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Der schwebende Bungalow


Stadtteil: Zehlendorf
Bereich: Stolpe
Stadtplanaufruf: Berlin, Am Birkenhügel
Datum: 12. November 2018
Bericht Nr.: 636

Das Dorf Stolpe am Stölpchensee war um 1850 "ein ganz einsames märkisches Fischerdorf mit etwa zwanzig Bauernhäusern mit Strohdächern". Die Lage am äußersten Stadtrand hielt großstädtische Einflüsse weitgehend fern. Nachdem nebenan die Villenkolonie Alsen entstanden war, wurde über die Alsenstraße eine Verbindung nach Stolpe hergestellt. Damit begann die Bautätigkeit in dem alten Dorf. Die Chausseestraße wurde ausgebaut und die Glienicker Straße befestigt, eine Straßenbeleuchtung eingerichtet, der alte Friedhof erweitert. Im Jahr 1898 erfolgte der Zusammenschluss mit den Nachbargemeinden (u.a. Kohlhasenbrück, Steinstücken, Glienicke) zu der neuen Gemeinde Wannsee.

"Wohin ist all diese Herrlichkeit geschwunden? Das alte Dorf Stolpe ist nicht mehr", beklagte ein ortsansässiger Künstler. Der dörfliche Charakter verschwand, als die Chausseestraße zur Kreisstraße Richtung Kohlhasenbrück wurde. Zunächst entstanden zwei- bis dreigeschossige Wohnhäuser mit Remisen entlang der Straße. Nach dem Gemeindezusammenschluss folgten Landhäuser und Villen sowie eine Schule. In den 1920er Jahren weitete sich Stolpe nach Westen aus, neue Straßen wie die Straße "Am Birkenhügel" wurden angelegt. Heute liegt am westlichen Rand von Stolpe das Kernforschungsinstitut Hahn-Meitner, das inzwischen "Materialien und Energie" in seinem Namen führt, die Atomforschung wurde verbal abgerüstet.

Sommerfieldring
Diesem Straßennamen liegt eine feine Differenzierung zwischen "Adolf Sommerfeld" und "Andrew Sommerfield" zugrunde. Es handelt sich um ein und denselben Mann, den Unternehmer, der dem Berliner Südwesten zu vorbildlicher moderner Architektur verhalf, man denke nur an die Onkel-Tom-Siedlung. Der 1886 in Posen geborene jüdische Bauunternehmer Adolf Sommerfeld emigrierte im März 1933 nach England, nachdem ein Trupp einer Nazi-Sturmabteilung sein Wohnhaus überfallen hatte. Sein Bauunternehmen arbeitete nach "Arisierung" unter neuer Leitung weiter.

Nach dem Ende der Nazizeit kam er aus England als Andrew Sommerfield in seine Heimatstadt Berlin zurück und nahm 1952 sein Bauunternehmen wieder in eigene Hände. Das letzte von ihm persönlich begonnene Bauvorhaben waren 1964 Kaufeigenheime in Stolpe. Zwei Jahre später wurde dort ihm zu Ehren der Sommerfieldring in der Nachkriegs-Schreibweise seines Namens benannt.

Villa und Bungalow im "Stolper Modus"
In Stolpe sind in unterschiedlichen Epochen mehrere Wohnhäuser gebaut worden, die sich nach außen verschlossen und abweisend geben, sich hingegen rückwärtig öffnen und einen privaten Bereich zum Garten schaffen. Vom Innern der großen Wohnräume geht der Blick über die nähere Umgebung, teilweise bis zum Wasser. Die Ideen kommen von Architekten, die in der Innenstadt markante großstädtische Bauten realisiert haben.

Rudolf Maté, Bergstücker Straße
Rudolf Maté hat in den 1920er Jahren mehrere Wohnanlagen gebaut wie die Siedlung Brunnenhof in Wedding. Weitere Hausgruppen und Miethäuser stehen in Charlottenburg, Schöneberg und Steglitz. In Stolpe baute er auf einem aufgeschütteten Gelände ein Eigenheim, das wie eine Wehrburg wirkt.

Zur Straße schaut aus der gelben Backsteinfassade im ersten Stock nur ein Bullauge auf die Straße. Die rundbogige Haustür vorn im Erdgeschoss scheint nicht aus der Bauzeit zu stammen, denn der eigentliche Hauseingang befindet sich auf der linken Hausseite. Die großen Wohnzimmer im Erdgeschoss öffnen sich nach hinten mit einer Terrasse zum Garten. Direkt vom Wohnzimmer geht die Treppe ab, die zum Schlafzimmer im Obergeschoss führt. Von der Rückseite des Hauses aus hat man einen Blick bis zum Pohlesee.

Günter Hönow, Otto-Erich-Straße
Günter Hönows Schaffenszeit war die Nachkriegsmoderne. Beispiele seiner Tätigkeit sind das Hochhaus der Deutschen Bank am Ernst-Reuter-Platz, das Empfangsgebäude des S-Bahnhofs Charlottenburg und ein Flachwohnbau im Nachwuchswettbewerb der Interbau 1957 (*). Studiert hatte er bis 1955 an der Kunsthochschule Weißensee, später unterrichtete er selbst an der UdK (Universität der Künste). Berlin war zwar geteilt, aber noch nicht eingemauert, so dass der West-Berliner Hönow sich zwischen Ost und West bewegen konnte.

Ortsansässig und verwurzelt war Günter Hönow in Stolpe: Aufgewachsen in einer Landwirtsfamilie in Stolpe, Wohnung und Atelier im eigenen Haus in Stolpe, gestorben in Stolpe, beerdigt auf dem Friedhof von Stolpe (Wannsee I). Sein künstlerischer Blick ging weit über Stolpe hinaus, richtete sich beispielsweise auf Egon Eiermann, Max Taut und auf den International Style.

Hönows kubischer Bungalow in der Otto-Erich-Straße schwebt - nach Süden gedreht - auf einem Sockelgeschoss aus Betonscheiben. Auch die Umfassung des Grundstücks ist aus Sichtbeton, der sorgfältig verarbeitet wie gemauerte Steinschichten wirkt. Zwischen dem Wohn- und Schlaftrakt des Hauses befinden sich zwei behagliche Innenhöfe mit Schiebetüren aus Glas. Die Hausrückseite öffnet sich in voller Breite und Höhe mit einer Loggia zum Garten, ist aber als reine Sichtverbindung ohne eigenen Gartenzugang angelegt.


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Dieser Bungalow in seiner Vollkommenheit ist das Spitzenwerk von Günter Hönow, der in Stolpe mehrere Einfamilienhäuser mit ähnlicher Architektursprache errichtet hat. Beispielsweise das Haus Immenhausen am Arnold-Knoblauch-Ring, das ebenfalls mit zwei Innenhöfen gestaltet ist, einem Eingangshof zur Straße und einen Wohnhof zur Rückseite. Von diesem Haus hat man einen guten Ausblick auf den Stölpchensee.

Tempel im Garten
Ein Reichsbahninspektor hat in seiner enthusiastischen Begeisterung für die Antike ein einzigartiges Bauwerk in den Garten seines großen Grundstücks in der Schäferstraße gestellt. Er ließ einen dorischen Tempel mit sechs Säulen, Dreiecksgiebel und Gebälk errichten, eingerahmt von kleineren Anbauten in Tempelform. Zunächst diente die Anlage der Erbauung, später gestaltete der Reichsbahninspektor die Baulichkeiten zu Wohnungen aus.


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Von der Straße aus bleiben diese Bauwerke verborgen, sie werden durch ein hohes Miethaus verdeckt. Eine Nachbarin gestattete uns von ihrem Grundstück aus einen Blick auf das "Heiligtum".

Mutter Fourage
Der Kulturstandort auf dem Hof der Chausseestraße 15 a - Mutter Fourage - ist eine stadtweit bekannte Institution: Galerie, Kulturscheune, Kunsthandel, Café auf dem Hof einer um 1900 gegründeten Futtermittelhandlung (Futtermittel auf Französisch: Fourage). Pferdefutter und alles für Stall und Weide wurde damals vertrieben. Die Scheune brannte 1924 ab und wurde mit einer ungewöhnlichen Dachkonstruktion wieder aufgebaut:

Einem Zollingerdach, dessen Gewölbe innen von einem rautenförmigen Netz aus Holzlamellen getragen wird. Der Materialknappheit in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wurde Rechnung getragen durch die aneinandergereihten kurzen Holzstücke. Auf Balken und Stützen eines Dachstuhls konnte ganz verzichtet werden, eine Holzersparnis von vierzig Prozent.


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Friedhof Stolpe, jetzt Wannsee I
Auf dem Bestattungsplatz an der Friedenstraße konnten die Toten ihren "Frieden finden", so verspricht es der Straßenname. Hier ist der Architekt Günter Hönow beerdigt. Einige Grabsteine mit Hönow-Namen verweisen auf ortsansässige Verwandte. Dem Architekten Hans Poelzig wollen wir einen Besuch abstatten, mit Hilfe eines anderen Friedhofsbesuchers kommen wir an sein Grab.

Eine schillernde Persönlichkeit, die hier 1945 beerdigt wurde, war Friedrich Minoux. Er war Geschäftsführer des Stinnes-Konzerns, bevor er ein eigenes Unternehmensimperium im Energiebereich aufbaute. Aufsichtsratsmandante bei Bewag, Gasag, Wasserwerken und anderen Berliner Wirtschaftsbetrieben nutzte er zu betrügerischen Scheingeschäften. Ein Gericht verurteilte ihn zu fünf Jahren Haft und 600.000 Reichsmark Geldstrafe. Seine Villa am Großen Wannsee musste er verkaufen, sie ging als Haus der Wannseekonferenz in die Geschichte ein.

Ungewöhnlich ist auf dem Friedhof Stolpe die Grabfigur von Asta-Maria Hensel - aufrecht, selbstbewusst, ohne Trauer -, der Schwester des Widerstandskämpfers Helmuth Graf von Moltke. Sie hatte Tischlerin gelernt, arbeitete in mehreren Architekturbüros und beteiligte sich an einem Verlag. Ihr Mann Karl Heinz Henssel verlegte unter anderem die Werke von Joachim Ringelnatz. Der Henssel-Verlag ging später im Diogenes-Verlag auf.

Ist der Eiserne Gustav mit seiner Kutsche erneut zu großer Fahrt aufgebrochen? Wo ist das Grab des legendären Kutschers, der mit seiner Pferdedroschke bis nach Paris gefahren war? Noch nie haben wir einen Friedhof auf allen Wegen und bis in den letzten Winkel so intensiv abgesucht wie hier. Der anhängende Stadtplan mit unserer GPS-Spur belegt, dass wir wohl zwei Kilometer längs und quer gelaufen sind, bis ein Friedhofsarbeiter die Bühne betrat und uns zu dem abgeräumten Friedhofskarree führte, wo verborgen hinter einer Hecke im einzigen verbliebenen Grab der Eiserne Gustav auf seine letzte Fahrt gegangen ist.


Wie zu erwarten können wir uns zum Abschluss unseres Rundgangs dem Reiz der Mutter Fourage nicht entziehen. Bei Kaffee und Tee bereiten wir uns auf die Rückfahrt in die Berliner Innenstadt vor.

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(*) Über das Interbau-Projekt von Günter Hönow schrieb der SPIEGEL, es sei "ein Einfamilienhaus, in dem jedes Bett des Eltern-Schlafzimmers - von der Wohndiele aus - einen eigenen Zugang hat. Hönows Kollegen haben diesen Schlafzimmer-Typ <Moltke-Zimmer> getauft, weil die Benutzungsanweisung - Moltkes strategischer These entlehnt - nur lauten könne: <Getrennt marschieren, vereint schlafen>".
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Unsere Route:
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Die Blaue Grotte von Zehlendorf