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Eine Gartenstadt, die nie gebaut wurde


Stadtteil: Reinickendorf
Bereich: Frohnau
Stadtplanaufruf: Berlin, Staehleweg
Datum: 29. April 2019
Bericht Nr.: 652

Es ist ein merkwürdiger Wald, der nördlich der Villenkolonie Frohnau an die äußerste Stadtgrenze nach Hohen-Neuendorf heranreicht. Unter den Waldwegen schimmern Pflastersteine hervor, die Waldwege haben offizielle Straßennamen, mitten im Wald stehen eine Ansammlung von Fachwerkhäusern und ein Verkaufspavillon. Auch einen künstlich angelegten See gibt es dort. Das Straßennetz und der See sind als Denkmal "Baugebiet Hubertussee" eingetragen und der Wald als Gartendenkmal, das auf den Gartenarchitekten Ludwig Lesser zurückgeht. Heute ist das "Waldgelände Frohnau“ ein Landschaftsschutzgebiet.

Gartenstadt Frohnau
Im Waldgebiet sollte 1909 angrenzend an die "Villenkolonie Frohnau" die "Gartenstadt Frohnau" entstehen. Dafür waren das Baugebiet entwässert und der Hubertussee angelegt worden. Eine Terraingesellschaft, die Berliner Terrain-Centrale, hatte das Gelände parzelliert und an der Utestraße von dem Frohnauer Architekten Paul Poser einen Verkaufspavillon errichten lassen. Der Nachbarort Stolpe hatte damals einen Bahnhof an der Nordbahn, von dem aus man auf kurzem Weg nach Frohnau kam. Den Keller des Pavillons gibt es heute noch in der Utestraße, über ihn freuen sich die Fledermäuse. Im Baugebiet wurden zu Anfang einzelne Versorgungsleitungen und zwei Häuser gebaut, aber die Gartenstadt selbst wurde nie realisiert. 1914 begann der Erste Weltkrieg und führte zum endgültigen Aus für das Projekt.

Künstlerhof Frohnau
In den 1920er Jahren ist mitten im Wald der nicht realisierten Gartenstadt ein Waldhospital errichtet worden aus mehreren eingeschossigen Fachwerkbauten. Sie dienten als Lazarett, später als Lungenheilstätte. Es folgte in den 1970er Jahren die Nutzung als Filiale der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik und nach Schließung der Zweigstelle als Flüchtlingsheim für Bosnier.


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Seit 1999 bietet der Künstlerhof Frohnau e.V. hier 40 Künstlerinnen und Künstlern Arbeits- und Ausstellungsmöglichkeiten auf 3.000 Quadratmetern Atelierfläche. Sie werden genutzt von Malern, Bildhauern, Keramikern, Grafikern, Medienkünstlern, Schriftstellern, Fotografen, Musikern. 2002 ist der Verkaufspavillon der Terraingesellschaft von der Utestraße zu den Fachwerkhäusern umgesetzt worden.

Frohnauer Richtfunkturm
Rückwärtig angrenzend an den Künstlerhof steht ein Antennenmast. Er ist der kleine Bruder eines Richtfunkturms, über den während der deutschen Teilung Telefongespräche zwischen Frohnau und der Gegenstelle Gartow im westdeutschen Zonenrandgebiet abgewickelt wurden. Die Hälfte aller Telefongespräche zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik wurde hier verschlüsselt übertragen, der Fernsehturm auf dem Schäferberg in Wannsee wickelte die andere Hälfte ab. In Frohnau wurde eine Richtfunkstrecke mit Sichtverbindung aufgebaut, die aber leicht gestört werden konnte. An die Verschlüsselung musste man glauben. Die Stasi hörte sowieso alles ab und im Frohnauer Wald saßen französische und amerikanische Abhörspezialisten.

Nach der Wende nutzten eine Luftgüte-Messstation, Funkamateure, Mobilfunkbetreiber und die Bundeswehr den Frohnauer Funkturm, bis er schließlich gesprengt wurde. Dabei konnte der 324 Meter hohe Turm nicht einfach umgelegt werden, der Künstlerhof und die Bundesstraße B 96 waren zu nahe. Deshalb nahm man eine "Sprengfaltung" vor. 24 Sprengladungen erzeugten ein "Sprengmaul" (keilförmige Öffnung), ein tonnenschweres Ballastgewicht gab die Richtung vor.

Invalidensiedlung
Friedrich der Große, den wir als niveauvollen Gastgeber des französischen Philosophen Rousseau kennen, begann seine Regentschaft mit zwei Kriegen gegen Österreich, bei denen es um die Vorherrschaft in Schlesien ging. Nach dem Ende der Kriege richtete der preußische König in Berlin das Invalidenhaus ein, in dem kriegsbeschädigte Militärangehörige wohnen konnten und betreut wurden. Die dafür errichtete Stiftung erlaubt heute, neben Kriegsversehrten auch anderen Schwerbehinderten mit mindestens 50% Behinderung Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Als die Wehrmacht im Dritten Reich ihre benachbarte Militärärztliche Akademie erweitern wollte, verdrängte sie die Bewohner des Invalidenhauses in Mitte. Für sie wurde 1937 die Invalidensiedlung in Frohnau erbaut. Das Baugebiet gehörte wie ursprünglich ganz Frohnau der Fürst-Donnersmarck-Stiftung. Als die Nazis "unwertes Leben" verfolgten und vernichteten, war auch die Existenz der Stiftung bedroht, weil sie sich mit der Fürsorge für Behinderte beschäftigte. Auf Druck der Nazis trat die Stiftung dem Reichskriegsministerium das Baugelände ab.

Architekten des Heeresbauamts schufen dort eine gartenstadtähnliche Siedlung, die außer Satteldächern keine typischen Stilmittel der damaligen "Baugesinnung" aufweist. Auf einem ausgedehnten Parkgelände sind 49 Häuser mit Klinkerfassaden und Ziegeldächern und ein Gemeinschaftshaus großzügig angeordnet. Reliefs über den Eingangstüren mit Motiven der in den Schlesischen Kriegen bedeutsamen Orte erinnern an Friedrich den Großen, den Gründer der Invalidenstiftung. Die Bewohner wurden in der Nazizeit als Militärs behandelt, die dem Kommandanten der Invalidensiedlung unterstanden.

Der Haupteingang zur Siedlung liegt im Norden direkt an der Stadtgrenze. Zwischen den zwei Torhäusern sieht man das Ortseingangsschild "Berlin", wenn man von Hohen Neuendorf aus kommt. Nach Frohnau gibt es nur eine Stichstraße, die an das Oval der Siedlung andockt. Obwohl die Siedlung wie ein Fremdkörper jenseits der Nordbahn auf Hohen Neuendorfer Gebiet zu liegen scheint, gehörte das zu DDR-Zeiten auf drei Seiten von der Mauer umgebene Gelände schon früher als Waldgebiet zu Frohnau.


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Als die Russen am 22. April 1945 in die Siedlung einmarschierten, drehte ein Versehrter aus dem Ersten Weltkrieg durch, der noch an den „Endsieg“ glaubte und erschoss einen russischen Soldaten. Die Russen steckten daraufhin das Haus in Brand, aus dem der Schuss kam, und ließen es abbrennen. Das 1958 wieder aufgebaute Haus ist noch heute zu erkennen. Auf der Giebelseite hat es keine Backsteinfassade, sondern ist dort rot-braun verputzt.

Im Gemeinschaftshaus eröffneten 1945 die "Stadtrand–Lichtspiele" mit 200 Plätzen. Da nicht alle Bewohner gleichzeitig an den kostenlosen Filmvorführungen teilnehmen konnten, wurden dienstags Bewohner der Häuser mit geraden Hausnummern zu den Vorstellungen gebeten und am Donnerstag die mit ungeraden Hausnummern. Auch Einwohner aus Hohen Neuendorf kamen zu den Filmvorführungen. Nach dem Mauerbau war das nicht mehr möglich, 1963 wurde das Kino geschlossen.

Merkwürdige Grenzverläufe
Zwischen Berlin-Frohnau und der gegenüberliegenden Gemeinde Glienicke-Nordbahn springt die Landesgrenze hin und her über die Oranienburger Chaussee, so dass man Berlin zweimal verlässt und wieder betritt ("Entenschnabel"). - Der Friedhof Frohnau hatte sich 1945 auf das Gebiet von Stolpe ausgedehnt, ohne dass man die Erweiterungsfläche Frohnau zugeordnet hätte. 1952 besetzten plötzlich Volkspolizisten "ihren" Teil des Friedhofs, der Senat musste die Unterlassung teuer korrigieren und die Fläche der DDR abkaufen.

Das Dorf Stolpe, das zum sowjetischen Besatzungsterritorium gehörte, wollten die Franzosen gern zum Bau eines Flughafens nutzen und hatten sich mit den Sowjets entsprechend verständigt. Nach der Blockade entschieden sie sich anders, bauten Tegel aus und verzichteten auf Stolpe. Ohne Vorankündigung wurden die Stolper von West-Bürgern zu Ost-Bewohnern, die Franzosen gaben Stolpe an die Sowjets zurück. Der Vorgang war eine "peinliche Angelegenheit", wie die Franzosen selbst einräumten.

Die DDR-Grenze war immer wieder Ort von teils abenteuerlichen Fluchten in den Westen. Durch den "Fluchttunnel 28" an der Oranienburger Chaussee kamen ein halbes Jahr nach dem Mauerbau 28 Menschen nach Frohnau. Von der Küche ihres Wohnhauses im Osten überwachten Angehörige der Tunnelbauer das Gebiet und schalteten beim Annähern von Grenzern als Signal das Licht im Tunnel aus. Als der Tunnel fertig war, standen plötzlich 14 fremde Leute in der Wohnung, die auch mit wollten. Hastig wurde nachts durch den Tunnel gekrochen, denn die Flucht war verraten worden, aber alle schafften es, in den Westen zu kommen. Nur eine dicke Frau hatte man zurücklassen müssen, für sie war der Tunnel zu schmal.

Weniger Glück hatten drei junge Leute, zwei Männer und eine Frau, die 1980 an der Nordbahn die Mauer mit zwei aufgefundenen Leitern überwinden wollten. Die Frau war zu klein, um den Mauerrand von sich aus zu überklettern. Bei dem Versuch des flach auf dem Mauerrand liegenden Begleiters, sie hochzuziehen, wurden von mehreren Grenzposten 27 Schüsse auf die Frau abgegeben. Sie fiel in den Grenzstreifen zurück und überlebte die Flucht nicht. Ein Gedenkkreuz, das die Begleiter auf der Westseite aufstellten, wurde von Stasi-Mitarbeitern gestohlen und nach Ost-Berlin gebracht. Am Nordportal der Invalidensiedlung ist jetzt eine Gedenkstele mit einer ausführlichen Dokumentation zu finden.

Wetterpilz
Bei ihrem Zusammentreffen lassen Oranienburger Chaussee, Schönfließer und Zeltinger Straße eine dreieckige Fläche frei, auf der ein Wetterunterstand Fußgänger vor dem Regen schützen kann. Der Architekt dieses Stadtmöbels in Pilzform ist Carl Stahl-Urach, der auf dem Frohnauer Friedhof die Trauerhalle erbaut hat. Für den Regisseur Fritz Lang hat Stahl-Urach die Filmbauten für die beiden Dr.Mabuse-Filme entworfen.


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In der Schönfließer Straße 95 steht ein kubischer weißer Bau, der so gar nicht in die Villenkolonie passen will. Der Architekt Rudolf Fränkel hat den Bau Ende der 1920er Jahre für die Baugesellschaft Hansa zu Berlin errichtet. In der Warnemünder Straße in Schmargendorf entstand ein weiterer Wohnbau der Neuen Sachlichkeit in Zusammenarbeit von Fränkel und Hansa. Nördlich des Bahnhofs Gesundbrunnen hat Fränkel die Gartenstadt Atlantic erbaut, bei der die Gärten im Innenbereich der Mietwohn-Häuserblocks liegen.

Will man auf dem Hinweg durch den Wald zur Invalidensiedlung kommen, dann geht es nördlich vom Wetterpilz entlang der Rauentaler Straße in den Gartenstadt-Wald. Vorher kommt man am Rand der Villenkolonie Frohnau an einer modernen Rehabilitationsklinik der Fürst Donnersmarck-Stiftung vorbei, deren Bau sich mit einer gefälligen Rundung dem Wald annähert.

Der Bus 125, der die Invalidensiedlung mit dem S-Bahnhof Frohnau verbindet, bringt uns mit Verspätung zum Zeltinger Platz zurück. An Wartezeit ist man hier gewöhnt, schon nach Fahrplan soll der Bus nur alle 20 Minuten fahren. Am Zeltinger Platz gönnten wir uns noch eine Kaffeepause, nein Café-Pause, bevor wir die Heimreise in die Innenstadt antreten.

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Unsere Route:
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Der falsche Sechser
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