Bezirke
  Straßenverzeichnis     Personen     Themen     Aktuell     Forum  
Charlottenburg-Wilmersdorf
Friedrichshain-Kreuzberg
Lichtenberg
Marzahn-Hellersdorf
Mitte
Neukölln
Pankow
Reinickendorf
Spandau
Steglitz-Zehlendorf
Tempelhof-Schöneberg
Treptow-Köpenick
Allgemein:
Startseite
Ich bin NEU hier
Hinweise
Kontakt
Impressum
Datenschutz
Links
SUCHEN
Sitemap

Die Blaue Grotte von Zehlendorf


Stadtteile: Zehlendorf, Lichterfelde
Bereich: zwischen den Dörfern
Stadtplanaufruf: Berlin, Hochbaumstraße
Datum: 26. November 2018
Bericht Nr.: 638

Dass Berlin aus einer Vielzahl von Dörfern zusammengewachsen ist, kann man am besten in den Außenbezirken beobachten, wenn man ehemalige Gemeindegrenzen überschreitet. Bauten im einheitlichen Charakter werden durch eine unorganische Bebauung abgelöst, Durchblicke und Landschafträume werden sichtbar, oft mit Kleingärten ausgefüllt, manchmal als landwirtschaftliche Flächen oder Erholungsgebiete genutzt. Natürlich ist es heute nicht mehr so, wie Julius Rodenberg eine Wanderung aus dem Berliner Zentrum hinaus 1884 beschrieb: "Auf dem weiteren Wege gewinnt die Umgebung eine ländliche Anmutung, bis man schließlich völlig von ländlicher Einsamkeit umgeben ist. Hier ist endlich kein Berlin mehr – kein Haus mehr, so weit der Blick reicht, nur eine Windmühle und sandiger Hügel". Die Stadt ist längst verdichtet, aber die Übergänge bleiben für den aufmerksamen Beobachter sichtbar.

Von Lichterfeldes westlichem Rand sind wir heute unterwegs zum östlichen Teil des Zehlendorfer Ortskerns. Auf dem Dahlemer Weg fuhr bis vor kurzem eine Industriebahn, die Goerzbahn, hier liegt die Grenze zwischen beiden Ortsteilen. In Lichterfelde markieren zwei Krankenhausareale den Siedlungsrand. In der Finckensteinallee hatten die Johanniter ein Krankenhaus errichtet, hier kümmert sich heute das Johanniterstift um die Altenpflege. Um die Ecke in der Carstennstraße entstand 1903 ein Homöopathisches Krankenhaus, in dem sich heute als Nachnutzer das Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes eingerichtet hat.

Das Rittberg-Krankenhaus
Die Behandlung von Kranken durch Homöopathie wird heute immer wieder abqualifiziert, sie war auch um 1900 nicht unumstritten. Die Berliner homöopathischen Ärzte errichteten 1904 in der Carstennstraße ein eigenes Krankenhaus. Möglich wurde das durch ein testamentarisches Vermächtnis. Lichterfelde gehörte damals noch nicht zu (Groß-)Berlin, wurde aber als Standort gewählt, weil der Berliner Magistrat das Krankenhaus nicht in seinem Stadtgebiet genehmigte: Die Homöopathie sei ein von der "modernen wissenschaftlichen Medizin abweichendes Heilsystem", sonst könnten auch das Wasserheilverfahren (Kneipp) oder das Naturheilverfahren ein eigenes Krankenhaus beanspruchen.

In der selbstständigen Gemeinde Lichterfelde entstand dann ein schlossartiges Gebäude mit drei Gebäudeflügeln und barocken und Jugendstilelementen. Entworfen wurde es von Theodor Thöns, "Architekt und Maurermeister". Von ihm sind in Friedenau mehrere Wohnhäuser überliefert mit "malerischer Note und Reliefs mit Rankenwerk und Putten".


mit KLICK vergrößern

Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm die Rittberg-Schwesternschaft vom Roten Kreuz das Haus, das um ein Kinderkrankenhaus erweitert wurde. Der Krankenhausbetrieb wurde 1995 eingestellt.

Zwischen den Dörfern
Wenn wir Lichterfelde verlassen, haben wir erst an der Mühlenstraße und Hampsteadstraße das Ende des ehemaligen "Niemandslandes" zwischen den beiden Dörfern erreicht. Die Finckensteinallee führte ab 1878 als Zehlendorfer Straße bis an die Lichterfelder Ortsgrenze. Die Hampsteadstraße endete zur gleichen Zeit als Lichterfelder Straße irgendwo im Zehlendorfer Ortsrand. Beide Straßen beziehen sich auf den jeweils angrenzenden Ort, haben aber keine Verbindung. Erst durch die 1929 konfigurierte Hochbaumstraße wurden die beiden Dörfer miteinander verbunden, sie zeigt deutlich den Charakter eines ehemaligen Niemandslandes.

Hinter den Lichterfelder Mehrfamilienhäusern an der Carstennstraße beginnt sie mit einer ausgedehnten Kleingartenanlage. Die Straße ist mal schmal, mal breiter, bereichsweise fehlen Bürgersteige. Im weiteren Verlauf der Hochbaumstraße baut jeder wie er will und kann. In beliebiger Größe, Ausrichtung, Kubatur und Dachform finden sich Siedlungshäuser, Mehrfamilienhäuser, Vor- und Nachkriegsbauten.

Zwei Kraftwerksbauer Am Karpfenpfuhl
Am Karpfenpfuhl, parallel zur Hochbaumstraße, stehen zwei Villen aus den 1920er Jahren. Erbaut von zwei Architekten, die beruflich mehrere Jahrzehnte auf dem Gebiet der Industrie- und Kraftwerksbauten eng zusammenarbeiteten. Walter Klingenberg und Werner Issel, die hier wohnten, planten das Kraftwerk Klingenberg in Rummelsburg. Werner Issel wird in dem Projektnamen unterschlagen, so wie es vielen Kollegen von Stararchitekten geht. So war Adolf Meyer beispielweise jahrzehntelang der Mann im Schatten des Bauhaus-Architekten Walter Gropius. Bei Peter Behrens wiederum arbeiteten Walter Gropius und Mies van der Rohe im Team. Im Grunde muss man sich zu jedem "erbaut von" den Zusatz "und Büropartner" denken.

Villen Klingenberg und Issel
Die Villen der Architekten Klingenberg und Issel sind direkt benachbart, nur von Zugängen zu Hammergrundstücken unterbrochen. Hier wie auch später in Zehlendorf sehen wir, dass die Grundstücke weit in die Tiefe gehen, so dass nach einer Teilung des Grundstücks im rückwärtigen Bereich Platz ist für weitere Bauten, ein typischer Fall der "Nachverdichtung". Issel hat an seinem Bau ein kleines Kraftwerk angedeutet. Der Schornstein auf einem Vorbau endet in einem mehrfach gebrochenen Backstein-Schlot.


mit KLICK vergrößern

Nachkriegsmoderne in Zehlendorf
Der Zeitungskiosk in Zehlendorf Mitte (heute Kulturkiosk) auf der ehemaligen Dorfaue zeigt die Handschrift der Nachkriegsmoderne des Architekten Kurt Kurfiss. Ein auskragendes Dach wie bei einer Tankstelle schwebt über einem verglasten Innenraum. Der Kiosk war der realisierte Teil seines Entwurfs zum Zehlendorfer Zentrum, für den Kurfiss 1953 den ersten Preis erhielt. Kurfiss hat in Zehlendorf mehrere Siedlungen und Häuser geplant. Er war Maler, Zeichner, Bildhauer und Skulpteur. Manchmal setzte er seine skulpturalen Werke zur Fassadengestaltung ein.

Wegen seines "architekturästhetischen Verständnisses für Einfachheit und vornehme Zurückhaltung" wird Kurfiss gelobt. Bei dem Einfamilienhaus Hochbaumstraße 77 können wir uns diesem Urteil nicht anschließen. Wenig Einfachheit, aber ein massiven Baukörper mit unruhigen vertikalen Fensterachsen. Dass dieser Bau als Nachkriegsmoderne denkmalgeschützt ist, liegt wohl an der skulptural ausgearbeiteten Fassade des Hauses.


mit KLICK vergrößern

Stephanuskirche
Der nächste Bau der Nachkriegsmoderne auf unserem Weg steht an der Mühlen- Ecke Hochbaumstraße. Die Stephanusgemeinde hat hier von dem Architekten Otto Risse eine Kirche mit freistehendem Glockenturm errichten lassen, nachdem sie jahrelang eine alte Wehrmachts-Baracke als Gotteshaus nutzen musste. Die neue Kirche hat die Form eines Tipis, der kegelförmige Bau ist aus Stahlbeton, das Dach ist mit Kupfer verkleidet.

Der Architekt dieses Kirchenbaus, Otto Risse, hat mit seinem Büropartner mehrere Pavillons auf dem aufgelockerten Campus der Freien Universität errichtet für die Juristen, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler und Chemiker. Für Bayer, Hoechst, die Raiffeisenbank und die Hamburg-Mannheimer Versicherung baute er Geschäftshäuser in Charlottenburg.

Zwischen Hampsteadstraße und Mühlenstraße
An der Straße Am Mühlenfelde beginnt das ursprüngliche Zehlendorf. Die Hampsteadstraße und die Mühlenstraße verlaufen hier parallel zur Bahn. Im Gebiet zwischen beiden Straßen finden wir "gründerzeitlichen Privatarchitektur", aber auch anspruchsvollen Siedlungsbau. Der Postarchitekt Fritz Nüssle hat an der Seehofstraße durchgehend zur Straße Am Mühlenfelde für Beamte der Reichspost eine Wohnanlage mit einem durchgrünten Innenbereich gebaut. Am Teltower Damm hatte die Reichspost bereits sechs Jahre früher ein Gebäudeensemble für ihre Beamten errichten lassen. Offensichtlich war der Bedarf groß und die Reichspost hat mit dem teuren Baugrund in Zehlendorf-Mitte nicht gespart in der Fürsorge für ihre Mitarbeiter.

Der Architekt der Postsiedlung, Fritz Nüssle, hat mit dem Postamt SO 36 und dem Fernsprechamt Süd in der Belziger Straße angrenzend an das Postamt in der Hauptstraße markante Bauten entworfen. Auch das Postamt in der Friedrichshagener Bölschestraße wurde von ihm erbaut.

Die Bauten zwischen Prinz-Handjery- und Stubenrauchstraße sind als Ensemble geschützt, sie sind typisch für die Privatarchitektur der Gründerzeit nach der Reichsgründung 1871. "Privatarchitektur" deshalb, weil hier keine Terraingesellschaft das Gebiet aufbereitet hat. Die Bauten sind völlig unterschiedlich, von der Villa über die Wohnburg bis zum Landhaus, aber von einer imposanten gestalterischen Phantasie geprägt. Sie sind ein Ausblick auf das, was uns noch an Villen südlich der Mühlenstraße erwartet.

Das älteste erhaltene Wohnhaus in der Prinz-Handjery-Straße 3 mit Stilelementen italienischer und französischer Villenarchitektur ist auf einem Sockel erbaut und dadurch hervor- und emporgehoben. Hier wie beim Haus Nr.1 stammen Entwurf und Ausführung von einem Maurermeister. Bauhandwerker konnten zu seiner Zeit durch eine Baugewerkschule Fertigkeiten wie ein Baumeister erwerben.

Grotten und ein wilhelminisches Disneyland
Das Bild der gründerzeitlichen Villen setzt sich an der Prinz-Handjery-Straße bis zur (und in die) Knesebeckstraße fort. Hier finden sich aber auch Objekte ausufernder Phantasie wie die Tuffsteingrotte auf dem Grundstück Prinz-Handjery-Straße 8. Wenn man nichts davon weiß, könnte man achtlos an dem bewachsenen Objekt nahe dem Gartenzaun vorbeigehen. Noch extremer wurde es an der Knesebeckstraße: Ferdinand Keck, dem auch ein Café an der Leipziger Straße in Mitte gehörte, führte an der Knesebeckstraße das Café "Lindengarten". Er hatte sich dort eine Grotte bauen lassen, die der Blauen Grotte auf Capri nachempfunden war. Den Garten mit Goldfischteich, tönernen Rehen und Zwergen, Rosenzüchtungen und Spalierobstreihen betrat man an einem Tempelchen mit dem vergoldeten Götterboten Hermes. Das Ganze war in der Kaiserzeit eingerichtet worden, ein "wilhelminisches Disneyland".

Der Architekt Robert Kleinau hatte den Lindengarten zusammen mit einem "Obergärtner" entworfen. Kleinau war ab 1893 als freier Architekt in Zehlendorf tätig. Von den vierzehn Wohnhäusern, die er dort erbaut hat, stehen die meisten unter Denkmalschutz. In seinem eigenen Haus Knesebeckstraße 1 sind bei der Restaurierung Gravuren und Verzierungen gefunden worden, die wahrscheinlich noch aus der Bauzeit stammen. Klinken mit insektenähnlichen Gravuren, Türverglasungen mit floralen Motiven, Fenstergitter mit Blumenmotiven. Der Gewölbekeller wird manches Bacchanal erlebt haben, dort finden sich gemalte Wirtshausszenen.

Auch der Landhausarchitekt Hermann Muthesius hat in der Knesebeckstraße gebaut. Dort steht das erste Wohnhaus, das er 1905 nach seiner Rückkehr aus England entworfen hat. Bei seinem mehrjährigen Aufenthalt als Attaché an der Deutschen Botschaft in London studierte er den englischen Landhausbau und entwickelte einen eigenen Typus des Landhauses. Das Haus für einen preußischen Staatssekretär öffnet sich im Winkel zur Straße, bildet einen Innenhof. Die Fensterformen unterscheiden sich je nach ihrer Funktion im Innern des Hauses.

Kleinhaussiedlung Im Schönower Park
Wenn in Zehlendorf-Mitte von einer "Kleinhaussiedlung" die Rede ist, wird es sich nicht um Behelfsbauten handeln. Klein sind die von Gustav Kemper gebauten Häuser nur im Vergleich zu großbürgerlichen Landhäusern. Die Wohnhäuser Im Schönower Park sind von ihrem Raumprogramm von Landhäusern abgeleitet, verfügen aber nur über eine sehr viel kleinere Wohnfläche. Die Sichtverbindung des Wohnhauses zum weit in die Grundstückstiefe gehenden Garten ist eingeplant, er ist quasi eine Verlängerung des Schönower Parks in die Grundstücke hinein. Die Häuser an der Westseite stehen am Hang, zur Hausrückseite wird so eine weitere Etage sichtbar, die vom Gärtner/Dienstboten bewohnt wurde. Die Hausfronten haben eigentümliche Gauben, die von Fledermausgauben abgeleitet sein könnten und als einzelne Gaube fast die ganze Dachbreite umfassen. Die kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs erbaute Siedlung zeigt so für die knappen Mittel jener Zeit eine erstaunliche Vielfalt.

Der Architekt der Kleinhaussiedlung Regierungsbaurat Gustav Kemper hat in den 1920er Jahre eine weitere Wohnsiedlung erbaut, die städtische Siedlung Thieleck. Sie wird als städtebaulich modern beschrieben, gelobt wird ihre herausragende künstlerische und städtebauliche Bedeutung.


In diesem Bericht habe ich zu den Architekten der vorgestellten Bauwerke immer beispielhaft weitere Bauten genannt. Wie bei Künstlern und Musikern gibt es auch bei Architekten das Phänomen, dass manchmal nur ein einzelnes Werk Aufmerksamkeit erregte und der schöpferische Impetus des Urhebers danach verlöschte. Bei unserem Rundgang sind wir nur auf Baumeister gestoßen, die ihr Können auch an anderen Werken bewiesen haben.

--------------------------------------------------------------

--------------------------------------------------------------
Unsere Route:
--------------------------------------------------------------

zum Vergrößern ANKLICKEN



Der schwebende Bungalow
Berliner Gesicht mit Sommersprossen