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BZ-Reporter besiegt Kanzler-U-Bahn




Stadtbezirk: Mitte
Bereich: Kanzler-U-Bahn U55
Stadtplanaufruf: Berlin, Pariser Platz
Datum: 10. August 2009

Am Sonnabend wurde die U-Bahnlinie U55 eröffnet. Der „B.Z.“-Reporter hat die zwei Stationen mit dem Fahrrad schneller geschafft als die Kanzler-U-Bahn, aber wozu? Diese U-Bahn wurde nicht geschaffen, um Menschen schnell ans Ziel zu bringen, sondern zum Bewundern, Flanieren, Verweilen. Man fährt die Strecke in knapp drei Minuten, ein kurzes Vergnügen. Und ein teures: "Drie minuten metro voor 320 miljoen Euro" (Telegraaf Amsterdam).

Und was er versäumt hat, der rasende „B.Z.“-Reporter! Nach dem "Eröffnungsrummel um den Stummel" (Märkische Allgemeine) fahren viele Hobby-Fotografen mit der U-Bahn, auf den Bahnsteigen flanieren Berliner und Touristen. Vor den Bildern von nicht mehr vorhandenen Fernbahnhöfen an den Wänden der Station Hauptbahnhof erinnern sich Ältere: "Weißt Du noch ...". In der Bahnhofshalle Brandenburger Tor fahren noch einmal Willi Brandt, Kennedy und Adenauer gemeinsam im Mercedes durch Berlin, nachdenklich betrachtet von einem älteren Bahnreisenden. Der Bahnhof ist Teil der Mauergedenkstätte, den Treppenaufgang zieren Zitate wie Ulbrichts berühmtes Dementi: "Niemand hat vor, eine Mauer zu errichten". Ein Dementi war schon immer ein halbes Eingeständnis einer ganzen Dummheit.

Ja, sie ist teuer, die neue U-Bahn, 178 000 Euro pro Meter und sie gilt nach Meinung vieler Experten als überflüssig. Auch wenn sie mal in acht Jahren am Alexanderplatz ankommen sollte, wird sie nur 6.400 Fahrgäste pro Tag befördern. Aber Berliner lieben ihre U-Bahn, der „Stern“ hat herausgefunden, warum. Hier können auch Schüchterne flirten. Wenn sie den "einzigen, magischen Moment, um eine Bekanntschaft fürs Leben zu schließen" versäumt haben, weil ihnen das faszinierende Gegenüber die Sprache verschlagen hat, dann können sie das über "Meine Augenblicke" auf der Internet-Seite der BVG nachholen. Und die U-Bahn ist geheimnisvoll wie eine Frau. Hat sie in der Vergangenheit falsche Wege eingeschlagen (Streckenabschnitte, die angefangen aber nie fertig gebaut wurden), dann verbirgt sie das vor den Blicken ihrer Verehrer. Die U-Bahn ist hübsch, wobei zu den in Auswahl stehenden schönen Bahnhöfen jetzt noch drei hinzugekommen sind. Meine Favoriten im U-Bahnnetz sind Rathaus Spandau und Bundestag.

Und sie ist rekordverdächtig. Mit ihrer Eröffnung im Jahr 1902 ist sie nicht nur die älteste Untergrundbahn Deutschlands. Sie besitzt heute mit 146 Kilometern Strecke und 173 Bahnhöfen das größte Netz in der Bundesrepublik. Noch ein Rekord: Die neue Linie U55 dürfte mit 1,74 Kilometern Länge die kürzeste U-Bahnlinie der Welt sein.

Berliner lieben sie auch deshalb, weil ihre Stationsnamen so gut zu Unterwäsche passen. „Krumme Lanke“ oder „Rohrdamm“ für die Herren, „Gleisdreieck“, „Jungfernheide“ für die Damen und für den BH „Schöneberg“. Auch der Aufdruck "Zurückbleiben bitte" auf der Leibwäsche fand LiebhaberInnen. Die U-Bahn ist die Verwirrende, weil sie teilweise auf Stelzen als Hochbahn fährt. Dabei kann sie auch schon mal die S-Bahn überqueren, die manchmal ihre Gleise im Tunnel hat. Zu guter Letzt ist die U-Bahn für den Berliner auch die Schicksalsgefährtin, sie hat wie er unter der Teilung der Stadt leiden müssen, zwei getrennte Betriebe und eine "Geisterlinie" waren die Folge.

Die Linie U55 hat bisher keinen Anschluss an das übrige U-Bahnnetz, verbindet aber zwei S-Bahnstationen, Sie fährt vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor mit einem Zwischenhalt am Bundestag nahe dem Kanzleramt. Wegen dieser Lage wird sie “linea della cancelleria” genannt, so klingt die Übersetzung der Kanzler(innen)bahn im Italienischen. Fahren werden auf dieser Linie aber wohl weniger die Politiker als die Normalsterblichen, wird auch von einer ungarischen Tageszeitung berichtet ("Kancellármetró mezei utasoknak").

Die BVG hat zwei Kurzzüge durch ein Loch in der Tunneldecke aufs Gleis gehievt, sie fahren in wöchentlichem Wechsel auf einem Gleis immer hin und her. Und damit es dem Personal nicht zu langweilig wird, wechseln sich Stationsvorsteher und U-Bahnfahrer in ihren Beschäftigungen ab. Fast unglaublich: der Stationsvorsteher ist auch mal Lokführer und der Lokführer auch mal Stationsvorsteher, wenn das keine flexiblen Arbeitsbedingungen sind! Gegenverkehr gibt es ohnehin nicht, und die Geschwindigkeit wird automatisch überwacht. Gewaschen werden die Wagen im Trockenwaschgang, denn es gibt auf dieser kurzen Strecke keine Abwasserentsorgung. In der Hilfswerkstatt am Ende der Gleise können Wagen aufgebockt werden, das Personal kommt dann aus der Betriebswerkstatt Friedrichsfelde angereist.

In aller Welt wird berichtet, wie verschwenderisch teuer dieser U-Bahnbau war. Natürlich überwiegend auf Kosten des Bundes, denn Berlin ist bekanntlich arm aber sexy. Unser Bürgermeister Wowereit hatte den Bau für mehrere Jahre gestoppt, musste dann aber wegen drohender Schadensersatzforderungen des Bundes die grüne Kelle für den Weiterbau heben. So kann er jetzt mit einem inneren Schmunzeln die Kanzlerbahn eröffnen, werden ihm doch Ambitionen auf das Kanzleramt nachgesagt. "Kohls U-Bahn kommt bei Merkel an" wird dann vergessen sein, "Kurz, kürzer, Kanzlerbahn" (Focus) wird dann vielleicht auch nicht mehr stimmen, weil sie dann schon bis zum Alexanderplatz fährt.

Die Architektur der drei Bahnhöfe ist eindrucksvoll, mächtig aber nicht übermächtig. Sie sind dezent ausgeleuchtet, es gibt zurückhaltende farbige Lichteffekte. Die Bilder und Texte an den Wänden verweisen auf historische Zusammenhänge, erzeugen Assoziationen, regen zum Nachdenken und Erinnern an, und Zeit genug hat man ja. Es ist, als würde man durch ein Geschichtsbuch laufen, sozusagen Alice im Wunderland der Geschichte.

Der U-Bahnhof Hauptbahnhof geht insgesamt 20 Meter in die Tiefe, er ist mit dem Straßen- und Fernbahntunnel zusammen gebaut worden. Die unterirdische Halle vor dem Bahnsteig zum nördliche Ausgang der Invalidenstraße ist ein ausgedehnter Raum, der mit querlaufenden Lichtbändern und zum Fluchtpunkt strebenden Fußbodenfeldern eine klare Richtung vorgibt, ohne Hektik oder Enge zu erzeugen. Mir gefällt dieser Raum außerordentlich gut.

Den Bahnhof Bundestag hat Axel Schultes entworfen, der Architekt des Bundeskanzleramtes. Die 8 Meter hohe Bahnhofshalle aus Sichtbeton ohne Wandverkleidungen und Ausschmückungen wirkt durch die asymmetrisch angeordneten Säulen, deren Kapitelle sich der Schwerkraft zu entziehen scheinen und durch die an dieser Stelle offene lichte Decke schweben. Hier wurde im letzten Jahr Mozarts Zauberflöte aufgeführt, ein U-Bahnwagen-Imitat mit Haifischzähnen und die intakte Rufsäule zur BVG-Zentrale spielten eine zentrale Rolle. In Sichtweite des Reichstags steht oberirdisch eine schräg angeschnittene überdimensionale Röhre, die den Fahrstuhl in den Untergrund enthält.

Den U-Bahnhof Brandenburger Tor schmücken emaillierte Blechtafeln, deren Farbe an den Naturstein des Brandenburger Tores erinnern soll. Der Bahnhof liegt 18 Meter tief unter der Erde. Zwei dunkle Säulenreihen rahmen die Kassetten-Leuchtdecke ein. "Gedenkstätte mit Bahn-Anschluss" nennt die Tageszeitung „taz“ das dreistufige Gedenkkonzeptes in dem Bahnhof (Schautafeln an den Bahnhofswänden, Zitate über den Rolltreppen, Mauer-Videos im Obergeschoss). Über die Verteilerebene kommt man direkt in den S-Bahnhof Unter den Linden (der in Brandenburger Tor umbenannt wurde) und erleidet einen Kulturschock. 1936 wurde der lindgrün geflieste unterirdische Bahnhof eingeweiht und seitdem nicht mehr angefasst, der Bahnhofsname ist noch heute in der von den Nazis geliebten Fraktur-Schrift in erhabenen Keramiklettern angebracht, die Beleuchtung ist fad. Vom Erhabenen ins Triste, man sollte die Fahrt in umgekehrter Richtung machen, dann hat man die Halle zum Nordausgang des Hauptbahnhofs als letztes schönes Bild vor Augen.

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Das blaue Haus
Eigentlich