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Bauten als Streitäxte


Stadtteil: Zehlendorf
Bereich: Fischtal
Stadtplanaufruf: Berlin, Am Fischtal
Datum: 13. Mai 2013
Bericht Nr: 419

Die Aufforderung "Bitte beachten Sie diesen Hinweis nicht" ist paradox: Wenn man die Aufforderung beachtet, hat man gegen sie verstoßen, und wenn man sie nicht beachtet, hat man sie beachtet. Wie spannend doch Kommunikation sein kann! Auch im Stadtbild begegnet uns dieses Paradoxon, wenn ein Bauherr seinen Bau zwischen bestehende Architektur setzt, ohne deren Kontext auch nur anzusehen, denn beide wollen miteinander kommunizieren, finden aber kein gemeinsames Thema. Denken Sie nur an die öden rechteckigen Lidl-Verkaufshallen (1), die sich zwischen Altbausubstanz schieben, als hätten sie gesagt, "beachten Sie uns nicht". Aber es hilft nichts, wir haben die ausdruckslosen nackten Kommerzbauten schon gesehen und die Wunde, die sie in der Stadt erzeugen.

Gute Architektur versucht sich mit dem Vorgefundenen auseinanderzusetzen, zu kontrastieren, zu vermitteln, zu verbinden. Ich denke beispielsweise an mehrere neue Botschaftsgebäude im alten Botschaftsviertel in Tiergarten (2), die einen Bezug zu ihrem Heimatland herstellen - uns von dort eine "Botschaft" überbringen - und die gleichzeitig ihr räumliches Umfeld und Berliner Themen und Traditionen einbeziehen. So wird Architektur zur Baukultur.

Bekannt ist aber auch die kontroverse Auseinandersetzung zwischen Neubauten und bestehenden (oder früheren) Bauten, die auf die griffige Formel "Bau und Gegenbau" (Martin Warnke) gebracht worden ist. Eine Konfrontation, ein Kampf um die Macht wird mit Mitteln der Architektur ausgetragen, Architektur wird zum Bedeutungsträger, ein Bau wird zur politischen Ikone. Nachahmen, übertreffen, verneinen, vernichten sind die Waffen dieses Kampfes. Das historische Berliner Stadtschloss wurde von der DDR abgeräumt, stattdessen hat sie einen Palast der Republik errichtet. Der Palast der Republik wurde nach der Wende abgeräumt, stattdessen entsteht wieder ein an das Stadtschloss angenäherter Bau der Bundesrepublik. Zweimal Gegenbau an identischer Stelle. Ost- und West-Berlin hatten während der Teilung der Stadt viele Gegenbauten, genannt seien nur Hansaviertel und Stalinallee (3), Funkturm und Fernsehturm, Zoo und Tierpark. Der Gegenbau ist Propaganda gegen die Architektur des politischen Gegners, von der er sich so deutlich wie möglich abzusetzen sucht.

Damit sind wir beim Thema unseres heutigen Stadtspaziergangs, der uns zur Straße Am Fischtal führt. Wenn man in dieser Straße das direkte Gegenüber der Bauten mit Flachdächern auf der einen Straßenseite und mit Spitzdächern auf der anderen entdeckt, dann sieht man mit eigenen Augen, wie hier der "Zehlendorfer Dächerkrieg" ausgetragen wurde. An der Dachform kann man die progressiven und die konservativen Architekten unterscheiden: Bruno Taut baut farbenfrohe Häuser mit Flachdächern in der Onkel-Tom-Siedlung und zeigt damit Neues Bauen und Internationalismus (4), Paul Schmitthenner als konservativer Gegenpart baut in der Fischtal-Siedlung "brave Einfamilienhäuschen" mit Spitzdächern. Über den Dächerkrieg habe ich bereits mehrfach geschrieben (5), das will ich an dieser Stelle nicht wiederholen. Die unterschiedlichen Architekturauffassungen waren keine akademische Auseinandersetzung, sie hatten im aufkommenden Nationalsozialismus für die Architekten weit reichende Folgen: Paul Schmitthenner wurde zu Hitlers Reichsbaumeister, Bruno Taut musste in die Türkei emigrieren.

Am Fischtal ist das heute Geschichte. Die Häuser stehen sich fremd, aber friedlich gegenüber. Der ausgedehnte Fischtalpark parallel zur Straße ist eine märkisch geprägte, gepflegte Parklandschaft. Hier geht man auf den Wegen, nur Kinder nutzen das ausgedehnte Grün zum Spielen.

Zur Onkel-Tom-Siedlung gehört der U-Bahnhof Onkel-Toms-Hütte, der 1929 von dem U-Bahn-Architekten Alfred Grenander entworfen wurde und die Ladenpassage, die Otto Salvisberg 1932 nachträglich an den Bahnhof angebaut hat. Die Ladenzeilen bestanden ursprünglich aus annähernd gleich großen Geschäften und gleich gestalteten Fronten und Türen. Auch wenn sich das Aussehen inzwischen geändert hat, erfüllen die Läden auch heute noch ihre Aufgabe der Nahversorgung der Anwohner.

Wir kehren zum Abschluss unseres Spaziergangs bei einem Griechen gegenüber dem Bahnhof ein und sind mit dem Gebotenen zufrieden.

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(1) Lidl-Verkaufshallen: Faltschachteln des Billigkonsums
(2) Botschaftsviertel im Tiergarten: Welt im Kleinen, Architektur im Großen
(3) Hansaviertel und Stalinallee:
a) Hansaviertel: Gestern war sie die Stadt von morgen
b) Stalinallee: Stalins Ohr und Tierskulpturen
(4) Onkel-Tom-Siedlung: Architektur ist die Kunst der Proportion
(5) "Zehlendorfer Dächerkrieg": Deutscher und amerikanischer Heimatstil


Deutscher und amerikanischer Heimatstil
Von der Lampe zum Schwan