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Brüllender Löwe auf dem Dach


Stadtbezirk: Neukölln
Bereich: Britz
Stadtplanaufruf: Berlin, Hannemannstraße
Datum: 25. April 2011

Manchmal kann ein Spaziergang in der Stadt auch eine Enttäuschung sein: Der Tag ist nicht fürs Flanieren geschaffen, die Gegend besteht nur aus Straßen und Häusern, und zum Schluss braucht die mäßig besetzte Kneipe eine Stunde, um ein Bauernfrühstück auf den Tisch zu stellen, das man dem Koch früher hätte wegnehmen sollen, dann wäre es nicht so dunkel geworden. Aber der Reihe nach.

Einen Teil von Britz zwischen Teltowkanal und Blaschkoallee besuchen wir am heutigen Ostermontag. Um den Britzer Damm liegen südlich des Teltowkanals mehrere Kleingartenanlagen. Die Kolonie Blaschkotal wirkt wie ein tiefer gelegtes Schrebergartenkarree, liegt sie doch 5 bis 7 Meter unterhalb des Niveaus der Hannemannstraße. Ein Hobbyfotograf bekam das von Anwohnern als "prähistorischen Bahndamm" erläutert, ein anderer vermutet ein Toteisloch im Zusammenhang mit dem nahe gelegenen Fennpfuhl (auf flickr.com nachzulesen). Tatsächlich ist die Vertiefung indirekt auf die eiszeitliche Gletscherwanderung zurückzuführen. Der Grundbesitzer Fritz Körner wusste, dass unter dem "Brandenburger Schnee", wie die verzweifelten Pferdekutscher den von ihnen befahrenen Sand schimpften, eine Kiesbank lag, deren Ausbeute wichtiges Material für die boomende Bauwirtschaft hervorbrachte. Die von ihm betriebene Kiesgrube an der Hannemannstraße erstreckte sich bis auf das Areal der heutigen Blaschkoallee, die deshalb früher südlich der Grube in die Straße Alt-Britz mündete.

Auch in Rixdorf beutete Körner eine eigene Kiesgrube aus, er schenkte sie später der Stadt. Dort wurde in der ebenfalls 5 bis 7 Meter tiefen Senke 1912 bis 1916 der Körnerpark angelegt (--> 1).

Die alte Kiesgrube an der Blaschkoallee wurde 1909 größtenteils verfüllt, die Hannemannstraße angelegt. Das gab die Möglichkeit, in der "Wüstenei" an der Ecke Pintschallee einen repräsentativen Wohnblock mit einem Eckneubau als erstem Bauabschnitt zu errichten. Bauherr war der Bildhauer und Stuckateur Georg Behnke, sein Sohn Paul schuf als Dachbekrönung einen 3,50 Meter hohen Löwen aus Zementmörtel, der mit Eisenträgern befestigt wurde. Auch wenn die Bauverwaltung den Löwen verunstaltet fand, weil dieses Tier in Wirklichkeit seinen Schwanz niemals so erhoben trägt, wurde er so verwirklicht und gab den "Löwenhäusern" den Namen. Dass der Löwe als Feuermelder mit Gebrüll ausgestattet sei, erwies sich aber als gelungener Aprilscherz einer Zeitung. Bis in die 1970er Jahre stand der Löwe auf dem Dach, dann bröckelte er zu sehr und wurde entfernt. Heute verweist ein Mosaik im Pflaster vor dem Hauseingang und der Name der Gaststätte "Britzer Löwe" im Hause auf diese außergewöhnliche Skulptur.

Das Areal zwischen Teltowkanal und Hannemannstraße ist außerhalb der Löwenhäuser durch die Baugesellschaft Ideal geprägt. Diese Gesellschaft errichtete 1929-1930 nach Planungen von Bruno Taut 350 Wohneinheiten in verschiedenen Geschosswohnungsbauten und Reihenhäusern. Mir fällt auf, dass Taut am Ende der Wohnzeilen mit unterschiedlichen Ecklösungen für die Balkons experimentiert hat - wie an anderen von ihm geschaffenen Berliner Wohnzeilen auch.

An der Holzmindener Straße hat die Wohnungsbaugesellschaft "Stadt und Land" eine "Siedlung der Düfte" propagiert. Unserer Nase wird heute nicht viel geboten, und wer sich bei der Flora nicht auskennt, bleibt ratlos zurück, weil keine Erläuterungen zu den Anpflanzungen zu finden sind. Hallo, hier gehen Städter entlang, bitte etwas mehr Information, wenn man sich mit so einem viel versprechenden Namen schmückt. Holzminden, Namensgeber der Straße und "Stadt der Düfte und Aromen", hat mit Duft-Stelen vorgemacht, wie man Duft und Information gekonnt gemeinsam präsentiert.

Nördlich des Teltowkanals liegt Neu-Britz, entstanden auf eine Initiative des Buchbindermeisters Carl Weder (ohne "r" wie Werder), der das Ödland aus ererbtem Geld kaufte und parzellierte. Er war1890 (geheimes) Mitglied des Fortschrittsvereins, gab über seinen Bauverein für Beamte und Handwerksmeister Parzellen seines Landes an Bauwillige zu geringen Preisen ab, um preiswerten Wohnraum zu schaffen und engagierte sich in der Waisenfürsorge genauso wie in Heimatvereinen. Britz wurde bei der Schaffung Groß-Berlins 1920 Teil von Neukölln. Zu dieser Zeit war die anfängliche Parzellen-Bebauung in Neu-Britz bereits durch Mietwohnungsbau weitgehend abgelöst worden, auch kleine Industriebetriebe siedelten sich hier an.

Vor Jahren wurde hier die Stadtautobahn nach Schönefeld per Schildvortrieb durchs Erdreich gebohrt, mit 1,7 km ist das der längste Berliner Autobahntunnel. Die feinen Vibrationen konnten in den umliegenden Häusern in Regalen und Vitrinen Gegenstände nach vorne rutschen oder schließlich über die Kante fallen lassen. Bei einer Klangmassage dringt die Vibration der Klangschale wohltuend in Regionen des menschlichen Körpers ein, die niedrig frequenten Schwingungen des Tunnelbaus werden ausschließlich über das "Fühlen" und nicht über das "Hören" wahrgenommen, Probleme mit dem Gleichgewicht, dem Sehen, der Arbeitsfähigkeit und Resonanzen der Körperorgane können die Folge sein. Die Ruhe nach stundenlangem Einwirken ist befremdlich wie der feste Boden, wenn man ein schaukelndes Schiff verlässt.

Das Rixdorfer Bräuhaus ist eine alte Fabrikantenvilla, die zu einer Kneipe umgestaltet wurde. Ist es künstliche Patina an Wänden und Decken oder ist der Geist der Zeit schon länger durch diese Räume geschlichen? Gehen Sie hinein, schauen Sie sich um, fotografieren Sie, aber um Gottes Willen setzen Sie sich nicht hin und bestellen etwas. An der Wand steht "Montag Scheisstag" - das hätte uns eine Warnung sein sollen, aber wahrscheinlich ist es an anderen Tagen auch so, dass entweder doppelt (ein Bier) oder gar nicht (eine Gabel) geliefert wird oder dass ein Matjesfilet mit einem Bismarckhering verwechselt wird oder ein Bauernfrühstück bei mäßig besetzten Plätzen eine Stunde braucht. Meine beiden Mitflaneure zeigten sich großherzig und gaben etwas Trinkgeld, während mein Magen noch vergrätzt an den dunklen Ecken des Bauernfrühstücks arbeitete.

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(1) mehr zum Körnerpark: Sein und dem Haben-Wollen


Kirschblüten und Weiße Maulbeerbäume
erlesener Geschmack, bezaubernde Liebenswürdigkeit