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Spandauer Kuriositäten


Stadtteil: Spandau
Bereich: Haselhorst
Stadtplanaufruf: Berlin, Zitadellenweg
Datum: 7. April 2014
Bericht Nr: 457

Spandau und Berlin sind sich nicht unbedingt liebevoll zugetan, aber dass beide einen offenen Krieg gegeneinander austragen, ist eher selten. Tatsächlich hat am 8. August 1567 Kurfürst Joachim II. die Spandauer zu einer Seeschlacht gegen die Berliner aufgerufen, die dann auf der Krienicke stattfand, dem Havelabschnitt nordöstlich der Zitadelle. Die Berliner fielen von Tegel her nach Spandau ein, Kanonendonner von der Zitadelle begleitete den gesamten Kampf. Wenn man hört, dass hölzernen Spieße als Waffen dienten und dass Havelfischer die über Bord gegangenen Kämpfer beider Lager aus dem Wasser fischten und dass niemand zu Schaden kam, dann wird klar: Der Kampf war nur ein Event und keine ernsthafte Auseinandersetzung. Brauchte der Kurfürst dieses Happening, weil er sich langweilte? Als der Kampf abgebrochen wurde, sahen die Spandauer, dass sie einer Hinterlist zum Opfer gefallen waren. In ihrem Rücken hatte der Kurfürst während des Kampfes den Turm der Nikolaikirche in der Spandauer Altstadt beschießen lassen, weil ein möglicher Feind von dort aus die Zitadelle treffen könnte. Da seine Spandauer Untertanen ihren Kirchturm wohl kaum freiwillig geschliffen hätten, stellte er sie mit diesem Ablenkungsmanöver vor vollendete Tatsachen. Turm und Kirche wurden beschädigt, und das Vertrauen der Spandauer in ihren Landesherrn ebenfalls.

Wir beginnen unseren heutigen Stadtspaziergang am U-Bahnhof Zitadelle. Auf dem Weg nach Haselhorst über den Zitadellenweg wollen wir einige Bauten der Rüstungsbetriebe aus der Spandauer Festungszeit (1) ansehen, die erhalten geblieben sind. Doch stehen wir plötzlich vor einem Zaun, der Zitadellenweg ist nicht zugänglich, soweit er das Gelände des BMW-Motorwerks durchschneidet. In unserem Stadtplan ist die Straße normal eingezeichnet, wird hier öffentliches Straßenland von einem Privateigentümer vereinnahmt?

Am Ufer eines Sees entlang flanieren - für einen Städter ist das wie Urlaub. Leider gehen Ufergrundstücke meist bis zum Wasser, so dass ein öffentlicher Weg rund um den See schwer zu realisieren ist. In Potsdam am Griebnitzsee und am Groß-Glienicker-See geht es handfest in die Auseinandersetzung zwischen der Stadt und den Grundstückseigentümern, weil hier öffentliche Uferwege geschaffen werden sollen. Dabei will die Stadt die Uferstreifen nicht kaufen, sondern nur öffentlich nutzen, wie schlau. Ähnliches passiert an der "Media-Spree" in Berlin zwischen Jannowitzbrücke und Oberbaumbrücke: An der Promenade soll es einen Mix von Privateigentum und öffentlicher Nutzung geben. Am Potsdamer Platz sind öffentlich genutzte Räume wie der Marlene Dietrich Platz und kleine Erschließungsstraßen Eigentum der Daimler AG. Geht denn das, Privateigentum an öffentlichen Flächen?

Straßen und Flächen, die öffentlich genutzt werden sollen, bekommen diesen Status durch "Widmung". Das ist ein allgemeiner Verwaltungsakt, der nicht nur für Flächen der öffentlichen Hand ausgesprochen werden kann, sondern - nach entsprechender Vereinbarung - auch für Flächen im Privateigentum. Andererseits kann öffentliches Straßenland erst dann mit einem Zaun dauerhaft abgesperrt werden, wenn es "entwidmet" ist. Und damit sind wir wieder beim Zitadellenweg, der im offiziellen Kartenwerk der Stadtentwicklungsbehörde - beispielsweise dem aktuellen "Detailnetz Berlin" - in voller Länge als öffentliche Straße ausgewiesen ist. Man kann vermuten, dass der Senat das Gelände an BMW verkauft hat, damit das Motorradwerk in der Zeit nach dem Mauerbau nicht nach Westdeutschland abwandert. Die Pressesprecherin des BMW-Motorradwerks hat mir auf Anfrage versichert, dass BMW Eigentümer dieses Straßenabschnitts ist. Ob die förmliche Entwidmung unterblieb oder nur in den Stadtplänen nicht umgesetzt wurde, bleibt unklar.

Bei unserem letzten Besuch in Haselhorst 2007 haben wir das "Spandauer Tor" fotografiert, einen ambitionierten unvollendeten Glaspalast, der als Bauruine herumstand (2). Inzwischen ist der Bau abgetragen, BMW hat das Gelände in sein Motorradwerk integriert.

Am östlichen Ufer der Havel - in Haselhorst - siedelten sich ab dem 16.Jahrhundert Fabriken für Kriegswaffen an: Pulvermühle, Salpetersiederei, Gewehrfabrik, Patronenfabrik. Zwischendurch ging auch mal eine Pulverfabrik in die Luft, wie bei einer Explosion 1719. Bis nach Eiswerder erstreckten sich die Bauten dieser "Waffenschmiede des Deutschen Reiches" (3). Die Produktionshalle und das Offiziers- und Beamtenwohnhaus der Königlichen Gewehrfabrik am Zitadellenweg 16 und 18 werden heute vom BMW-Motorradwerk genutzt. Dagegen fiel 2013 das Dienst- und Arbeiterwohnhaus der Pulverfabrik am Zitadellenweg 6 der Spitzhacke zum Opfer, es stand der Fabrikerweiterung im Wege. Die Spandauer Bezirksverordneten wurden zunächst informiert, dass BMW ein "kleines Pförtnerhäuschen" abgerissen habe. Später musste das Stadtplanungsamt zugeben, dass es die Sache verniedlicht hatte. Schlechtes Gewissen? Tatsächlich war damit kein Häuschen, sondern ein massiver Bau des preußischen Militärfiskus von 1890 abgerissen worden, der vorgeblich in schlechten Zustand war.

An der Daumstraße 25 stehen zwei Fachwerkbauten der Pulverfabrik, ein Wohnhaus und der Speisesaal. Hier verläuft der Grützmachergraben im Zickzack entlang der Daumstraße. Das war der Festungsgraben vor dem aufgeschütteten Wall, der die Pulverfabrik schützen sollte. Der Zick-Zack-Verlauf ist das typische Muster einer Befestigungsanlage, die keinen toten Winkel kennt. Mit dem Namen der Querstraße "Lünette" wird an diese Grundrissform erinnert. Die heutige Daumstraße war das freie Schussfeld vor der Festung, das "Glacis" (1).

Über den Telegrafenweg kommt man an das Havelufer, gegenüber sieht man eine idyllische Skyline. Obwohl auf unserer Seite Industriegebiet ist, wirkt der Uferstreifen gepflegt und aufgeräumt. Das Siemens-Telegrafenwerk, das der Straße den Namen gab, wurde im Zweiten Weltkrieg ausgebombt. In den verbleibenden Industriebauten will der Architekt Ingo Pott - er ist einer der Initiatoren der c/o-Galerie, die gerade das Amerika-Haus umbaut - ein Kreativquartier schaffen mit Ateliers, Depots, Werkstätten, Büros, Hafen und Badestrand. Von der belebten Nonnendammallee bis hier zu den "Havel-Werken" ist es ein langer Weg, ein solches Projekt nur auf die Wasserlage zu stützen, erfordert Mut.

Haben es Therese Giehse und Romy Schneider verdient, dass in einer unbedeutenden Siedlung in städtischer Randlage Straßen nach ihnen benannt werden? Das hat uns in Hellersdorf schon bewegt bei Straßen, die nach Kurt Weill, Fritz Lang, Lil Dagover, Peter Weiss, Lyonel Feininger und Oskar Kokoschka benannt sind, in einer Gegend, die - wenn man es zurückhaltend ausdrückt - den Namensgebern erst noch gerecht werden muss (4). Hier in Spandau am Pulvermühlenweg sind es Straßen in einer Neubausiedlung am Krienicke-Park, für die die Schauspielerinnen ihren Namen gaben. Nun hat man inzwischen in den Ämtern erkannt, dass Frauen unterrepräsentiert sind bei den Straßennamen und geht das aktiv an. Die Wertigkeit, dass bedeutenden Personen auch bedeutende Straßen zustehen, ist dabei aber manchmal übersehen worden.

In diesem Quartier in Spandau stand früher eine "Mau-Mau-Siedlung", eine "Kleinraumsiedlung in Schlichtbauweise" (Mieterverein) aus den 1950er Jahren für Flüchtlinge und Vertriebene. Meist waren es kinderreiche Arbeiterfamilien, die die 50 Quadratmeter großen Wohnungen (über-)belegten. Nachbarn bezeichneten die Siedlung als "Kampfzone der Asozialen" (Tagesspiegel). "Mau-Mau" nannte es der Volksmund nach der Erhebung der ökonomisch benachteiligten Afrikaner in Kenia gegen die Engländer, die zeitgleich in den 1950er Jahren stattfand.

Auf einem Schild am Krienicke-Ufer verkündet das Wasser- und Schifffahrtsamt die zulässige Belastung eines Bootsstegs mit "5 KN/qm". Was soll das bedeuten? KN bedeutet Kilo-Newton, das gibt die Schubkraft von Raketen oder die Bremskraft von Eisenbahnen an, in dieser physikalischen Einheit verbinden sich Masse (Gewicht) und Geschwindigkeit. Mit welcher Geschwindigkeit wird denn aber ein Steg am Wasser von Menschen betreten? Bin ich zu schwer oder kann ich ungefährdet auf den Steg gehen? Und mit wie vielen Schritten pro Minute? An dem Wettbewerb um das unsinnigste und unverständlichste Hinweisschild könnte sich das Amt mit guten Chancen beteiligen. Da ist der Obelisk schon verständlicher, der im Krienicke-Park nach Art einer Postmeilensäule die Entfernung zur Nordsee, zur Havelquelle und zur Mündung in die Elbe angibt. Aber ist das auch sinnhaft? Klar, Leinen los für die Wasserpostkutsche!

Für unser abschließendes Flanieressen fahren wir nach Wilmersdorf. Bei den "Trois Veuves de Wilmersdorf" gibt es nicht nur eine Anspielung auf die Wilmersdorfer Witwen, sondern auch wohlschmeckendes Essen bei sehr freundlicher Bedienung.

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Unsere Route
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Der vierte Flughafen