutschen Colonial-Ausstellung“ als Teil der Berliner Gewerbeausstellung von 1896 im Treptower Park in einem "Negerdorf" in exotische Kostüme gekleidet sieben Monate lang von morgens bis abends von den faszinierten Ausstellungsbesuchern angestarrt wurden. Nach Feierabend lebten sie unter unzumutbaren Bedingungen in engen Baracken.

Das Afrikanische Viertel
Auch das Afrikanische Viertel verdankt seine Benennung der Kolonialzeit und nicht der heutigen afrikanischen Bevölkerung. Carl Hagenbeck wollte hier vor dem Ersten Weltkrieg einen Tierpark wie in Hamburg mit Tieren aus den damaligen deutschen Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent präsentieren, doch dazu kam es wegen des Krieges nicht mehr. Die Nazis haben ein übriges getan und eine Allee 1939 nach dem üblen Rassisten Carl Peters benannt, der als Reichskommissar in Deutsch-Ostafrika tätig war. Als er entdeckte, dass sein afrikanisches Hausmädchen, die zugleich seine Geliebte war, ein Verhältnis mit seinem Diener hatte, ließ er beide öffentlich aufhängen und ihre Heimatdörfer zerstören. Zwar entließ ihn das kaiserliche Disziplinargericht wegen Amtsmissbrauchs unehrenhaft aus dem Reichsdienst und erkannte ihm Ehrentitel und Pension ab, doch Kaiser Wilhelm II. war so gütig, ihm aus seinem persönlichen Fonds eine Pension auszusetzen. Die Nazis erkannten in Peters einen der ihren und ehrten in mit der Straßenbenennung "Petersallee".

Neue Straßennamen fürs Afrikanische Viertel gefunden
Auf den Protest der Bevölkerung in den 1980er Jahren hin entschied sich das Bezirksamt zu einer billigen Lösung, finanziell wie moralisch. Man ersetze den Namensgeber Carl Peters durch den Widerstandskämpfer und CDU-Politiker Hans Carl Peters, der mit dem Kolonialbeamten nicht verwandt war. Dadurch musste man nur die kleinen Erläuterungszusätze auf den Straßenschildern austauschen, mancher bemerkte die Änderung gar nicht. Die 1910 erfolgte Benennung des Nachtigalplatzes wurde dagegen bisher nicht geändert. Gustav Nachtigal war Forschungsreisender, aber auch Wegbereiter des deutschen Kolonialismus in Afrika. Als deutscher Kommissar in Oberguinea zwang er Häuptlingen dieses Territoriums "Schutzverträge" auf. Inzwischen haben sich Initiativen für Umbenennungen eingesetzt, neue Straßennamen fürs Afrikanische Viertel wurden bereits gefunden, aber die bezirkliche Umsetzung stockt.

Unser Rundgang im Afrikanischen Viertel gilt vor allem den Siedlungsbauten. Dabei kommen aber auch die Friedhöfe und der frühere Straßenbahn-Betriebshof und heutige Autobus-Betriebshof ins Blickfeld.

Domfriedhof Müllerstraße
Friedhöfe wurden im 19. Jahrhundert aus hygienischen Gründen aus der Stadt verbannt und außerhalb der Stadt neu gegründet. Da sich die Stadt immer weiter ausdehnte, kam es zu einer Randwanderung der Friedhöfe, wie man sie auch im Wedding beobachten kann. Der Kernraum Wedding endete an der Seestraße, die Friedhöfe Dorotheenstadt III und Domfriedhof II wurden nördlich davon an der Müllerstraße neu angelegt, als Nachfolger der Friedhöfe an der Liesenstraße in Mitte.

Auf einem Friedhof kann man von manchem Unglück erfahren. Gleich am Eingang zum Domfriedhof steht man unerwartet auch noch vor einem sprachlichen Unglück. Auf einer Erinnerungsstein steht die Mahnung: "Gedenkt an Eure Lehrer". Der Dativ ist offensichtlich unter die Räder gekommen, hätte er doch die Aufforderung gebracht: "Gedenkt eurer Lehrer". Die verunglückte Formulierung geht auf Hebraeer 13:7 in der sogenannten "Lutherbibel 1912" zurück. Die Textbibel 1899 wusste es besser: "Gedenket eurer [...]"


mit KLICK vergrößern

Der "vergessene Ziegler"
Der Domfriedhof an der Müllerstraße hat einen schönen alten Baumbestand, aber die Zahl der erhaltenen Erbbegräbnisse ist überschaubar. Ein ungewöhnliches Grabmal aus Ziegeln mit einem Aufbau aus Terrakotten preist den "Deutschen Verein für die Fabrication von Ziegeln, Kalk und Cement" - Schleichwerbung? Sein hier beerdigter Schriftführer und Sekretär Albrecht Constantin Türrschmiedt war ein Gründungsvater der industriellen Ziegelherstellung und Gründungsmitglied des Vereins. In der Victoriastadt wird er mit einer Straßenbenennung (2) geehrt, dort sind die von ihm propagierten "Schlackebeton-Häuser" errichtet worden, die wesentlich kostengünstiger waren als konventionelle Ziegelbauten.

Der Verein feierte den aus einer Musikerfamilie stammenden "vergessenen Ziegler" in einer musikalisch inspirierten Laudatio: "Mit Albrecht Türrschmiedt zogen nicht nur wohlklingende Musik und das Schreiben von Gedichten in die Ziegelei ein, sondern auch die schnaufenden Geräusche schwer arbeitender Dampfmaschinen, das Schmatzen und Klatschen der Aufbereitungsaggregate, das Quietschen der Treibriemen, das leichte Rumoren der Strangpressen, das Sausen der Ventilatoren an den Ringöfen, gepaart mit den Fahrgeräuschen der kleinen, aber schwer beladenen Transportwagen. Sie ergänzten das Orchester der Arbeit, das von gut ausgebildeten Fachleuten dirigiert und zu Wohlklang gebracht werden musste".

Vier Wohnanlagen entlang der Afrikanischen Straße
Die Afrikanische Straße durchschneidet das rasterförmige Straßennetz des Afrikanischen Viertels, sie wurde nach dem Hobrechtplan von 1862 als Entlastungsstraße am Rande des damaligen Stadtgebiets angelegt. In einem Zeitfenster von 1923 (Ende der Inflation) bis 1929 (Weltwirtschaftskrise) entwickelte sich der staatlich geförderte Wohnungsbau mit einem beispiellosen Bauprogramm. Finanziert wurden die Projekte aus der Hauszinssteuer, einem Lastenausgleich, wie er auch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder eingerichtet wurde. Mit der Bauordnung von 1925 lenkte man das Baugeschehen weg von Mietskasernen, statt mit Seitenflügeln und Quergebäuden sollten Bauten am Blockrand mit Gartenhöfen ausgestattet werden. Wohnanlagen des "Neuen Bauens" schufen eine Bauweise von Luft und Licht statt der drangvoller Enge überkommener Berliner Mietshäuser.

Nach diesem Ideal entstanden in den 1920er Jahren die Bauten des Afrikanischen Viertels, die nicht am Blockrand ausgerichtet waren, sondern erstmals in einem gemeinsamen Außenraum als Miethausblocks parallel zueinander und im Winkel zur Straße (Zeilenbauten). Zwei weitere Siedlungen in herkömmlicher Ausrichtung am Blockrand wurden weiter südlich an der Afrikanischen Straße gebaut, die Wohnanlagen Sansibarstraße und Afrikanische Straße. Im Dritten Reich wurden am Nachtigalplatz Wohnanlagen errichtet, die der nationalsozialistischen "Baugesinnung" entsprachen.

Wohnanlage Afrikanische Straße, Mies van der Rohe
Am südlichen Ende der Afrikanischen Straße errichtete der Architekt Mies van der Rohe 1926 seine einzige Berliner Wohnanlage. Vier kubische Wohnblöcke mit drei Etagen, die Häuser mit Flachdach und schmucklosen Fassaden. Gerundete Balkons verbinden die abgewinkelten Seitenflügel mit den Hauptgebäuden. Die Wohnanlage enthält 88 Wohnungen mit ein bis drei Zimmern. Wohnbereich und Küche sind zu geräumige Wohnküchen verbunden und zum Hof ausgerichtet.

Wohnanlage Sansibarstraße
Weiter nördlich entstand die Wohnanlage Sansibarstraße, die sich von der Afrikanischen Straße bis zur Togostraße erstreckt. Mit abgestuften Geschosshöhen entsprechend dem Baurecht der umschlossenen Straßen und einer Öffnung an der Afrikanischen Straße. Dort stehen zwei kubische Gebäude mit Flachdächern in einem begrünte Gartenhof, der sich dem Volkspark Rehberge zuwendet.

Friedrich-Ebert-Siedlung
Wir können uns heute kaum vorstellen, dass vor 100 Jahren das Gebiet entlang der Afrikanischen Straße unbebautes Ödland war. Die Architekten Mebes und Emmerich entwickelten 1928 den Masterplan für die Siedlung zwischen Müllerstraße und Volkspark Rehberge. Leitbild war eine aufgelockerte Stadt, die sich Licht, Luft und Sonne öffnet. Sie hatten bereits 1924 eine Kleinhaussiedlung angrenzend an den Volkspark Rehberge gebaut. Im von ihnen konzipierten Afrikanischen Viertel übernahmen sie die ersten beiden Bauabschnitte Müllerstraße / Afrikanische Straße und Afrikanische Straße / Togostraße der Friedrich-Ebert-Siedlung. Vor die Zeilenbauten setzten sie Kopfbauten, die um ein halbes Geschoss erhöht sind. An der Müllerstraße schirmt eine Ladenzeile die Bauten vom Straßenverkehr ab.

Den dritten Bauabschnitt der Friedrich-Ebert-Siedlung Togostraße / Windhuker Straße errichtete der Architekt Bruno Taut, der bei seinen Bauten typischerweise auf jede Ornamentik verzichtete und stattdessen mit der Farbgebung Akzente setzte, insbesondere bei Fassadenflächen, Fenstereinfassungen und Haustüren.

Das Spiel mit der Farbe war ein grundlegendes Element seiner Gestaltung und Formgebung. Doch wo sind die Farbakzente bei seinen Bauten in der Friedrich-Ebert-Siedlung geblieben? In der Nachkriegszeit erhielten die Fassaden grauen Kieselkratzputz, damit war die Fröhlichkeit aus Tauts Bauten verschwunden. Nur die Balkonbrüstungen, Haustüren und Fenstereinfassungen erhielten seit dem Jahr 2000 ihre rote, graue und gelbe Farbigkeit zurück.


mit KLICK vergrößern

Die Friedrich-Ebert-Siedlung umfasst ungefähr 1.400 Wohnungen. Es sind überwiegend Zweizimmerwohnungen mit Kammer, Küche, Bad und Loggia. Mit der Machtübernahme der Nazis änderte sich das Bild der Afrikanischen Straße, um den riesig erweiterten Nachtigalplatz wurde eine "braune Siedlung" gebaut.

Wohnanlage Nachtigalplatz
Der Nachtigalplatz - bis dahin mehr eine erweiterte Straßenkreuzung - wurde zu einem überdimensionierten Feld von 120 mal 160 Metern erweitert, das nicht gärtnerisch angelegt wurde und auch durch begrenzende Bauten keine Geschlossenheit bekam. Die nördlichen Reformsiedlungen der zwanziger Jahre wurde hinter Gebäuderiegeln versteckt, die zum Teil sogar aufgeständert die Straße überbauen.


mit KLICK vergrößern

Der neue Siedlungsteil Nachtigalplatz / Petersallee / Togostraße / Müllerstraße entsprach der nationalsozialistischen Baugesinnung, statt des verpönten Flachdachs erhielten die Häuser Satteldächer, die mit Dachziegeln gedeckt wurden.

Zwischen Müllerstraße und Togostraße bauten die Nazis ein städtebauliches Unikum: Die Gebäuderiegel der Blockrandbebauung umschließen eine Kleingartenanlage zum Dauerwohnen, die gemeinsam mit den Mietwohnhäusern geplant und angelegt wurde. Breite asphaltierte Wege durchqueren das Kleingartengelände, auf dem Lauben stehen, die zu Minihäusern aufpoliert sind. Fast drohend schweben die Miethäuser über den Kleingärtnern, jede Bewegung kann von dort oben beobachtet werden.

Straßenbahn-Betriebshof Müllerstraße
Der Architekt Jean Krämer hat für die Straßenbahngesellschaft mehrere Betriebshöfe in Berlin erbaut, von denen fünf erhalten sind. Zu den Betriebshöfen gehörten nicht nur Fahrzeughallen und Werkstattgebäude, sondern als umgebende Bebauung auch Wohnanlagen für die Mitarbeiter. Der Betriebshof an der Müllerstraße ist von seiner Kombination der technischen Einrichtungen und Wohnungen als einheitliches Gebäude ("Straßenbahnstadt") ein städtebaulich einmaliges Ensemble. Architektonisch gehört es zu den Hauptwerken expressionistischer Architektur in Berlin. Die Wohnhäuser umschließen den Betriebshof, an der Müllerstraße öffnen Torbauten die Einfahrt für die Fahrzeuge. Auch bei diesem Projekt hat Krämer mit dem Ingenieur Gerhard Mensch zusammengearbeitet, der die drei stützenlosen Giebelhallen für die Fahrzeuge entworfen hat.

Die Hausfassaden sind sprühender Expressionismus, rot­braun verputzt, mit ornamentaler Keramik, Bändern aus Klinkern und Putzstreifen, hervorkragenden Wandvorlagen, prismatischen Kapitellsteinen und geschmückt mit Keramikfiguren. Selbst die Hausflure nehmen die Form der expressionistischen Bänder auf.


mit KLICK vergrößern

Unseren Rundgang im April 2009 haben wir am Nachtigalplatz beendet. Dort sitzen wir zum Abschluss vor einem Lokal und essen Pola Pola. Dabei wird uns theaterreif eine Prügelei von zwei türkischen jungen Männern geboten. Sie streiten und schlagen sich um eine Frau. Ein Mercedes und ein Gummiknüppel sind im Einsatz, vom Restaurant gehen ein Blumenkübel und ein Stuhl zu Bruch. Nachdem die Streithähne einigermaßen befriedet sind, bieten sie dem Gastwirt Schadensersatz an. Doch der lehnt ab und wettert endlos auf "die bescheuerten Türken". Wie es wohl wäre, wenn ihm die Frau abhanden käme?

--------------------------------------------------------------
Anmerkungen
(1) Auch wenn in einer Neuköllner Publikation zu lesen war, "das Herz der afrikanischen Szene Berlins schlägt in Neukölln", bleibt Wedding der Hotspot, in Neukölln sind es nur halbsoviele Afrikaner wie im Wedding.

(2) Der Name Mohrenstraße soll nach einer anderen Quelle auf eine dunkelhäutige Delegation aus einer afrikanischen Kolonie zurückgehen. Mehrere Monate lang gingen die Eingeborenen 1864 durch die spätere Mohrenstraße zum Schloss, sie waren zum Abschluss von "Schutzverträgen" in Berlin

(3) Auf dem Grabdenkmal wird der Name "Türrschmiedt" geschrieben, der Straßenname "Türrschmidt" lässt das "e" weg, wo mag der Fehler liegen? Der Verein verwendet bis heute die Schreibweise auf dem Grabstein, so wird wohl die Gemeindeverwaltung 1873 den Namen für das Straßenschild falsch eingetragen haben.
--------------------------------------------------------------

--------------------------------------------------------------
Unsere Route
--------------------------------------------------------------

zum Vergrößern ANKLICKEN



Theaterkulisse oder Verkehrsbauten?
Neue Lebensinhalte erzeugen neue Lebensformen