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Der falsche Sechser


Stadtteil: Reinickendorf
Bereich: Tegel
Stadtplanaufruf: Berlin, Veitstraße
Datum: 10. Dezember 2018
Bericht Nr.: 640

Es gibt Berliner Stadtteile, die müssen ohne ein Schloss auskommen - Tegel hat sogar zwei. Auf der Halbinsel Reiherwerder errichteten die Enkel von August Borsig eine Villa mit der Anmutung des Potsdamer Sanssouci-Schlosses. In drei Borsig-Generationen nacheinander war in Berlin jeweils eine herrschaftliche Villa erbaut worden, nur das Anwesen auf Reiherwerder blieb erhalten und wird heute als Gästehaus der Bundesregierung genutzt.

Schloss Tegel
Das nördlich des Tegeler Sees gelegene Schloss Tegel gehört seit 1766 zum Besitz der Familie Humboldt. Die Mutter der Humboldt-Brüder hatte sozusagen in das Schloss eingeheiratet, sie erbte es von ihrem verstorbenen ersten Mann. Ein einfaches Erbe war es nicht, denn damit hatte sie die Verpflichtung übernommen, eine Maulbeerplantage zur Seidenraupenzucht anzulegen. Sie kämpfte 38 Jahre, bis sie diese Belastung mit der Zahlung von 500 Talern ablösen konnte.

Wilhelm und Alexander von Humboldt, ihre Söhne aus der zweiten Ehe, verlebten auf diesem Schloss ihre Kindheit. Die Mutter ließ ihnen ließ die beste Erziehung "zu geistiger und sittlicher Vollkommenheit“ angedeihen, nur an der mütterlichen Wärme fehlte es. Im Dorf Falkenberg ließ sie die Kirche ausbauen, um sich in der Kirchengruft beerdigen zu lassen, obwohl sie nie im Ort gelebt hat. Über ihre Motive rätseln Historiker noch heute. Nach ihrem Tod übernahm Wilhelm von Humboldt das Schloss und ließ es von Karl Friedrich Schinkel umbauen. Es wird heute noch von den Humboldt-Nachfahren bewohnt.

Alles Humboldt oder was? könnte man fragen, wenn man die inflationäre Ehrung der Humboldts in Tegel verfolgt. Es gibt das Humboldt-Schloss, eine Humboldt-Schule, Humboldt-Bibliothek, Humboldt-Mühle, Humboldt-Insel und eine Kleingartenanlage Humboldt eV. Ein Wanderweg durch Tegel heißt Humboldt-Spur. Weitere Ehrungen erfolgten mit Straßenbenennungen im Schlossparkviertel: Joachim Heinrich Campe war der Hauslehrer der beiden Humboldt-Knaben, Friedrich Wilhelm Riemer unterrichtete als Hauslehrer die nächste Generation. Ganz neutral klingende Straßennamen verweisen auf Angehörige von Wilhelm von Humboldt: die Adelheidallee und die Gabrielenstraße auf seine Töchter, die Karolinenstraße und die Dacheroedenstraße beide auf seine Ehefrau.

Straßenbahn-Betriebshof Schloßstraße
Das Schloss bleibt dem Blick des Flaneurs verborgen, die durch den Schlosspark führende Adelheidallee ist am Zaun unterbrochen. Auch die Schloßstraße, die einmal vom Dorf zum Schloss geführt hat, ist eine Sackgasse. Nur ein Stummel der einstigen Straße ist noch übrig, der Rest wurde anderen Straßen zugeschlagen und durch die Phosphat-Eliminierungsanlage verbaut. Dabei lohnt sich der Weg in die Sackgasse, denn hier ist vom Straßenbahn-Betriebshof Tegel das Verwaltungsgebäude stehen geblieben. Hinter dem Gebäude gab es früher eine Wagenhalle mit elf Hallengleisen und Platz für 70 Wagen. Der Betriebshof war trotz der vielen Gleise so klein, dass Rangierbewegungen größtenteils auf der Schloßstraße durchgeführt werden mussten. Die Straßenbahn ist (auch) hier vom Auto verdrängt worden, statt Gleisen gibt es jetzt einen ausgedehnten Parkplatz.

Als im Jahr 1900 die Pferde-Straßenbahn zur "Elektrischen" wurde, hat die Große Berliner Straßenbahn (*) acht Betriebshöfe gebaut, Die Nummer sechs steht hier in Tegel, wie man an der Fassade des alten Verwaltungsgebäudes lesen kann. Drei Straßenbahnlinien mit den Nummern 25 bis 27 fuhren von Mitte, Britz und Mariendorf hierher, bis zu 60.000 Ausflügler kamen an den Wochenenden nach Tegel.

Bevor die Straßenbahngesellschaft die Verbindung nach Berlin herstellte, hatte der Fuhrunternehmer Johann Friedrich Veit eine Omnibuslinie eingerichtet, um die Ausflügler nach Tegel zu bringen. Nach ihm ist eine Straße nördlich der Borsighallen benannt.

Die verschiedenen Gebäudehöhen in dem verbliebenen Teil der Schloßstraße erzählen von der Entwicklung des Vororts zu einem urbanen Stadtteil. Beispielweise die benachbarten Häuser Nr.24 und 25. Das eine ist von der heutigen Baufluchtlinie zurückgesetzt und hat nur zwei Obergeschosse, die Fassade ist zurückhaltend klassizistisch gestaltet.

Das Nebenhaus öffnet sich mit zwei angedeuteten Seitenflügeln U-förmig zur Straße. Erker und Balkone, gebäudehohe Runderker in den Ecken, Bogenfenster mit verschiedenen Rundungen, ausgiebiger Fassadenschmuck u.a. mit Karyatiden (Frauenfiguren), hier ist von den Gestaltungsmöglichkeiten üppiger Gebrauch gemacht worden.


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Schlossparkviertel
Im Schlossbezirk, insbesondere im eigentlichen Schlossparkviertel, findet man erwartungsgemäß repräsentative Landhäuser und Villen. Der Freizeitpark an der Malche schiebt sich zwischen den Schlosspark und die Bebauung des Viertels. Direkt am Park hat ein Arzt in der Campestraße eine mächtige Villa mit Walmdächern und Fachwerkaufbau als Kinderheim erbaut.

In der Gabrielenstraße sind mehrere Villen denkmalgeschützt: Das Landhaus Stöwer wurde für den Marinemaler erbaut, der auch Sammelbilder für den Kölner Schokoladeproduzenten Ludwig Stollwerck entworfen hatte: "Die neuen deutschen Kriegsschiffe" (Sammelbildserie 132). Auch ein weltweit bekanntes Gemälde vom Untergang der Titanic hat Stöwer gemalt, es wurde zuerst 1912 in der "Gartenlaube" veröffentlicht. Architekt seines Landhauses war Paul Poser, der die Villenkolonie Frohnau mit entwickelt hat.

Der Metallkünstler Ottomar Holdefleiß ließ sich an der Adelheidallee eine Villa bauen, die mit dem fein geschmiedeten Eingangspavillon sofort auffällt. Ungewöhnlich ist das Fachwerk im Obergeschoss der Villa, es ist nicht aus Holz, sondern aus Schmiedeeisen. Holdefleiß hat seinem Namen alle Ehre gemacht, er war ein begnadeter Künstler und Unternehmer, sein Betrieb hatte bis zu 300 Mitarbeiter. Auf der Berliner Gewerbeausstellung 1896 erhielt er eine Goldmedaille für eine Brunnenfigur mit Bismarck-Antlitz. Auf der Pariser Weltausstellung 1900 hatte die deutsche Textilindustrie ihren Pavillon von ihm gestalten lassen.

Brunowplatz
Auf dem Brunowplatz wird ein Tegeler Amts- und Gemeindevorsteher durch einen Gedenkstein auf eingerahmter Fläche geehrt. Prominent prangt innerhalb des Rondells neben dem Gedenkstein ein Kanaldeckel im Boden. Ist das ein versteckter Hinweis darauf, dass der Herr Brunow sich um die Infrastruktur im Allgemeinen und das Wasserwerk im Besonderen verdient gemacht hat? Vielleicht ist es auch einfach nur der Unzulänglichkeit der Behörden geschuldet, dass man den Gedenkort genau auf den Einstieg in die Kanalisation gesetzt hat und nicht drei Meter daneben.


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Die Herz-Jesu-Kirche am Brunowplatz nennt den Inhaber der Maschinenfabrik Egells als frühes Mitglied der Gemeinde. Bei Franz Anton Egells hatte August Borsig sein Handwerk gelernt, beide hatten vor dem Oranienburger Tor im "Feuerland" ihre Fabriken. Später fanden sie Standorte weiter draußen vor der sich ausbreitenden Stadt. Bei dieser Randwanderung der Industrie bauten beide neue Fabriken in Tegel, Egells in der Egellsstraße südlich der Borsighallen. Später wurde die Egellsche Fabrik mit Borsig zusammengelegt.

Sechserbrücke
Zwischen dem Schloss und dem Dorf (Alt-Tegel) liegt der Tegeler Hafen, der im Verlauf der Greenwichpromenade von der "Sechserbrücke" überspannt wird. Der Name sagt, dass man hier einen Brückenzoll bezahlen musste, weil die Brücke von einem privaten Unternehmer errichtet worden war. Hatte später die Stadtverwaltung eine Brücke übernommen, dann wurde die Mautgebühr gern noch eine Weile weiter erhoben. Brückenzoll war in Berlin nicht unüblich, auch an der Jannowitzbrücke beispielsweise kostete die Überquerung einen "Sechser".

Sechser? Im Mittelalter hatte ein Reichstaler den Gegenwert von 24 Groschen. Bei den Münzen gab es später u.a. Sechs-Pfennig-Stücke (Sechslinge oder Sechser). Erst im Jahr der Reichsgründung 1871 wurde die Währung auf das Dezimalsystem umgestellt, 100 Pfennig waren seitdem eine Mark. Umgangssprachlich blieb das 5-Pfennig-Stück ein "Sechser", die Bezeichnung verstehen wir heute noch beim Cent.


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Zur Tegeler Hafenbrücke kam der "Sechser" erst nach dem Umweg über einen "Fähren-Sechser", den der Tegeler Fischer Siebert verlangte, wenn er Wanderer mit dem Kahn übersetzte, als es noch keine Brücke gab. Tegel muss schon früh für Ausflügler sehr attraktiv gewesen sein, nicht erst als die Straßenbahn hier einen Betriebshof einrichtete. Jedenfalls konnte der Fischer den Besucherandrang mit seinem Kahn bald nicht mehr bewältigen und baute eine Holzbrücke, für deren Benutzung er weiterhin den Sechser erhob.

Die Nachfahren Wilhelm von Humboldts ließen 1908 die Holzbrücke ersetzen durch eine Bogenbrücke aus Eisenfachwerk. Ähnlich wie eine Terraingesellschaft hatten sie das Gebiet nördlich des Hafens parzelliert und brauchten als Erschließung einen Zugang, der der gehobenen Bewohnerschaft entsprach. Auch einen Kaiserpavillon hatten sie dort errichtet, sein Nachfolgebau ist der Seepavillon.



Rückfahrt auf der S-Bahn
In einem Zug der "historischen", schon einmal ausgemusterten Baureihe 485 mit der geteilten Frontscheibe: Nach dem Halt im Bahnhof versucht der Triebwagenführer dreimal, die Türen automatisch - mit Warnton und roter Lampe über der Tür - zu schließen. Danach kurze Pause. Dann seine Ansage: "Kann mal jemand so gut sein, im letzten Wagen die erste Tür links zuzuschieben?" Wieder Pause, dann die Durchsage: "Danke". Der Zug fährt an.


Setzen Sie den Spaziergang hier fort: Häuser wie Ozeandampfer

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(*) Der Zusammenschluss der Stadt und Umlandgemeinden zu Groß-Berlin erfolgte 1920, die Straßenbahngesellschaft nannte sich aber schon ab 1900 "Große Berliner" (GBS). 1920 wurde daraus die "Berliner Straßenbahn", nachdem sie sich mit anderen lokalen Straßenbahngesellschaften zusammengeschlossen hatte.
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Unsere Route:
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Der janusköpfige Bahnhof
Eine Gartenstadt, die nie gebaut wurde