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Kein kulturelles Herz


Stadtbezirk: Lichtenberg
Bereich: Rummelsburg
Stadtplanaufruf: Berlin, Paul-und-Paula-Ufer
Datum: 19. Dezember 2011

Zu einer Spielzeugeisenbahn gehören nicht nur Eisenbahnzüge, Gleise, Weichen, Signale und Bahnhöfe. Dazu gehört auch ein Lokschuppen, wenn möglich ein Ringlokschuppen als Nostalgie-Modell. Ringlokschuppen bestehen aus Kreissegmenten, die um eine außerhalb liegende Drehscheibe angeordnet sind. Hervorgegangen ist diese Bauform aus Rundhäusern, also kreisrunden Lokschuppen, in denen die innen liegenden Gleise sternförmig von der Drehscheibe in der Mitte des Gebäudes abgehen. In der großen Welt der Eisenbahnen haben Rundhäuser ausgedient, weil sie nicht flexibel genug sind: die Länge der in dem runden Bauwerk zu parkenden Lokomotiven ist begrenzt, die Lokschuppen sind nicht erweiterbar. In Deutschland gibt es noch zwei Rundhäuser, beide stehen in Berlin - in Pankow und in Rummelsburg - und beide sind dem Verfall preisgegeben. Auch der Denkmalschutz kann den Gebäuden nicht helfen, da er keinen Hebel bietet, um die Bahn zur Erhaltung der historischen Substanz zu zwingen. Dass die Bahn auch anders kann, zeigt sie in Hannover, wo sie 2009 einen gut erhaltenen ehemaligen Ringlokschuppen für drei Tage mit Inszenierungen aus Licht, Klang und Bewegung geöffnet hat.

Würzburg kämpft mit ähnlichen Verfallserscheinungen bei der Bahn wie Berlin, dort setzt sich der "Arbeitskreis Studierende für Denkmalschutz" gegen den "Kulturausverkauf" ein und kämpft für den Erhalt eines Ringlokschuppens. Dass einem stillgelegten Lokschuppen neuer Atem eingehaucht werden kann, zeigen Beispiele in Bielefeld und Rosenheim. Der Ringlokschuppen in Bielefeld war nach 17 Jahren Leerstand nur noch eine fast dachlose Hülle von Außenmauern, als er zu einem Veranstaltungszentrum für Konzerte, Tagungen, private Feiern, Präsentationen, Ausstellungen und Messen ausgebaut wurde, Café, Bistro, Biergarten, Disco inklusive. Der "Fiese Freitag" bietet außergewöhnliche Musik, am "SuperSamstag" gibt es Klassiker von den 60ern bis zu den 90ern, sowie Reggae, House und Elektro.

In Rosenheim wird ein ausgebauter Lokschuppen zum städtischen Wahrzeichen, die Stadt schreibt stolz auf ihrer Homepage: "Das kulturelle Herz der Stadt Rosenheim ist halbrund: Eine alte Lokomotiven-Remise, die 1988 zum Schmuckstück umgebaut wurde. Es entstand eines der schönsten Ausstellungszentren Bayerns, vom Bund Deutscher Architekten preisgekrönt." Es ist ein Forum für Kunst, Kultur und Wissenschaft. Hier finden Landesausstellungen statt, es gibt ein Café und ein Bistro und einen Außenbereich für Open-Air-Veranstaltungen.

Der Rummelsburger Rundlokschuppen ist eine geniale Ingenieurleistung des preußischen Baubeamten Johann Wilhelm Schwedler. Das Wölben lag offensichtlich in der Familie: Hatte sein Schwiegervater, der Baumeister Christian Gottlieb Cantian, sich mit der nach innen gewölbten Form beschäftigt und die Granitschale im Berliner Lustgarten geschaffen, so schuf Schwedler mit der nach außen gewölbten Kuppelkonstruktion eine technische Meisterleistung, die noch heute seinen Namen trägt. Die mit Rippen, Ringen und Diagonalen filigran ausgebildete Tragkonstruktion der Schwedlerschen Kuppel beruht auf der geschickten Anwendung geometrischer Erkenntnisse. Im Ringlokschuppen überbrückt die Kuppel 30 Meter Gebäuderadius, im Fichtebunker (--> 1) beträgt die Spannweite 56 Meter. Weitere Schwedler-Kuppeln tragen beispielsweise die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße, der Frankfurter Hauptbahnhof und der Berliner Ostbahnhof.

Ein weiterer verwahrloster Rundlokschuppen steht in Pankow am S-Bahnhof Heinersdorf. Und die Bahn hat noch mehr zu bieten: Einen Auswandererbahnhof, der unbeachtet in Spandau verfällt (--> 2). An all diesen Orten wird nicht nur Bausubstanz, sondern vor allem Erinnerung vernichtet.

Die Nordseite des Rummelsburger Sees ist unser heutiges Ziel für einen Spaziergang. Die Bebauung der Rummelsburger Bucht war ein engagiertes Vorhaben der Stadt Berlin zu einer Zeit nach der Wende, als man von einem Anwachsen der Bevölkerung auf 4 Millionen ausging und deshalb neben der Wasserstadt Spandau (--> 3) auch hier Wohnungen für die Neubürger errichten wollte. Das Projekt ist für die Stadt defizitär geendet, am Rummelsburger See sind aber rund um erhaltene historische Bauten neue Wohnungen entstanden. Abwechslungsreich kann man die Neubebauung nur nennen, wenn man den Wechsel von der eintönigen Straße eines Investors zur eintönigen Straße des nächsten Investors meint. Vielfach sind die Erdgeschosse der Häuser als Garagen zweckentfremdet worden, um Parkplätze für die Autos zu schaffen. Nur die schwarz-weißen Reihenhäuser der "Artists Village" heben sich davon ab, mit vier bis sechs Meter hohen Atelierräumen und Dachterrasse sind sie die Townhouses der Rummelsburger Bucht.

Die 19 Altbauten des Städtischen Arbeits- und Bewahrhauses, einst vom Stadtbaurat Hermann Blankenstein errichtet, sind ebenfalls zu Wohnungen umgebaut worden. Doch wer möchte schon in einem ehemaligen Arbeitshaus wohnen, in dem Arbeitslose, Dirnen, Kuppler und Betrüger zur Einübung von Arbeitstugenden und zur Abschreckung und Disziplinierung verwahrt wurden und das auch mal als Gefängnis diente? Da hat man es in "BerlinCampus" umbenannt, die assoziative Nähe zu einem Universitätscampus nimmt man gern in Kauf, und wirbt mit dem "traumhaften Platz" der "historischen Gebäude auf dem Gelände", hält sich aber mit Hinweisen auf die wirkliche Geschichte vornehm zurück.

Schon vor dem "BerlinCampus" hatte eine kreative Adlige eine Idee, was man aus der ehemaligen Krankenstation des Gefängnisses machen könnte. "Zelle mit Wasserblick" bietet ihr Hotel "Das andere Haus 8", dazu hat sie die acht Quadratmeter großen Räumen karg eingerichtet, ohne DDR-Kitsch, ohne Fernseher, sozusagen als bewohnbaren, erlebbaren Geschichtsort. Wer unter der dunklen Vergangenheit leidet, kann wenigstens per WLAN virtuell entfliehen.

Auch die noch erhaltenen Knabenhäuser des 1859 errichteten Friedrichs-Waisenhauses wurden zu Wohnungen umgebaut. Insgesamt bestand die Anlage früher aus jeweils vier Knaben- und Mädchenhäusern, einem Lazarett mit zentraler Koch- und Waschküche, einem Wirtschaftsgebäude, einer Gärtnerei, einem Badeschiff für die Mädchen und einer Badestelle für die Jungen, 500 Kinder konnten hier untergebracht und betreut werden.

Die Nordkurve des Rummelsburger Sees heißt Paul-und-Paula-Ufer. Hier ist das berühmteste Liebespaar des DDR-Films in einer Traumsequenz mit einem Bett über den See gestartet. Die Geschichte selbst ist nicht so lustig, die Alleinerziehende Paula und der unglücklich verheiratete Paul haben kein happy-end. Sie scheitern nach missglückten Versuchen, durch die Liebe persönliches Glück zu finden, zum Schluss stirbt sie bei der Geburt des gemeinsamen Kindes. Erich Honecker höchstpersönlich hatte dafür gesorgt, dass der Film gezeigt werden durfte, er wollte den jungen Menschen in seiner Republik etwas bieten. Den Puhdys hatte er damit auch etwas Gutes getan, sie wurden durch den Film berühmt.

Die Stralauer Seite des Rummelsburger Sees haben wir heute nur von weitem gesehen, dort wird uns demnächst ein weiterer Spaziergang hinführen.

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Nachtrag im Dezember 2011: Der Pankower Rundlokschuppen ist mit dem umliegenden Bahngelände an Möbel-Krieger verkauft worden, berichtete der Tagesspiegel kurz nach unserem Rundgang. Der Lokschuppen soll erhalten werden, außerdem soll ein Wohnquartier und ein Einkaufscenter für Möbel entstehen. Für den Lokschuppen Rummelsburg ist keine Lösung in Sicht.

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Unser erster Besuch in der Rummelsburger Bucht: Vorne Wellen, hinten Weltstadt
(1) Fichtebunker: Fichtebunker und Die vier Leben eines Gasometers
(2) Auswandererbahnhof: Freiheit für die Auswanderer
(3) Wasserstadt Spandau: Wasserstadt mit beschränkter Haftung


Verknüpfte Welt
Nach dem Vorbilde der Bienenarbeit