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Der Rollmops passt nicht ins Aquarium


Stadtteil: Zehlendorf
Bereich: Amerikanische Siedlung Hüttenweg
Stadtplanaufruf: Berlin, Saargemünder Straße
Datum: 9. September 2012

Bis zur Wende konnte man in Berlin im Radio hören, wie die Systeme Ost und West miteinander ringen. "Der Rollmops passt nicht ins Aquarium ... (aber) wir passen gut zusammen, und nicht nur äußerlich", solche Songs spielte der (Ost-)Berliner Rundfunk. "Stimme der DDR" brachte eine Mischung aus Propaganda und Unterhaltung, "Jugendstudio DT 64" versuchte die Kids vom Abwandern zu den Westsendern abzuhalten. West-Berlin hatte den SFB (Sender Freies Berlin) als öffentlich-rechtliches Programm und zwei amerikanische Sender: den RIAS ("Eine freie Stimme der freien Welt") als deutschsprachiges Programm und den amerikanischsprachigen AFN als Soldatensender. Die Engländer hatten den British Forces Broadcasting Service (BFBS), frankophile Zuhörer konnten den Soldatensender "Radio Forces Françaises de Berlin (FFB)" einschalten.

Mittags um zwölf erklang im RIAS („Rundfunk im amerikanischen Sektor“) die von Amerika gestiftete Freiheitsglocke im Rathaus Schöneberg, und eine martialische Stimme gelobte, "jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten mögen". Der AFN ("American Forces Network") war eigentlich eingerichtet worden, um die amerikanischen Militärangehörigen mit ihrem Heimatland zu verbinden. Zu Anfang hatten seine Anlagen zusätzlich eine lebenswichtige Funktion, seine Sendetürme halfen den Piloten der Rosinenbomber während der Luftbrücke bei der Peilung. Er entwickelte sich dann schnell zum Favoriten derjenigen Berliner, die für den American Way of Life schwärmten. Mit viel Musik, Radioshows, Interviews und lockerer Moderation stand er für das Lebensgefühl jenseits des großen Teiches.

Mit der Wende endete die Konfrontation, die gegensätzlichen Sender änderten ihr Programm oder wurden eingestellt. Auch der AFN sendet nicht mehr aus der Saargemünder Straße, Gebäude und Sendeanlagen wurden abgebrochen. Und das Amerikanische Hauptquartier um die Ecke an der Clayallee wird nicht mehr gebraucht, nur die Konsularabteilung der Botschaft ist in einem Gebäudekomplex geblieben, weil im Neubau am Pariser Platz zuwenig Raum ist. Die übrigen Bauten sollen in Wohnungen umgewandelt werden, ein Investor ist bereits am Zuge. „The Metropolitan Gardens“ haben den einzelnen Bereichen englische Namen gegeben, "Courtyard", "Southside Deck" und "Rooftop Deck" klingen einfach gut, und die Dachschräge im obersten Geschoss wird mit "Dubai Suite" versüßt.

Die Bauten an der Clayallee wurden einst für die Reichsluftwaffe im Dritten Reich errichtet. Das Luftgaukommando III bereitete hier die Wiederaufrüstung des Deutschen Reichs vor dem Zweiten Weltkrieg vor. Der Militärkomplex besteht aus zweigeschossigen Bauten mit Natursteinverkleidungen auf einem parkartigen Areal. Von dem Haupttor an der Clayallee führt eine Sichtachse zum zentralen Kommandogebäude, das damals mit einem mächtigen bronzenen Reichsadler geschmückt war. Nur noch auf den beiden Eingangsgebäuden stehen je zwei Adler auf dem Gesims, die keine amerikanischen Weißkopfseeadler, sondern Reichsadler aus der Bauzeit sind, die aus irgendeinem Grund auch bei den Amerikanischen Militärs Bleiberecht bekamen.

Hier zog nach Kriegsende das Amerikanische Hauptquartier ein, von hier sorgte der Stadtkommandant Lucius D. Clay 1948/1949 während der Berlin-Blockade durch die Luftbrücke für das Überleben West-Berlins und 1961 nach dem Mauerbau für die weitere Existenz der Exklave Steinstücken (--> 1). Filme wie "Operation Walküre" mit Tom Cruise und "Inglorious Bastards" mit Brad Pitt wurden nach der Wende auf dem ehemaligen Militärgelände gedreht.

Auch auf der gegenüber liegenden Seite der Clayallee wird gebaut. Hier stand das Truman Plaza, das Einkaufscenter für die "Housing Area", die amerikanische Siedlung. Der Einkauf war hier umsatzsteuerfrei, deshalb wurde der Zutritt nur Militärangehörigen gestattet, auch wenn Deutsche sich nach einem Parka oder anderen amerikanischen Kultgegenständen aus dem PX sehnten. An diesem Platz entsteht jetzt um einen künstlichen See die "Fünf Morgen Dahlem Urban Village" (welch ein Wort-Ungetüm). Auch das traditionelle Amerikanische Volksfest musste umziehen. Hier werden Villen und Apartments gebaut, aber auch ein Einkaufszentrum mit 2.500 qm Handelsfläche, das weit über die Nahversorgung hinausgeht und deshalb den Protest der Händler von Dahlem-Dorf bis Onkel Toms Hütte hervorruft.

Im Rahmen des Denkmaltages 2012 hat das Alliierte Museum - das im ehemaligen amerikanischen Kino „Outpost“ eingerichtet wurde - zur Besichtigung und zu einem Stadtrundgang durch die ehemalige Housing Area der US-Army am Hüttenweg eingeladen. Das Kino "Outpost" - man kann es vom Namen ableiten - war der kulturelle "Vorposten" der Amerikaner. In den 1950er Jahren wurde es - wie sein kleiner Bruder, das „Columbia“ am Flughafen Tempelhof - von amerikanischen Architekten gebaut. Mit seinen geschwungenen, fließenden Formen scheint es an Kinobauten der 1920er Jahre wie das Universum von Mendelsohn (heute Schaubühne --> 2) anzuschließen und hebt sich damit von den zeitgenössischen Kinobauten in Berlin ab. In West-Berlin wurde 1956 das MGM am Kudamm gebaut (und 1977 wieder abgerissen), der Zoo-Palast an der Gedächtniskirche entstand 1957 als Bau der Nachkriegsmoderne, Ost-Berlin errichtete das Kino International (1963) und das Kosmos (1962) an der Karl-Marx-Allee. In der Musik wird die Verbindung der Töne mit einem Bild als Programmmusik bezeichnet, auch die Architektur greift gern auf Bilder zurück wie beispielsweise die Schiffsarchitektur (--> 3). Beim "Outpost" kann man die seitlichen halbrunden Ausbuchtungen des Gebäudes und den dazwischen zurückweichenden Eingangsbereich als Filmrollen und Filmband ansehen, die schwarze Farbe des Eingangs unterstützt diese Deutung.

Der Weg zur Amerikanischen Siedlung führt an zwei Denkmalen vorbei, beide stehen an der Clayallee. Die Freude über die gefallene Mauer animierte eine amerikanische Bildhauerin dazu, eine Gruppe von Pferden über die halb zerstörte Mauer galoppieren zu lassen. Ein bisschen Feminismus hat sie mit eingebaut: die Stuten sind gemeinsam als Gruppe vorneweg, der einzige Hengst springt allein über ein eigenes Mauerstück. An der Ecke Hüttenweg steht ein Herr auf einem Sockel, den man von hinten betrachtet mit seinem weiten Umhang für eine Sandeman-Sherry-Werbung halten könnte. Tatsächlich handelt es sich um den Baron von Steuben, der zunächst als preußischer Offizier, später als US-General eine ungewöhnliche Militärkarriere absolvierte, noch heute ehrt ihn New York jährlich im September mit der Steuben-Parade.

Nach Kriegsende hatten sich die Amerikaner zunächst notwendigen Wohnraum für ihr Militär durch Beschlagnahme von Villen und Häusern beschafft, dann begann die Besiedlung des 1953 verlängerten Hüttenwegs mit Wohnblocks, Schule, Kindergarten, Kirche, Sportanlagen, die "Berlin Brigade Housing Area" entstand. Weitere Housing Areas folgten in Düppel (--> 4), an der Sundgauer Straße, Pücklerstraße, Garystraße und Baseler Straße. Die Wohnanlage Hüttenweg/Clayallee war die größte Siedlung, hier entstanden 51 Wohnhäuser mit 1212 Wohnungen in aufgelockerter Bauweise, die nach der Wende stark verdichtet worden ist. Auf dem Weg zur United States Army Chapel am Hüttenweg - einer "Simultankirche" für Christen beider Konfessionen und für Juden - kommt man an der TAR-Schule vorbei. Aus den Anfangsbuchstaben des Namensgebers Thomas A. Roberts wurde das Schulmotto "Togetherness, Achievement, Responsibility" (Zusammengehörigkeit, Leistung, Verantwortung) gebildet, das die Kinder auch beim täglichen Fahnenappell vor Augen hatten.

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(1) Steinstücken: Merkwürdige Grenzverläufe
(2) Mendelsohn Schaubühne: Aufgesperrtes Maul
(3) Schiffsarchitektur: Häuser wie Ozeandampfer
(4) Düppel: Stammbahn nach Düppel


Stammbahn nach Düppel
Heilstätten ohne Zukunft