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Kleingärtner auf der Hallig


Stadtteil/Bereich: Spandau (Haselhorst)
Stadtteil/Bereich: Tegel (Saatwinkel)
Stadtplanaufruf: Berlin, Halligweg
Datum: 20. Juni 2016
Bericht Nr: 549

In Berlin gibt es Berge, warum nicht auch vom Hochwasser umtoste Halligen? "Auf der Hallig" finden wir im Stadtplan, das wird unser heutiges Ziel, ohne dass wir Berlin verlassen müssen. Mit dem Meer sind wir als Binnenlandbewohner weniger vertraut, und so tasten wir uns vorsichtig an das Gebilde heran, das als "Kleine Malche" im Süden des Tegeler Sees eingezeichnet ist. Wer die Kurische Nehrung mit dem Kurischen Haff oder gleichartige Formationen beispielsweise in der Danziger Bucht kennt, wird vielleicht die Malche - ein eingeschlossenes Gewässer - als Haff bezeichnen, das durch einen schmalen Sandstreifen - eine Nehrung - vom Tegeler See abgetrennt ist.

Berlin hat eine Hallig
Doch warum wurde das Berliner Gebilde an der Kleinen Malche "Hallig" genannt? Im nordfriesischen Wattenmeer ist eine Hallig eine Insel, die vom Wasser umgeben ist. Bei Hochwasser wird sie überflutet, auf den künstlich aufgeschütteten Siedlungshügeln (Warften) kann man sich dann trockenen Fußes bewegen. Tatsächlich liegt die Hallig-Kleingartenanlage nicht auf einer Insel, sondern ist durch einen künstlich aufgeschütteten Damm mit Saatwinkel verbunden.


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Ursprünglich mündete der (Alte) Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal durch die Malchebucht in den Tegeler See. Damit größere Schiffe den Großschiffahrtsweg Berlin–Stettin befahren konnten, wurde um 1910 der Spandauer Schiffahrtskanal umgebaut. Plötzensee erhielt eine neue Schleuse, in Gartenfeld wurde der Kanal begradigt, wodurch die Industriewerke von Siemens plötzlich auf einer dreieckigen Insel lagen. Am Tegeler See erhielt der Kanal eine neue Einfahrt unmittelbar von der Havel aus. Die Mündung in die Kleine Malche wurde aber erst mehr als zehn Jahre später trocken gelegt und durch den künstlichen Damm verschlossen. Bis dahin lag die heutige Westspitze der Malche-Halbinsel zwischen altem und neuem Kanal ohne Verbindung zum Land als Insel im Wasser, sie war eine "Hallig".

Das weiße Gold
Heute trennt der Kanal den Tegeler Ortsteil Saatwinkel und den Haselhorster Ortsteil Salzhof voneinander. Vor dem Kanalbau waren sie nicht nur räumlich, sondern auch von der Nutzung her miteinander verbunden, wobei der Name "Salzhof" auf die richtige Spur führt. Salz war das "Weiße Gold", bevor es industriell hergestellt werden konnte. Ohne Gold konnte man leben, ohne Salz nicht. Auch für die Haltbarmachung von Fleisch - das Pökeln - war es unentbehrlich. Es wurde aus Meerwasser oder den Ablagerungen in Salzwüsten gewonnen und dann über Handelswege in die Städte verteilt. Von Halle an der Saale - einem Zentrum des Salzhandels - führten Salzstrassen quer durch Mitteleuropa. Von dort und aus Magdeburg kam das Salz auf Elbkähnen bis zur Oberhavel und musste hier auf kleinere Oderkähne umgeladen werden.

Am Salzhof in Haselhorst befand sich die Umladestelle mit dem Salzmagazin, hier wurden auch Salzfässer für die Lagerung und den Transport des weißen Goldes hergestellt und repariert. Das Holz für die Längshölzer, die dann gebogen den Bauch des Fasses bildeten, wurde hier geschlagen und auf Stabholz-Niederlagen am Salzhof und in Saatwinkel gelagert. In Saatwinkel wohnten die Arbeiter, um 1750 wurde hier ein Holzwärterhaus errichtet. Ein innerstädtisches Salzmagazin befand sich am Salzufer in Charlottenburg, mit dem Transport des Salzes zwischen Magdeburg und diesem Königlichen Salzmagazin war ein Reeder reich geworden, der dann Düppel gründete.

Gleichzeitig mit dem (Alten) Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal war in Saatwinkel ein Mastenkran fertig gestellt worden, der vom preußischen Fiskus betrieben wurde. Während auf der Havel in Spandau die Transportschiffe unter Segel fahren durften, musste wegen der Brücken im Stadtgebiet bei der Einfahrt in den Kanal der Mast umgelegt werden. Fortgesetzt wurde die Fahrt dann durch Treideln oder Staken. Später haben Schleppdampfer die Frachtschiffe gezogen, aus dem Kranhaus der Wasserstraßenverwaltung wurde eine Gaststätte.

Berliner auf Landpartie nach Saatwinkel
Saatwinkel entwickelte sich ab den 1830er Jahren so nach und nach zum Ausflugsziel und Erholungsgebiet der Berliner, obwohl es weitab von den Verkehrsstraßen in einer unerschlossenen Gegend lag. Der Opernsänger Heinrich Blume siedelte sich am Tegeler See an, später übernahm ein Gastwirt das Grundstück. Aus der zeitweiligen Anwesenheit eines königlichen Jagdpächters wurde eine Legende von einem Königlichen Jagdschloss, dabei hat der Pächter sich hier eher mit Frauen getroffen.


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Parallel zum Spandauer Schiffahrtskanal war eine Straßenverbindung - der Saatwinkler Damm - entstanden, die man mit dem Kremser befahren konnte. Andere Ausflügler kamen mit dem Boot über den Tegeler See, benutzten Lokalzüge der Hamburger Eisenbahnlinie oder kamen mit der Pferdebahn. Durch den Kanal fuhr ein Schleppdampfer, dem Gondeln angehängt waren. Saatwinkel wurde ein Vergnügungsort mit Tabagien, Gaststätten, Bier- und Kaffeegärten, Tanzsälen, Kegelbahnen, Schaukeln, Karussells, Rutschbahnen, eben dem vollen Programm für die vergnügungssichtigen Berliner auf Landpartie. Wegen des Artillerie-Schießplatzes, der 1828 von der Granatenstraße in Reinickendorf hierher in die Jungfernheide verlegt worden war, musste an Schießtagen der gesamte Ausflugsverkehr unterbrochen werden, weil Granaten sich bis zum Tegeler See verirren konnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg öffneten zwar manche Gaststätten wieder, der Schwerpunkt liegt jetzt aber auf dem Wassersport und nicht mehr auf dem Ausflugsverkehr. Der Schießplatz wurde in den Ausbau des Flughafens Tegel einbezogen. Jetzt wird nicht mehr geschossen, sondern gelärmt, schließlich ist die Startbahn nur knapp 1.000 Meter entfernt.

Auf unserem Rundgang durch Saatwinkel freuen wir uns schon über die Auswahl von Gaststätten für unser abschließendes Flanieressen. Aus dem Kranhaus wurde das "Fährhaus", abseits vom Wasser liegt das "Jägerhäuschen," es gibt das "Wirtshaus Saatwinkel" und den "Seeblick", nur "Blumeshof" bietet keine Gastronomie mehr.

Gartenfeld
Doch berichten wir erst noch über unseren Weg hierher durch Gartenfeld und die Siemens-Siedlung. Gartenfeld hieß die Endstation der Siemensbahn, die die Arbeiter zu ihren Fabriken brachte. Tatsächlich liegt der Bahnhof in Haselhorst, die Arbeiter mussten erst noch auf der Brücke den Spandauer Schiffahrtskanal überqueren, um im Siemens-Kabelwerk oder Siemens-Metallwerk an die Werkbank zu kommen. Die Siemensbahn, die einmal bis Hakenfelde fahren sollte, wurde 1980 eingestellt. Siemens produziert hier heute nicht mehr. Die Nachnutzung als Industrieparks ist wie eine gated community eingezäunt. Die Bauten des Siemens-Hausarchitekten Hans Hertlein können wir daher nur von draußen sehen.

Die Hoka-Siedlung
Nördlich von Gartenfeld schmiegt sich eine Siemens-Siedlung als gleichförmiges Band an den Spandauer Schiffahrtskanal. Ihre Straßen führen keine Namen, sondern sind mit Großbuchstaben von A bis Z durchbuchstabiert. Die Siedlungsstraßen sind Privatstraßen "mit öffentlichen Verkehr“. Die Siedlergemeinschaft ist selbst für die Unterhaltung der Straßen verantwortlich, auch für die Straßenschilder, muss aber die Straßenbehörde einbeziehen.

Der japanisch klingende Name "Hoka-Siedlung" erschließt sich erst, wenn man weiß, dass dieser Abschnitt des Kanals früher Hohenzollernkanal hieß, abgekürzt Hoka. Siemens begann 1933, ihren Kurzarbeitern (Halbtagsbeschäftigten) diese Kleinhaussiedlung anzubieten. Wie in ihrer zuvor in Staaken an der Spekte realisierten Eigenheimsiedlung sollten die Mitarbeiter quasi als zweiten Job die 900 qm großen Grundstücke bewirtschaften: "Die Hälfte des Landes genügt vollständig für den Anbau des im Haushalt gebrauchten Gemüses, der Rest bleibt dem Anbau von Kartoffeln vorbehalten. Der vor dem Haus an der Strassenseite liegende Teil des Gartens kann mit Blumen bepflanzt werden."

Die Häuser selbst hatten 40 qm Wohnfläche mit Wohnküche, Schlafzimmer, Kinderzimmer, Trockenklosett und Kleintierstall; sie konnten durch Eigenleistung weiter ausgebaut werden. Die "Unkosten der Siedlerstelle" waren geringer als eine Miete, Fahrtkosten fielen wegen der Nähe zur Fabrik nicht an. Nach vier Jahren Probezeit wurden die Siedler Eigentümer, sind aber bis heute Pflichtmitglieder in einer Art Kleingartenverein. Von den An- und Umbauten wurde bis heute reichlich Gebrauch gemacht, der Charakter der Siedlung ist völlig uneinheitlich. In Staaken hat man aus diesem Grund die Siemens-Eigenheimsiedlung aus dem Denkmalschutz entlassen.

Die Tendenz in der Hoka-Siedlung, sich von dem Kleingärtner-Image zu lösen, ist deutlich erkennbar. Die mehrfache Prämierung im Wettbewerb um die „Beste Kleinsiedlung Berlins“ hat diesem Ziel eher nicht genutzt. Aus dem Dachverband der Kleingärtner hat sich der Hoka-Verein gelöst und ist zum "Siedlerbund Berlin" gewechselt. Dieser hat inzwischen seine Außenwirkung verbessert, indem er seinem Namen "Siedlerbund" die Bezeichnung "Verband Haus- und Wohneigentum" vorangestellt hat.

Auch einige Bewohner bemühen sich, ihre Gartenanlagen stärker am englischen Landschaftsgarten auszurichten, damit man nicht mehr "Kleingarten" assoziiert. Und wenn dann noch ein amerikanischer Geländewagen der Marke Hummer mit 220 PS und "kompromisslosen Geländefähigkeiten" vor der Tür steht, dann ist der Imagegewinn höher als die Belastung durch einen Treibstoffverbrauch zwischen 15 und 20 Litern.


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Natürlich hat auch die Hoka-Siedlung unter dem kaum einen Kilometer entfernten Flughafen zu leiden. Abgesehen vom Fluglärm, der die Lebensqualität vermindert, wenn ein Gartenbesitzer sich in die Innenräume hinter Schallschutzfenstern zurückziehen soll, gefährden die Wirbel startender oder landender Flugzeuge die Bewohner und ihre Häuser. Dabei können sich schon mal drei Quadratmeter Dachziegel lösen, doch wer bezahlt dann den Schaden? Der Flughafen fühlt sich nicht zuständig, die schädigende Fluggesellschaft ist kaum einmal auszumachen, und die Verdrahtung der Ziegel ist nur ein Notbehelf.

Erbarmen mit den Flaneuren
Am Ende unseres Rundgangs - den man für einen Ausflug ins Grüne und ans Wasser empfehlen kann - steht wie schon gesagt die Freude auf ein Saatwinkler Lokal aus dem vielfältigen Angebot. Wer hätte gedacht, dass wir auf eine Notration gesetzt werden? Montags ist in ganz Saatwinkel Ruhetag, man erholt sich vom Wochenende. Nur im "Jägerhäuschen" hat man Erbarmen mit uns, trotz kalter Küche werden zwei Quiches gewärmt, zwei Gläser Wein eingegossen, doch dann fällt unserem Retter die Weinflasche aus der Hand. So bleibt das Angebot überschaubar, doch wir sind gerettet.

Das mit dem "Erbarmen" wiederholt sich dann noch einmal an der Bushaltestelle. Der X-Bus soll hier gar nicht halten, doch als der Busfahrer uns dort einsam stehen sieht, hält er an und öffnet die Tür. Nachdem er abgefahren ist, schüttelt er über sich selbst den Kopf. Wie hatte das passieren können? Wir kennen die Antwort: "Weil wir Dich lieben" (Originalton BVG).

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route
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Dorf mit Lagegunst
Das umgedrehte Denkmal