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Lebensraum Küche


Stadtteil: Spandau
Bereich: Haselhorst
Stadtplanaufruf: Berlin, Burscheider Weg
Datum: 21. September 2015
Bericht Nr: 523

In den Mietskasernen der Fabrikarbeiter musste jeder Platz in den überbelegten Wohnungen genutzt werden war. Die 'Wohnküche' entstand aus dieser Raumnot, sogar auf den Kohlenkästen schlugen Schlafburschen ihr Quartier auf. Heute ist die Wohnküche in Altbauten ein Raum für ausgedehnte Frühstücke und lange Gespräche, wer gerade Kaffee kocht oder etwas auf den Tisch bringt, bleibt in Kontakt mit den anderen. Im Berliner Mietspiegel erhöht die Wohnküche sogar den Wohnwert. Für Neubauten, die nicht so verschwenderisch mit den Wohnflächen umgehen können, hat die Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky 1926 den Prototyp der 'Einbauküche' ("Frankfurter Küche") geschaffen. Auf nur sechseinhalb Quadratmetern war ein quasi industrieller Arbeitsplatz nach optimierten Arbeitsabläufen entstanden. Nur die Hausfrau hatte hier Platz, und sie sollte möglichst wenig Zeit in der Küche verbringen, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Das Bauhaus in Weimar - das ansonsten keine Wohnungen gebaut hat - zeigte bereits 1923 in seinem Musterhaus "Haus am Horn" eine in den Grundriss integrierte Einbauküche.

Als man in der Wohnungsnot Ende der 1920er Jahre in Berlin den Bau preiswerte Kleinwohnungen plante, spielte die Einbauküche eine besondere Rolle. Die Wohnungsgrundrisse in dem größten Wohnungsbauprojekt der Weimarer Republik in Haselhorst - der Reichsforschungssiedlung - mussten besonders rationell sein, um günstiges Bauen für breite Bevölkerungsschichten möglich zu machen. Deshalb hat man die Gebäude von den Einbauküchen und übrigen Wohnungsgrundrissen her entwickelt, daraus ergab sich die äußere Gestaltung. Die Form aus der Funktion abzuleiten ("form follows function") war schon kurz vor 1900 als Gestaltungsleitsatz von dem Chicagoer Hochhausarchitekten Louis Sullivan geprägt worden. Die in der Haselhorster Reichsforschungssiedlung federführende "Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen" stellte bei den Einbauküchen dann aber fest, dass die Innovationen nicht immer auf ein positives Echo stießen. Manche Bewohner unternahmen deutliche Anstrengungen, auf den bisherigen Lebensgewohnheiten zu beharren, sie brachten weitere Möbelstücke in der dafür viel zu kleinen Küche unter, aßen in der Küche oder kochten im Wohnzimmer. Aber das ist ein altes Leid der Architekten, dass die Architektur manchmal fortschrittlicher ist als die Bewohner, das hat auch Bruno Taut schon beklagt („Plüschsofaherrlichkeit und Mottenkrimskrams“).

Die Reichsforschungsgesellschaft war gegründet worden, um neue architektonische Ideen, Bautechniken, Baustoffe und Bauabläufe zu erproben. Dazu gehörten auch neue Wohnungsgrundrisse nach einem "Kabinensystem" entsprechend der Anzahl der Bewohner. Alle Schlafzimmer gehen vom Wohnzimmer ab, sind an der Längswand nebeneinander angeordnet, je mehr Kabinen, um so größer (länger) das Wohnzimmer. Dadurch entstehen einerseits "gefangene Räume", andererseits werden Flure eingespart und die Bewohner kommen immer wieder direkt miteinander in Berührung. Geheizt wurden die Wohnungen mit kleinen Stockwerksheizungen oder mit Öfen, die mit "Durchströmöffnungen" in benachbarte Zimmer versehen waren.

Die langen Gebäuderiegel sind überwiegend als Zeilenbauten in Nord-Süd-Richtung ausgerichtet, damit alle Wohnungen gleichmäßig belichtet und belüftet werden. Durch breite Grünstreifen sind die viergeschossigen langen Blocks voneinander getrennt. Abweichend davon wurde ein Wohnblock in der Burscheider Straße straßenbegleitend in Ost-West-Richtung angeordnet.

Am nordöstlichen Rand der Reichsforschungssiedlung sind Reihenhäuser errichtet worden. Die ursprünglich „wasserblauen“ Klappläden vor den Fenstern mit "verkehrsweißen" Lamellen sind - wie auch andere Teile der Häuser - oft von den Bewohnern verändert worden, hier kam der Denkmalschutz teilweise zu spät. Inzwischen wird durch einen Maßnahmenkatalog für zukünftige Veränderungen die denkmalgerechte Gestaltung vorgeschrieben.



Der Zeilenbau in der Burscheider Straße wirkte bei unserem Besuch im Juni 2007 mit Farbflächen in orange, ocker und Rottönen sehr belebt und aufgelockert. Allerdings war dies nicht der Originalzustand, Mebes und Emmerich hatten einen lang gestreckten weißen Baukörper hingestellt. Inzwischen ist für die "energetische Sanierung" die übliche Fassadendämmschicht darauf geklebt worden, die den historischen Farbzustand simuliert. Schon gibt es hier die abgestoßenen Ecken der weichen Dämmschicht und an anderen Häusern fangen die Fassaden an, zu verschmutzen. Aber unbeirrt hält man politisch an der Fassadendämmung fest, die weder technisch beherrscht wird noch langfristig haltbar ist.

Die Flächen für das neue Stadtquartier zwischen Gartenstraße und Saatwinkler Damm kaufte man von den Deutschen Werken AG. Das war ein Spandauer Rüstungsbetrieb, der 1722 als preußische Waffenmanufaktur gegründet worden war und als Folge des Versailler Vertrages teilweise demontiert, teilweise auf zivile Produktion umgestellt wurde. Im Nordosten erstreckt sich die Siedlung bis an den Spandauer Schiffahrtskanal, der hier einen kuriosen Verlauf unterhalb der "Gartenfelder Insel" hat.

Da die enge Krümmung des alten Kanals den Ausbau zum Großschifffahrtsweg verhinderte, schnitt man nach 1910 die Kurve mit einem neuen Kanalstück ab und kappte dem Siemens Kabelwerk die Landverbindung. Es steht dadurch seitdem auf einer dreieckigen Insel. Der alte Kanal ist jetzt ein besserer Bach mit grünem Ufer, das zum Spazierengehen einlädt.



Die Reichsforschungssiedlung wurde in den Jahren 1930 bis 1935 erbaut. Die Planung geht vor allem auf Walter Gropius zurück, die Ausführung der Gebäuderiegel übernahmen Mebes und Emmerich und der Architekt Fred Forbát, der wie Gropius am Bauhaus in Weimar tätig war. Zwei Skulpturen und eine Wanddekoration nördlich des Lüdenscheider Wegs verweisen darauf, dass die Bauten während der Zeit des Nationalsozialismus fertig gestellt wurden.

Max Esser schuf 1935 einen Adler mit Gelege als "Denkmal der nationalen Erhebung" im Innenbereich eines Wohnblocks. Ein haushohes Sgraffito von Rolf Röhmelt aus dem Jahre 1937 zeigt heimat- und erdverbundene Szenen wie Bauer mit Pferd oder Mutter und Kind. Beim Sgraffito entsteht das Bild durch Abkratzen der Oberflächenschicht, wodurch eine darunter liegende Schicht in kontrastierendem Farbton sichtbar wird.



Ein stark verwitterter Stein an der Ecke Haselhorster Damm hebt hervor, dass für die "Volksgenossen" gesunde Lebens- und Wohnungsbedingungen auf "historischem Fortifikationsboden" geschaffen wurden. Damit ist der Festungsbau angesprochen, die Straße Lünette erinnert daran, dass hier am Knick des Alten Berlin-Spandauer Schiffahrtskanals ein Fort bestand, von dem aus man den Kanal unter Feuer nehmen konnte. Für die Siedlung wurde der Militärbau abgebrochen, heute steht hier die Weihnachtskirche, die zeitgleich mit der Siedlung erbaut wurde. Und vor der Kirche zieht ein müder Josef einen müden Esel, auf dem die müde Maria mit Kind im Arm sitzt. Diese "Flucht nach Ägypten" hat Waldemar Otto 1968 geschaffen.

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route
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Ein guter Deutscher
Ästhetische Verschleierung eines Lagers