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Die Hand zum Schwur erhoben


Stadtteil: Marzahn
Bereich: Parkfriedhof, Gewerbepark
Stadtplanaufruf: Berlin, Georg-Knorr-Straße
Datum: 7. September 2015
Bericht Nr.: 521

Am Beginn des Hauptweges auf dem Parkfriedhof Marzahn steht eine wuchtige Skulptur, eine "Schwurhand". Wem fällt zu "Schwurhand" nicht gleich der frühere Innenminister Zimmermann von der CSU ein, der dabei ertappt wurde, als er einen Meineid leistete? Er sei bei dem Eid "geistig vermindert leistungsfähig" gewesen, befand das Revisionsgericht, dadurch kam er von der Verurteilung frei. Die Bundesrepublik machte sich nichts daraus, einen Innenminister zu haben, der manchmal geistig nicht ganz da ist, aber die Bürger verpassten ihm den Kosenamen "Old Schwurhand". Doch das war nicht der einzige Nachkriegs-Innenminister, der Schwierigkeiten mit Gesetz und Recht hatte. Hermann Höcherl blieb nach einem Bruch des Telefongeheimnisses durch den Verfassungsschutz mit der Aussage in Erinnerung, "die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen". Auch Innenminister Werner Maihofer hatte seine Lauschaffäre und stand manchmal dem Verfassungsschutz näher als dem Grundgesetz.

Innenminister Manfred Kanther wandte das Gesetz mit voller Härte gegen andere an ("law and order"), was ihn nicht hinderte, selbst 20 Mio. Mark in schwarze Kassen der CDU in der Schweiz zu verschieben. Innenminister Otto Schily ließ die Redaktionsräume des "Cicero" - eines Magazin für politische Kultur - wegen angeblichen Geheimnisverrats durchsuchen, er hatte aus der SPIEGEL-Affäre nichts gelernt. Wolfgang Schäuble wurde sogar zum zweiten Mal Innenminister, obwohl er von einem Waffenlobbyisten eine hohe Spende für die CDU in bar in Empfang genommen hatte. Wo diese Spende geblieben ist, wurde nie geklärt. Auch Thomas de Maizière wurde zweimal Innenminister und hat eine Affäre mit dem Nachrichtendienst. Daran haben wir uns jetzt schon so gewöhnt, dass es kaum noch einen stört.

Gab es denn keinen aufrechten Innenminister? Doch, der erste, Gustav Heinemann, er trat wegen der Wiederbewaffnung 1950 aus Gewissensgründen zurück. Und Innenminister Ernst Benda, der zwar wegen der Notstandsgesetze von der Außerparlamentarischen Opposition angegriffen wurde, man skandierte "Benda, wir kommen alle aus dem Osten, wir werden alle von Ulbricht bezahlt". Dann wurde er aber als Präsident des Bundesverfassungsgerichts der geachtete oberste Schützer der Verfassung. Und dann noch Innenminister Gerhart Baum, der sich bis heute - jetzt als Rechtsanwalt - für den Schutz der Bürgerrechte einsetzt. Die kürzeste Amtszeit hatte Jürgen Schmude, er war nur 14 Tage lang Innenminister, dann wurde die sozialliberale Koalition durch das Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt beendet.

Wenden wir uns wieder dem Parkfriedhof zu. Die Schwurhand - entstanden 1952 - soll laut Inschrift an die Bombenopfer des Zweiten Weltkriegs erinnern. Die DDR beschwor mit diesem Symbol gern die "Fortführung des Kampfes der Arbeiterklasse gegen den Faschismus", dem wohl auch die Bombenopfer zugeschrieben wurden. Auch mit diesem Wissen bleibt für uns die Schwurhand auf dem Friedhof befremdlich.

Als ehemaliger Armenfriedhof hat dieser Marzahner Friedhof keine historischen Erbbegräbnisse. Das besondere sind die zehn(!) Gedenkstätten, die sich auf dem Friedhofsgelände verteilen. Da sind wie auf anderen Begräbnisplätzen Gräber der Opfer beider Weltkriege und zusätzlich ein Gedenkstein für die italienischen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg an der Seite der Alliierten gekämpft haben. Nach der Wende hatte die italienische Botschaft dieses Gedenken angeregt. Ebenfalls nach der Wende wurde ein Gedenkstein für die Sinti und Roma aufgestellt, die nördlich des Friedhofs in einem "Zigeunerlager" leben mussten. Im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 wurde die Reichshauptstadt "zigeunerfrei" gemacht, indem man Hunderte Sinti und Roma in Baracken auf einem ehemaligen Rieselfeld nördlich des Friedhofs zusammenpferchte. Nur wenige überlebten Krankheit, Hunger und die Deportation in Konzentrationslager.

Im Jahr 2004 wurden zwei Erinnerungsorte für Zwangsarbeiter auf dem Friedhof geschaffen: Ein Gedenkstein für 20 polnische Zwangsarbeiterinnen nahe dem hinteren Eingang. Und eine Stele zur Erinnerung an die 1.400 Zwangsarbeiter aus Berlin und dem Umland, die hier auf dem Marzahner Friedhof bestattet sind. Rund 400.000 Zwangsarbeiter waren in Berlin beschäftigt, knapp 30 Zwangsarbeiterlager gab es allein hier im Bezirk.



Zwangsarbeiter, die den Krieg überlebt hatten, wurden zunächst als "Displaced Persons“ in Lagern gesammelt wie dem "Düppel-Center" in Zehlendorf, bevor sie in ihre Heimat zurückkehren konnten. Die DDR hatte ein Zwangsarbeiter-Denkmal geschaffen mit der befremdlichen Bezeichnung "für die Opfer der Vereinten Nationen“, das aber 1990 abgetragen wurde.

Ein weiteres Denkmal, das erst nach der Wende möglich wurde, ist der 2002 eingeweihte Erinnerungsstein für Opfer des Stalinismus, genauer gesagt für die Vertreibung der Russlanddeutschen aus ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten durch Stalin. Es schafft einen Kontrapunkt zu dem Sowjetischer Ehrenfriedhof am anderen Ende des Parkfriedhofs, der von demselben Bildhauer wie die Schwurhand gestaltet wurde. Eine symmetrische Anlage, im Zentrum steht ein Obelisk mit dem Sowjetstern. Mehr als 400 Soldaten der Sowjetarmee sind hier beigesetzt. Neben den Ehrenmalen in Treptow, Wilhelmsruh und Tiergarten ist das die kleinste Gedenkstätte für die Rote Armee in Berlin.

Die einseitige Ausrichtung des Gedenkens in der DDR auf Antifaschisten wird auch auf dem Parkfriedhof Marzahn sichtbar. Hier wie auf dem Sozialistenfriedhof Friedrichsfelde wird der "Roten Matrosen" gedacht, die im Zusammenhang mit dem Spartakusaufstand (Märzaufstand) 1919 in Lichtenberg erschossen wurden. Die Ehrengräber in Marzahn hat die DDR allerdings erst posthum geschaffen, und auch eine Gedenkstätte für Antifaschisten - ein Urnenfeld - hat sie eingerichtet. Hier zelebriert die Partei "Die Linke" auch 2015 am Tag der Kapitulation - nach Moskauer Zeitrechnung der 9. und nicht der 8.Mai 1945 - den Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus an dem "Gedenkstein für die Opfer des Faschismus".

Wenn Sie auf dem Parkfriedhof Marzahn am Grab von Günter Bröhl stehen, dann ahnen Sie wahrscheinlich nicht, dass hier der Kanzlerspion Günter Guillaume beerdigt ist, der Willy Brandt ausgeforscht hat, woraufhin Brandt zurücktrat. Guillaume hatte nach der Rückkehr in die DDR und zerbrochener Ehe noch einmal geheiratet und dabei den Familiennamen seiner Frau angenommen, damit wurde er einigermaßen unsichtbar.

Abschließend noch eine Bemerkung zu den kollektiven Bestattungen, die inzwischen auf fast allen Friedhöfen zu finden sind. Anders als bei anonymen Grabfeldern werden bei Gemeinschaftsgräbern die Namen der Toten genannt, ohne dass die genaue Lage im Grabfeld bekannt ist. Hier in Marzahn können sich Ehepartner, die noch leben, mit eintragen lassen und finden dann später zwar nicht an der Seite, aber unter demselben Rasen wie ihre Vorverstorbenen ihren letzten Ruheplatz.

Westlich vom Friedhof liegt das größte Gewerbeareal Berlins, die Eastside, die von der Herzbergstraße und Josef-Orlopp-Straße in Lichtenberg bis zur Landsberger Allee in Marzahn reicht. Zu diesem riesigen Konglomerat von Industrie, Gewerbe und Dienstleistungsbetrieben gehört der Gewerbepark Knorr-Bremse, dem sogar eine eigene Straße gewidmet wurde, die Georg-Knorr-Straße. Der Fabrikkomplex in Backsteinoptik zeigt Anklänge an die Neue Sachlichkeit mit einem Stich ins Gigantische, und richtig, das Ensemble gehört zu den Germania-Planungen von Hitlers "Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt" Albert Speer.



Eine „Oststadt“ sollte im Raum Marzahn, Hellersdorf, Hönow und Ahrensfelde entstehen mit Wohnungen für fast eine halbe Million Einwohner und einem Industriegebiet nördlich der Landsberger Allee. Die heutige "Eastside" ist vielleicht ein gedanklicher Ableger der Speerschen Oststadt. Als erstes Industrieprojekt wurde 1942 die damals größte Werkhalle Europas für die Knorr-Bremse AG und ihr Tochterunternehmen Hasse & Wrede fertig gestellt, dann war es kriegsbedingt mit der Industrieansiedlung vorbei.

Das Unternehmen berichtet heute stolz auf seiner Homepage, dass es über das Know-how verfügt, einen 300 km/h fahrenden Hochgeschwindigkeitszug perfekt zu bremsen und dass es die in Berlin verbliebenen 500 Arbeitsplätze erhalten will. Eine gewaltige zeitliche Lücke hat der Internetauftritt dagegen in der Berliner Firmengeschichte, nach der Weimarer Republik folgt gleich die Nachkriegszeit. Tatsächlich war der ausgesparte Zeitraum alles andere als ereignislos. Während der Nazizeit wurde mit Speers Protektion der Fabrikbau realisiert, und nebenan auf dem Friedhof sind Zwangsarbeiter beerdigt, die - in der Produktion von Knorr-Bremse eingesetzt - in einem an die Fabrik angeschlossenen Zwangsarbeiterlager gefangen gehalten wurden. Die Verantwortung für nachhaltiges Wirtschaften ("Corporate Responsibility") stellt Knorr-Bremse groß heraus, den schwarzen Flecken in der Firmengeschichte hat man sich dagegen noch nicht gestellt.

An der Landsberger Allee üben mehr als 200 Bands in einem abgeschieden stehenden Plattenbau, der früher dem Film- und Tonträgerhersteller ORWO gehörte. Hier können sie bis in die Nacht hinein ihre Musik dröhnen lassen, ohne dass es jemanden stört. Es soll das größte Musikerhaus Europas sein, dem der Bezirk mit der Benennung der anliegenden Straße in "Frank-Zappa-Straße" ein originelles Geschenk gemacht hat.

Das moderne Umspannwerk Marzahn nebenan lehnt sich mit seiner Fassadengestaltung an das historische Umspannwerk Scharnhorst von Hans-Heinrich-Müller an. Dreieckigen Pfeiler werden aus der Fassade herausgefaltet, weitere farbige Elemente nehmen diese Form auf. Unterirdisch sind die Umspannwerke in Spandau, Mitte, Friedrichshain und Marzahn durch eine Erdleitung mit dem Kraftwerk Reuter verbunden.



Diese Transversale (von lat. querliegend, entsprechend ihrem Verlauf im Stadtgebiet) leitet Strom mit einer Spannung von 380.000 Volt durch die Stadt. Das Kabel ist in einem Tunnel verlegt, der streckenweise 30 Meter tief liegt, begehbar ist und mit einer Einschienen-Hängebahn befahren werden kann. Von Marzahn aus ins Umland wird der Strom durch eine Freileitung weiter verteilt.

Die Landsberger Allee ist hier eine viel befahrene Schnellstraße, die eher nicht zum Flanieren einlädt. Aber nur hier können wir auf unserem Weg westwärts das ausgedehnte Eisenbahngelände überwinden. Unten verläuft der Güteraußenring, jene Umgehungsbahn, die die DDR in den 1950er Jahren gebaut hat, um nicht durch West-Berlin fahren zu müssen. Nördlich der Brücke liegt der Güterbahnhof Berlin-Nordost. Von hier aus hatte die Bahn einen Anschluss an den Magerviehhof und eine Verbindung zur Industriebahn Tegel-Friedrichsfelde.

Das Gebiet an der Marzahner Straße, in dem bis zu ihrem Abriss die Bauakademie der DDR stand, erreichen wir heute nicht mehr. Dafür kommen wir noch in die Siedlung an der Dingelstädter Straße, die von der "Baugenossenschaft für die kinderreiche Familie" erbaut wurde. Es handelt sich nicht um Baublocks, sondern um Ein- und Mehrfamilienhäuser, die aufgelockert im Grünen stehen. In den 1920er Jahren wurden zuerst Dreieinhalbzimmerwohnungen gebaut, später auch kleine ab eineinhalb Zimmern. Den Spitznamen "Klein-Moskau" bekam die Siedlung 1927, als in der Genossenschaft SPD- und KPD-Mitglieder um den Führungsanspruch kämpften. Die Kommunisten setzten sich durch, Klein-Moskau war geboren.

Auf dem Dach des höchsten Gebäudes von Marzahn hat der Eigentümer 2008 sein Logo aus fünf Meter hohen Buchstaben angebracht. Doch statt "COMER GROUP" steht jetzt nur noch "CO_ER G_OUP" in hundert Meter Höhe. Muss man an der Landsberger Allee Ecke Rhinstraße befürchten, dass hier irgendwann Buchstaben vom Himmel fallen?



Die deutsche Geschäftsleitung des britischen Investors sitzt hier in diesem Hochhaus, die werden doch ein Auge drauf haben? Vielleicht fahren aber die Verantwortlichen mit dem Auto ins Parkhaus und dann mit dem Fahrstuhl in die Chefetage, so dass sie nie an ihrem Haus nach oben schauen. Es würden immer mehr Mieter aus der "Geister-Pyramide von Marzahn" fliehen, schrieb der Berliner Kurier vor Jahren, aber da ging es um die Schwierigkeiten der Vermietung und nicht um Buchstaben auf dem Dach.

Im Mai 2007 kletterte der Höhenrettungsdienst der Berliner Feuerwehr an dem Gebäude, durch diese Übung zusammen mit polnischen Höhenrettern beherrscht die Feuerwehr das Abseilen an dem Hochhaus. Und auch zu Fuß ist die Pyramide bezwungen worden. Treppenläufer haben hier schon mehrfach Wettbewerbe veranstaltet, um mit Ausdauer und Schnelligkeit die 22 Etagen zu überwinden. Ähnliches hatten wir bei einem früheren Rundgang aus dem "Ideal"-Hochhaus in der Gropiusstadt berichtet.

Am Mariendorfer Weg zerfällt ein ehemaliges Kinderkrankenhaus. Die 1917 eingeweihte Hebammenlehranstalt und Frauenklinik steht seit 10 Jahren leer. Vor sieben Jahren kaufte es dieselbe Immobiliengesellschaft, der auch die Pyramide gehört, und noch ist nicht abzusehen, ob die Gebäude zur Ruine werden, bevor Baumaßnahmen einsetzen.

Zum Flaniermahl kehren wir zum Rathaus Marzahn am Springpfuhl zurück. Bei dem Griechen dort am Platz wird man spendabel mit einem Ouzu begrüßt und mit noch einem verabschiedet. Aber wir sind vor allem wegen des Essens hergekommen und mit dem sind wir sehr zufrieden.

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route
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Plattenbau in Handarbeit
Der glücklose Bildhauer