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Wohlfühlorte für Automobile


Stadtteil: Charlottenburg
Stadtplanaufruf: Berlin, Kantstraße
Datum: 1. März 2023
Bericht Nr.:801

Das Automobil ist eine deutsche Erfindung. In der weiteren Entwicklung der Automobilisierung haben wir in Deutschland auch von den Amerikanern gelernt, die die autogerechte Stadt entwickelt haben. Mit Highways, die sich kreuzungsfrei treffen, verbinden, verzweigen, teilen. Aus der Vogelperspektive ein Bündel von Straßen neben- und übereinander in der Landschaft, mehrstöckig und mit bis zu acht Fahrspuren. 1929 schrieb der Berliner Stadtbaurat Martin Wagner begeistert, Berlin sei "auf dem besten Wege, in die amerikanische Verkehrsrevolution hineinzuwachsen“. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde "Die autogerechte Stadt" propagiert, das Bundes-Wohnungsbauministerium finanzierte die richtungsweisende Buchpublikation eines Stadtplaners. Heute kämpft man damit, die Stadt wieder an die Dimension des Menschen heranzuführen.

Begonnen hatte die Motorisierung mit dem Dreirad mit Verbrennungsmotor, das Carl Benz 1886 als Patent angemeldet hatte. Der Motorwagen mit Kettenantrieb, Drahtspeichenrädern und leichtem Stahlrahmen erinnerte an ein Fahrrad, als Antrieb war ein wassergekühlter Einzylinder-Viertaktmotor eingebaut. Dagegen konnte sich das 1888 entwickelte vierrädrige Elektroauto der Coburger Maschinenfabrik A. Flocken nicht durchsetzen. Ein 1649 gezeigtes Automobil mit Windantrieb - ein Segelwagen - hätte auch heute keine Chance, es wäre nicht praktikabel. Schade eigentlich, der Antrieb selbst würde in unsere Klimadiskussion passen.


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Bei der ersten Probefahrt in Mannheim musste Benz junior "hinter dem Wagen herrennen, um Benzin nachzuschütten", so berichtet jedenfalls eine Quelle. Das Leichtbenzin wurde damals als Reinigungsmittel in Apotheken verkauft. Die Stadt-Apotheke von Wiesloch wurde so zur ersten Tankstelle der Welt, als Bertha Benz mit dem Benz-Patent-Motorwagen Nummer 3 auf Überlandfahrt ging und unterwegs Nachschub an Leichtbenzin brauchte.

Garagen
Nicht nur das erste Auto, auch die erste Garage wurde in unserem Land gebaut. Carl Benz selbst ließ 1910 einen niedrigen Turm errichten, in dem er über dem Abstellplatz für das Auto im oberen Stockwerk ein Studierzimmer benutzen konnte. Zwei Jahre vorher war bereits in Minden ein "Wagenhaus" errichtet worden mit einer Wohnung des Chauffeurs im Obergeschoss. In den 1920er Jahren gab es dann in Berlin bereits mehrere hundert Garagenbauten unterschiedlicher Größenordnung. Die im Regelfall nicht nur Stellraum für Automobile boten, sondern auch das Betanken, Reinigen und Inspizieren der Fahrzeuge ermöglichten. Es waren Aufenthaltsorte für die Automobile in verschlossenen Boxen, für die die betuchten Automobilisten eine Monatsmiete wie für eine Zweizimmerwohnung bezahlen mussten.

Um die Straßen von Dauerparkern freizuhalten, wurde 1939 in der Nazizeit eine "Reichsgaragenordnung" erlassen mit der Pflicht, bei Neubauten auch Einstellplätze oder Garagen zu schaffen. Die Zielsetzung klingt sehr modern: "Die Zunahme der Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr erfordert, daß die öffentlichen Verkehrsflächen für den fließenden Verkehr frei gemacht und möglichst wenig durch ruhende Kraftfahrzeuge belastet werden. Zu diesem Zweck müssen die Kraftfahrzeuge dort, wo sie regelmäßig längere Zeit stehen, außerhalb der öffentlichen Verkehrsflächen ordnungsgemäß eingestellt werden". Sogar besonders ausgestattete Luftschutzräume wurden als Garagen zugelassen, der Zweite Weltkrieg begann in jenem Jahr.

Garagenbauten aus der Anfangszeit
Immer wieder haben wir bei unseren Rundgängen in der Stadt unterschiedliche Garagenbauten aus der Anfangszeit gefunden, als Garagenhöfe, Hochhäuser oder verbunden mit Wohngebäuden als Anbauten oder Tiefgaragen, beispielsweise: Eine Großgarage in der Fritschestraße 1907 unter einem Gewerbehof (1907), eine Hochgarage auf dem zweiten Hof der Chausseestraße 117 in Mitte (1914), nur noch die Seitenwand eines Baus mit 175 Garagenplätzen auf zwei Etagen in der Steglitzer Menckenstraße (1924), 600 Garagenplätze hinter der Dragoner-Kaserne am Mehringdamm, die Holtzendorff-Garage in der Heilbronner Straße (1929). Diese und weitere Beispiele finden Sie unter dem Link Garagen.

Flächenverbrauch
Bis heute werden Grundstücke in vielen Bezirken und in einer erstaunlichen Vielzahl für flache Garagenbauten genutzt, die Diskussion um knappen Baugrund ist an dieser Spezies schlicht vorbeigegangen. Dabei verbrauchen zweieinhalb Garagen so viel Grundfläche wie eine durchschnittliche Berliner Wohnung (laut Statistik 74 Quadratmeter, 3 Zimmer). Stattdessen richtet sich die Begehrlichkeit von Investoren auf die Kleingärten, die als grüne Lunge einen wichtigen Beitrag zur Ökologie der Stadt erbringen.


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Überrascht haben uns solche Serien von Garagen in der Manfred-von-Richthofen-Straße in der Gartenstadt Neu-Tempelhof, am Kiplingweg in der Britischen Siedlung Heerstraße, in der Sewan-Siedlung in Lichtenberg, in der Köpenicker Straße in Mitte, in der Detmolder Straße in Wilmersdorf, in der Markgrafenstraße in Mariendorf, um nur einige zu nennen.

Kant-Garagen-Palast
Eine Ikone des Garagenzeitalters wurde gerade vor dem Abriss gerettet: der Kant-Garagen-Palast in der Kantstraße. Angeblich war er so baufällig, dass eine Sanierung zu teuer würde, doch der Augenschein zeigte etwas anderes: Die Fassade aus der Bauzeit war vollständig erhalten, die Auffahrtrampen und Etagen waren stabil, Garagentore, Fenster und Beschläge größtenteils im Original vorhanden, manche Einstellplätze waren vermietet und die Tankstelle war in Betrieb.


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Nach diesem durchsichtigen Investorenmanöver konnte der Bau gerettet und restauriert werden. Eine automobile Nachnutzung wurde nicht gefunden, im ungewöhnlichen Ambiente haben sich mehrere Möbel- und Einrichtungsfirmen aus dem Stilwerk-Verbund niedergelassen.

Vorbilder aus Amerika haben auch den Bau der Kant-Garagen beeinflusst, der Bauherr war dort viele Jahre als Ingenieur tätig. Das Hochhaus aus Eisenbeton ruht auf fünfzig Stützen. Die Straßenseite und die abgerundete Rückseite zur Stadtbahn werden durch große Rasterflächen aus Drahtglas belichtet, es ist ein Bau im Stil der Neuen Sachlichkeit. Das Besondere an dem Bau sind die Auffahrten zu den Etagen.

Durch getrennte Rampen werden die ein- und ausfahrenden Wagen getrennt. Man fährt im Kreis und muss das einmal eingeschlagene Lenkrad kaum bewegen, die Rampen sind gewendelt. Man begegnet sich nicht, denn an einem Ende führt eine Rampe nach oben, am anderen Ende eine nach unten. Für den ungeübten Fahrer stand früher am Beginn der Rampe die Aufforderung angeschrieben: "1. Gang einschalten. Scharf rechts halten". Als Kind habe ich immer über den Sinn dieser Aussage gerätselt, mein Vater hatte als Handwerksmeister seinen Wagen dort untergestellt.


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In den 6 Geschossen finden 400 Autos Platz. In den Etagen sind 200 Einzelboxen mit Metalltüren an den Längsseiten angeordnet. Weitere Fahrzeuge können in Sammelboxen abgestellt werden. Von den geplanten 8 Etagen wurden nur 6 tatsächlich realisiert. Inspiriert wurde die Bauform mit den beiden gegenläufigen Rampen wohl durch ein Schloss an der Loire, das eine doppelläufige Treppe aufweist. Das würde auch zu dem Namenszusatz "Palast" passen.

Château de Chambord
Das Château de Chambord ist das größte Schloss an der Loire. Das ungewöhnliche Treppenhaus mit einer doppelten Wendeltreppe geht wahrscheinlich auf eine Idee Leonardo da Vincis zurück. Auf der Treppe können zwei Personen gleichzeitig das Stockwerk wechseln, ohne sich dabei zu begegnen. Für manchen Bewunderer symbolisiert das die ewige Erneuerung des Lebens.


Holzschnitt von A.Palladio mit KLICK vergrößern

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Vom erbärmlichen Ort zum lebenswerten Kiez
Raumschiff voller Energie