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Tauben im Paradies


Stadtteil: Treptow
Bereich: Bohnsdorf
Stadtplanaufruf: Berlin, Buntzelstraße
Datum: 22. Juli 2013
Bericht Nr: 427

Wie mag das Paradies aussehen, in das die gleichnamige Straße in Berlin-Bohnsdorf führt? Wenn man weiß, dass hier eine Genossenschaft Häuser für ihre Mitglieder gebaut hat, stellt man sich vielleicht Arkadien vor, einen magischen Ort, in dem die Menschen im Einklang mit sich, ihren Mitmenschen und der Natur leben. Der Traum von "Arkadien" geht auf den Hellenismus zurück, ursprünglich beschreibt er das glückselige idyllische Landleben der griechischen Hirten, hat sich in den Jahrhunderten danach aber verklärt zum irdischen Paradies schlechthin und wird gern auch in der Architektur beschworen.

Nun, was die "Arbeiter-Baugenossenschaft Paradies" vor 110 Jahren an der nach ihr benannten Straße und im weiteren Kiez schuf, das waren Vorortbauten auf ehemaligem Gutsbesitzerland, um die Wohnungsnot der Arbeiter zu lindern, paradiesisch waren weder die Bauten noch die Bedingungen. Überzeugen Sie mal eine Bank, Ihnen Bauten auf der grünen Wiese zu finanzieren. Und freunden Sie sich mit den Bauern an, von denen Sie als zugezogenen Städter misstrauisch beäugt werden. Tatsächlich besteht die Genossenschaft noch heute, und ihr Paradies ist fünfmal so groß geworden, gerechnet nach der Paradiesstraße, die sich im Laufe eines Jahrhunderts von 220 Metern auf 1,1 Kilometer verlängerte.

Für die Genossenschaft baute Bruno Taut ab 1925 in der Siedlung Paradies zweigeschossige Häuserzeilen und Mehrfamilienhäuser mit einfacher, sparsamer Gestaltung. Zur gleichen Zeit, als der "Zehlendorfer Dächerkrieg" (1) sich anbahnte, setzte Bruno Taut hier in aller Unschuld Flachdach und Spitzdach nebeneinander ein. Sie seien keine Gegensätze, sondern eine Bereicherung, schrieb er 1927 in "Der neue Wohnbau". Die Häuser hier sind schlichter als in der Onkel-Tom-Siedlung und der Hufeisensiedlung, die ungefähr zeitgleich entstanden und nicht zu vergleichen mit der expressiven Tuschkastensiedlung nördlich von hier, die er zehn Jahre vorher gebaut hatte (2).

Das Dorf Bohnsdorf ist ein typisches Angerdorf. Auf dem Dorfanger steht die Kirche - das älteste Bauwerk des Ortes -, rund um den Anger an der Straße gruppieren sich die Bauernhöfe. Es gibt mehrere Vierseithöfe, bei denen Bauten den Hof auf allen vier Seiten umschließen. Dazu gehören Scheune, Stallgebäude und Speicher, zur Straße hin ein Wohnhaus. In zwei Vierseithöfen sind Taubentürme erhalten, also im Hof frei stehende Taubenhäuser. Diese "Zierde der Bauernhöfe" sind Backstein- und Fachwerkkonstruktionen, mit fantasievollen Aufbauten aus Dachhelmen und kleinen Türmchen (Fialen), gedeckt mit Schindeln. Sie stehen frei im Hof und waren früher von Misthaufen umgeben.

Die Taubenhäuser sind Zeichen gehobenen Bauerntums, denn eine Taube frisst pro Jahr einen Zentner Körner. Ein hoher Einsatz für die Nutztiere, um Taubendreck zum Düngen und Gerben zu gewinnen und irgendwann eine gebratene Taube in den Mund fliegen zu lassen. Taubentürme waren deshalb durch staatliche Order bis zum 18.Jahrhundert Rittergütern, Vorwerken und Herrenhöfen vorbehalten. Erst mit dem 19.Jahrhundert fielen diese Auflagen weg. Auch die beiden Taubentürme in Bohnsdorf stammen von 1894 und 1910. Im Landkreis Teltow-Fläming südlich von Berlin beispielsweise sind aus dieser Zeit mehr als 50 Taubenhäuser erhalten, in Berlin nur vier, die anderen beiden stehen in Gatow (2a) und Kladow.

Die Fähigkeiten der Tauben zur Nachrichtenübermittlung haben die Bauern nicht genutzt. Brieftauben waren seit Jahrhunderten bekannt, schon bei den Griechen und Römern. Athleten der antiken Olympischen Spiele sollen mit Brieftauben Siegesnachrichten in ihre Heimatorte geschickt haben, ein Bändchen am Taubenbein war das Zeichen des Gewinners. Die Nachrichtenagentur Reuters hat in ihren Anfängen um 1850 mit 40 Brieftauben Börsennachrichten übermittelt, bevor die Handelsplätze an das Telegrafennetz angeschlossen wurden. Auch die Nachricht, dass die Engländer 1815 bei der Schlacht von Waterloo gesiegt hatten, kam per Brieftaube nach London. Allerdings nicht zum Premier, sondern zu einem Rothschild, der sie für eine hinterlistige, aber erfolgreiche Aktienspekulation nutzte.

Natürlich wurde Brieftauben auch für militärische Zwecke eingesetzt. Von Caesar, Brutus und später den Kreuzrittern sind entsprechende Berichte überliefert. Die Schweizer Armee hat erst 1996 nach 77 Jahren die Brieftauben in den Ruhestand geschickt, die als "Fernmeldetruppen" ihren Dienst taten. Schade, denn jetzt wird die amtliche Umschreibung der Brieftauben nicht mehr gebraucht: "selbstreproduzierende Kleinflugkörper auf biologischer Basis mit festprogrammierter automatischer Rückkehr aus beliebigen Richtungen". Auch Deutschland hatte natürlich Brieftauben beim Militär. In Berlin-Spandau hatte seit 1900 die "Lehr-, Zucht- & Versuchsanstalt für Heeresbrieftauben" ihren Sitz, ihnen wurde 1939 das "Denkmal für die deutsche Brieftaube" gewidmet. Man hat es inzwischen an der Flankenschanze, Ecke Roonstraße neu errichtet, an seinem ursprünglichen Standort im Wröhmännerpark (3) war es im Wege.

Zurück zum Dorf Bohnsdorf. Als der Kirchhof - also der Friedhof an der Kirche - zu klein wurde, schuf man 1851 neue Grabflächen an der Parchwitzer Straße in Sichtweite des alten Kirchhofs. Das mit der "Sichtweite" ist seit 1960 vorbei. Die Autobahn 117 wurde damals von der DDR knirsch zwischen den Dorfanger und die östliche Bebauung von Bohnsdorf gequetscht. Als heutige Bundesautobahn A 113 verbindet sie die Innenstadt Berlins mit Dresden und Schönefeld und ist stark frequentiert. Der Verkehr fließt erhöht, aber direkt an Grundstücke und Bauten angrenzend, und wird mit einer Schallschluckwand nur mäßig abgedeckt.

Natürlich hatte Bohnsdorf auch eine Windmühle. Um sie zu sehen, muss man heute nicht nach Grünau fahren. Wie andere Mühlen auch hat sie mehrere Wanderungen überstanden. 1820 in Köpenick aufgestellt, kam sie 1874 nach Bohnsdorf und steht seit 1983 im Museumspark des Technikmuseums an der Trebbiner Straße (Gleisdreieck).

Vor kurzem hatten wir das doppelte Dorf Rixdorf besucht, das aus einer böhmischen Kolonisten-Siedlung und dem historischen deutschen Dorf besteht (4). In Bohnsdorf gab es eine ähnliche Entwicklung, hier waren es Kolonisten aus der Pfalz, die 1763 von Friedrich dem Großen in Neu-Bohnsdorf an der heutigen Buntzelstraße östlich des alten Dorfes angesiedelt wurden. Wie sein Vater, der Soldatenkönig, der die böhmischen Flüchtlinge in Rixdorf willkommen hieß, holte auch Friedrich II. Einwanderer in sein Land, die wegen ihres Glaubensbekenntnisses als Reformierte, aber auch wegen wirtschaftlicher Not ihre Heimat verlassen wollten.

Die Pfalz war eines der größten Auswanderungsgebiete Deutschlands, hierhin wurden preußische Werber geschickt, um "soviel Fremde wie möglich ins Land zu ziehen". Friedrich wollte sein Land "peuplieren", das nach dem verheerenden 30jährigen Krieg sehr dünn besiedelt war. Es wurden regelrechte Trecks zusammen gestellt, mit Pferdegespannen und Planwagen kamen die Siedler nach Berlin und wurden von hier aus weiter verteilt, wenn sie nicht nach Bohnsdorf gingen. Die Pfälzer siedelten sich in Orten wie Pfalzheim (!) nördlich von Neuruppin, in Friedrichswalde in der Schorfheide oder in Friedrichshof (bei Königs-Wusterhausen) an. Mit dem "Friedrichs" im Ortsnamen zeigten sie ihre Dankbarkeit gegenüber dem König. Nach gut 100 Jahren wurden beide Bohnsdorf-Dörfer zu einer Gemeinde verschmolzen, die Integration der Einwanderer war offensichtlich gelungen.

Bohnsdorf grenzt direkt an den Flughafen Schönefeld, eine Anflugstrecke geht über den Bohnsdorfer Wald. Hier verwechselte am 12. Dezember 1986 der Pilot einer russischen Verkehrsmaschine die Landebahnen und wollte in letzter Minute zur zugewiesenen Bahn umschwenken, was ihm wegen zu niedriger Höhe nicht mehr gelang. Bei dem Absturz wurden 72 von 82 Insassen getötet, darunter waren 20 Schüler einer zehnten Klasse aus Schwerin und ihre Lehrerin. Eine Gedenktafel am Wald erinnert an diese Tragödie.

An der "Buntzel-Ranch" vorbei streben wir auf der Buntzelstraße zum S-Bahnhof Grünau. Beim Griechen an der Richterstraße machen wir halt, vor dem Heimweg brauchen wir eine Stärkung.

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(1) Zehlendorfer Dächerkrieg: Bauten als Streitäxte
(2) Siedlungen von Bruno Taut: Taut, Bruno
(2a) Taubenhaus in Gatow: Rückzug ins Taubenhaus
(3) Wröhmännerpark: Was sind Wröhmänner ?
(4) Rixdorf: Doppel-Dorf überwindet zweifelhaften Ruf


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