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Drehbühne im Wohnzimmer


Stadtteil: Zehlendorf
Bereich: Onkel Toms Hütte
Stadtplanaufruf: Berlin, Wilskistraße
Datum: 4. Dezember 2017
Bericht Nr.: 608

Inmitten der Onkel-Tom-Siedlung an der Argentinischen Allee Ecke Riemeisterstraße wird der Architekt Bruno Taut mit einer Bronzetafel geehrt. Auch wenn seine Bauten mit ihrem Spiel der Farben weitgehend das Bild der Siedlung bestimmen - er war nicht der einzige Architekt, der hier tätig war. Alfred Sommerfeld - Bauunternehmer und Terrainentwickler - hatte das Gelände in den 1920er Jahren erworben und hier die Siedlungen "Kieferngrund" und "Sommerfelds Aue" errichtet. Auch die Großsiedlung "Onkel Tom" entstand in mehreren Bauphasen auf dem von Sommerfeld baureif gemachten Gelände. Taut hatte vorher mit dem Berliner Stadtbaudirektor Manfred Wagner die Hufeisensiedlung realisiert, beim Folgeobjekt Onkel Tom waren die Architekten Hugo Häring und Otto Rudolf Salvisberg beteiligt.

Die Onkel-Tom-Siedlung war ein gewerkschaftsnahes Großbauvorhaben für Einkommensschwächere, das dem auf großbürgerliche Villen geeichten Bezirksamt Zehlendorf nicht geheuer war. Schon vor 90 Jahren arbeiteten die Berliner Stadtregierung (damals Magistrat, heute Senat) und die Bezirksämter beim Wohnungsbau streckenweise gegeneinander. Wobei der Senat heute öfter die Rolle des Wohnungsbau-Verhinderers übernimmt, während der Magistrat damals in Zehlendorf das Bauvorhaben förderte.

Siedlungen "Kieferngrund" und "Sommerfelds Aue"
Sommerfeld hatte seine Tätigkeit als Zimmermann begonnen. Er wohnte in einem von Walter Gropius entworfenen Holzblockhaus an der Lichterfelder Limonenstraße. Da lag es nahe, eine Holz-Typenhaussiedlung zu bauen. An der Onkel-Tom-Straße wurden 11 Holz-Häuser um den Anger "Im Kieferngrund“ gruppiert, die meisten sind bis heute erhalten.

Eine weitere Siedlung mit zwölf massiven Wohnhäusern sollte ebenfalls um einen Platz gruppiert werden, genannt "Sommerfelds Aue". Tatsächlich wurden nur vier Bauten entlang der Onkel-Tom-Straße realisiert, streng kubische, weiß verputzte Haustypen mit flachen Dächern. Die Bezirks-Gestaltungskommission war mehrheitlich empört über die "Zigarrenkistenmode", die sie als "Verunstaltung der Gegend“, "Verschandelung von Ortsteilen" und "Verirrung im Baustil" ablehnte. Entworfen hatte die Gebäude in eigener Regie der Architekt Richard Neutra, Mitarbeiter von Erich Mendelsohn. In zwei Häusern hatte Neutra Drehbühnen zwischen Küche und Wohnzimmer einbauen lassen. Mit ihrer Hilfe konnte die Essecke mit dem in der Küche angerichteten Menü ins Zimmer gedreht werden oder der Bereich in ein Musikzimmer oder in einen Ruhebereich mit Radio und Grammophon verwandelt werden. Dem Wohnbedürfnis entsprach diese futuristische Idee nicht, deshalb wurden die Drehbühnen bald entfernt.

Neutras Bauten erinnern an die Bauhaus-Meisterhäuser in Dessau. Neutra hat die Gebäude aus der Grundform eines Kubus entwickelt, mit Flachdächern, Fassaden ohne Symmetrie, vorgesetzten oder hervorspringenden Elementen. Die Außenwände zu den Terrassen sind plastisch gegliedert mit parallelen waagerechten Backsteinlagen, wie Mendelsohn sie an seinem Doppelhaus am Karolingerplatz gestaltet hatte.


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Zur Innenausstattung wurden zumindest bei einem Bau kräftige Farbtöne verwendet, grün, lila, erdiges gelb, kräftiges orange sowie goldener Stuck und dunkelrote Fliesen. Auch das erinnert an Dessau, an das Meisterhaus Kandinskys. Die Fachzeitschriften für Architekten äußerten sich nicht zu Neutras Bauten, Käufer waren schwer zu finden, aber die Zeitungen zogen mit einem Aufschrei über seine Werke her.

Der Architekt Richard Neutra
Richard Neutra ist hier kaum bekannt, seine wesentlichen Bauten hat er in den USA geschaffen. Wahrscheinlich haben er und Mendelsohn sich über dessen Bauprojekt Hutfabrik in Luckenwalde kennen gelernt, Neutra arbeitete damals in der Luckenwalder Baubehörde. Nach seiner Tätigkeit in Berlin siedelte er 1923 in die USA um. Bei der Beerdigung des berühmten Chicagoer Architekten Louis Sullivan ("form follows function") lernte er Frank Lloyd Wright kennen. Die Begegnung mit dem Stararchitekten muss bei ihm eine solche Initialzündung ausgelöst haben, dass er seinem Erstgeborenen die Vornamen Frank Lloyd gab. Unter anderem baute Neutra wie F.L.Wright Villen und private Häuser, die sich durch ihre Großzügigkeit und harmonische Eingliederung in die Natur auszeichneten. "Wie baut Amerika?“ hieß sein 1927 veröffentlichtes Buch. Nun, er hat den International Style in seiner Schaffenszeit wesentlich mit geprägt.

Haus Blumenthal
Und noch einen kubischen Baukörper findet man am Rand der Siedlung, das von Ludwig Hilberseimer entworfene Haus Blumenthal in der Wilskistraße 66. Hilberseimers unterrichtete am Bauhaus, emigrierte in die USA und folgte dort Mies van der Rohe nach Chicago. Das Haus Blumenthal ist ein monolithischer Block, der keine Verbindung zur Außenwalt aufnimmt.


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Zur Straßenseite zeigt er eine Reihe von kleinen Fenstern im Obergeschoß und den aus der Mittelachse verschobenen Eingang, hier liegen die Wirtschaftsräume. Zur Gartenseite wird mit Terrasse, Balkon und größeren Fenstern die Wohnfunktion sichtbar.

Onkel-Tom-Siedlung

In der Großsiedlung Onkel-Toms-Hütte entstanden nördlich und südlich der Argentinischen Allee Einfamilien-Reihenhäuser und in ihrer Mitte Mietwohngebäude. Der Kiefernbestand des Grunewalds wurde in die Siedlung einbezogen. Öffentlicher Grünraum und Mietergärten bilden optisch einen "Außenwohnraum" zu den Wohnungen. Schmale öffentliche Wirtschaftswege erschließen die Hausgärten von der Rückseite. Die Farbigkeit der Häuser mit horizontalen und vertikalen Gliederungen wird von Taut anstelle eines Ornaments eingesetzt. Eine Denkmalsatzung verhindert erfreulicherweise, dass auf die Fassaden Wärmedämmung aufgebracht wird. Die äußeren Rahmen der historischen Kastendoppelfenster sind ebenfalls nach einem Farbkonzept abwechslungsreich gestaltet und dürfen nicht verändert werden. Dagegen können die Bewohner die Terrassen auf der Hausrückseite mit Wintergärten oder Veranden überbauen.

Die Einfamilienhäuser sind 5 oder 6 Meter breit und enthalten 2 oder 3 Stockwerke. Die Grundrisse lassen es nur zu, dass Küche und Badezimmer in unterschiedlichen Etagen angeordnet sind. Aufgrund der Enge sind die Treppenhäuser stark gewendelt und nur mit äußerster Konzentration zu begehen, da ein unterstützender Handlauf an der Wandseite fehlt, auf der die Stufen ihren breiteren Auftritt haben. Im Erdgeschoss erstrecken sich je nach Haustyp die Wohnzimmer hinter dem Eingangsbereich 4 oder 6 Meter in die Tiefe. Dass man auf einer solchen Fläche Hauskonzerte mehr 30 und mehr Besuchern veranstalten kann, erscheint zunächst unvorstellbar, wird aber in einem Einfamilienhaus regelmäßig praktiziert.


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Der Peitschenknall
Während der Bauzeit der Siedlung hat die Stadt die U-Bahn vom Oskar-Helene-Heim bis zur Krummen Lanke verlängert. Sie verläuft als Einschnittbahn parallel zur Argentinischen Allee und wird im U-Bahnhof Onkel Toms Hütte von einer Ladenpassage umgeben. Zwischen Argentinischer Allee und Bahntrasse platzierte Bruno Taut ein 450 Meter langes Mietwohngebäude, das aber nicht zu einem "Langen Jammer" wurde wie Otto Bartnings 380 Meter langer Häuserzeile in Siemensstadt.

Taut schuf einen einen "wellenartig in Schwingungen versetzten Block", der den Bewegungen einer Peitsche beim Peitschenknall ähnelt. 34 gleiche Wohneinheiten mit drei Stockwerken sind durch abgerundete Rücksprünge unterbrochen, in denen sich die farblich abgehobenen Treppenhäuser befinden. An keiner Stelle ist die Häuserzeile in ihrer vollen Länge zu überblicken, weil sie in konvexem Schwung dem Straßenverlauf folgt.

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Ein früherer Besuch in der Onkel-Tom-Siedlung: Architektur ist die Kunst der Proportion

Im Bericht erwähnte Bauten:
> Otto Bartning, "Langer Jammer": Luftkurort Schwindelpfalz
> Erich Mendelsohn, Karolingerplatz: Zweideutiger Willkommensgruß
> Hufeisensiedlung: Rote Häuserfront im Gutshof Britz
> Holzblockhaus an der Lichterfelder Limonenstraße: Gewaltherrschaft von Zickzack-Ornamenten

mehr über die im Bericht erwähnten Architekten:
> Walter Gropius
> Erich Mendelsohn
> Otto Rudolf Salvisberg
> Alfred Sommerfeld
> Bruno Taut
> Manfred Wagner

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Das Bauvorhaben Onkel Toms Hütte:
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Fingerübungen späterer Stararchitekten
Obstwiese mit akademischen Lauben