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Das Goldene Horn liegt in Mariendorf


Stadtteil: Tempelhof
Bereich: Mariendorf-Ost
Stadtplanaufruf: Berlin, Dardanellenweg
Datum: 17. August 2020
Bericht Nr.:707

Die Abendsonne strahlt auf die Bucht von Istanbul und den Bosporus, sie gab dem "Goldenen Horn" den Namen. Zu den Straßen, die in Marienfelde-Ost nach geografischen Orten der Türkei benannt wurden, gehört die Straße Goldenes Horn. Sie verläuft vom Dardanellenweg zur Britzer Straße und kreuzt in ihrem Verlauf sinnigerweise die Bosporusstraße. Am 21. August 1931 erfolgten die Straßenbenennungen, da war das Siedlungsgebiet noch unbebaut. Am gleichen Tag wurden in Mariendorf der Westphalweg, der Einödshoferweg, die Körtingstraße und zwei weitere Straßen benannt.

Die manchmal geäußerte Vermutung, dass die türkisch-deutsche Waffenbrüderschaft den Anlass gab zu den Straßennamen, ist bemüht, aber nicht stichhaltig. Die Verbrüderung zwischen dem Osmanischen Reich und dem Deutschen Kaiserreich während des Ersten Weltkriegs wurde durch den Zerfall des Osmanischen Reichs und den Untergang des Deutschen Kaiserreichs gegenstandslos. Ab dem Jahr 1932 ließ Deutschland seinen Botschafterposten in der Türkei zwei Jahre lang unbesetzt, das spricht nicht für eine enge Verbindung zur Türkei.

Nördlich der Britzer Straße liegt der Türkenpfuhl, der bis 1958 einfach nur als "Pfuhl" in den Stadtplänen verzeichnet ist. Erst danach wurde er in "Türkenpfuhl" umbenannt, als die Siedlung Mariendorf-Ost in dem Viertel mit türkischen Straßennamen entstand.

Siedlung Mariendorf-Ost
Im Osten geplant, im Westen gebaut: Die Siedlung Mariendorf-Ost ist ein ungewöhnliches Produkt der Ost-West-Konfrontation nach dem Zweiten Weltkrieg. Als die Westsektoren der Stadt aus dem sowjetisch beherrschten Magistrat auszogen und einen eigenen Senat bildeten, kam die Idee von "Wohnzellen" in den Westteil der Stadt und wurde hier von dem ehemaligen Leiter des Magistrats-Planungsamts Wils Ebert realisiert. Wie die Entwicklung im Einzelnen verlief, können Sie unten unter dem Strich (*) nachlesen.

Mariendorf-Ost liegt zwischen Dardanellenweg und Britzer Straße in einem Gebiet ohne Durchgangsverkehr (bis auf eine Endhaltestelle des Busses 282). Die Verkehrsberuhigung ist Teil des Siedlungskonzeptes. Es sollte eine "Wohnzelle" werden, eine überschaubare, in sich geschlossene Einheit mit eigenen Versorgungseinrichtungen. Die Häuser aus unterschiedlichen Bautypen sollten in eine begrünte Landschaft eingebettet werden. Eine soziale Mischung der Bewohner wurde angestrebt.

Tatsächlich hat der Architekt Wils Ebert in zwei Bauphasen nur die Ränder des Siedlungsgebiets gestaltet, dazwischen herrscht ein Wildwuchs verschiedener Stile und Typen aus mehr als sechzig Jahren ohne einheitlichen Plan. In der ersten Bauphase baute Wils Ebert unter anderem vier dreigeschossige Baublocks an der Rixdorfer Straße und zwei Blocks um die Ecke an der Britzer Straße. Die gestaffelten Blöcke an der Rixdorfer Straße sind im spitzen Winkel zur Straße angeordnet, dadurch konnten vor den Wohnungen Grünflächen angelegt werden. Eine feine Differenzierung, die erst beim näheren Hinschauen auffällt, bilden die Farben der Loggia-Rückwände, die von gelb zu rot, hellblau und hellgrün wechseln. Solche Farbnuancen sind bei allen Baublocks zu finden. Die vielfältigen Wohnungsgrundrisse ermöglichten es, je nach Familiengröße und Einkommen hier eine Wohnung zu mieten.

Die zwei Gesichter des Einfamilienhaus-Teppichs
Sehr ungewöhnlich ist der hinter den Häusern im Innenraum der Siedlung liegende "Teppich aus Einfamilienhäusern". Vierundzwanzig Häuser mit Flachdächern sind in einem Raster gleichmäßig aufgereiht. Am äußeren Rand zeigen die flachen Bauten Wände ohne Fenster oder nur mit kleinen Fensterschlitzen, ein abweisendes Bild. Zu jedem Haus gehört ein durch Mauern abgeschirmter Wohngarten, der den ersten Eindruck verblassen lässt.


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Eine Mieterin hat mir einen Blick in ihren Garten gestattet. Das Paradies wird inflationär als Vergleich herangezogen, aber hier habe ich wirklich einen paradiesischen Flecken gesehen, eine intime, abgeschirmte Ruhezone, die den Wohnbereichs in die Natur hinaus ausweitet, in sattem grün und mit berankten Wänden. Die Mauern zur Außenseite haben mehrere farblich codierte Schlitze, die aber keinen direkten Einblick in die Wohngärten geben, weil die Schlitze schräg gestellt sind und damit den Blick zur Seite umlenken.

Ausgehend von den Pfuhlen an der Britzer Straße zieht sich eine grüne Senke durch die Siedlung, an der Wils Ebert im ersten Bauabschnitt weitere Wohnblöcke realisiert hat. In diesen aufgelockert stehenden Baukörpern wohnt man im Grünen. Nördlich des Dardanellenwegs folgten in einem zweiten Bauabschnitt weitere sechs parallel stehende Zeilenbauten, ebenfalls mit der farblichen Kodierung der Loggiahintergründe.

Der Architekt Wils Ebert hatte am Bauhaus Dessau studiert, war Mitarbeiter von Walter Gropius, übernahm das Büro von Ludwig Hilberseimer, als dieser in die USA emigrierte, war Planungschef beim Magistrat unter dem Stadtbaurat Scharoun. Er initiierte das Berliner Bauhaus-Archiv mit, lehrte als Professor an der Hochschule der Künste. Er war an weiteren großen Wohnprojekten wie der Otto-Suhr-Siedlung in Kreuzberg oder der Paul-Hertz-Siedlung in Charlottenburg-Nord beteiligt.

Teppichklopfen
Teppichklopfen ist nicht mehr zeitgemäß, aber erlaubt, entschied das Amtsgericht Kassel. Bis in die Nachkriegszeit hinein gab es bei Mietshäusern Teppichklopfstangen im Hof. Zweimal in der Woche durften sie benutzt werden, mit einem geflochtenen Ausklopfer wurden die über die Stange geworfenen Teppiche oder Läufer durch kräftiges Schlagen von Staub und Milben befreit.


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Doch diese Zeit ist vorbei, seit es Staubsauger, Klopfsauger und den von Loriot gepriesenen "Heinzelmann" gibt ("Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur saugen kann"). Aber in der Siedlung Mariendorf-Ost sind wir noch auf ein seltenes Exemplar einer Klopfstange gestoßen, die den Mietern der Nachbarschaft zur Verfügung stand/steht, wobei die Verwaltung mahnt, dass das Spielen und der "unnötige Aufenthalt" an der Stange nicht gestattet sei.

Kunstwerke
Auf Kunstwerke treffen wir bei unserem Weg von der U-Bahn zur Siedlung an der Südostkante des Volksparks Mariendorf. Die Metallskulptur "Trilogie" aus Stahlblech an der Britzer Straße Ecke Alt Mariendorf zeigt geometrische Elemente und organische Formen, mit denen der Künstler Miguel Esteban Cano die "Situation Mutter, Vater und Kind" darstellt. Gegenüber am Volkspark steht eine abstrahierte menschliche Büste mit zwei runden Löchern im Körper - den Augen. Dietrich Arlt-Aeras beschreibt sein Kunstwerk so: "Kopffigur – Figurenkopf, reduzierte Formenmerkmale des menschlichen Körpers“. Direkt daneben stehen drei Säulen mit Dreieck, Raute und Andreaskreuz, die der Künstler Manfred Hodapp als "sakrale, meditative Zeichen" aufgestellt hat.

In der Siedlung gibt es einen trocken gefallenen Brunnen, ein kleines rechteckiges Bassin, über dem sich eine Brücke wölbt, auf der eine abstrakte Form thront. Die 1959 eingeweihte Brunnenplastik von Jörg Joachim Blase wurde später zweimal nachgegossen, die Kopien wurden in Spandau und Neukölln aufgestellt. Eine Tafel vor dem Brunnen verweist darauf, dass die Siedlung "mit amerikanischer Hilfe" erbaut wurde.


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Friedhof Mariendorf-Ost
Folgt man der Rixdorfer Straße weiter nördlich, kommt man zur Kirche Mariendorf-Ost, deren Glocke an einem martialischen Metallgerüst vor dem flachen Nachkriegsbau hängt. Das daran anschließende Einkaufscenter hinter einem riesigen Parkplatz hat die Anmutung eines amerikanischen Vorstadt-Shoppings im Mittleren Westen. Dann folgt der Friedhof Mariendorf-Ost, den man nur zur Vervollständigung seines Bildes, nicht aber wegen interessanter Gräber oder Grabplastiken besuchen kann. Es ist größtenteils abgeräumt, bei unserem Besuch hält eine graue Katze die Stellung und lässt sich zwar ansprechen, aber nicht stören. Übrigens: In der Katzensprache heißt das nicht "miau", sondern "mauuu", dann antwortet sie auch.

Hungrig müssen wir nicht nach Hause fahren. An der Rixdorfer Straße finden wir einen sehr preiswerten Italiener, bei dem wir den Spaziergang beschließen.

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(*) Der von der sowjetischen Besatzungsmacht nach Ende des Zweiten Weltkriegs eingesetzte "antifaschistische" Magistrat war für die Stadtplanung in der gesamten Stadt verantwortlich. Erst als sich wegen unüberbrückbarer Differenzen die West-Bezirke absetzten und eine eigene Stadtregierung gründeten (ab 1950: Senat), lag die Stadtentwicklung der Westsektoren in deren Händen.

Vom Magistrat wurde Hans Scharoun 1945 als Stadtbaurat eingesetzt, was er bis 1947 blieb. Bis 1950 leitete Scharoun das Ostberliner Institut für Bauwesen, von seinen Planungen wurde aber dort kaum etwas verwirklicht. Scharouns radikaler "Kollektivplan" von 1946 für den Magistrat sah die flächenhafte Niederlegung der (stehen gebliebenen) Mietskasernenstadt und Neubebauung in einem Rechtecksystem aus Schnellstraßen vor. Eine grausige Vision, die von dem Irrglauben ausging, man könne die schreckliche Vergangenheit überwinden, indem man die alte Stadt baulich auslöscht. Wenigstens die Zwischenräume sollten als "Stadtlandschaft“ gestaltet werden, als Wohnzellen mit öffentlichen Einrichtungen. Nur zwei Laubenganghäuser an der Stalinallee und eine Wohnzelle in Friedrichshain konnte Scharoun ist Ost-Berlin verwirklichen, dann wendete sich der "sozialistische Stil" von seinen Vorstellungen ab.

In West-Berlin war Scharoun bereits 1947 als Ordinarius an die TU Berlin berufen worden. Wils Ebert, der das Planungsamt des Magistrats unter Scharoun geleistet hatte, bekam die Gelegenheit, das Wohnzellenprojekt 1955 in West-Berlin zu verwirklichen. In der Hand des Bauhaus-Schülers Wils Ebert ist aus diesem Teil des Kollektivplans eine Vorzeigesiedlung geworden.

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Der Mönch mit der Sprühdose