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Der vierte Flughafen


Stadtteil: Spandau
Bereich: Gatow, Kladow
Stadtplanaufruf: Berlin, Amelie-Beese-Zeile
Datum: 18. August 2014
Bericht Nr: 476

Kann man noch etwas Neues zeigen und sagen zu den Berliner Flughäfen? Tegel ist überlastet, Schönefeld wird nicht fertig und Tempelhof soll nach dem Willen einer Bürger-Mehrheit nicht verändert und nicht umgenutzt werden. Aber Berlin hatte doch vier Besatzungsmächte und demnach auch vier Flughäfen bis zur Wende, da fehlt doch noch einer? Richtig, die Briten hatten den Flughafen Gatow, der fast unbemerkt blieb von der Öffentlichkeit, weil hier kein ziviler Luftverkehr abgewickelt wurde, weil er wesentlich kleiner war als die anderen Flughäfen und im Abseits an der äußersten Stadtgrenze lag.

In Gatow ist längst Wirklichkeit geworden, was in Tempelhof scheiterte: Am Rande des nach der Wende stillgelegten Flughafens errichtete man Wohnungen, ohne dass dies von einer breiten Öffentlichkeit richtig wahrgenommen wurde. Wir sind an den äußersten Stadtrand nach Gatow/Kladow gefahren, um uns anzusehen, wie die lautlose Nachnutzung eines ehemaligen Flughafens in Berlin aussieht. Einfach ist die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht, nur Busse fahren hier, und das in großen Abständen. Man ist unter sich in den beiden Siedlungen, von denen eine früher zusammen mit dem Flughafen entstand ("Fliegerhorst-Siedlung") und die andere jetzt auf ehemaligen Rollbahnen ("Landstadt Gatow").

Melli Beese hat in der neuen Landstadt ihre eigene Straße bekommen, die erste deutsche Pilotin wird hier wie andere Flugpioniere mit einer Straßenbenennung geehrt. Sie war eine Frau, die sich aus der männlich dominierten Flieger-Domäne nicht wegbeißen ließ und auch als Fluglehrerin und Flugzeugbauerin erfolgreich war - eine Ausnahmeerscheinung. Hier in Gatow steht in der Amelie-Beese-Zeile ihr offizieller Vorname auf dem Straßenschild. Bekannter ist sie unter ihrem Rufnamen, der für die Melli-Beese-Straße im Umkreis des Flughafens Johannisthal verwendet wurde, denn mit diesem Flughafen war sie eng verbunden (1). Bei Hanna Reitsch, einer anderen Ausnahme-Fliegerin, deren Name sich mit dem Flughafen Gatow verbindet, wurde wegen ihrer unkritischen Nähe zu Hitler und den Nazis auf die Ehrung mit einer Straßenbenennung in Berlin verzichtet.

Hanna Reitsch war Pilotin, Testpilotin, Segelfliegerin, sie brach alle Rekorde des Flugsports. Sie hatte eine einmalige Intuition für das Fliegen, sie flog alles, was Flügel hatte, und das mit grenzenlosem Mut und Fanatismus. Sie war 21, als das Dritte Reich begann, da hatte sie schon den Segel- und den Motorflugschein erworben und ihren ersten Weltrekord im Dauer-Segelflugrekord für Frauen aufgestellt. Immer war sie "die erste Frau, die": Flugkapitän wurde, einen Hubschrauber flog, als Testpilotin "Stukas" (Sturzkampfflugzeuge) und Jagdbomber testete, ein Raketenflugzeug oder einen Jet steuerte. Auch bei Segelflugrekorden und -meisterschaften war sie immer wieder die erste: Alpenüberquerung mit dem Segelflieger, viele Zielflug-, Strecken- und Höhenrekorde im Segelflug.

Aus dem normalen Pilotensitz konnte Hanna Reitsch mit ihrer Körpergröße von 1,55 Meter kaum nach draußen sehen, sie brauchte eine Sitzerhöhung, Trotzdem hatte sie eine fast erotische Verbindung mit jedem Flugzeug. Ihre Unersättlichkeit, jeden neuen Prototyp fliegen zu müssen, wird in einem Artikel in der "Welt" (3.9.2014) abgeschmackt mit der Begierde einer Frau verglichen, "jeden neuen Mann in der Stadt im Bett zu haben". Hanna Reitschs Leidenschaft für das Fliegen katapultierte sie in Hitlers und Görings Umfeld, ohne dass sie in ihrer Naivität hinschaute, von wem sie sich zu einer Propagandaikone hochstilisieren ließ. Sie war kein ideologischer Nazianhänger, gegenüber Himmler kritisierte sie die Rassenpolitik und Vernichtungslager, ließ sich von ihm jedoch schnell durch Hinweis auf ausländische Propaganda beruhigen. Nach Kriegsende hat man sie als "Nichtbetroffene" entnazifiziert, da sie keiner NS-Organisation angehört hatte. Ich habe "nur auf meinem Platz meine Pflicht für unser Land getan", schrieb sie in einem ihrer autobiografischen Bücher. Sie wurde durch ihr fliegerisches Können "in ein Stückchen deutscher Geschichte hineingezogen", meinte sie, und distanzierte sich zeitlebens nicht von Hitler und seiner Gefolgschaft.

In der (inzwischen abgerissenen) Deutschlandhalle (2) stieg sie 1938 während einer Show wochenlang mit dem Prototyp eines Hubschraubers in der Halle auf. Über diese an sich atemberaubende Vorführung war das Publikum nicht begeistert, weil die Rotoren den Staub in der Halle aufwirbelten. Ihre gefährlichste Mission aber war ein Himmelfahrtskommando, sie flog am 26. April 1945 - also wenige Tage vor der Kapitulation - einen Generaloberst auf Hitlers Befehl zum Führerbunker. Berlin war zu diesem Zeitpunkt bereits völlig von Russen eingeschlossen. Mit einem zweisitzigen Jagdflugzeug landete sie in Gatow und flog von dort mit einem Leichtflugzeug durch heftiges Feuer und Beschuss zur Straße des 17.Juni, wo die Tragflächen abbrachen. Die beiden waren die letzten Besucher von außerhalb im Führerbunker. Hanna Reitsch flog wenige Tage später ohne Zwischenfälle den Offizier wieder aus Berlin aus.

Nach dem Krieg arbeitete Hanna Reitsch als Testpilotin in Darmstadt, baute in Indien und in Ghana Segelflugschulen auf, gründete die Vereinigung Deutscher Pilotinnen, wurde „Pilot des Jahres 1971“, Präsident Kennedy empfing sie im Weißen Haus. 1979 eroberte sie ihren letzten Segelflugrekord. Flugzeugabstürze hat sie immer überlebt, sie starb an Herzversagen.

Der Flugplatz Gatow entstand auf einem Teil des Guts Groß Glienicke, das dem Gutsbesitzer Wollank abgekauft worden war. Adolf Hitler weihte den Flughafen 1935 ein. Die Luftwaffe errichtete hier im Rahmen der deutschen Wiederaufrüstung Ausbildungslager (Luftkriegsakademie und -schule). Hitler flog regelmäßig von hier zu seinem zweiten Regierungssitz und Feriendomizil auf dem Obersalzberg in Berchtesgaden. Nicht nur Hanna Reitsch startete hier im April 1945 ihren spektakulären Flug zum Führerhauptquartier, auch Beate Uhse, Pilotin im Rang eines Hauptmanns vom Überführungsgeschwader, nutzte den Flugplatz im April 1945, um aus Berlin nach Norddeutschland zu flüchten.

Die Übernahme des Flugplatzes nach Kriegsende durch die Briten war mit einem Problem behaftet, da der Zugang von Spandau aus über Brandenburger - also jetzt sowjetisch besetztes - Gebiet führte. Der Ort Seeburg erstreckte sich fast bis zur Havel. Diesen Seeburger Zipfel trat die Sowjetische Besatzungsmach an die Briten ab und erhielt im Gegenzug West-Staaken (3). Bald bekam der Flugplatz Gatow eine wichtige Rolle bei der Berlin-Blockade durch die Sowjets. Nicht nur von Tempelhof und Tegel wurde die Luftbrücke geflogen, sondern auch von Gatow. Für vier Jahre war auch die British European Airways (BEA) mit Zivilflügen auf diesem Flughafen beheimatet, bevor sie nach Tempelhof umzog. Danach nutzten die Briten Gatow nur noch militärisch, beispielsweise für Aufklärungsflüge der Royal Air Force und für gelegentliche Besuche der königlichen Familie, 1965 und 1987 kam sogar die Queen hier an.

Der Flughafen wurde nach der Wende entwidmet, die Landebahnen wurden verkürzt und eingezäunt. Auf dem frei gewordenen Teil des Flugfeldes schuf man nach jahrelangen Vorbereitungen ein ausgedehntes Baufeld, auf dem die "Landstadt Gatow" mit Schulen, Kita und Einkaufscentern entstand. Auch ein neuer "Landschaftspark Gatow" ist hier geplant. Ein preisgekrönter Entwurf liegt vor, um "urbane Landwirtschaft in eine Parklandschaft zu integrieren". Feldlerchen, Fledermäuse und andere geschützte oder seltene Tierarten haben das bisher verhindert. Nur zwischen den Häusern ist eine ehemalige Landebahn als Grünfläche gestaltet worden, der Rest wird noch dauern.

Aus der Bauzeit des Flugplatzes in den 1930er Jahren stammen zwei Siedlungen, die inzwischen zu einer Einheit verschmolzen sind. Sie sind ein "Vorposten der Zivilisation inmitten der Gatower Heide", lese ich im Internet, und kann dem nur zustimmen, denn bis hierhin muss man sich durchkämpfen. Berliner Künstler wollten hier ein kleines Worpswede entstehen lassen, doch dann kamen die Flughafenpläne und schon musste ein Teil des Siedlungsgeländes "Habichtswald" an das Reichsluftfahrtministerium abgetreten werden. Der "Künstlerweg" und der "Außenweg" umschließen die ehemalige Künstlerkolonie und halten in ihren Namen die Erinnerung wach. Nebenan baute das Reich an einer hufeisenförmig angelegten Straße die "Fliegerhorstsiedlung" für die Beschäftigten des Flughafens. Neun Doppelhäuser im Außenbereich des Hufeisens, sechs innen, dazwischen großzügige Gärten. Hierhin verirrt sich niemand, hier wohnt man, und ganz selten wandern mal zwei Flaneure durch die Abgeschiedenheit.

Als 1984 die Briten hier am Außenweg entlang der Potsdamer Chaussee einen Panzerschießplatz errichten wollten, erhob sich der Bürgerunmut in diesem Teil West-Berlins, denn die Siedlung Habichtswald ist nur 150 Meter vom Schießplatzgelände entfernt. Dass die Alliierten nach Besatzungsrecht verfuhren und sich über die Belange und Bedenken der Berliner Bürger auch weit nach Ende des Krieges hinwegsetzten, haben beispielsweise auch die Zehlendorfer in Düppel erfahren müssen (4). Der Panzerschießplatz wurde gebaut und ist auch heute noch als abgegrenztes Areal auf Satellitenbildern deutlich sichtbar.

An der Potsdamer Chaussee in Gatow/Kladow, am Rande der ehemaligen Rieselfelder, legte Spandau 1982 einen neuen Friedhof an, weil der mehrfach erweiterte Hauptfriedhof In den Kisseln zu klein geworden war. Sechs Jahre später wurde auf einem Teil des neuen "Landschaftsfriedhofs Gatow" ein Islamisches Gräberfeld geschaffen, dessen Gräber nach Mekka ausgerichtet sind. Immer weniger Muslime werden nach dem Tod in ihre Heimatländer zurückgebracht, die islamische und die deutsche Friedhofskultur beginnen, sich bei uns zu mischen. Der Gatower Friedhofsinspektor weiß, das Muslime nicht unbedingt "akkurate Grabpflege" betreiben und dass sie manchmal "unschöne Elemente" aus dem Baumarkt für ihre Gräber holen, und so findet man genauso Unkraut oder Grabplatten mit Klebebuchstaben auf den Gräbern wie andererseits herausgeputzte Grabdenkmale in Moscheeform. Man darf auch nicht vergessen, dass dieser Friedhof ganz am Rand der Stadt für viele nur schwer zu erreichen ist und schon deshalb die Pflege leidet. Fast könnte man denken, dass die Öffentlichkeit nicht mit etwas Fremdartigem konfrontiert werden sollte und deshalb der islamische Friedhof weit außerhalb liegt, aber es soll ja eine Überkapazität der Friedhofsfläche gewesen sein, die zur Abtretung des Geländes führte.

Berlin ist weit, Busse fahren selten, und so sind wir von der Landstadt zu Fuß nach Alt-Kladow unterwegs, um dort italienisch zu essen, das Flaniermahl am Ende eines Rundgangs gehört einfach dazu.

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(1) Flughafen Johannisthal und Melli Beese: Fliegen ist notwendig. Leben nicht
Mehr über Melli Beese: Beese, Melli
(2) Die inzwischen abgerissene Deutschlandhalle: Deutschlandhalle
(3) Gebietsaustausch Seeburger Zipfel und West-Staaken:
(a) in Gatow: Zu Pferde durch die Havel
(b) in Staaken: Mata Hari auf dem Flugfeld
(4) Alliierte Bauten auf dem Düppeler Feld: Stammbahn nach Düppel

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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Flughafen Gatow und Siedlungen

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... und hier sind weitere Bilder ...
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Landschaftsfriedhof

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Unsere Route
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Spandauer Kuriositäten
Militär mit dem Portemonnaie in der Hand