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Vom erbärmlichen Ort zum lebenswerten Kiez


Stadtteil: Charlottenburg
Bereich: Danckelmannkiez
Stadtplanaufruf: Berlin, Danckelmannstraße
Datum: 7. März 2023
Bericht Nr.:799

Wir flanieren heute als Familie, unsere Enkeltochter Anna L. begleitet uns. Sie hatte die Vorstellung, dass man zum Flanieren mit Farbeimer und Pinsel eine Ruine besucht, diese anmalt und anschließend fotografiert. Woher kommt diese Vision? Es könnte die ähnliche Aussprache von 'flanieren', 'lackieren' und 'fotografieren' sein, die zu dieser Assoziation geführt hat. Wir bleiben bei der herkömmlichen Methode und fotografieren Gebäude am Wegesrand, ohne sie anzumalen oder zu verändern.

Eberhard von Danckelmann
Auf der nur 780 Meter langen Danckelmannstraße sind wir unterwegs, sie verbindet den Kaiserdamm mit dem Spandauer Damm am Klausenerplatz. Die Straße ehrt den Juristen Eberhard (Christoph Balthasar) Reichsgraf von Danckelmann, der dem ersten preußischen König Friedrich I. diente, dem "schiefen Fritz", dem Großvater vom Alten Fritz.


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Danckelmann soll bereits als 10jähriger mit dem Jurastudium begonnen haben, seine Fähigkeiten machten ihn zu dem einflussreichsten Politiker Preußens seiner Zeit. Kaum etwas geschah ohne ihn und ohne sein Wissen. Es heißt, dass er niemals lachte, doch als er in Ungnade fiel, hatte der preußischen König selbst nichts mehr zu lachen unter Danckelmanns Nachfolger, dem Reichsgrafen von Wartenberg, weil der die Macht an sich gerissen hatte und sich schamlos bereicherte.

Charlottenburg
Dass die Altstadt von Charlottenburg einmal als “erbärmlicher Ort” bezeichnet wurde, kann man sich heute angesichts des lebendigen Kiezes nicht mehr vorstellen. Damals, nach der der Gründung 1705, war es nur eine kleine Ansammlung von Häusern, eine Ackerbürgerstadt, deren Bewohner ihre Äcker außerhalb der Stadtgrenze bewirtschafteten. Als der Alte Fritz das Schloss Charlottenburg zu seiner Residenz ausbauen ließ, hatte die Ansiedlung eine kurze Blütephase, die mit seinem Umzug nach Sanssouci endete. Es blieb eine ländliche Kleinstadt, bis Charlottenburg in der Zeit der industriellen Revolution zur reichsten Stadt Preußens aufstieg. Nur mit Widerstreben ließ die selbstbewusste Stadt sich 1920 zusammen mit anderen Städten, Dörfern und Gemeinden in das erweiterte Groß-Berlin einbinden.

Charlottenburg entwickelt sich
Während des Gründerzeitbooms ab 1871 war die Stadt dicht bebaut worden. Hinter den Vorderhäusern mit Schmuckfassaden und großzügigen Wohnungen lebten in den Hinterhäusern mit engen Höfen und extremer Verdichtung Arbeitern mit ihren Familien, die sich aus wirtschaftlicher Not die Betten mit "Schlafgängern" teilen mussten. Gegenüber dem Schloss Charlottenburg war so ein Mietskasernenviertel entstanden, ein Arbeiterviertel, "roter Kiez“ genannt oder "kleiner Wedding“. In der Nachkriegszeit machte man gern die Altbauten selbst und nicht die sozialen Verhältnisse für die Mietskasernen verantwortlich, mit einer Kahlschlagsanierung sollten neue große Wohnblocks und Siedlungen an ihre Stelle treten. Erst die "Instandbesetzung" von Altbauten bewies schließlich den Erhaltungswert der alten Häuser und führte zum Umdenken.

Die Altstadt Charlottenburg wurde zunächst 1963 als zukünftiges Sanierungsgebiet ausgewiesen ("Sanierungserwartung"). Dabei bedeutete Sanierung in aller Regel Abriss und Neubau, die Bewohner wurden in andere Gebiete verpflanzt. Das beschleunigte den Verfall der alten Häuser, weil die Hauseigentümer jetzt nicht mehr investieren wollten. Ein Viertel der Einwohner verließ den Danckelmann-Kiez. Die gewerkschaftseigene Baugesellschaft "Neue Heimat" kaufte die alten Häuser auf, um die Kahlschlagsanierung vorzubereiten.

Mit Hausbesetzungen - allein 5 Häuser in der Danckelmannstraße - und einer Bürgerinitiative wehrten sich die Anwohner gegen diese Stadtzerstörung. Sie drängten darauf, das Erhaltenswerte zu erhalten. Das führte schließlich zu einem Umsteuern der Baupolitik, statt Abriss wurde die Altbausanierung zur Zielvorstellung. Die "Anregungen der Bewohner" hätten "die Stadterneuerungsabsichten seiner Verwaltung unterstützt", schrieb der Baustadtrat in einer Broschüre. So kann man es auch nennen, wenn die Verwaltung von den Bürgern zum Jagen getragen wird.

1980 wurde das Projekt "Erneuerung der Altstadt Charlottenburg" gestartet, um "das soziale Stadtgefüge in seiner gewachsenen Vielfalt und spezifischen Eigenheit zu erhalten". Viele Altbauten hatte noch Außentoiletten auf der halben Treppe, Zentralheizungen waren Mangelware. Als Bausubstanz waren aus der Entwicklung des Bezirks vorhanden einstöckige Ackerbürgerhäuser, zwei- bis dreigeschossige Bürgerhäuser und drei- bis fünfgeschossige Mietshäuser mit Seitenflügeln, Quergebäuden und Remisen. In die "erhaltende Stadterneuerung" einbezogen wurden an der Danckelmannstraße vor allem die Häuser zwischen Knobelsdorff- und Seelingstraße. Heute ist die Altstadt von Charlottenburg "ein gemütlicher und ehrlicher Kiez, säuberlich eingerahmt von gutbürgerlichen Adressen".

Ziegenhof
Auf einem Innenblock, der für die Neubebauung bereits entkernt worden war, setzten die Anwohner ihre eigene Vorstellung eines lebenswerten Kiezes um und schufen eine hügelige Landschaft mit kleinen Wegen, Bäumen, lauschigen Ecken, einem Ziegengatter und einem Hühnerstall. Als erste symbolische Handlung rissen sie den Bauzaun ein und gaben ihn beim Bezirksamt ab. Da inzwischen auch die Baupolitik Wert darauf legte, innerstädtische Freiflächen zu erhalten, machte der Bezirk gute Miene zum alternativen Coup, erwarb das Eigentum an dem Innenhof, griff aber auch in die Gestaltung ein, bändigte die wilde Landschaft und baute eine Rutsche.

Heute regnet es mit wechselnder Intensität, aber wir sind tapfer und lassen uns dadurch nicht vom Flanieren abhalten. Schließlich sind wir zu einer Spezies unterwegs, der der Regen richtig zusetzt: Ziegen sind wasserscheu und mögen keinen Regen, ihr Pelz ist nicht wie bei Schafen eingefettet. Auf dem Ziegenhof bringt sie auch die Neugier über die Besucher nicht dazu, ihren wasserfesten Unterstand zu verlassen. So müssen wir erstmal rätseln, ob wir Vorderteil oder Hinterteil der einzigen am Futtertrog sichtbaren Ziege vor uns haben.


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Bebauung der Danckelmannstraße
Ein Architekt, der in der Gründerzeit durch den Bau von Mietskasernen und der Verwertung von Baugrundstücken in großem Umfang profitiert hat, war Alfred Schrobsdorff, der "Baukönig von Charlottenburg". An der Danckelmannstraße und am Klausenerplatz bebaute er jeweils vier Grundstücke, in ganz Charlottenburg sind 41 seiner noch vorhandenen Häuser als Baudenkmale eingetragen, die meisten vom Typ "Mehrfamilienwohnhaus mit Läden".

Engelhardt-Brauerei, Engelhardt-Hof
In den 1880er Jahren errichtete die "Kaiser-Brauerei" an der Sophie-Charlotten-Straße, durchgehend zur Danckelmannstraße, ihre Fabrikationsgebäude nach dem Entwurf von Alfred Schrobsdorff. Nach 25 Jahren übernahm die Engelhardt-Brauerei den Betrieb und produzierte dort das "Charlottenburger Pilsner". Das Charlottenburger Stadtwappen zierte die Türme an der Sophie-Charlotten-Straße. Anfangs wurde das Bier mit Pferdegespannen ausgeliefert, deren Hufe auf der Straße klapperten. Als Vierspänner wurden sie später nur noch auf Traditionsfahrten gezeigt. Nach Kriegsbeschädigungen wurde die Brauerei in der Nachkriegszeit neu aufgebaut und erweitert.

Noch 1977 wurde ein neues Sudhaus in Betrieb genommen, doch bereits sechs Jahre später wurde die Produktion nach Kreuzberg verlagert. Schultheiss hatte die Brauerei übernommen und behielt den Konkurrenten 15 Jahre, dann wurde die Engelhardt-Brauerei stillgelegt. Nur noch eine Leuchtreklame erinnert heute in der Danckelmannstraße an die Brauerei. Dieser Bereich wurde mit Büro-, Gewerbe- und Wohnflügeln zum Engelhardthof umgebaut. An der Sophie-Charlotten-Straße entstand ein Gewerbehof der Gewerbe-Siedlungs-Gesellschaft. So ist die traditionsreiche Brauerei auch baulich unsichtbar geworden.

Schulen
Zwei Schulen liegen an der Danckelmannstraße, beide wurden im Abstand von sieben Jahren erbaut. Der Charlottenburger Stadtbaurat Paul Bratring erbaute 1901 die 17. und 18. Gemeindeschule an der Nehringstraße mit Zugang neben dem Ledigenheim in der Danckelmannstraße. Bratring hat zahlreiche kommunale Bauten geschaffen, beispielsweise die Feuerwache Alt Lietzow und das Stadtbad in der Krummen Straße.

Vom Stadtbaurat Otto Schmalz stammt der Entwurf zur Höheren Mädchenschule, die 1908 auf einem bis zur Sophie-Charlotten-Straße durchgehenden Grundstück fertiggestellt wurde. Schon an der Fassade wurden die Schülerinnen pädagogisch eingestimmt: "Nütze die Zeit" steht dort, den damals geltenden Rechtschreibregeln folgend noch mit "ü" geschrieben.


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Höhere Mädchenschulen hat das preußische Kulturministerium eingerichtet, um "der weiblichen Jugend eine ihrer Eigentümlichkeit entsprechende allgemeine Bildung zu geben". Auf einer Konferenz von Pädagogen wurde 1873 sichtbar, dass man diese Schulen aus männlicher Sicht definierte, sie wurden notwendig, weil "der Mann eine solche Bildung seinetwegen wünschen müßte". Die Schülerinnen sollten von Lehrern anstatt von Lehrerinnen unterrichtet werden. "Lehrerinnen seien höchstens zur Aufsicht in den Zwischenstunden und zum Handarbeitsunterricht tauglich, der aber auch noch von Männern inspiciert werden müsse". Bis zur gemeinsamen Erziehung von Jungen und Mädchen und bis zu Lehrmaterial, das Frauen nicht diskriminiert, war es ein weiter Weg.

Vereinsweg
Die Danckelmannstraße durchschneidet am Horstweg einen breiten Riegel von Wohnbauten. Der Straßenname Vereinsweg innerhalb der Wohnanlage Charlottenburg II gibt einen Hinweis darauf, wer die Häusergruppe mit 550 Wohnungen errichten ließ: Der Beamten-Wohnungs-Verein zu Berlin erteilte dem Architekten Paul Mebes 1907 den Auftrag, den abknickenden Straßenzug Horstweg zu bebauen.


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Am Klausenerplatz finden wir ein Café, wo wir im Trocknen sitzend dem Regen draußen ungetrübt zuschauen können. Bei der anschließenden Auswahl und Bearbeitung der Bilder hat unsere Enkelin Anna L. mitgewirkt. Die Bilder, die sie zur Galerie beigesteuert hat, sind mit ihrem Namen gekennzeichnet.
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Unsere Route:
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