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Starke Frauen und Automobile


Stadtteil: Charlottenburg
Bereich: Vom Charlottenburger Kiez nach Westend
Stadtplanaufruf: Berlin, Knobelsdorffstraße
Datum: 28. September 2022
Bericht Nr.:786

Die Knobelsdorffstraße verbindet den alten Charlottenburger Kiez mit der Villenkolonie Westend. Als Verlängerung der Zillestraße beginnt sie, am Ende wird sie hinter der Soorstraße als Platanenallee weitergeführt. Bis zur Stadtautobahn flankieren gründerzeitliche Mietwohnhäuser die Straße, westlich davon erstrecken sich drei Wohnsiedlungen entlang der Knobelsdorffstraße.

Eine starke Frau und das Automobil sind ein eindrucksvolles Bündnis, das haben wir bei unserem heutigen Stadtrundgang wieder an zwei Beispielen gesehen. Zuvor aber noch ein kleiner Blick auf Beispiele aus der Geschichte: - Clärenore Stinnes ("Fräulein Stinnes") ist ab 1927 zwei Jahre lang als Erste mit einem serienmäßigen Adler-Automobil um die Erde gefahren. Als sie losfuhr, war sie 26 Jahre alt.


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Jutta Kleinschmidt gewann 2001 als erste Frau die Wüsten-Rallye Paris-Dakar, 10.000 Kilometer Extremsport. - Margaret A. Wilcox meldete 1893 ihre Erfindung einer Autoheizung zum Patent an, sie war eine der ersten weiblichen Maschinenbau-Ingenieurinnen. - Mary Anderson hatte 1903 den Scheibenwischer erfunden und als "Fensterreinigungsvorrichtung für Autos zur Entfernung von Schnee, Eis oder Graupel von der Scheibe" patentieren lassen. - Stephanie Kwolek entwickelte 1964 Kevlar, eine synthetische Faser, die den Kautschuk in Reifen widerstandsfähig macht.

Auf unserem Weg entlang der Knobelsdorffstraße begegnen wir den Lebensgeschichten zweier Frauen, die mit dem Auto verbunden sind: Kläre Bloch und Heidi Hetzer. Beide kamen aus Familien, die das Auto zum Beruf gemacht hatten.

Kläre Bloch
Sie kam aus einer Kraftdroschkenkutscher-Familie, lernte Kontoristin und erwarb mit 22 Jahren den Taxiführerschein. So wurde Kläre Bloch 1930 eine der ersten Taxifahrerinnen Berlins. In der NS-Zeit versteckte sie mehrere Juden in ihrer Wohnung und rettete ihnen damit das Leben. Einer ihrer heimlichen Mitbewohner war der Pressezeichner Erich Bloch (Namensvetter des Schriftstellers), den sie heiratete und pflegte, als er 1955 einen Schlaganfall erlitt.

Kläre-Bloch-Platz
Der dreieckige Platz am östlichen Ende der Knobelsdorffstraße wurde 2004 nach dieser mutigen Frau benannt. Kläre Bloch hatte jahrelang in der Wundtstraße gelebt, die in diesen Platz einmündet. Der Bildhauer Achim Pahle schuf eine Brunnenskulptur für den Platz, zwei ungleichmäßig geformten Stelen, die sich zur Spitze hin verjüngen.


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Heidi Hetzer
An der Stadtautobahn Höhe Knobelsdorffstraße lächelte bis 2012 eine Frau mit Rennfahrerhaube von einem Gebäude. Heidi Hetzer verkaufte dort Opel in dem Autohaus, das ihr Vater 1919 gegründet hatte. Auch sie hatte eine Automobil-Biografie: Sie erlernte den Beruf der Kfz-Mechanikerin, mit 31 Jahren übernahm sie den Betrieb ihres Vaters, aber ihre Leidenschaft galt dem Motorsport. Als Rallyefahrerin fuhr sie die Rennen Monte Carlo, Paris – Berlin, Düsseldorf-Shanghai und viele andere Rennen. Sie gründete den Berliner Autoclub für Frauen (BAFF), der sich mit Sprachwitz auch berlinisch als "da biste baff" aussprechen lässt.

Heidi Hetzer war ein Original, sie war sich ihrer medialen Wirkung voll bewusst. Ihre Handtasche mit Firmenlogo hatte die Form eines Autos, das Logo Opel in Gold trug sie um den Hals. Den Enkeln schenkte sie zur Geburt einen Oldtimer. Von ihrem Sohn wünschte sie sich einen Segway - einen Vorläufer der E-Skooter - als Fortbewegungsmittel in der Stadt. Der Sohn war es auch, der mit einstieg, als ihr Unternehmen nach der Finanzkrise 2008 in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Seinen IT-Job im Silicon Valley hatte er aufgegeben, wollte aber nach der Konsolidierung nicht im Unternehmen bleiben, deshalb wurde es verkauft, als sie 75 wurde.

Aller Sorgen ledig fuhr sie im Oldtimer los, auf Weltumrundung, wie ihr Vorbild Clärenore Stinnes (siehe oben). Zwei Beifahrer hat sie nacheinander verbraucht, aber "Heide um die Welt" ließ sich nicht unterkriegen, die Medien begleiteten das Spektakel und gaben ihr eine zeitgemäße Bühne. Kurz nach ihrer Rückkehr ging sie auf letzte Fahrt, ihr Grabstein ist mit Trophäen aus ihrer Rennfahrerzeit dekoriert.

Josef Thorak, Hitlers Steinmetz
Vor Hitlers Neuer Reichskanzlei in Berlin standen zwei "Schreitende Pferde", monumentale Kunstwerke von Josef Thorak. Er war einer der meist beschäftigten Bildhauer des NS-Regimes, "einer von Hitlers Steinmetzen", wie der Spiegel schrieb. In der Nachkriegszeit wurden die Pferde in einem Lagerhaus wiederentdeckt, sie sollen in kritischer Rezeption der Ausstellung "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ in der Zitadelle Spandau eingegliedert werden.


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Es gab noch ein drittes Exemplar, diese Pferdeskulptur hatte Thorak nach dem Krieg einem staatlichen bayerischen Internat übergeben, um die Schulgebühr für seinen Sohn zu bezahlen. Und dort wird es wohl auch bleiben. Thorak überstand die Entnazifizierung als "nicht betroffen", wie viele andere Schöpfer ideologischer Kunstwerke aus der Nazi-Zeit, die unbehelligt blieben und sogar ihre Tätigkeit in der Bundesrepublik fortsetzen konnten. Im Olympiastadion steht eine Vielzahl von Skulpturen, die von diesen "gottbegnadeten" Künstlern geschaffen wurden: Vordergründig angelehnt an antike Vorbilder, die Themen an die Nazi-Ideologie angepasst, die Werke ins Monumentale gesteigert.

Josef Thorak: "Arbeit" und "Heim"
An der Knobelsdorffstraße Ecke Königin-Elisabeth-Straße stehen zwei Steinskulpturen von Josef Thorak, die von ihrer Monumentalität, Thematik und ihrer Wirkung dem Geist der NS-Zeit entsprechen, aber bereits fünf Jahre vor der Machtergreifung geschaffen wurden. Symmetrisch an der Straße gegenüber stehen die Muschelkalkstatue eines Mannes mit dem Titel "Arbeit" und einer Mutter mit Kind, betitelt "Heim". Auch die Fronten der beiden Siedlungen, die die Straße flankieren, deuten mit Maß und Materialität eine Ähnlichkeit zu späteren Nazibauten an, wobei die Innenhöfe eher den Geist des Reformwohnungsbaus atmen - ein Widerspruch, den wir nicht aufklären können.

Siedlungen, Straßenbahn-Betriebshof
Von der Königin-Elisabeth-Straße bis zur Soorstraße wird die Knobelsdorffstraße von ausgedehnten Wohnsiedlungen eingerahmt, die als genossenschaftliche Wohnungsbauten in den 1920er Jahren errichtet worden sind. An der Königin-Elisabeth-Straße formen achtgeschossige Kopfbauten eine städtebauliche Torsituation für die Knobelsdorffstraße, die von dort zur Soorstraße ansteigt. Das südliche Straßenkarree bis zur parallel verlaufenden Fredericiastraße hat die Berliner Straßenbahngesellschaft mit Wohnungen für ihre Betriebsangehörigen bebauen lassen, die Gebäude hat der Architekt Otto Rudolf Salvisberg errichtet. Einen Betriebshof mit Wagenhalle erbaute im Blockinnern der Hausarchitekt der Straßenbahn, Jean Krämer. Wie bei anderen Hallen für die Straßenbahn arbeitete er hier mit dem Bauingenieur Gerhard Mensch zusammen, einem begabten Schöpfer von Stahlskelettkonstruktionen. 29 Gleise führten zur Wagenhalle, die 320 Wagen aufnehmen konnte.

Die historische Wagenhalle wird - wie die Rinderauktionshalle in Lichtenberg - von demselben Fahrradhändler mit einer riesigen Auswahl an Zweirädern und Zubehör bespielt. Der weitgehend stützenfreie Bau mit mehreren quadratischen Oberlichtöffnungen ist ein idealer Ort, um sein Angebot zu präsentieren. Hier hat ein Unternehmer die Chancen einer Nachnutzung erkannt, ein ziemlich einmaliges Ambiente geschaffen und gleichzeitig ein Baudenkmal gesichert.


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Postamt
Wenn man die Wohnanlage umrundet, in der sich das Straßenbahndepot befindet, stößt man gegenüber an der Ecke Fredericiastraße auf einen Eckbau, der so gar nicht zu den umgebenden klar gegliederten Bauten mit expressionistischen Fassadenelementen passen will. Der Sockel rustiziert (mit starken Fugen gegliedert), ein vorkragendes Gesims am gesamten Bau. Von einem die Ecke umfassenden runden Bauteil gehen Seitenflügel in beide Straßen ab. An einem Seitenflügel drei Kalksteinsäulen im Erdgeschoss, am Rundbau Halbsäulen in Kolossalordnung (über mehrere Etagen) in den Obergeschossen.

Mit einem stattlichen Barockschloss wird es verglichen, tatsächlich ist es ein Postamt, das kurz nach dem Ersten Weltkrieg errichtet wurde, aber immer noch die Bauweise der Kaiserzeit verinnerlicht. Das Postamt hatte weder einen Postadler mitbekommen noch einen Schriftzug in der Fassade, der auf seine Funktion hinweist. Die Ausformung des Gebäudes ist nicht vom Grundriss her erfolgt, so ist auch die prominente Rundung nur auf Außenwirkung aus.


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Litfaßsäulen
Hinter einem Absperrgitter entdecken wir an der Knobelsdorffstraße die Reste einer Litfaßsäule. Die historischen Anschlagsäulen sind Zeugnisse der Berliner Stadtgeschichte. Sie bestehen aus Blech oder Beton, einige wenige auch aus Asbest. Ungefähr 150 Papierschichten wurden übereinander geklebt, dann wurde abgeschichtet und neu begonnen. Manche "Annonciersäulen" hatten ein technisches Innenleben, sie wurden von den Elektrizitätswerken als Trafostationen verwendet.

Jetzt werden die Berliner Litfaßsäulen - bis auf 24 denkmalgeschützte - als Sondermüll entsorgt und durch neue ersetzt, teilweise an wirtschaftlich attraktiveren Standorten. Der Senat wollte mehr Einnahmen aus der Stadtwerbung erzielen und hatte die Leistung neu ausgeschrieben. Der bisherige Anbieter Wall kam nicht mehr zum Zuge und muss - weshalb eigentlich? - die Säulen abbauen. Jetzt sollen mit Plexiglas ummantelte digital gesteuerte Säulen an ihre Stelle treten. Für höhere Renditen werden historische Stadtelemente geopfert, eine Entwicklung, die man leider viel zu oft sieht.
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Unsere Route:
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Freiheit und Schmerz der Stadt
Zählbare Erscheinungen des menschlichen Lebens