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Ein Weg wird zur Straße


Stadtteil: Treptow
Bereich: Baumschulenweg
Stadtplanaufruf: Berlin, Baumschulenstraße
Datum: 6. Oktober 2014
Text-Nr.: 481

Der Ortsteil heißt Baumschulen'weg', wieso heißt die Hauptstraße dann Baumschulen'straße'? Straßennamen geben meist die Beschaffenheit des Verkehrswegs an: Ein 'Weg' ist unbefestigt, eine 'Allee' wird von Bäumen gesäumt, eine 'Chaussee' ist eine gut ausgebaute Landstraße, eine 'Gasse' führt eng zwischen Häusern hindurch, ein 'Damm' ist ein künstlicher Unterbau, ein 'Wall' eine künstliche Erhöhung. 'Straße' im eigentlichen Sinn ist ein befestigter Weg. Ein Fortschritt beim Ausbau eines Verkehrswegs wird gern stolz durch Änderung des Straßennamens dokumentiert. So wurden im Scheunenviertel Gassen erweitert, beispielsweise wurde aus der Mulack'gasse' dann die Mulack'straße'.

Die Baumschulenstraße war ursprünglich ein Forstweg, auf dem das in der Köllnischen Heide geschlagene Holz zur Spree gebracht, dort abgelegt und auf Schiffen wegtransportiert wurde ("Ablageweg"). Genauso war es am Dammweg drei Kilometer weiter nördlich (1). Ein Förster überwachte die Abholzung des Berliner Stadtforstes Köllnische Heide, 1840 hatte er nichts mehr zu tun, es gab hier kaum noch Bäume. In den 1860er Jahren siedelte sich die Baumschule Späth an der heutigen Späthstraße nahe dem Teltowkanal an (1a). Seitdem wurde der Ablageweg umgangssprachlich Baumschulenweg genannt. 1890 wurde an der Berlin-Görlitzer Bahn auf Späths Drängen eine Haltestelle Baumschulen'weg' errichtet. Späth sorgte auch dafür, dass der Weg vom Bahnhof bis zu seinem Betrieb gepflastert wurde. Nun war es eine Straße, und entgegen der eingebürgerten Bezeichnung - die auch am Bahnhof angebracht war - nannte man den Ablageweg jetzt offiziell in Baumschulen'straße' um. So kann preußisch korrektes Vorgehen Verwirrung stiften.

Die Gewerbeausstellung 1896 im Treptower Park (2) führte zu einer regen Bautätigkeit im nahen Baumschulenweg, Terraingesellschaften entwickelten Grundstücke in der Nähe des Bahnhofs (3). An einer platzartigen Erweiterung des Baumschulenwegs entstanden als gemeinsame Dreiflügelanlage die evangelische Kirche "Zum Vaterhaus" und eine Mädchenschule. Der Mittelbau trägt einen doppelten Turm. Die hier planende Architektengemeinschaft hat unter anderem die Rathäuser in Charlottenburg, Steglitz und Spandau errichtet und war daher mit dem Turmbau auf Du und Du. Seit zwanzig Jahren wird auch ein dreifacher Wasserspeier - ein moderner Brunnen - von den drei Flügeln des Gebäudes eingerahmt. Am Mittelbau ist auf einem Medaillon ein Bär zwischen Bäumen zu sehen. Das ist kein Berliner Bär, sondern das Siegel der selbstständigen Landgemeinde Treptow von 1874, also einer Zeit, als die Bäume im Wappen kaum noch Berechtigung hatten, weil die Wälder Treptows weitgehend abgeholzt waren.

Wenn man nebenan das unscheinbare Haus Baumschulenstraße 78 näher anschaut, dann fällt auf, dass die beiden Schaufenster links und rechts der Ladentür so gar nicht zu einem Eisenwarengeschäft passen wollen, viel zu klein sind sie und zu hoch angebracht. Tatsächlich war hier von 1916 bis 1961 ein Kino, das "Silvana" bzw. "Lichtspielhaus Treptow", mit mehr als 420 Sitzplätzen. In den heutigen Schaufenstern waren die Filmankündigungen ausgehängt. Das Kino zeigte seine Filme in dem Saalbau, der vorher ab 1895 einem Tanzetablissement gedient hatte.

Der römische Gott Merkur begrüßt die Besucher des Hauses Baumschulenstraße 92. Im zurückspringenden Eingangsbereich sitzt er vor den doppelten Eingangstüren auf einem hohen Sockel. Das ist wie eine Portalplastik, die man bei gotischen Kirchen außen anbrachte, um die Heiligen zu zeigen und zu ehren. Normalerweise trägt dieser römische Gott des Handels - dem griechischen Hermes verwandt - einen Heroldstab in der linken und einen Geldbeutel in der rechten Hand. In dieser Steinskulptur braucht Merkur beide Hände für das riesige Füllhorn, aus dem er Münzen ausschüttet. Schon die Verwendung des sakralen Elements der Portalplastik ist ungewöhnlich, die 1927 gestaltete Fassade bietet aber noch weitere erstaunliche Details wie Ornamentbänder, Medaillons, Vasenreliefs. Der vorspringende Mittelteil des Hauses (Mittelrisalit) hat ein wellenförmiges Ornament auf der Fläche, darauf schweben Medaillons einer Kogge und eines (freimaurerischen?) Tempels.

Ende der 1920er Jahre entstand zwischen Frauenlobstraße und Südostallee eine Reichsbahnsiedlung mit begrüntem Innenhof. Klinkerbänder unter den Flachdächern, Sprossenfenster, unterschiedliche Gebäudehöhen, zurückspringende Ecklösungen, steinerne Türumrandungen, im letzten Bauabschnitt auch einige wenige Medaillons - über mehrere Straßenkarrees erstreckt sich diese zurückhaltend gestaltete Siedlung.

Über die Kiefholzstraße gelangt man zu den beiden Städtischen Friedhöfen. Der alte Friedhof wurde in den 1910er Jahren auf ehemaligen Rieselfeldern angelegt. Um das gleichzeitig erbaute Krematorium erstreckte sich ein ausgedehnter Urnenhain. In der Nazizeit wurden mehr als zweitausend ermordete Häftlinge aus den Konzentrationslagern Dachau und Sachsenhausen in Güterwagen hier zum Krematorium gebracht und eingeäschert. Auch Euthanasie-Opfer wurden hier verbrannt. Das Krematorium wurde auch von der DDR zur klammheimlichen Vertuschung genutzt, die Stasi lieferte Maueropfer unter gefälschter Identität ein.

In den 1990er Jahren wurde das Krematorium durch einen Neubau von Axel Schultes und Charlotte Frank ersetzt, die auch das Bundeskanzleramt und den U-Bahnhof Bundestag (4) gebaut und das "Band des Bundes" (5) als städtebauliche Achse im Regierungsviertel entwickelt haben. Bemerkenswertes Attribut ihrer Architektur sind die runden Betonsäulen, auf denen das Dach nicht aufzuliegen scheint, sondern in einem kreisrunden Ausschnitt das Licht hereinfällt. Im Krematorium sind diese Säulen ungleichmäßig in der Empfangshalle verteilt, es ist eine moderne Neuschöpfung sakraler Architektur. Ägyptischer Tempel und Sternenfelder werden als Vergleich herangezogen, "das Vergängliche und das Endgültige sollen sich hier ausbalancieren", schreibt Schultes.

Durch eine lange Nachhallzeit hat die Säulenhalle des Krematoriums eine besondere Akustik, die schon für das Einspielen sakraler Musik genutzt wurde. Und ein US-Science-Fiction-Film ist hier gedreht worden, mit weiteren Aufnahmen an der Mexikanischen Botschaft in Berlin (6) und dem Aerodynamische Park in Adlershof mit Trudelturm und Großem Windkanal (7). Interessant, welche Bauwerke in Berlin mit Science Fiction in Verbindung gebracht werden.

Die Urnengräber, die in der Gegenwart im Umfeld des Krematoriums geschaffen werden, wirken etwas befremdlich. Mehrere Gruppen von Quadern stehen als Kolumbarien (8) im Außenbereich, immer vier mit Namen versehene Urnenfächer übereinander. Auch eine Umfassungsmauer mit gleichförmigen Namensschildern weist auf Urnengräber hin. Für anonyme Bestattungen sind kreisförmig eingefasste Teile der Wiese vorgesehen. Am Rand dieser Kreise stehen in Reih und Glied die typischen Grabvasen aus Kunststoff in grün, Tulpenform, nach unten in einen Stift auslaufend, mit dem sie in die Erde gesteckt werden, das Stück für 1,29 Euro im Handel. Im alten Urnenhain auf der anderen Seite des Krematoriums stehen Grabsteine, teilweise mit Aufbauten in Urnenform. Oder sie stehen auch nicht, sind im Laufe der Jahrzehnte umgestürzt und liegen gelassen worden.

Wir kehren ins Leben zurück und fahren für unser Flanieressen nach Neukölln, wo wir im S-cultur (sprich Esskultur) am Rathaus in einem "Integrationsbetrieb" der Arbeiterwohlfahrt speisen. Lange habe ich keine Roulade mehr gegessen, sie hat geschmeckt.

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(1) Holztransport auf dem Dammweg: Vier Siedlungen in der Heide
(1a) Mehr über die Baumschule Späth: Späth, Franz
(2) Gewerbeausstellung im Treptower Park: Ein Park mit Geschichte
(3) Siedlungen in Baumschulenweg: Abendstimmung am Britzer Zweigkanal
(4) U-Bahnhof Bundestag: BZ-Reporter besiegt Kanzler-U-Bahn
(5) Band des Bundes: Band des Bundes
(6) Mexikanische Botschaft: Botschaften
(7) Aerodynamische Park in Adlershof: Fliegen als Grober Unfug
(8) Kolumbarium: Asche im Taubenschlag

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route
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Fliegen ist notwendig. Leben nicht
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