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Fortschritt durch optische Täuschung


Stadtteil: Schöneberg
Bereich: zwischen Grunewaldstraße und Pallasstraße
Stadtplanaufruf: Berlin, Barbarossaplatz
Datum: 5. Mai 2014
Bericht Nr.: 461

Geht man vom U-Bahnhof Kleistpark in die Grunewaldstraße hinein, dann sollte man sich von dem mächtigen Bau der Königlichen Kunstschule auf der rechten Seite nicht davon ablenken lassen, auf der linken Seite einer unscheinbaren Einfahrt zu den Meisenbachhöfen zu folgen. Hier hat das Unternehmen produziert, das den Druck von Bildern in der Zeitung möglich gemacht hat.

Der Rasterdruck von Bildern, den Georg Meisenbach erfunden hat, beruht im Grunde nur auf einer optischen Täuschung, doch er hat einen weltweiten Quantensprung in der Verbreitung von Informationen durch Bilder ausgelöst. Vor seiner Erfindung konnten zwar Illustrationen gedruckt werden, aber das war ein mühevoller und teurer Weg. Die Fotografie konnte wohl Abbildungen herstellen und auf beschichtetem Fotopapier vervielfältigen. Um Fotos auf normalem Papier zu drucken, mussten sie dann aber erst durch Graveure auf Stein- oder Holzplatten übertragen werden (Lithografie, Holzschnitt). Erst die Auflösung der Bilder in Rasterpunkte und deren mechanische Weiterverarbeitung - Meisenbachs Erfindung - brachte den Durchbruch. Für uns ist die Visualisierung Alltag, damals verbreitete erst das neue Druckverfahren Bilder als Informationsquelle, Informationen wurden jetzt auch medial vermittelt. „Hunderttausend Worte wenden sich an den Verstand, an die Erfahrung, an die Bildung – ein Bild sagt mehr" (Kurt Tucholsky).

Meisenbach war Kupferstecher mit hoher zeichnerischer Begabung. In seiner Münchener "Chemigraphischen Kunstanstalt" entwickelte er diese Autotypie, mit der Bilder mechanisch auf beschichtete Zinkplatten projiziert werden. Da die Drucktechnik nur Volltöne, keine Zwischentöne drucken kann, zerlegte er die Bilder in Punkte. Durch die Anordnung der kleineren und größeren Punkte ließen sich für unsere Augen schwarze oder graue Bildbereiche darstellen, obwohl tatsächlich nur Vollton gedruckt wurde. Meisenbachs Unternehmen wurde zu Europas größter grafischer Kunstanstalt, nachdem er sich mit einem Partner zusammen geschlossen hatte. Produziert wurde in München, Berlin und Leipzig. Eine Hauswandbemalung im Innenhof der Meisenbachhöfe zeigt die damalige Ausdehnung der Berliner Fabrik und das erste Bild, das Meisenbach mit seinem Verfahren in Punkte zerlegt hatte und das der Patentschrift beigefügt war.

Die Königliche Kunstschule an der Grunewaldstraße 2-5 wurde 1869 eingerichtet, bereits ab 1874 durften hier Frauen an den Seminaren teilnehmen. Erster Rektor war Martin Gropius, der Großonkel von Walter Gropius (1). Nebenan stand das Botanische Museum, es ist als letztes Gebäude des nach Dahlem verlegten Botanischen Gartens (2) erhalten geblieben und wird vom Kunstamt genutzt. Ein ganzes Ensemble von Miethäusern in der Grunewaldstraße Höhe Gleditschstraße aus den 1890er Jahren vermittelt einen Eindruck der Gründerzeit, teilweise ist der Fassadenschmuck ziemlich überladen. Doch manchmal darf man nicht hinter die Fassade schauen, ein grauer Innenhof scheint noch aus der Zillezeit zu stammen, wo eine Göre im Hof ruft: "Mutta, jib doch die zwee Blumtöppe raus, Lieschen sitzt so jerne ins Jrüne!“.

Neben dem unscheinbaren Eingang zu den Meisenbach-Höfen liegt der ebenfalls sehr unauffällige Zugang zum Kurt-Hiller-Park: Eine Auftürmung von Steinen, mal als Rund, mal als Hügel, ein Spielplatz, eine Schlange, die sich um einen Buddelkasten windet. "Über die Zukunft grübeln (ist) das sicherste Mittel, sie zu vereiteln" wird Kurt Hiller an einer Hauswand zitiert. Er lebte von der Kaiserzeit bis ins Nachkriegsdeutschland, war ein couragierter Schriftsteller, Rechtsphilosoph, Kämpfer für die Rechte Homosexueller, Pionier des Expressionismus in der Literatur, streitbarer Pazifist, der aus Nazi-Deutschland flüchtete und nach Kriegsende wieder zurückkam. Er war "ein ungeheurer Streithammel, sein ganzes Leben", auch mit Siegfried Jacobsohn von der Weltbühne lag er als Autor jahrelang überkreuz. Jacobsohn beklagte sich bei Tucholsky über Hillers "Hysterie, Verfolgungswahn, Eitelkeit, Empfindlichkeit, Anmaßung und Geschmacklosigkeit". Hiller stand in Kontakt mit vielen Künstlern und Intellektuellen in mehreren Zeitabschnitten, so beispielsweise mit Magnus Hirschfeld, Carl von Ossietzky, Tilla Durieux, Else Lasker-Schüler, Karl Schmidt-Rottluff, Ossip K. Flechtheim, Martin Niemöller. 1955 wurde Hiller mit dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet. Erstaunlich, dass die Nachwelt so wenig von ihm weiß.

Das Haus des Berliner Krippenvereins in der Karl-Schrader-Straße entstand vor rund 140 Jahren als Initiative gegen die hohe Kindersterblichkeit während der industriellen Revolution. Kinder von Fabrikarbeiterinnen, die wegen ihrer Arbeit nicht stillen konnten, waren in besonderem Maße betroffen. Im Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus (KAVH) wurde unter anderem geforscht, welche Nahrung die Muttermilch ersetzen konnte (3), zur gleichen Zeit übernahm die Krippe die Betreuung von Kleinkindern. Einer der Präsidenten des Kinderkrankenhauses KAVH war gleichzeitig Vorsitzender des Berliner Krippenvereins. So arbeiteten staatliche Gesundheitsfürsorge und - durch bürgerliche Wohltätigkeit - private Initiativen gemeinsam an der Umsetzung einer Sozialreform.

Auf dem Nachbargrundstück in der Karl-Schrader-Straße gründete im gleichen Jahrzehnt der "Berliner Verein für Volkserziehung" einen Kindergarten mit angeschlossenem Kindergärtnerinnen-Seminar. Später kamen eine Hauswirtschaftsschule und eine soziale Frauenschule hinzu. Es war eine Initiative der damaligen bürgerlichen Frauenbewegung, die damit die soziale, sozialpädagogische und hauswirtschaftliche Arbeit von Frauen fachlich qualifizierte. Heute ist das Pestalozzi-Fröbel-Haus eine öffentlich-rechtliche Stiftung, bildet Erzieher/innen aus, betreut Kinder und Jugendliche, unterhält Nachbarschaftszentren. Es ist diese Verbindung von Theorie und Praxis, die das besondere des Pestalozzi-Fröbel-Hauses ausmacht.

Den Kleistpark umrunden wir heute, ohne hereinzugehen. Er war schon im September 2005 unser Ziel (2). Auch mit der Geschichte des Sportpalasts, nach dessen Abriss eine Wohnmaschine ("Sozialpalast") errichtet wurde, haben wir uns bereits beschäftigt (4). In diesen Bauriegel quer über die Pallasstraße wurde ein Hochbunker integriert, auch hierüber hatte ich bereits geschrieben (5). So schließt sich für uns heute der Kreis an der Pallasstraße mit der Kirche und den Gründerzeitbauten, darunter zwei Bauten von Bruno Möhring (6). Eine Schule an der Goltzstraße mit knalligem gelb und orange und einer ungewöhnlichen Bauform wirkt wie frühe Postmoderne (7), ist aber bereits Ende der 1950er Jahre entstanden. Der Verein für die Geschichte Berlins meint hierzu: "Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst."

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(1) Mehr über Martin Gropius: Gropius, Martin
(2) Verlegung des Botanischen Gartens: Verschiebebahnhof
(3) Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus (KAVH): Säuglingspalast mit Kuhstall
(4) Sozialpalast: Sozialpalast --> siehe auch Bausünde
(5) Hochbunker an der Pallasstraße: Maikäfer im Bunker
(6) Der Architekt Bruno Möhring: Möhring, Bruno
(7) Mehr über Postmoderne: Postmoderne



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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route
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Unschuldigste Beruhigungsmittel
Ein Engel vor der Pforte