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Berlin in der Abendsonne


Stadtteil: Charlottenburg
Bereich: Charlottenburg-Nord
Stadtplanaufruf: Berlin, Friedrich-Olbricht-Damm
Datum: 16. Dezember 2013
Bericht Nr: 446

Der Sonnenstrahl reicht bis in die Ecke, wo Wand und Fußboden zusammentreffen, bildet von da aus ein Dreieck, umfasst den im Freien stehenden Altar und kehrt zum Himmel zurück. Ein Fingerzeig von oben? Jedenfalls ein Bild mit fast überirdischer Strahlkraft, das sich uns an der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum bietet. Und dieser außergewöhnliche Himmel begleitet uns weiter. Über dem Gefängnis und der Gedenkstätte Plötzensee ist der Himmel blutrot, über dem Schifffahrtskanal und der Stadtautobahn geht er in eine blaue Dämmerung über.

Berlin hat einige Orte, an denen romantische Städter sich treffen, um der untergehenden Sonne zuzusehen und dabei die Seele baumeln zu lassen. Dachterrassen, Parkdecks, das Kranhauscafé Oberschöneweide (1), der Kreuzberg oder Teufelsberg, die Admiralsbrücke, Oberbaumbrücke oder Modersohnbrücke (2) sind nur einige von ihnen. Wir lassen uns überraschen und genießen die besondere Stimmung, die ein Sonnenuntergang in der Stadt erzeugt.

Vom Jakob-Kaiser-Platz bis zur Gedenkstätte Plötzensee führt unser heutiger Spaziergang. Es ist dies der östliche Teil von Charlottenburg-Nord zwischen Stadtautobahn und Schifffahrtskanal. Bis zum Zweiten Weltkrieg setzte sich hier die Grünfläche der Jungfernheide fort, mit einem Gefängnis und einzelnen Industriebetrieben am Rande. Der Straßenname "Thaters Privatweg" weist darauf hin, dass eine Eisfabrik hier direkt unterhalb des Spandauer Schiffahrtskanals ansässig war (3). Die "Aeltesten Berliner Eiswerke Louis Thater" wurden um 1840 gegründet. Auf der anderen Seite des Schifffahrtskanals am Plötzensee gewannen die "Moabiter Eiswerke" Natureis aus dem See (4).

Auf dem Gelände der früheren Thater-Eiswerke wurde im Dritten Reich die "Speerplatte" errichtet, ein exemplarisches Bauwerk der Nazizeit mit überdimensionalen Ausmaßen, das entfernt an den Schwerbelastungskörper erinnert (5). Hitlers Generalbauinspektor Albert Speer hatte eine Fläche von 300 m x 300 m betonieren lassen, auf der die LKWs des "Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps" abgestellt werden sollten, die für den Bau der "Welthauptstadt Germania" (6) gebraucht wurden. Umgeben war die Platte von einem kasernenartigen Gebäudekomplex, der nach Kriegsende teilweise für eine Grundschule genutzt wurde. Auf der Betonplatte lagerte der West-Berliner Senat während des Kalten Krieges Kohlevorräte aus der Senatsreserve (7), das Betonfundament dürfte hierfür hilfreich gewesen sein. Heute nutzen Neubauten einer Spedition und eines Baumarkt das von allen alten Spuren gereinigte Gelände. Auch die denkmalgeschützten Bauten wurden dafür geopfert, die wirtschaftliche Verwertung hatte Vorrang vor einem Ort der Erinnerung an den Größenwahn.

1910 zog die "Olympia-Radrennbahn" an den Königsdamm (heute Heckerdamm), es ist die Geschichte mehrerer Umzüge. Als der Botanische Garten von Schöneberg nach Dahlem verlegt wurde, entstand auf dem freigewordenen Gelände - dem heutigen Kleistpark (8) - eine Radrennbahn. Bei deren Eröffnung 1909 mit einem Steherrennen kam es zu einem folgenschweren Unfall. Das Motorrad eines Schrittmachers war in die Zuschauertribüne gerast, sein Tank explodierte, mehrere Menschen starben. Danach wurde die Radrennbahn als "Olympiabahn" nach Plötzensee verlegt, der Kleistpark übernahm in Schöneberg das Gelände des ehemaligen Botanischen Gartens und der nachmaligen Radrennbahn. Olympische Wettbewerbe wurden auf der neuen "Olympiabahn" am Königsdamm nie ausgetragen, aber große Radrennen und Fußballspiele. Im Zweiten Weltkrieg stürzte ein Bomber der Royal Air Force auf die Bahn und setzte die Haupttribüne in Brand, damit war das Schicksal dieser Sportstätte besiegelt. Heute steht hier die Kleingartenanlage "Olympia".

Der Stadtgrundriss im Gebiet unserer heutigen Wanderung war bis zum Zweiten Weltkrieg mit unbefestigten nummerierten Straßen in Rasterform unterteilt, aber nicht bebaut. Zwischen Seestraße und Siemensstadt erstreckte sich der Königsdamm, ehemals der "Weg von Spandau nach Berlin", danach mit neuer Namensgebung zu Ehren des Soldatenkönigs. Diese Straße wurde in unserer Zeit mit teilweise verändertem Verlauf zum Heckerdamm und Schuckertdamm. Um die Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg zu lindern, wurden neue Kleingärten angelegt und zum Dauerbewohnen zugelassen. Aus den "Schrebergärten", die die Städter an die Natur heranführen sollten und ihrer Gesundheit förderlich waren, wurden Behelfssiedlungen, die auch der Selbstversorgung dienten. Rund 30 Kleingartenanlagen sind heute im östlichen Charlottenburg-Nord verzeichnet, aus dem Rasterplan der Vorkriegszeit ist ein Potpourri von Kleingärten geworden, von denen einige immer noch dauernd bewohnt sind. Ihre Namen verweisen auf die frühere Geschichte, so gibt es Kolonien mit dem Namen "Königsdamm", "Olympia" (nach der Radrennbahn), "Lehmannshof", "Pferdemarkt". Natürlich sind auch die üblichen Namen wie Zukunft, Heimat, Frischer Wind, Gemütlichkeit, Gute Hoffnung oder Abendruh hier vertreten.

Aus einigen Kleingärten wurden die Bewohner bald nach Kriegsende wieder vertrieben, damit man die Paul-Hertz-Siedlung errichten konnte. Für den Bau von 2.700 Wohnungen musste Kleingartengelände geräumt werden, auf dem überwiegend ständig bewohnte Lauben standen. Dadurch verschlimmerte sich die Wohnungsnot zunächst, weil keine Ersatzwohnungen zur Verfügung standen. Die neue Siedlung machte danach noch öfter Probleme. Zunächst weil die Wohnungsbaugesellschaften überproportional viele Wohnungen an Sozialhilfeempfänger vermieteten, später weil gegen den heftigen Widerstand der Bewohner die Bauten nachträglich aufgestockt wurden. In diesem Jahr wurde gerade das 50.Jubiläum der Paul-Hertz-Siedlung gefeiert, die Bauten sind herausgeputzt, aber die Siedlung gehört aktuell zu den sozialen Problemvierteln. Es ist ein Quartier mit "sehr niedrigem Entwicklungsindex", bezogen auf die Faktoren Arbeitslosigkeit (insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit), Aufstocker, Kinderarmut, Migrationshintergrund. Bei unserem Rundgang fanden wir gepflegte Anlagen vor, nur der beständige Geräuschpegel der beiden direkt angrenzenden Stadtautobahnen störte gewaltig.

Das Gefängnis Plötzensee, in dem die Nazis viele Widerstandskämpfer des 20.Juli 1944 hinrichten ließen, ist in eine Gedenkstätte umgewandelt worden. Diese Historie strahlt in mehrfacher Hinsicht auf das umliegende Gebiet aus. Die Straßen in der Paul-Hertz-Siedlung sind nach Widerstandskämpfern benannt, beide christliche Kirchen haben am Heckerdamm Gedenkkirchen mit einem gemeinsamen ökumenischen Glockenturm errichtet.

Die katholische Gedenkkirche Maria Regina Martyrum steht in einem mit niedrigen Stufen ansteigenden Feierhof, der bewusst an einen Appellplatz erinnern soll. Neben dem quaderförmigen Gotteshaus, das über einem quer gestellten Sockel und der Umfassungsmauer zu schweben scheint, befindet sich ein Altar auf dem Außengelände. Hier hat uns die Sonne das eingangs beschriebene Dreieck ausgeleuchtet, in dessen Zentrum der Altar steht. Erbaut wurden die Gedenkkirche und der umgebende Außenraum von dem Dombaumeister Hans Schädel.

Nebenan haben Nonnen aus dem Karmel-Kloster, die früher in Dachau ansässig waren, einen weiteren Ort gefunden, um ihre lebendige Erinnerungsarbeit fortzusetzen. Das evangelische Gedenkzentrum nebenan kann der eindrucksvollen Architektur der Regina Martyrum architektonisch nichts Gleichwertiges an die Seite stellen. Ein an die Betonwand gemalter fliegender Engel, mit einem Feigenblatt geschützt, das Kreuz in der einen, die Sprühflasche in der anderen, zeigt, dass dieser Innenhof kein Platz für Gedenkkultur ist.

Ein Graffiti mit dem Text "Religion ist heilbar" würde eine Kirche sicher nicht an der Wand belassen, eine "Madonna aus der Spraydose" (FAZ) schon, wenn sie im Auftrag der Kirchengemeinde selbst entstanden ist. Der Sprayer Stefan Strumbel ("Früher war ich total auf Graffiti"), der im Laufe seiner Entwicklung auf Leinwand und Objekte umstieg, wurde 2011 in einem kleinen badischen Dorf vor diese Aufgabe gestellt. Seit Jahren schuf er in Serie die skurrilsten, buntesten Kuckucksuhren mit Schweineköpfen, Knochen, Kreuzen, jetzt malte er den Innenraum einer vom Abriss bedrohten unscheinbaren Kirche aus. Entstanden sind ein hohes Wandbild der Madonna, ein vergoldetes Kreuz, pinkfarbene Lichtleisten, Comic-Sprechblasen für Gebete und ein Christus inmitten rosafarbener Strahlen. Es ist möglich: Religion meets Graffiti!

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Zur Gedenkkirche Maria Regina Martyrum gibt es einen Forumsbeitrag:
Gedenkkirche Maria Regina Martyrum (16.12.2013)

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(1) Kranhauscafè Oberschöneweide, 2 Bilder siehe (Die schöne Weyde an der Spree)
(2) Modersohnbrücke: Brücke mit Romantikfaktor
(3) Mehr über Eiswerke in Berlin: Eisfabrik
(4) Moabiter Eiswerke am Plötzensee: Menschen, Wiesen ,Wald und Wasser
(5) Schwerbelastungskörper: Ein Bauverlangen ohnegleichen
(6) "Welthauptstadt Germania": Welthauptstadt Germania
(7) Mehr über die Senatsreserve: Senatsreserve im eingeschlossenen West-Berlin
(8) Mehr über den Kleistpark: Verschiebebahnhof




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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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