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Süßer Grund in Adlershof


Stadtteil: Treptow
Bereich: Adlershof
Stadtplanaufruf: Berlin, Dörpfeldstraße
Datum: 28. Oktober 2013
Bericht Nr: 439

Köpenick hatte gute Weideflächen, als noch die Landwirtschaft die Ansiedlungen prägte. Kurfürst Joachim II. pries 1598 in einer Reisebeschreibung die "schöne Weyde" an der Spree, eine ausgedehnte Uferwiese am südlichen Spreeufer, daraus leitete sich später der Ortsname Schöneweide ab (1). Etwas weiter südlich wurde auf den saftigen Wiesen am "sueszen Grundt" Ackerbau betrieben, hieraus entwickelte sich der Ort Adlershof. Der alte Ortskern liegt nicht im Wissenschaftsstandort Adlershof, sondern nördlich des Adlergestells rund um die Dörpfeldstraße, die frühere Dorfstraße. Bis 1948 hieß der Platz gegenüber dem S-Bahnhof "Süßer Grund", bis er in "Platz der Befreiung" umbenannt wurde. Im Jahr 2000 bekam stattdessen eine Straße etwas weiter nordöstlich in Adlershof die alte Flurbezeichnung.

Am Süßen Grund wurden zunächst Maulbeerbäume angepflanzt. Friedrich der Große förderte die Seidenraupenzucht und die Seidenherstellung, aber trotz vieler Standorte und einer Mischung von Druck und Subventionen gab es aber nie einen Durchbruch, nach seinem Tod wurden die Subventionen eingestellt (2). Mit einer anderen Initiative war er - auch in Adlershof - wesentlich erfolgreicher: er siedelte Auswanderer an, die teils als Flüchtlinge, teils als Angeworbene nach Preußen kamen. In Friedrichshagen (3), Bohnsdorf (4) und Müggelheim (5) hatte er mit der planmäßigen Besiedlung die "Peuplierung" vorangetrieben.

Ein "Landjäger Bock" geistert durch die Köpenicker Geschichte, aber man darf bezweifeln, dass es immer dieselbe Person war. In der Köpenicker Altstadt durfte 1665 ein Landjäger Bock das "Bocksche Freigut" bauen, weil er dem Großen Kurfürsten besondere Dienste leistete (6). 76 Jahre später hat auf dem Süßen Grund ein Landjäger Bock mit Genehmigung Friedrichs II. ein Landgut angelegt. Wahrscheinlich war der Gründer des Freiguts in der Köpenicker Altstadt ein Vorfahre des Landjägers vom Süßen Grund. Dieser Landjäger Bock aus der Zeit Friedrichs des Großen soll 1775 einer Anekdote zufolge vor den Augen des Königs in übertriebener Pflichterfüllung gestorben sein. Als der Alte Fritz nach Köpenick geritten kam und beim Landjäger Bock seine Pferde wechselte, wollte dieser seinem König vorausreiten, ungeachtet dessen, dass der König versuchte, ihn davon abzuhalten, weil Bock wirklich krank war. Es ging nicht gut aus für ihn, ungefähr eine Meile von Köpenick "rührte ihn der Schlag". Friedrich versorgte ihn eigenhändig mit "ungarischem Wasser" und fuhr erst niedergeschlagen weiter, als keine Hoffnung mehr zum Leben da war. Im "Handbuch über den Königlichen Preußischen Hof und Staat" wird 1804 wiederum ein Förster Bock erwähnt, der unter einem Landjäger arbeitet - die Bocks als Förster lebten weiter.

Landjäger sind im heutigen Sprachgebrauch eckige luftgetrocknete Würste, eine Bedeutung, die sich wohl von "lange geräuchert" ableitet. Früher war "Landjäger" eine Berufsbezeichnung für Förster oder Gendarmen. Man darf sich darunter also einen königlichen Mitarbeiter vorstellen, der in ländlichen Gebieten für Ordnung sorgte und damit hoheitliche Aufgaben wahrnahm. Zurück zum Süßen Grund: Friedrich der Große genehmigte dem Landjäger Bock, das Landgut anzulegen und knüpfte daran die Bedingung, dass dieser eine Siedlung für Kolonisten einrichtete, die dann 1754 tatsächlich gegründet wurde. Später wurden das Gut und die Seidenplantage zusammengelegt, Adlershof entstand. Mit dem neuen Gutsherrn, dem Laternenkommissarius (7) Siewecke, wurde ein Vertrag über ein "Erbzinsgut" geschlossen. Siewecke pachtete das Gut und zahlte dafür an den Eigentümer - die Kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer - einen jährlichen Pachtzins. Dieses Pachtrecht konnte er an seine Nachkommen vererben. Eine andere Form, wie ein Eigentümer ein Gut auf Zeit hätte übertragen können, wäre das "Lehensgut", das für Verdienste oder in Erwartung besonderer Treue - und nicht für Pachtzahlungen -vergeben wurde.

Mehrere Straßennamen im alten Adlershofer Quartier zeichnen die Geschichte dieses Kiezes nach. Süßer Grund, Zinsgutstraße und Seidenbaustraße weisen auf die Gründungsphase hin, Gemeinschaftsstraße, Genossenschaftsstraße auf die spätere Bebauung. In den 1920er und den Anfängen der 1930er Jahre wurden mehrere Wohnkomplexe zwischen Adlergestell und Anna-Seghers-Straße und am Glienicker Weg gebaut. Es sind Putzbauten unterschiedlicher Höhe und Gestaltung. Es gibt über die Hausecken hinausgezogene Balkons mit abgerundeten Ecken, ornamental gestaltete Türen, Klinker als Sockel, Säulen oder Fassadenbänder, Figuren und Reliefs. Am spannendsten finde ich immer, wie die Hausecken ausgearbeitet sind, hier sind es an mehreren Gebäuden Staffelungen, die die Ecke brechen.

Zwei Siedlungen, die noch älter sind, fallen aus diesem Rahmen. Nach dem Ersten Weltkrieg entstand für Flüchtlinge eine Holzhaussiedlung an der Gemeinschaftsstraße ("Volkswohnungen"). Diese einstöckigen Fertighäuser mit Satteldach wirken heute sehr gepflegt, teilweise sind sie aber durch Anbauten, Umbauten und sogar in einem Fall durch Unterfahrung mit einer Tiefgarage überformt worden, bevor man sie als Denkmale schützen konnte.

Die Helbigstraße - an der eine Genossenschaftssiedlung entstand - hieß ursprünglich Hoffmannstraße, benannt nach Victor Aimé Hoffmann, der seinen Grundbesitz in Adlershof parzellieren und hier einen Villenvorort entwickeln wollte. Er plante einen Park "Klein Venedig" mit Kanälen, Grotten und Wasserkünsten, scheiterte aber mit seinem Plan, der Villenort Adlershof kam nicht zustande. Man kann davon ausgehen, dass sein Grundbesitz an der damaligen Hoffmannstraße lag. Dann kam in den 1880er Jahren die Berliner Baugenossenschaft und errichtete zwischen dieser Hoffmannstraße und der Genossenschaftsstraße eine Siedlung mit "einfachen" Zweifamilienhäusern, die in ihrer äußeren Gestaltung außergewöhnlich sind. Aus dem Satteldach, dessen Giebel wie üblich zur Seite zeigen, ragen ein oder sogar zwei zusätzliche Giebel quer –also zur Straße - heraus. Anders als bei der Mansarde, die nur eine Ausbuchtung aus dem Dach ist, wird hier der Dachraum bis zur Hauskante erweitert. Diese Bauform stammt aus der Renaissance, optisch entsteht ein Haus im Haus, das "Zwerchhaus", sprachlich abgeleitet von zwerch = quer.

1889 hatte man das Bedürfnis, die Berliner Baugenossenschaft und Louis Helbig, einen ihrer Gründer, zu ehren. Also wurde die Hoffmannstraße zur Helbigstraße. Da es aber bereits eine Helbigstraße gab, wurden einfach die Namen beider Straßen getauscht. Hoffmann war seine ursprüngliche Straße los, aber es kommt noch besser: Auf dem Erläuterungszusatz zum Straßenschild der heutigen Hoffmannstraße wird er knallhart als "Advokat und Bauspekulant" bezeichnet, eine drastische Kennzeichnung, die wir so in Berlin noch nirgendwo gefunden haben. Viele Terraingesellschaften, die in Berlin Siedlungen entwickelt haben, habe ich in dieser Homepage erwähnt (8), dort könnte manche handelnde Person ebenfalls den Titel "Bauspekulant" verdient haben. Dies soll kein Plädoyer für das Spekulantentum sein, sondern für Gleichbehandlung.

Auch wenn Adlershof kein Villenort wurde, einzelne Villen sind doch in der Nipkowstraße entstanden, entworfen und ausgeführt von dem Maurermeister Buntzel, vom dem auch in Johannisthal, Ober- und Niederschöneweide und in Altglienicke Bauten erhalten sind. Auch der lang gestreckte Backsteinbau der 1.Gemeindeschule, der zurückgesetzt an der Dörpfeldstraße steht, wurde von Buntzel entworfen und realisiert. Buntzel war sicherlich einer derjenigen Maurermeister, die eine Ausbildung an Baugewerkschulen bekommen haben und damit auch als Architekten arbeiteten (9).

Auf zwei Industriebauten möchte ich hinweisen. Hans-Heinrich-Müller, der Hausarchitekt der Elektrizitätswerke Bewag, hat in den Jahren 1924 bis 1933 elf Abspannwerke errichtet, mit denen der Strom aus dem Hochspannungsnetz so umgeformt wurde, dass er an die Haushalte und Endverbraucher weitergeleitet werden konnte (10). An der Radickestraße entstand eine Unterstation, ein "Kleinabspannwerk", dessen offenes Treppenhaus mit kühnem Schwung nach außen sichtbar wird. Ein weiterer ehemaliger Industriebau steht an der Ecke Adlergestell und Glienicker Weg, eine 1904 erbaute Chemisch-Pharmazeutischen Fabrik, in der zu DDR-Zeiten VEB Bärensiegel produziert hat.

Holzfertighäuser gab es nicht nur für die Flüchtlinge des Ersten Weltkriegs, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch eine zerlegte schwedische Holzkirche aus 3 Waggons entladen und für die Freie evangelische Gemeinde in der Handjerystraße aufgebaut (11). Die evangelische Verklärungskirche in der Arndtstraße wurde bereits um 1900 erbaut, natürlich wie zu jener Zeit üblich mit Unterstützung der Kaiserin Auguste Viktoria, die von den Berlinern liebevoll "Kirchenjuste" genannt wurde (12). In friedlicher Koexistenz steht die evangelische Verklärungskirche fast Rücken an Rücken mit der katholischen Christus-König-Kirche in der Nipkowstraße.

Die Adlershofer hatten es mit den Straßennamen. Als sie ihrem Friedhof einen würdigen Eingang bauen wollten, lag ein Grundstück des Bäckermeisters Hackenberg im Weg. Sie konnten ihn zum Verkauf bewegen, indem sie wie von ihm gewünscht der Straße, die auf den Eingang zuführt, seinen Namen gaben. So kann man auch aufs Straßenschild kommen, wie wäre es mit einem ortstypischen Erläuterungszusatz: "Bäckermeister und Erpresser"?

Auf dem Friedhof stehen mehrere Erbbegräbnisse, eines ist mit der Bronzefigur eines Schmieds geschmückt. Auch Widersprüchliches findet sich auf den Grabsteinen, so als wollten sie miteinander kommunizieren. "Alles Getrennte findet sich wieder", steht auf einem Stein. Dem setzt ein anderer Grabstein entgegen: " Was verloren, kehrt nicht wieder". Es gibt eben unterschiedliche Lebensläufe. In dem Gräberbereich hinter den Erbbegräbnissen hat die DDR ein Gedenkfeld für die Opfer des Kapp-Putsches eingerichtet. Bei diesem Putsch versuchten rechtsgerichtete Reichswehr- und Marineangehörige in der Weimarer Zeit, die Reichsregierung zu stürzen. Für die DDR sind die Opfer im Kampf gegen den Faschismus gestorben, deshalb passten es in das staatliche Gedenkschema, das sich an Antifaschisten und Kommunisten ausrichtete, während im Westen die Gedenkkultur sich überwiegend mit Holocaust und Judenverfolgungen beschäftigte. Hans Kies, der auch in Stralau das Karl-Marx-Denkmal (13) entworfen hat, schuf für die Putsch-Gedenkstätte einen knienden Krieger, der sein Gewehr mit einer Hand Richtung Himmel hält. Schießen kann man so nicht, aber als geheimen Vorbehalt des Künstlers gegenüber dem Gedenken wird man das nicht deuten wollen.

Zurückgekehrt zum S-Bahnhof Adlershof, sehen wir dunkle Wolken an einem bewegten Himmel und sind dafür dankbar, dass wir den Süßen Grund und seine Umgebung trockenen Fußes erkunden konnten.

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(1) Schöneweide: Die schöne Weyde an der Spree
(2) Seidenproduktion: Seidenproduktion,
insbesondere Sie kleidet den Reichen - Sie naehret den Armen
(3) Friedrichshagen: Siedlung für Spinner
(4) Bohnsdorf: Tauben im Paradies
(5) Müggelheim: Heim für Kolonisten und für Ausgebombte
(6) Landjäger Bock: Sind Frauen die besseren Fischer
(7) Laternenkommissarius: Ihm unterstand die Straßenbeleuchtung, als die Bürger noch Laternen heraushängen mussten, siehe Unwillige Bürger in der Residenzstadt
(8) Terraingesellschaften: Terraingesellschaften
(9) Ausbildung an Baugewerkschulen: Doppel-Dorf überwindet zweifelhaften Ruf
(10) Umspann- und Abspannwerke: Umspannwerke/Abspannwerke
(11) Hölzerne Notkirchen gab es auch in anderen Bezirken: Notkirchen
(12) "Kirchenjuste": Kirchenbauverein, "Kirchenjuste"
(13) Karl-Marx-Denkmal in Stralau: Schiefe Erinnerung an einen Inselbesuch

(Textversion 29.11.2013)



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Heim für Kolonisten und für Ausgebombte
Fliegen ist notwendig. Leben nicht