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Brauereibesichtigung


Stadtteil: Friedrichshain
Bereich: Friedenstraße
Stadtplanaufruf: Berlin, Pufendorfstraße
Datum: 15. April 2019 (Update zu 5. Januar 2009)

Vor einem Monat waren wir auf der Linienstraße entlang der ehemaligen Zollmauer (Akzisemauer) zwischen den Stadttoren Oranienburger und Schönhauser unterwegs. Dass wir heute dem weiteren Verlauf der Akzisemauer an der Friedenstraße in Friedrichshain folgen, wird aus dem Stadtplan nicht deutlich, weil die Stadttore Königstor und Landsberger Tor dort nicht mehr verzeichnet sind. Der Name Frankfurter Tor wird zwar in der Stalinallee (Karl-Marx-Allee) für zwei Kopfbauten verwendet, sie stehen aber nicht am historischen Ort. So muss es erst der Vergleich der Stadtpläne zeigen, dass die Friedenstraße die nordöstliche Stadtgrenze war.

Schaurig: Ein Massengrab!
Wie hilfreich ein Blick in alte Stadtpläne sein kann, zeigt folgender Fall: "Mitten in einem Familien-Kiez wurde ein Massengrab entdeckt", meldete die Berliner Zeitung erschreckt. "Berlin zeigt sich von seiner schaurigsten Seite". Wo 600 Neubauwohnungen entstehen sollen an der Friedenstraße, "säumen Tausende menschliche Skelette die Erde". Der Investor hat "Leichen im Keller gefunden".

Wenn die Planer in alte Stadtpläne geschaut hätten, hätten sie diesen Fund voraussehen können, denn der Friedhof war in den Plänen eingezeichnet. Bei Prof. Cramer von der Technischen Universität Berlin - Bau- und Stadtbaugeschichte - lernten angehende Architekten im ersten Semester den Blick in historische Stadtpläne, doch immer wieder gibt es in Berlin Beispiele vermeidbarer Überraschungen. Hätte man sich nur ausreichend über den Baugrund informiert, bevor man mit dem Bauen anfängt!

Seit 1717 waren Bestattungen innerhalb der Stadtmauern aus hygienischen Gründen verboten, und die Flächen waren so auszuwählen, dass das Grundwasser tief genug lag. An der Friedenstraße entstanden 1838 bzw. 1848 außerhalb der Stadtmauer zwei kirchliche Friedhöfe nebeneinander. Nördlich angrenzend bis zur Pufendorfstraße hatte die Stadt bereits um 1800 einen Begräbnisplatz für Choleraopfer angelegt, der später zum Armenfriedhof wurde. 1881 wurde das Gelände des Armenfriedhofs verkauft und zur Bebauung freigegeben.

Die Auferstehungskirche und das Böhmische Brauhaus sind auf dem ehemaligen Friedhofsgelände erbaut worden. Am Böhmischen Brauhaus soll jetzt ein neues Stadtquartier entstehen, "ein Beispiel gelungener kooperativer Baulandentwicklung zwischen landeseigenen Wohnungsunternehmen und privaten Investoren", wie man einer Sprechblase unserer Senatsbaudirektorin Regula Lüscher entnehmen konnte. Stattdessen buddelten an der Pufendorfstraße Archäologen die Skelette aus dem Armenfriedhof aus. Beauftragt wurde ein Privatunternehmen, das die räumliche Dokumentation der Ausgrabungen mit moderner Technik beherrscht.

Georgen-Parochial- und St. Petri-Friedhof
Südlich des ehemaligen Armenfriedhofs sind die beiden kirchlichen Friedhöfe Georgen-Parochial und St.-Petri miteinander verbunden und von der Friedenstraße aus zugänglich. Von der Landsberger Allee hinter der Brauerei an der Richard-Sorge-Straße grenzt ein weiterer Friedhof der Georgen-Parochial-Gemeinde an, der uns bei einem früheren Spaziergang über den "Biermord" nachdenken ließ. Auch auf dem heute besuchten Friedhofsteil stoßen wir auf das Thema Bier. Hier steht das Mausoleum von Adolph Roesicke, der die Expansion der Schultheiss-Brauerei zu einer der bedeutendsten Brauereien Europas einleitete.

Schultheiss-Brauerei
Dabei wirken die Anfangsjahre von Schultheiss nicht sehr professionell. Ein Apotheker gründete die Brauerei, ein Hut- und Schirmfabrikant gab ihr seinen Namen, ein Wäschereibesitzer führte sie zum Erfolg.

Im Keller seiner Apotheke in der Neuen Jakobstraße hatte der Apotheker Prell ab 1842 Bier gebraut und ausgeschenkt. 11 Jahre später kaufte ihm 1853 der Hut- und Schirmfabrikant Jobst Schultheiss die Brauerei ab und gab ihr seinen Namen. Der Betrieb lief so gut, dass er einen neuen Standort - auf dem Grundstück der heutigen Kulturbrauerei - einrichtete. Wieder waren es 11 Jahre, bis die Brauerei wegen seiner schweren Erkrankung in neue Hände überging. Der Wäschereibesitzer Adolf Roesicke, vor dessen Mausoleum wir in der Friedenstraße stehen, hatte doppelt solange Zeit - 22 Jahre -, um die Schultheiss-Brauerei in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln und den Standort an der Kulturbrauerei auszubauen. Franz Schwechten entwarf die Gebäude für die Schulheiss-Brauerei. Auch das Mausoleum ist sein Werk. Und die Entwicklung ging weiter: 1920 ließ die Fusion von Schultheiss mit der Patzenhofer-Brauerei eine der bedeutendsten Brauereien Europas entstehen.

Nach diesem gedanklichen Ausflug vom Mausoleum Adolph Roesicke auf dem Friedhof Friedenstraße zur Schultheiss-Brauerei (Kulturbrauerei) in der Schönhauser Allee kommen wir zurück zur Friedenstraße, denn dort wurde auch Bier gebraut.

Alte Mälzerei des Böhmischen Brauhauses
An der Friedenstraße nutzt die Alte Mälzerei geschickt einen Geländesprung von zehn Metern im Verlauf des Urstromtals für ihre Produktionsanlagen. Zur Friedenstraße hat das Gebäude sechs Geschosse, zur Pufendorfstraße nur drei. Dadurch waren sowohl die dritten Etage als auch die Lagerkeller ebenerdig zu erreichen. Neben dem Brauereigebäude kann man über eine spanische Treppe - die gleichzeitig ein Blickfang ist - den Höhenunterschied zu Fuß überwinden.


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Die Alte Mälzerei an der Friedenstraße war Teil des Böhmischen Brauhauses, das hier 1868 nach böhmischem Vorbild gegründet wurde. Innerhalb von sieben Jahren wurde das Unternehmen einer der Spitzenproduzenten im Raum Berlin. Es setzte bei der Produktion und beim Vertrieb auf moderne Technologien, so wurde 1898 wurde vom Böhmischen Brauhaus das erste Biertransportauto Berlins eingesetzt. Inzwischen Aktiengesellschaft geworden, fusionierte das Unternehmen nach dem Ersten Weltkrieg mit der Löwenbrauerei zur Löwenbrauerei-Böhmisches Brauhaus. In der DDR-Zeit wurde das Unternehmen enteignet. Die in West-Berlin weiter bestehende Löwenbrauerei-Böhmisches Brauhaus wurde 1978 von der Schultheiß-Brauerei übernommen und stillgelegt. So hat jedes System auf seine Weise mit Enteignung und Stilllegung zum Ende dieser Brauerei beigetragen.

Nach den Zerstörungen im 2.Weltkrieg wurde hier am Stammplatz der Brauerei kein Bier mehr gebraut. Stattdessen richtete sich das größte Weinlager der DDR in den riesigen Brauereikellern ein. Das Sudhaus wurde Sportanlage. Das "Großhandelskontor Schuhe" nutzte die Mälzerei als Lager. Aktuell soll vor und hinter der Mälzerei ein neues Stadtquartier entstehen. Vor der Mälzerei sind die Bauarbeiten im Gange, dahinter ist die Ausgrabung des Armenfriedhofs beendet, sodass die Friedrichshain-Höfe gebaut werden können.

Platz der Vereinten Nationen
Der Platz der Vereinten Nationen ist ein architektonisches Bilderrätsel. Und da Architekten solche geometrischen Figuren gern im Stadtgrundriss verstecken, ist es sinnvoll, den Platz aus der Vogelperspektive zu betrachten. Dabei darf man nicht vergessen, dass hier zur DDR-Zeit das Lenindenkmal stand. Der Platz hieß Leninplatz. Mit überflüssiger Siegerpose wurde nach der Wende der monumentale Lenin aus rotem Granit abgebaut und im Köpenicker Wald verbuddelt, nur sein Kopf ist inzwischen in der Spandauer Zitadelle ausgestellt.

Mit einer großen stadträumlichen Geste nehmen zwei Neubaublocks die Dynamik der beiden Zufahrtsstraßen auf. Die Gebäude sind im Grundriss wie ein "S" und ein "U" geformt, ein symbolisches Bild als Ausdruck der Verehrung für das Brudervolk der "SU" = Sowjetunion. Das Hochhaus, vor dem die Leninstatue stand, versinnbildlicht mit seinen Abstufungen im Dachverlauf eine flatternde Fahne. Mit dem geschwungenen Verlauf der Zufahrtsstraßen nahm die DDR eine Figur des internationalen Städtebaus auf, um dann mit den symbolischen Buchstaben-Grundrissen wieder ganz Ostblock-DDR zu sein.


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Friedenstraße
Die Stadtmauer wurde innen und außen durch Verbindungswege begleitet, die sich "Communication" nannten. Aus der 40 Meter breiten Äußeren Communication wurde hier nach Abriss der Akzisemauer die Friedenstraße. Als man nach einem Namen suchte, wurde vorgeschlagen, sie Paradiesstraße zu nennen wegen des "paradiesischen Friedrichshains und des melodischen Glockengeläuts der Bartholomäuskirche", vielleicht auch wegen der Hingeschiedenen, die auf den Friedhöfen auf das Paradies warteten. Stattdessen verweist ihr Name auf den Friedensschluss in Versailles 1871, der der deutschen Reichsgründung vorausging. Damit begann die Gründerzeit, die auch Friedrichshain boomen ließ.

Die Proklamation des Deutschen Reiches in Versailles aus der Siegerpose am Ende des Deutsch-Französischen Krieges war eine Demütigung für Frankreich, die die Feindschaft zwischen beiden Ländern weiter anheizte. 1919 bekam Deutschland die Quittung hierfür im "Versailler Diktat", dem Friedensvertrag nach dem 1.Weltkrieg. Die Demütigung, die Deutschland hier erlitten hatte, beförderte wiederum Hitler in seinem Nationalismus. Glücklicherweise wurde nach dem 2.Weltkrieg die "Erbfeindschaft" überwunden, an die Stelle von Demütigungen trat weitgehend ein Miteinander der beiden Völker.

Die Friedenstraße wurde nach ihrer Zeit als Communication zu einer Verkehrsachse. Die Große Berliner Pferde-Eisenbahn befuhr ab 1879 diese Strecke. Ab 1898 übernahm die Große Berliner Straßenbahn den Verkehr. Als nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Schuttmassen der Ruinen zu den Trümmerbergen wie dem "Monte Klamott“ im Volkspark Friedrichshain transportiert werden mussten, befuhr eine Trümmerbahn die Friedenstraße.

Die Namen von zwei Querstraßen der Friedenstraße sind wie eine Botschaft aus vergangenen Zeiten. - Zum einen die Friedrichsberger Straße: Der Bahnhof Frankfurter Allee an der Ringbahn hieß früher Friedrichsberg nach der ihn umgebenden Kolonie. Fast hätte ganz Friedrichshain nicht den Namen Friedrichshain, sondern Friedrichsberg bekommen. Heute ist Friedrichsberg aus dem Bewusstsein verschwunden. - Zum anderen die Weinstraße, die an den Weinanbau in Berlin erinnert, zwei Weinberge gab es hier im Umfeld.

Drei Kirchen, Missionshaus, Synagoge
An der Georgenkirchstraße steht die Bartholomäuskirche, entworfen von Friedrich August Stüler. Die Georgenkirche am Ende der Straße gibt es nicht mehr. Sie war durch Bomben schwer beschädigt worden, statt eines Wiederaufbaus hat der Ost-Berliner Magistrat auch noch den stehen gebliebene Kirchturm gesprengt.

Auch die Pfarrkirche der St. Piusgemeinde an der Palisadenstraße bekam die kirchenfeindliche Haltung der DDR zu spüren. Als an der Stalinallee das Stalindenkmal aufgestellt und die Deutsche Sporthalle errichtet wurde, störte dahinter der 96 Meter hohe Kirchturm den sozialistischen Blick. Die Kirchengemeinde wurde deshalb genötigt, dem kriegsbeschädigten Turm die Spitze zu nehmen und ihn auf 66 Meter zu kürzen. Ein Satteldach mit Dachreiter ist heute der unerwartete obere Abschluss anstelle eines spitzen Kirchturms.

Die Auferstehungskirche an der Pufendorfstraße, die im zweiten Weltkrieg stark beschädigt und anschließend nur vereinfacht wieder aufgebaut wurde, ist heute ein Tagungszentrum. Nach der Wende wurde der Bau mit modernen Materialien wie Glas und Stahl "ergänzt", dadurch konnten die ursprünglichen Proportionen der Kirche wieder hergestellt werden. Eine Harmonie, eine innere Verbindung ist dadurch nicht geschaffen worden. Die alten und neuen Teile sind beziehungslos ineinander verschachtelt. als wäre der richtige Baustoff ausgegangen, sodass man den nächsten Stein aus einem anderen Material setzen musste.

"Gehet hin und lehret alle Heiden" steht als Anliegen der Missionsgesellschaft an dem Evangelischen Missionshaus Friedenstraße Ecke Georgenkirchstraße. Im Blockinnern residieren der Berliner Bischof und das Evangelisches Konsistorium in einem Gebäude mit nach innen gewölbter Fassade. Der im Innenhof versteckte Bau ist ein Understatement der Kirche, die vorher ein Y-förmiges, silbergraues Hochhaus an der Bachstraße in Tiergarten nutzte.


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Nach der Wende hat man es abgerissen, es wird gerade vom kircheneigenen Wohnungsunternehmen durch einen hohe Rendite versprechenden Neubaublock mit geschmacklos gescheckter Fassade ersetzt.

In der Friedenstraße neben dem Missionshaus erinnert ein unscheinbares Haus an früheres jüdisches Leben. Hier gab es einen jüdischen Kindergarten und die Lippmann-Tauß-Synagoge. Die Nazis benutzten den Bau als Sammelstelle für den Transport älterer Juden in die Konzentrationslager ("Durchschleusung", "Alterstransport"). Eine Gedenktafel an der Hausfront erinnert an diese Vergangenheit.

Hohe, oben zugespitzte Holzpfähle - die Palisaden - bildeten die alte Stadtbefestigung, bis die Akzisemauer aus Stein errichtet wurde. Die Palisadenstraße erinnert an diese Historie. Im Umspannwerk Ost an dieser Straße haben wir schon mehrfach unser Flaniermahl eingenommen. Heute Abend sind wir wieder eingekehrt. In dem sieben Meter hohen Saal - der ehemaligen Maschinenhalle - kann man auf einer Galerie oder im Erdgeschoss speisen. Das Kriminaltheater im gleichen Bau zieht viele Zuschauer an, die gruppenweise vorher im Restaurant dinieren. Auch wenn der Lärmpegel erträglich bleibt, fühlen wir uns doch neben den langen Tafeln etwas an den Rand gedrängt. Geschmeckt hat es trotzdem.

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Hierzu gibt es einen Forumsbeitrag
Friedrichshain: Brauereibesichtigung (5.1.2009)
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