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Zuviel Kunst am Bau


Stadtteil: Wilmersdorf
Bereich: Grunewald
Stadtplanaufruf: Berlin, Johannaplatz
Datum: 13. Juli 2020
Bericht Nr.:704

Zwischen Koenigsallee und Paulsborner Straße sind wir heute im östlichen Teil der Villenkolonie Grunewald unterwegs. Reichskanzler Otto von Bismarck als Spiritus Rector der Koloniegründung wird durch einen Schmuckplatz, eine Allee und eine Brücke geehrt. Die Bismarckallee führt zu einem weiteren Schmuckplatz, der den Vornamen von Bismarcks Frau Johanna trägt. Die vom Johannaplatz abgehende Herbertstraße ist nach Bismarcks ältestem Sohn benannt.

Eine weitaus heftigere Verehrung des Reichskanzlers durch Straßenbenennungen gibt es in Steglitz, dort knüpfen in einem Viertel die Namen von 15 Straßen und 2 Plätzen an das Leben und Wirken Bismarcks an, weshalb es zu Recht Bismarckviertel genannt wird.

Die Paulsborner Straße erzählt in ihrem Namen die Geschichte einer illegitimen Liebe: Friedrich der Große verwehrte es seinem Major Johann Georg von Born, eine von Nollendorf zu heiraten. Born ließ sich nicht in seiner Liebe beirren und zog mit der Angebeteten in eine Hütte am Grunewaldsee. Später verkaufte er das Grundstück an den Jagdzeugwärter Johann Paul, der dort ein Wirtshaus "Pauls Born" einrichtete und dafür wahrscheinlich die Fürsorge für Jagdgeräte aufgab.

Bismarckplatz
Am Bismarckplatz verbirgt sich das Standbild des Reichskanzlers mit Stock, Hut und Hund in einer Grünanlage. Es ist ein Nachguss, auch der alte Herr bestand aus kriegswichtigem Material und wurde daher im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen. Eine Wartehalle, deren Architektur an den Landhauscharakter angenähert ist, ist das älteste Bauwerk am Platz. Auch das Bootshaus am Hubertussee - eine kleine Blockhütte am Steilhang - ist "ein seltenes Bauwerk von Rang" aus der Frühzeit der Villenkolonie.

Umweltbundesamt
Auf trapezförmigem Grundstück wurde 1935 ein Gebäudekomplex für den Reichsarbeitsdienst errichtet. Vom Bismarckplatz ist das Gebäude zurückgesetzt, auch die Front betont den Abstand vom Platz, sie ist konkav gerundet. Die Dienstpflicht beim Reichsarbeitsdienst traf alle Jugendlichen (Mädchen erst ab 1939). Sie wurden nicht nur zu Bau- und Arbeitsmaßnahmen eingesetzt, der Dienst diente auch der paramilitärischen Ausbildung und der nationalsozialistischen Erziehung. Das Umweltbundesamt - dessen Hauptsitz inzwischen nach Dessau-Roßlau umgezogen ist - nutzt den Gebäudekomplex seit seiner Gründung 1974, zurzeit wird er saniert.

Erste Siedlungshäuser
Östlich der Hubertusallee wurde die Villenkolonie vom Bahnhof Halensee aus besiedelt, die Kunz-Buntschuh-Straße ist erst in der Nachkriegszeit durch den Bau der Stadtautobahn von der Friedrichsruher Straße und damit vom Bahnhofszugang getrennt worden. Zwei eigenwillige Landhäuser aus den Anfangsjahren - erbaut 1891 - sind in der Kunz-Buntschuh-Straße und der Humboldtstraße erhalten. Das erstgenannte mit reich dekorierten Klinkerfassaden und farbigen Baumaterialien: rote Steine, grüne Holzteile, braune Glasurklinker. Markant sind die kleinen Dächer über den Dachgauben und dem erhöhten Mittelteil des Hauses.

Ein asymmetrisches Haus in der Humboldtstraße Ecke Caspar-Theyß-Straße mit einem achteckigen Turm auf der einen und einem überdachten Baukörper an der anderen Seite, das Dach weit nach vorn überstehend, der hölzerne Giebel verziert und halbrund geöffnet ("gesprengt"). Ein volkstümlich-ländliches Gepräge, dem erst später die großzügigen Villen und Landhäuser der Wohlhabenden folgten.


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Kunst am Bau
Eine Ecke weiter an der Caspar-Theyß-Straße hatte sich der Bildhauer Otto Lessing 1898 ein "Ateliergebäude im norwegischen Stil" erbauen lassen. Nach dem Tod Lessings hat ein neuer Eigentümer 1918 das Atelierhaus abreißen und durch einen Neubau ersetzen lassen. Der Abrissantrag wurde damit begründet, dass "die mit Gipsplatten verkleideten und mit Ornamenten übersäten Fassaden in keiner Weise den Anforderungen des heutigen Geschmacks entsprechen."

Zuviel Kunst am Bau?
Der Historienmaler Carl Röhling hatte in der Caspar-Theyß-Straße 9 einen streng vertikal gegliederten Bau mit Pilastern (flachen Säulen) in Kolossalordnung (über mehrere Etagen) und Neorokoko-Dekor erbauen lassen. Das Geschoss im Mansarddach nutzte er als Atelier. In unseren Tagen ist weiterer Gebäudeschmuck hinzugekommen. Ornamente wurden vergoldet und auf dem Dach stehen seit kurzem mehrere Löwenfiguren, ein Krieger mit Schild und Speer, ein Instrumentenbläser und eine Art Wappen. Dem Giebel wurde ein Bild mit vier Personen vorgehängt, das eine Palast- oder Tempelszene zeigt. Diese Ergänzungen entsprechen dem Geschmack der deutsch-türkischen Immobilienfirma, die das Haus erworben hat, aber nicht den Intentionen des Denkmalamtes, das von Anwohnern darauf hingewiesen wurde. Auch wenn der Dachschmuck eine gewisse Komik hat, wird er wohl aus Denkmalschutzgründen verschwinden müssen.

Visionäre Verkehrsplanung
Der Eisenbahndirektor, Architekt und Verkehrsplaner Albert Sprickerhof hat bereits vor mehr als hundert Jahren bei den beiden Eisenbahnprojekten S 21 die Lösungen vorgeschlagen, die erst in unseren Tagen umgesetzt werden. Für den Stuttgarter Hauptbahnhof schlug er 1901 vor, den alten Sackbahnhof zur Durchgangsstation zu machen. Damals lehnte die Bahn empört ab. Gegenwärtig wird "Stuttgart 21" realisiert, wenn auch unter erheblichen Schwierigkeiten und Bürgerprotesten. Auch Berlin hat sein Bahnprojekt S 21: Die S-Bahn soll vom Ring über den Hauptbahnhof Richtung Süden geführt werden, und auch diese Verbindung hatte Sprickerhof 1910 vorgeschlagen, ohne dass sie damals berücksichtigt wurde.

Sprickerhof hatte im Vorfeld des Zusammenwachsens von Groß-Berlin vorgeschlagen, den Fernverkehr der Bahn vom Nahverkehr zu trennen und alle Berliner Bahn- und Verkehrsgesellschaften zu verschmelzen. Eine "Sozialisierung des Verkehrs", die längst verwirklicht wurde. Andererseits beschäftigte er sich mit Kolonialbahnen und 1917 in Zeiten des Ersten Weltkriegs mit "Mitteleuropäisch-türkischen Eisenbahnen für den Kampf gegen England". Sein eigenes Haus, die Villa Sprickerhof, baute er 1905 in der Paulsborner Straße nahe der Wangenheimstraße: Einen Kubus aus hellem Backstein mit Rundbogenfenstern und einem Eckturm.

Architekt Hermann Solf
Eine der ersten Bewohnerinnen der Villenkolonie Grunewald war die Königliche Kammersängerin Lilli Lehmann. Sie hätte eine Stimme "von außergewöhnlicher Schönheit", sei "hervorragend geschult, von "großer künstlerischer und darstellerischer Intelligenz sowie einem bestechenden Stilbewußtsein". Sie lebte mit ihrem Mann, einem Hofopernsänger, in der Herbertstraße in einer Villa, die der Architekt Hermann Solf entworfen hatte. Ungewöhnlich ist der zu Wohnzwecken genutzte lebhafte Dachaufbau mit Balkon und das mit hölzernem Dach verzierte Eingangsportal des Grundstücks.

Seine erste Villa hat Hermann Solf am Johannaplatz errichtet, einen vielgestaltigen Bau mit Renaissance-Elementen, Fensterrahmungen aus Naturstein, Staffelgiebel, Turmhelm. Die Fassade ist gegenwärtig zum größten Teil zugerankt. Hermann Solf hat zusammen mit seinem Partner Franz Wichards bedeutende Bauwerke in der Stadt geschaffen wie die Hochbahn-Station Hallesches Tor und das Patentamt in der Gitschiner Straße.


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Architekt Friedrich (Johann David Otto) Schulze
In der Lynarstraße hat der Geheime Regierungs- und Baurat Friedrich Schulze ein Doppelhaus als Villa errichtet. Das Haus hat einen malerischen Charakter mit Putzflächen, Ziegelrahmungen, Fachwerk und Erkervorbauten. Für die Residenzstadt hat Schulze den Preußischen Landtag und das Preußische Herrenhaus entworfen, die heute vom Berliner Abgeordnetenhaus (Landtag) und vom Bundesrat (Herrenhaus) genutzt werden.

Architekt Ludwig Otte
Das Hinweisschild mit dem feinen Jugendstilmotiv "Les Beaux Arts" (Die schönen Künste) steht in starkem Kontrast zu dem wuchtigen Bau der Villa Hoffmann an der Wangenheim- Ecke Paulsborner Straße. Der spätklassizistische Baukörper wird nahezu in gesamter Breite von einem Dreiecksgiebel überspannt. Zwei säulenbestandene Zugangshallen zur Straße und zur Seite, vasenbestandene Pfeiler und ein Kunstwerk im Vorgarten runden das Bild ab. Die Berliner Symphoniker haben ihre Geschäftsstelle hier im Haus, ein Dentallabor arbeitet hier und (natürlich) ein Künstleratelier ist hier zu finden.

Am Johannaplatz hatte der Architekt Otte die Villa Griebenow gebaut, von der heute nur noch das Pförtnerhaus und das Belvedere erhalten sind, ein "Auslug" mit gegen das Wetter geschützten Sitzplätzen. Der Prausenhof hinter den Mohrenkolonnaden, in dem das Justizministerium sitzt, ist ein weiteres Werk des Architekten Ludwig Otte.

Palais Mendelssohn
In der Herthastraße beeindruckt ein Landhaus im Fachwerkstil. Die beiden seitlichen Gebäudeteile sind vorgezogen, das Mittelteil zurückgesetzt. Ein roter Klinkerbau mit aufgesetzter streng geometrischer Fachwerketage im Dach. Doch der Eindruck täuscht, auch wenn hier heute Eigentumswohnungen sind: Es wurde nicht als Villa gebaut, sondern "nur" als Pferdestall, der zum Palais Mendelssohn gehörte. Auch das gegenüberliegende Fachwerkhaus ist nicht das Palais, sondern "nur" das Pförtnerhaus.


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Das größte Grundstück der Villenkolonie, zwischen Herthastraße, Königallee und Bismarckstraße gelegen, mit dem Herthasee als Privateigentum, hatten die Brüder Robert und Franz Mendelssohn in den 1880er Jahren erworben. Allein das Anwesen von Franz Mendelssohn war mit 23.000 Quadratmeter größer als der Lustgarten in Mitte. Das Haus war zweigeschossig und hatte pro Etage 700 Quadratmeter Grundfläche. Die Zweiflügelanlage ähnelte einem englischen Herrensitz, sie bestand aus einem Herrschaftsflügel und einem Wirtschaftsflügel mit Gästetrakt. Eine exquisite Gemäldesammlung gehörte zur Ausstattung des Hauses.

Robert und Franz waren die fünfte Generation der Mendelssohn-Familie, die auf Moses Mendelssohn zurückgeht. Um nach Berlin zu kommen, musste Moses Mendelssohn als 14-jähriger 1743 um die halbe Stadt herum laufen, weil Juden nur durch das Rosenthaler Tor der Stadtmauer eingelassen wurden. Er folgte seinem Lehrer, dem Oberrabbiner Fränkel, von Dessau nach Berlin. Der hochbegabte Talmudschüler Mendelssohn sprach bereits als Kind außer Jiddisch Hebräisch und Aramäisch, in Berlin lernte er Deutsch, Latein, Französisch und Englisch hinzu. Er arbeitete als Privatlehrer, später als Buchhalter und Geschäftsführer einer Seidenhandlung, übersetzte die Hebräische Bibel ins Deutsche und war als Philosoph und liberaler Vordenker hoch geachtet.

Seine Söhne begründeten 1795 das Bankhaus Mendelssohn & Co, das den folgenden Generationen zunehmend Wohlstand und wirtschaftspolitischen Einfluss einbrachte. In der fünften Generation wurden Robert und Franz Mendelssohn - geboren 1857 und 1865 - Teilhaber des Bankhauses. Sie gehörten zur Hochfinanz, in der Gründerzeit nach der Reichsgründung 1871 müssen sie unermesslich reich geworden sein, wie der Kauf der Grundstücke in der Villenkolonie Grunewald zeigt. Sie verhielten sich staatstragend, Franz (der seinen 1917 gestorbenen Bruder überlebte) war in der Monarchie ein Patriot und in der Weimarer Republik ein loyaler Wirtschaftsführer, schreibt die Familienchronik.

Bereits bei dem Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy zeigte sich die musikalische Begabung, die in der Familie mehrfach auftrat. Die beiden Bänker waren ebenfalls ungewöhnlich musikalisch. Franz Mendelssohn war ein begabter Geiger, Robert ein hervorragender Cellist. Bei Wohltätigkeitskonzerten in ihrem Palais traten die Mendelssohns mit professionellen Musikern auf. Auch Yehudi Menuhin war hier zu Gast. Das Palais Mendelssohn hatte einen Konzertsaal mit Bühne und Platz für 400 Zuhörer. Gern erwähnt wird ein Konzert mit Albert Einstein als Geiger und den Berliner Philharmonikern. In diesem Zentrum des kulturellen Lebens mit seinen Empfängen und Soireen waren auch Max Planck und Kaiser Wilhelm II. zu Gast. Dessen kaiserlicher Vorgänger hatte 1888 die Mendelssohns geadelt.

Im Palais Mendelssohn gab es eine Grundschule, die nicht nur der Familie vorbehalten war. Auch Nachbarskinder wurden hier unterrichtet. Bald nach Franz Mendelssohns Tod musste 1935 das Palais geräumt werden. Die Deutsche Reichspost richtete ein Gästehaus ein. 1943 wurde das Haus durch eine Bombe schwer beschädigt. Trotzdem installierte die Gestapo im Keller eine Abhöranlage für Telefongespräche. In der Nachkriegszeit kaufte das Johannische Aufbauwerk das Grundstück, ließ die Ruine abreißen und Neubauten für das St. Michaelsheim errichten - die Zeit für das Mendelssohn-Palais war endgültig abgelaufen. Auch die Villa von Robert Mendelssohn ist nicht mehr vorhanden, lediglich das Parkportal steht noch an der Herthastraße.

Die bunten Vögel
Die beiden Kinder von Robert Mendelssohn, der noch vor Ende des Ersten Weltkriegs gestorben war, waren in den Zwanziger Jahren die bunten Vögel der Mendelssohn-Familie. Eleonora war Schauspielerin, Francesco Theaterregisseur, aber hauptsächlich lebten sie jenseits der Normalität, trieben das Leben auf die Spitze. Francesco, "von bestrickender Anmut und Eleganz, war ein bezaubernder Schwerenöter im Reich der Homosexualität". Er fuhr ein weißes Cabrio mit roten Kotflügeln und hermelinbezogen Sitzen. Eleonora, umgeben von "einem Flor von Schwermut, einem Hauch von tragischer Einsamkeit", war vier Mal verheiratet und meist unglücklich verliebt. Vertreter aus Kunst, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wie Marlene Dietrich, Fritzi Massary, Vladimir Horowitz, Alfred Polgar, Bert Brecht feierten in der Grunewald-Villa mit den "schrillsten Nachtvögeln Berlins". Doch dieses Leben hatte seinen Preis. Aus ihrer Heimat durch die Nazis vertrieben, wurde sie morphiumsüchtig und ihr Bruder alkoholkrank, der Glanz hatte ihr Leben verlassen.



Für unser Flaniermahl wollen wir den Italiener an der Paulsborner Straße Ecke Hubertusallee aufsuchen. Doch der hat Sommerpause, damit die Angestellten "nach dieser Zeit" Italien besuchen können. So verschlägt es uns zur Westfälischen Straße zu einer Osteria, die uns bereitwillig aufnimmt, einen Außenplatz für uns schafft und uns mit Wein und Pasta gut bedient.
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Unsere Route:
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Traumlandschaft über dem Stößensee
Auf dem Holzweg