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erlesener Geschmack, bezaubernde Liebenswürdigkeit


Stadtteil: Neukölln, Treptow
Bereich: Sonnenallee
Stadtplanaufruf: Berlin, Sonnenallee
Datum: 2. Mai 2011

Im Film "Sonnenallee" von Leander Haußmann liegt der "Goldene Westen" nur einen Steinwurf entfernt von der tristen DDR-Wirklichkeit. Wie im optisch verzerrenden Brennglas wird am Grenzübergang Sonnenallee die Geschichte erzählt einer Jugend zwischen NVA und Rolling Stones, gezeigt werden das Erwachsenwerden in einem Überwachungsstaat und die Besuche des Onkels aus dem Westen. Den Grenzübergang gab es wirklich, die Geschichte ist Fiktion. Wir erkunden heute den südlichsten Teil der Sonnenallee und das "drüben" in Baumschulenweg liegende Gebiet der ehemaligen Baumschule Späth.

"Die Kunst in das Volk zu tragen, ist eine der schönsten, dankbarsten und nötigsten Aufgaben" lese ich in einer Festschrift über den Festschmuck Berlins zum Kaiserjubiläum 1913. Der Märchenbrunnen in Friedrichshain als "fürstliche Wasserkunst" wird dort gewürdigt, in dem "Gartenkunst, Bildhauerei, Architektur und das Spiel des Wassers zu einer Gesamtwirkung von erlesenem Geschmack und bezaubernder Liebenswürdigkeit zusammenfließen". Kann man es schöner formulieren? Zwei Jahre später wurde auch in Neukölln ein Märchenbrunnen geschaffen, der allerdings erst nach Einschmelzen der ursprünglich anderen Themen gewidmeten Bronzefiguren im Zweiten Weltkrieg dann in den 1950er Jahren dem Thema "Märchen" gewidmet wurde. Zwanzig Jahre später waren durch Vandalismus alle Figuren zerstört worden, erst 2001 wurde er wieder in Betrieb genommen, nachdem die Figuren neu entworfen worden waren. "Aschenputtel" und "Brüderchen und Schwesterchen" blieben als Themen erhalten. So hat Berlin jetzt zwei Märchenbrunnen, der Neuköllner Brunnen steht im Schulenburg-Park an der Sonnenallee und ist unser erstes Ziel, als wir die S-Bahn am Bahnhof "Köllnische Heide" verlassen.

Zur Köllnischen Heide gehörten ausgedehnte Wald- und Wiesengebiete (einschließlich sumpfiger Feuchtwiesen) links der Spree, auch die "Schöne Weyde", die Ober- und Niederschöneweide den Namen gab (1). Später durchschnitt die Görlitzer Bahn schnurgerade das Heidegebiet und die Stadt dehnte sich immer mehr aus, übrig blieb nur die Königsheide östlich der Späth'schen Baumschule. Auch die Baumschule wurde auf trocken gelegtem sumpfigem Gebiet der Köllnischen Heide angelegt.

Gegenüber dem Schulenburg-Park gibt es hinter der Blockrandbebauung eine weitere Grünfläche, den Herbert-Krause-Park, angrenzend an die Städtische Gärtnerei. Beide Parks sind in den Gartenkulturpfad Neukölln eingebunden, der in mehreren Routen vom Hermannplatz bis nach Rudow führt. Vom Krause-Park kommt man in die High-Deck-Siedlung, eine Großsiedlung aus den 1970er Jahren für mehrere tausend Menschen mit der ziemlich einmaligen konsequenten Trennung von Fußgängern und Autoverkehr durch eine hochgelagerte Fußgängerebene im 1.Stock und Fahrstraßen/Parkplätzen/Garagen im Parterre. Es gibt viel Grün, auf den High-Decks kann der Nachwuchs sich ungefährdet bewegen, wie wir beobachten. Ebenerdig hat man dagegen das "Unter-den-Brücken"-Gefühl, mit viel Sichtbeton vom Sonnenlicht weitgehend abgeschottet, den Autofahrern zum Parken, zur Parkplatzsuche und zum Herumschrauben am Fahrzeug vorbehalten. Ein Brückenhaus verbindet als mächtiger Riegel quer über die Sonnenallee beide Siedlungsteile der High-Deck-Siedlung. Nach Fertigstellung des Märkischen Viertels hatte hier die Fertigbauindustrie ein neues Betätigungsfeld für die Serienfertigung von Wohngebäuden gefunden, wobei hier städtebaulich auf mehr Freiraum und Grünflächenbezug geachtet wurde. Seitdem der Verkehr ohne Grenzkontrolle über die Sonnenallee fließt, haben viele Bewohner die einstige Idylle am Rand der Teilstadt verlassen, die Siedlung sucht nach Ideen, wieder attraktiv zu werden.

Südlich der Siedlung liegt der ehemalige "Grenzfluss" zwischen Ost- und West-Berlin - der Heidekampgraben - dahinter verläuft der Mauerweg auf dem ehemaligen Todesstreifen. Als künstlerisches Zeichen zur Erinnerung an den Grenzübergang steht hier ein von Heike Ponwitz errichtetes, seiner ursprünglichen Funktion beraubtes Graphoskop (Fernrohr) für "Nähe und Distanz" (2). An der Hauswand am Heidekampweg direkt hinter dem Mauerstreifen hat die Wohnungsbaugesellschaft Treptow-Nord zwei Wandbilder anbringen lassen, um zu "testen, ob dadurch künftige Kosten für die Entfernung von Graffiti eingespart werden können" - auch ein Motiv der Kunstförderung.

Der weitere Weg führt uns über die Baumschulenbrücke, die den Britzer Zweigkanal überquert. Durch den Bau der Stadtautobahn Richtung Schönefeld ist hier ein Nadelöhr entschärft, aber nicht beseitigt worden. Die Brücke ist ein einfaches Fachwerk aus Eisenträgern und bietet nur die Ästhetik, die sich aus seiner technischen Funktion ergibt.

Von der ehemals Späth'schen Baumschule, die zwischen Späthstraße, Königsheideweg, Johannisthaler Chaussee und Teltowkanal belegen war, ist noch ein kleiner Botanischer Garten ("Arboretum"), das Späth'sche Wohnhaus und ein kleiner Streifen an der Späthstraße übrig geblieben, das Späth'sche Viertel und die Siedlung Späthsfelde wurde auf dem nicht mehr benötigten früheren Betriebsgelände errichtet. Das vom "Kunstgärtner" Christoph Späth 1720 vor dem Halleschen Tor als Gärtnerei gegründete Unternehmen (3) zog zuerst in die Köpenicker Straße, seine Nachfahren bauten dann ab1874 auf den Wiesen zwischen Johannisthal und Britz ein Herrenhaus, legten das Arboretum an und gründeten die Baumschule. Während der Teilung Berlins gab es in Ketzin eine "Volkseigene Baumschule Ernst Thälmann" unter Späth'scher Leitung und in zwischen Lichterfelde und Zehlendorf Mitte an der Berliner Straße einen West-Berliner Späth'schen Baumschulbetrieb.

Da für ein abschließendes Essen hier keine Möglichkeit war, griffen wir auf ein bewährtes Lokal am Rathaus Neukölln zurück, das von der Arbeiterwohlfahrt betriebene S...cultur in der Erkstraße. Ein bisschen Resopal-Romantik stört nicht, wenn die Bedienung vortrefflich und das Essen ansprechend ist. Wo kann man schon in dieser Preisklasse zwei Weine probieren, bevor man sich entscheidet?

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(1) Zum Namen Schöneweide: Die schöne Weyde an der Spree
(2) Ein weiteres "künstlerisches Zeichen" ist auf der Sandkrugbrücke angebracht: Invaliden und Veteranen
(3) Über die Baumschule Christoph Späth vor dem Halleschen Tor: Lass mich vereinsamt weinen gehn


Brüllender Löwe auf dem Dach
Kanaldeckel und Schlangengraben