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Menschen, Wiesen ,Wald und Wasser


Stadtteil: Wedding
Bereich: Plötzensee
Stadtplanaufruf: Berlin, Dohnagestell
Datum: 16. Juli 2013
Bericht Nr: 426

"Plötzensee ist eine Stätte heiterer Volksbelustigung. Zum berlinischen Sonntagsvergnügen gehören Kahnfahrten und Eselreiten, lauschige Wandelgänge, Gartenhallen, Berg- und Talbahn, ein Glaspalast und ein Aussichtsturm. Es gibt hier ein Schützenhaus und das 'Kaiserzelt', das als Rendezvous der Schlittschuhläufer im Winter bekannt ist. Unter den Gartenlokalen wie 'Deutscher Kaiser', 'Deutscher Kronprinz' oder 'Wiesengrund' ist der 'Carlshof' die unbestrittene Nummer eins. Auch in den Gaststätten 'Zum schwarzen Ferkel' und 'Zum ollen Seemann' kann ein ermatteter Plötzensee-Wanderer rasten."

'Kutte' hat mich gerettet, denn was soll ich heute über einen Badesee berichten, der von einem ausgedehnten Friedhofsfeld umgeben ist? Kurt Pomplun, der Berliner Stadtforscher, hat über das 'Amüsemang' am Plötzensee vor mehr als 100 Jahren geschrieben, und da muss es wie überall in den Ausflugsgebieten der Berliner sehr volksnah und kernig zugegangen sein. Heute gibt es hier kein Schützenhaus und keine Gaststätten mehr, Badegäste, Jogger und Sonnenhungrige bestimmen das Bild.

Die Nordseite der Seestraße wird von der Afrikanischen Straße bis zum Dohnagestell von drei lang gestreckten Friedhöfen flankiert, im Abstand um den Plötzensee herum finden sich weitere Gräberfelder. Ab 1860 wurden diese Begräbnisorte angelegt, Kirchengemeinden aus Moabit, Wedding und Gesundbrunnen errichteten diese Friedhöfe damals noch weit außerhalb der Stadt. Einen Zentralfriedhof hat Berlin nie besessen, anders als beispielsweise Hamburg mit dem parkartigen Ohlsdorfer Friedhof. Der Zentralfriedhof Friedrichsfelde ("Sozialistenfriedhof") ist - anders als sein Name vermuten lässt - nur ein Gemeindefriedhof. Nur der außerhalb der Stadtgrenzen liegende Südwestkirchhof Stahnsdorf (1909) kommt von der Ausdehnung und der Anlage an den Ohlsdorfer Friedhof heran. Im Berlin des ausgehenden 19.Jahrhunderts waren Landschaftsgärten noch kein Vorbild für die Anlage eines Friedhofs, und so sind die Anlagen in Plötzensee eher schlicht. Heute wirkt es so, als hätten sich die Begräbnisfelder am See schon aufgelöst, als würden sie in Wald und Wiesen übergehen. Ernst Jandl hat gezeigt, dass man dieser Vergänglichkeit auch eine heitere Seite abgewinnen kann:

"wir sind die menschen auf den wiesen
bald sind wir menschen unter den wiesen
und werden wiesen, und werden wald
das wird ein heiterer landaufenthalt"

Von den Friedhöfen an der Seestraße sind vor allem die Wandgräber baulich und kulturhistorisch interessant. Wie bei den Gründerzeitbauten in der Stadt werden Elemente des Barock, Klassizismus, Jugendstils und der Renaissance an den Grabmonumenten verwendet. Allerdings sind auch die Erbbegräbnisse zum Teil bewachsen und überwuchert und verstärken damit den Eindruck, dass diese Friedhöfe schon teilweise der Spontanvegetation überlassen werden. Die noch lesbaren Aufschriften regen zum Mitfühlen an, auch wenn schon mehrere weitere Generationen vergangen sind. An einem Wandgrab betrauert eine Witwe ihren lieben Mann, doch durch eine aufgeschraubte Steinplatte ist der ursprüngliche Name des Mannes durch einen neuen ersetzt. Erinnerte sie sich nicht mehr, wie er hieß, oder ersetzte sie ihren Gatten durch einen weiteren?

Noch nicht einmal fünf Jahre wurde der "süße Liebling", das einzige Kind, dem diese Zeilen gewidmet waren:
"Die schöne Hoffnung, die wir hegten,
Zerstörte Sturm wie welkes Laub;
Die schönste Blume, die wir pflegten,
Ward unverhofft des Todes Raub;
Doch es war Gotte Plan,
Was Gott thut, das ist wohlgethan."

Am Ufer des Plötzensees gab es seit 1845 eine öffentliche Badeanstalt südlich des heutigen Freibades, zuletzt als "Auerbachsches Wellenbad". Eine Militärbadeanstalt bestand am gegenüberliegenden Ufer. Der Sandstrand des Freibades wurde in den 1920er Jahren aus dem Ufer des Sees herausgebuddelt. Vor ein paar Jahren hat das Bezirksamt den gesamten See eingezäunt, inzwischen sind der Badeplatz am Ostufer und mehrere Aussichtspunkte wieder zugänglich. Man hätte wohl am liebsten das Publikum ganz fern gehalten von seinem See, noch heute verkünden an demselben Mast zwei Schilder Verbote für alle Jahreszeiten: "Baden und Angeln verboten" und "Betreten der Eisfläche verboten". Schlittschuh fahren soll man nicht, obwohl der See keinen Wasserzulauf hat. Die zuständige Amtsleiterin fragte sich, "warum sich die Bürger einbilden, sie hätten einen Anspruch darauf, fürs Baden nichts zu zahlen" - soviel zur Bürgernähe im Umweltamt Mitte.

Man könnte noch mehr tun für die naturliebenden Bürger. Seit mehr als 150 Jahren trennt der Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal Plötzensee in zwei Teile, doch eine öffentliche Promenade am Kanal entlang vom Großen Tiergarten bis zum Volkspark Rehberge wurde bisher nicht verwirklicht. So konnten wir von der östlichen Kanalseite her den Betrieb an der Plötzenseer Schleuse nicht beobachten, wir mussten uns mit einem Blick über die Kleingärten zufrieden geben. Die Schleuse Plötzensee stellt einen Pegelausgleich zwischen Spree und Havel her, sie überwindet ein Gefälle von 0,7 Metern. Der Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal und die Schleuse Plötzensee sind seit 1859 in Betrieb. Der preußische Stadtplaner und Landschaftsarchitekt Peter Joseph Lenné hat den Kanal gebaut - wie schon vorher den Landwehrkanal. Seine Planungen folgten einem stadtübergreifenden "Verschoenerungsplan", die Berliner nannten ihn liebevoll "Buddelpeter".

Alte Stadtpläne zeigen Eiswerke auf beiden Seiten des Schifffahrtskanals (1). Bereits seit den 1860er Jahren wurde in Berlin Natureis aus Seen gewonnen (2). Die "Moabiter Eiswerke" befanden sich am südwestlichen Ufer des Plötzensees neben der Badeanstalt. Ein zeitgenössischer Bericht hebt die gute Qualität des hier hergestellten Eises hervor: "Besonders bemerkenswerth ist die große Reinheit des Seewassers, aus dem das Eis gewonnen wird, was durch Analysen auch bestätigt sein soll. Der Plötzensee ist ein Binnengewässer, in dem keinerlei schmutzige oder ekelhafte Abgänge von gewerblichen Etablissements Aufnahme finden, wie dies bei anderen an offenen Gewässern liegenden Eiswerken oft der Fall ist. Dieser Umstand ist für Eis, welches zu Genußmittelzwecken vielfach verwendet wird, von großer Wichtigkeit". Das Eis wurde maschinell mit Elevatoren, die von einer "10pferdigen Lokomobile" angetrieben wurden, in Lagerschuppen transportiert.

Plötzensee als Ort wurde im Laufe Geschichte zwischen verschiedenen Verwaltungseinheiten hin und her geschoben, ohne selbst eine eigene Identität zu entwickeln. Um 1450 soll es hier einen Gutshof gegeben haben, der zum Tegeler Forst gehörte. Vor der Gründung Groß-Berlins war Plötzensee zum Kreis Niederbarnim zugehörig, der fast das ganze Umland Berlins nördlich des Berliner Urstromtals entlang der Spree umfasste. Heute ist Plötzensee zwischen zwei Bezirken aufgeteilt: Der östliche Teil mit dem See und den Friedhöfen gehört zu Wedding (Mitte), westlich des Berlin-Spandauer Schiffahrtskanals ist Plötzensee ein Ortsteil von Charlottenburg(-Wilmersdorf). In dem Charlottenburger Teil befinden sich das Gefängnis und die Gedenkstätte, dieses Gebiet wollen wir bei einem späteren Stadtspaziergang erkunden (3). Im Volkspark Rehberge nördlich des Sees wollen wir ebenfalls an einem anderen Tag einen Rundgang unternehmen.

Diesen Spaziergang haben wir Klaus Grimmek gewidmet, der in letzter Zeit öfter an unseren Stadtrundgängen teilgenommen hat. Für die Fassade des Amerikahauses in der Hardenbergstraße hat er das Mosaik entworfen (4), das Haus selbst wurde von seinem Vater gebaut, dem Senatsbaubeamten Bruno Grimmek. Den Besuch im Atelier Kühn in Grünau (5) verdanken wir Klaus Grimmek und viele Anregungen und Hinweise im Stadtbild während unserer Spaziergänge. Gestern haben wir unseren Freund zu Grabe getragen, bei unserer Stadterkundung ist er weiterhin gegenwärtig.

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(1a) Nach der neuen Rechtschreibung wird der Schifffahrtskanal als eigenständiger Begriff mit drei „f“ geschrieben. Im Eigennamen „Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal“ verbleibt es dagegen bei zwei „f“.
(1b) Mehr über den Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal: Spandauer Schifffahrtskanal
(2) Mehr über die Herstellung von Natureis: Eisfabrik
(3) Der Spaziergang im Charlottenburger Teil Plötzensees: Berlin in der Abendsonne
(4) Amerikahaus: Solange es diese Zoogegend noch gibt
(5) Das Atelier Kühn in Grünau: In Natureinsamkeit bei brausender Weltstadt


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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Wandernde Friedhöfe und Fabriken
Stadtentwicklung wie im Brennglas