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Traumlandschaft über dem Stößensee


Stadtteil: Charlottenburg
Bereich: Westend, Gutsbezirk Heerstraße
Stadtplanaufruf: Berlin, Am Rupenhorn
Datum: 6. Mai 2020
Bericht Nr.:695

Was die Deutsche Einheit uns doch für Segnungen gebracht hat, derer wir kaum gewahr geworden sind: Nach der Wende baute die Bahn Eisenbahnstrecken aus (Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8), die Eingriffe in die Natur musste sie an anderer Stelle ausgleichen, Natur und Landschaft sollten sich insgesamt nicht verschlechtern. Als Ausgleichsmaßnahme für die Bahnstrecke nach Hannover gestaltete die Bahn den Havelhöhenweg südlich der Stößenseebrücke neu. Der Havelhang zwischen Havelchaussee und der Straße Am Rupenhorn wurde befestigt, Treppen - teilweise serpentinartige - restauriert oder neu angelegt, Wanderwege im Waldgebiet geschaffen.

Villenviertel Am Rupenhorn
Am Rupenhorn unterhalb der Stößenseebrücke war seit den 1920er Jahren ein Villenviertel entstanden. An der nur 750 Meter langen Straße mit 25 Grundstücken hat man in westlicher Richtung einen Blick auf den See, entsprechend bevorzugt war die Lage der Villen und ihre Ausrichtung zum Wasser. Auch in den 1950er Jahren wurde hier wieder gebaut, der Architekt Norman Braun bebaute zwei Grundstücke, davon eins für sich selbst.

Architekt Norman Braun
Das Eckgrundstück, das sich vom Rupenhorn bis zur Heerstraße herumzieht, ist nacheinander zweimal geteilt worden. Auf dem weitläufigen Grundstück hatte 1924 der Architekt Wilhelm Keller ein expressionistisches Landhaus erbaut. In Zehlendorf haben wir an verschiedenen Straßen drei einheitliche Wohnhauszeilen mit Holländerhäusern von Wilhelm Keller und seinem Partner Rudolf Prömmel gesehen, die für die dortigen Villengegenden ungewöhnlich waren. Das Haus hier am Rupenhorn wurde nach Kriegsschäden abgerissen. Auf dem Grundstück entstanden mehrere Bauten nach den Entwürfen des Architekten Norman Braun, auch sein eigenes Wohnhaus steht auf diesem Grundstück (Nr. 1b). Braun war als Architekt an Großprojekten wie Charlottenburg-Nord und Gropiusstadt beteiligt.

Sein eigenes Einfamilienhaus aus den 1950er Jahren mit verschiedenfarbigen Klinkern wirkt von der Straße her unscheinbar, doch das Innenleben ist besonders: Um mit der Architektur der Hanglage zu folgen, sind die Räume in "Split-Level"-Bauweise verteilt. Dabei sind die Bereiche nicht in Etagen übereinander angeordnet, sondern befinden sich leicht versetzt zueinander, verbunden durch offene Treppen mit jeweils nur wenigen Stufen. Durch verschiedene Ebenen - Küchen-, Wohn- oder Schlafebene - entsteht eine außergewöhnliche Wohnatmosphäre. Die Räume folgen dem Gefälle am Hang, größeren Erdarbeiten bleiben dadurch erspart. Der Nachteil soll nicht verschwiegen werden: Um in einem solchen Haus zu leben, muss man treppenaffin, kräftig und gesund sein. Und achtsam, die Unfallgefahr ist größer als auf einer ebenen Fläche, wo man nur über die Teppichkante stolpern kann.

SFB-Siedlung
Angrenzend an sein eigenes Grundstück hat der Architekt Norman Braun am Rupenhorn in den 1950er Jahren eine Reihenhaussiedlung errichtet für den Sender Freies Berlin (heute rbb). Der Tagesspiegel hielt diese Bauten für Gästehäuser des Senders, tatsächlich waren sie "für die Führungsetage des Senders" bestimmt, wie Wikipedia schreibt. Wobei man durchaus ins Grübeln kommen kann: Eine Werkssiedlung für Führungskräfte, die jeden Tag benachbart in ihren Büros sitzen und abends dann Tür an Tür wohnen? "Zu den Bewohnern gehörten u. a. die Intendanten Walter Steigner und Franz Barsig, der Chefredakteur Peter Pechel, der Chefkommentator Matthias Walden und der Chef der Abendschau Harald Karas", schreibt die Tochter des Abendschau-Chefs, die in der Siedlung aufgewachsen ist (mehr aus ihrer Zuschrift finden Sie im Forum).

Vom Bahnhof Pichelsberg zum Stößensee
Für die Anreise zum Rupenhorn haben wir die S-Bahn genutzt. Das 1911 entstandene Bahnhofsgebäude mit der Dienstwohnung des Stationsvorstehers gibt es nicht mehr, beide werden heutzutage nicht mehr gebraucht. Der S-Bahn umrundet am Bahnhof Pichelsberg in großem Bogen Waldbühne und Maifeld des Olympiageländes. Vom Bahnhof kommt man zur Glockenturmstraße, die südlich der Heerstraße in die Straße Am Rupenhorn übergeht.

An der Angerburger Ecke Tharauer Allee gehen wir an einem eingemauerten und stark gesicherten Wohnkomplex vorbei, Überwachungskameras melden jeden unserer Schritte nach drinnen. Ein Schiebetor aus Metall vor der Einfahrt, dahinter ein Pförtnerhäuschen. Mit so einer "Gated Community" schotten sich Bewohner gegen die Zumutungen einer bedrohlichen Welt ab. Hier hat das Königreich Saudi-Arabien Wohnungen für seine Botschaftsangehörigen geschaffen. Der Dienstsitz der Botschaft - ein halbrundes Gebäude mit einer Fassade aus ornamentalen Edelstahlelementen - befindet sich im Botschaftsviertel an der Tiergartenstraße.

Belvedere
Es überrascht, dass der Kiez um die Angerburger Allee den höchsten Altersdurchschnitt Berlins hat: Die Hälfte der Einwohner ist im Rentenalter. An der Glockenturmstraße steht ein Wohnhochhaus, ein "verwinkelter Wall aus Beton", 832 Wohnungen in 10 Häusern. Es war 1969 vom Architekten Werner Düttmann als Stadt in der Stadt gebaut worden mit Einkaufsmöglichkeiten, Cafés, Restaurants, Friseur und Ärzten im Zentrum der Siedlung.


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Eine ähnliche Infrastruktur, wie sie auch im Corbusierhaus entstand - und wieder verschwand. Vom 20. Stock des Belvedere kann man das Corbusierhaus sehen und den Teufelsberg, das Haus ermöglicht einen schönen und weiten Ausblick. Es waren gutverdienende Angestellte, der Mittelstand, die damals in die Wohnungen am Stadtrand gezogen sind. Das ist bis zu 50 Jahre her, und wer geblieben ist, lebt hier weiter als Rentner.

Bauten der Architektur-Avantgarde
Das bis zu 35 Meter über den Stößensee ansteigende Hochufer am Rupenhorn ist eine Traumlandschaft. Das Bauhaus-Archiv schwärmt über die auf der Anhöhe entstandene "kleine Bauausstellung": "Hier baute die deutsche Architekturavantgarde: Hermann Muthesius, Bruno Paul, Erich Mendelsohn, die Brüder Luckhardt mit Alfons Anker und der Bauhäusler Ludwig Hilberseimer".

Wassili und Hans Luckhardt
Die Brüder Luckhardt haben die klassische Villa im Stil der Neuen Sachlichkeit neu inszeniert. An der Ostseite der Straße stehen zwei unterschiedliche Bauten mit Terrassen, die in der Landschaft schweben. Dachgärten öffnen den Blick zum Stößensee. Die weiß geputzten Fassaden werden durch großflächige Fenster durchbrochen. Die Stahlskelettbauweise erlaubt, mit verstellbaren Zwischenwänden veränderbare Grundrisse zu realisieren (auch wenn allgemein in der Architektur nur in den seltensten Fällen diese Mobilität tatsächlich genutzt wurde).


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Erich Mendelsohn
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite baute Erich Mendelsohn für sich eine Villa, die er bis zur Emigration nur drei Jahre nutzen konnte. Der flache, weiß geputzte Bau richtet sich mit Wohnräumen und großer Terrasse zum Hang über dem Stößensee aus, manche Fenster sind versenkbar. Zur Straße hin grenzt sich der Bau durch eine Mauer ab, nur im ersten Stock des Hauses blickt ein Fensterband zu dieser Seite. "Von Kunst geadelt", mit Gemälden in den Innenräumen und Skulpturen im Garten, hier konnte der Architekt seine individuelle Form von Häuslichkeit finden. Die Inneneinrichtung hat Mendelsohn meist selbst entworfen. "Neues Haus - neue Welt" nannte er seine Publikation über den Bau. Dem Buch hat er einen ausführlichen fotografischen Rundgang beigegeben.

Verdichtung und Abriss, Terrassenhäuser
Das von Werner March errichteten Landhaus Beringer Am Rupenhorn 16 - ein hochgelegenes Haus mit einem weiten Blick über die Havel - wurde bereits 1939 abgerissen. Hermann Muthesius erbaute Am Rupenhorn 8 das Landhaus Kersten, das nach Kriegsbeschädigung abgerissen wurde. Auf diesem und dem Nachbargrundstück entstanden ab 1971 über Eck Terrassenhäuser mit über hundert Wohnungen in 5 Etagen. Weitere Terrassenhäuser stehen auf dem Nachbargrundstück der Mendelsohnschen Villa. Und 6 identische Mehrfamilienhäuser ("Stadtvillen") stehen gleich am Anfang der Villenstraße.

Wie konnte es sein, dass in einer Villengegend - dazu noch zwischen Bauten der Architektur-Avantgarde - "ausnahmsweise" Wohnklötze mit 5 Stockwerken errichtet werden? Den amtlichen Segen hierzu gab ein Bebauungsplan vom Dezember 1969, der für das allgemeine Wohngebiet "als Ausnahme bis zu 5 Vollgeschosse" erlaubt, das hätte man wegen der "Bauabsichten der Eigentümer" verfügt.


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Man wollte "verkehrlich gut erschlossene Gebiete aus stadtwirtschaftlichen Gründen möglichst intensiv zu nutzen" wegen des "nicht vermehrbaren Baulandes", immerhin hatte man den "Hang zur Havel als Landschaftsschutzgebiet" von der Bebauung freigehalten.

Die Einwendungen eines Grundstücksnachbarn wurden mit dem Argument zurückgewiesen, "der neuzeitliche Städtebau erstrebt eine gestalterische Aufgliederung innerhalb der Baugebiete, insbesondere eine unterschiedliche Höhenentwicklung der einzelnen Gebäude". Nicht gestellt wurden die Fragen: Warum gerade hier? und: Die Bauabsichten eines Grundstückseigentümers reichen für so einen Eingriff?

Schildhorn
Der Spaziergang führt uns über den Havelhöhenweg und manchmal auch die Havelchaussee nach Schildhorn. Dabei kommen wir an der Britischen Schule vorbei, die mitten im Wald parallel zur Straße Am Postfenn eingerichtet wurde, nachdem die Britische Besatzungsmacht Berlin nach der Wende verlassen hatte. Man wollte den hier verbliebenen Briten den nationalen "Way of Life" erhalten, dazu gehört auch, dass jedes Kind während des Unterrichts und beim Sport eine Schuluniform trägt.

Gegenüber dem Postfenn liegt das Restaurantschiff "Alte Liebe", das am heutigen Tag natürlich wegen der Corona-Einschränkungen niemanden an Bord lässt. Nacheinander drei Liegeplätze hatte das Schiff: Lindwerder, Schildhorn und hier am Postfenn, dann brannte es in einer Werft ab. "Auf Bitten des Werftinhabers ließ die Feuerwehr das ausgediente Gefährt ausbrennen", es war zu marode geworden. Die heutige Alte Liebe ist eigentlich eine Neue Liebe. Auf ihr waren in Hamburg Millionen Passagiere bei Hafenrundfahrten und im Fährbetrieb nach Helgoland befördert worden, bevor sie ab 1970 zum Berliner Kaffeekahn wurde.

Mit dem Pferd durch die Havel
Bevor die Havelchaussee sich von der Havel entfernt und den Dachsberg umrundet, ragt Schildhorn als Landzunge 400 Meter weit in den Fluss hinein und bildet die Bucht Jürgenlanke. Schildhorn soll der Ort einer sagen-haften Rettung aus einer scheinbar ausweglosen Situation gewesen sein. Im Zuge der Ostkolonisation wurden die slawischen Ureinwohner nach und nach durch deutsche Einwanderer verdrängt. Der letzte Slawenfürst Jaczo von Köpenick kam auf der Flucht vor Albrecht dem Bären 1157 bis nach Gatow und flüchtete sich hier mit seinem Pferd in die Havel, weil er keinen anderen Ausweg sah. Sein dreiköpfiger Gott Triglav gab ihm keinen Beistand, da betete er den christlichen Gott seiner Verfolger an und versprach, für die Errettung zum christlichen Glauben zu konvertieren.

Ein Chronist berichtet: "Da schien es Jaczo, als fasste eine Hand den erhobenen Schild und hielte ihn über Wasser, so erreichten Pferd und Fürst schließlich das rettende Ufer der Landzunge". Aus Dankbarkeit wechselte Jaczo sofort den Glauben und hängte sein Schild und Horn an einen Baum, woraufhin dieser Ort Schildhorn geheißen wurde. Im Laufe ihrer mündlichen Überlieferung soll diese Begebenheit sich allerdings einigermaßen verändert haben, denn Jaczo war schon Christ, bevor er nach Gatow kam und das gegenüberliegende Ufer hieß auch schon vorher Schildhorn. Eine Säule erinnert auf Schildhorn an den Slawenfürsten, am Westufer der Havel hält der Jaczo-Turm die Erinnerung lebendig.

Für uns ist Schildhorn nicht das rettende Ufer, aber unsere letzte Station an der Havelchaussee. Bei unserem Spaziergang hatten wir im Auge behalten, dass der BVG-Bus uns nur einmal pro Stunde in die Stadt zurückbringen würde. Es fährt der Traditionsbus vor, der uns schon einmal am S-Bahnhof Wannsee abgeholt hatte. Mit Mundschutz und Abstand steigen wir in den ohnehin schwach besetzten Bus ein.
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Zur Britische Siedlung, dem Britischen Soldatenfriedhof und den Jüdischen Friedhof an der Heerstraße führt Sie dieser Bericht:
Ein waschechter Berliner Schotte
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Unsere Route:
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Ins rechte Licht setzen
Zuviel Kunst am Bau