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Begeisterung für das Orientalische


Stadtteil: Wedding
Bereich: Koloniestraße
Stadtplanaufruf: Berlin, Tromsöer Straße
Datum: 3. Oktober 2011

Wenn am 3.Oktober die deutsche Einheit gefeiert wird, laden zeitgleich am "Tag der offenen Moscheen" islamische Gotteshäuser zur Führung und zum Gespräch ein. Dazu gehören in Berlin nicht nur die repräsentative Sehitilik Moschee am Columbiadamm, sondern auch typische Hinterhof-Moscheen. Wir haben die Bilal-Moschee im Wedding in der Drontheimer Straße für einen Besuch ausgewählt und können einen Spaziergang vom U-Bahnhof Osloer Straße über die Koloniestraße bis zum S-Bahnhof Wollankstraße einschließlich Panke-Überquerung damit verbinden.

Islamische Kultur hat Europa beeinflusst, seitdem 1453 Konstantinopel von den Osmanen erobert wurde und aus der bedeutenden christlichen Kirche Hagia Sophia eine Moschee wurde. Wien widerstand dem türkischen Zugriff, als Süleyman-Sultane zweimal - 1529 und 1683 - nach Westeuropa griffen, beide Male wurden sie abgewehrt. Mit der fremden Kultur aber, dem Reiz des geheimnisvollen Morgenlandes, schmückte man sich gern. Orientalische Gewänder, Kostümfeste mit "Türken" und Sklaven, Tulpen, der "Türkentrank" Kaffee aus Mokkatässchen, der Orient in Mode, Kunst, Literatur und Musik, eine Begeisterung für das Türkische und Orientalische wurde zum Zeitgeist.

Auch in der Architektur spielte man mit dem Orientalischen. Heute wird gegen neue Moscheebauten mit Bürgerinitiativen gekämpft, da ist es kaum vorstellbar, dass die Form einer Moschee als künstlerische Außenhaut Gebäude ganz anderer Zweckbestimmung umgab. In Dresden steht seit 1909 die "Yenidze", eine Zigarettenfabrik in Form einer Moschee, ein Stahlbetonbau mit farbiger Glaskuppel, die Schornsteine waren in die Form von Minaretten gekleidet. Die umgangssprachliche Bezeichnung „Tabakmoschee“ zeigt, dass die in der Gebäudeform enthaltene Botschaft über das hier hergestellte Produkt verstanden wurde. Dem Architekten Martin Hammitzsch brachte der Aufsehen erregende Bau allerdings den Ausschluss aus der Architektenkammer ein.

In Potsdam errichtete Ludwig Persius 1843 ein Pumpwerk ("Dampfmaschinenhaus") in Form einer Moschee. Eine Borsig-Pumpe - die stärkste ihrer Art in Deutschland - versorgte die Fontänen in Sanssouci und konnte damit nach 60 Jahren endlich die Wasserspiele realisieren, die Friedrich der Große im Park seines Schlosses so gern selbst gesehen hätte, für die aber die technische Entwicklung noch nicht reif war. Die Moschee-Form geht auf König Friedrich Wilhelm IV. zurück, das Haus mit seiner exponierten Lage am Havelufer war von der königlichen Gartenterrasse in Sanssouci aus sichtbar.

Moscheen als Gotteshäuser: Immer mehr Kirchen schließen, die Zahl der Moscheen steigt, allerdings kaum als klassisches Gebäude mit Kuppel und Minarett, sondern in anderen Gebäuden, beispielsweise Wohnhäusern oder Fabriketagen. Damit fällt ein nach außen sichtbares Identifikationsmerkmal weg, die Moschee wird ein Stück weit unsichtbar. Dies wirkt eher als Abgrenzung und nicht als Integration, da die Berührungspunkte mit Nachbarschaften begrenzt sind. In unserer von Religionsferne geprägten Gesellschaft bleibt ein diffuses Unbehagen bis hin zur Angst vor religiösem Fundamentalismus. Gerade hier will der "Tag der offenen Moschee" eine vermittelnde Rolle spielen.

Die Bilal-Moschee ist von pakistanstämmigen Moslems geprägt, aber hier wird deutsch gesprochen (Deutschsprachiger Muslim-Kreis). Man wird in Gastfreundschaft empfangen, miteinander in guter Weise umzugehen ist das erklärte Ziel. Fragen drängen sich schon auf angesichts des Gewichts, das der Islam im täglichen Leben mit fünf Gebeten am Tag und mit ständigen sprachlichen Bekräftigungen beim Erwähnen von Gott und Prophet erhält, von anderen Reizthemen wie "Ungläubige" und "Rolle der Frau" ganz abgesehen. Es wird alles perfekt und schlüssig beantwortet, und doch hat die Veranstaltung mehr den Charakter einer Beschreibung als einer Annäherung.

Nachdenklich setzen wir den Spaziergang fort, der uns zunächst an der Ecke Osloer/Tromsöer/Drontheimer Straße am ehemaligen Telefunken- und AEG-Gelände entlang geführt hat. An der Koloniestraße begegnet uns noch eine weitere Moschee in einem einsam stehenden Gebäude zwischen Schrebergärten. Auch auf dem Telefunken-Gelände gab es eine Moschee, drei islamische Gotteshäuser in naher Umgebung.

Die Siedlung Brunnenhof an der Kolonie-, Zechliner und Fordoner Straße wurde in den 1920er Jahren von Rudolf Mate entworfen, die lebendigen Fassaden sind mit einfachen Mitteln abwechslungsreich gestaltet. Gegenüber an der Zechliner Straße errichtete der Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann zehn Jahre vorher ein Schulhaus, auf dessen Medaillons der Berliner Bär als Schulkind mit Schulranzen zu sehen ist, eine nette Replik auf Hermann Blankensteins Berliner-Bären-Wappen an allen seinen Gebäuden.

Die Fordoner Straße hat eine parkähnliche Mittelinsel mit einem Gedenkstein für Harald Juhnke, er war ein echter Weddinger. Wie in Berlin leider zunehmend üblich, ist der Park zwar angelegt worden, für seine Pflege fühlen sich die Stadt und der Bezirk aber nicht mehr verantwortlich. Noch ist Juhnke zu erkennen und nicht zugewachsen.

Auch wenn hier mehrere Kleingartenkolonien liegen, die Koloniestraße hat ihren Namen von den Siedlungen, die im 18.Jahrhundert planmäßig vor der Stadt angelegt wurden und nicht von den Kleingärten. Ein Kolonistenhaus, das allerdings am Verfallen ist und sich hinter Büschen verbirgt, ist (bisher) erhalten geblieben: "Das unscheinbare Kolonistenhaus an der Koloniestraße 57, das 1782 als Wohnhaus der Kolonie hinter dem Gesundbrunnen errichtet wurde, ist das letzte erhaltene Gebäude einer friderizianischen Ansiedlung im Norden Berlins" (Denkmaldatenbank). In der Koloniestraße 116 steht ein Miethaus von 1872 mit klassizistischer Fassade, das durch seine geringere Höhe (2 statt 4 Obergeschossen) auf die frühe Bebauungsphase verweist.

Über die Panke kommen wir zum S-Bahnhof Wollankstraße. Das Bahnhofsgebäude reizt dazu, die Kamera noch einmal in die Hand zu nehmen. Das abschließende Flaniermahl genießen wir am Spreeufer des Schiffbauerdamms, noch ist Sommer im Herbst und man kann draußen sitzen.

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Weitere Moscheen auf unseren Stadtrundgängen:
Ahmed-Camii-Moschee: Haben Sie gedient?
Lahore-Moschee: Engel und andere Transzendentale
Merkez-Camii-Moschee: Kathedrale der Elektrizität

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Unsere Route
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Stettiner Bahn in Ost und West
Wandernde Friedhöfe und Fabriken