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Ein gradliniger Lebenslauf


Stadtbezirk: Wilmersdorf, Zehlendorf
Bereich: Wilder Eber
Stadtplanaufruf: Berlin, Pacelliallee
Datum: 25. Januar 2011

Rund um den Wilden Eber sind wir heute auf den Spuren des Architekten Hermann Muthesius unterwegs, der hier mehrere Landhäuser gebaut hat. Die Gegend am Übergang von Schmargendorf zu Dahlem (die Grenze verläuft über Lentzeallee, Wilden Eber, Pücklerstraße) ist eine Villen- und Landhausgegend, in der nur Veterinär- und Gartenbau-Universitätsinstitute und die Domäne Dahlem auf die ländliche und landwirtschaftliche Vergangenheit verweisen.

Im Umkreis des Wilden Ebers unterhält die Bundesregierung drei stattliche Villen für staatliche Zwecke. In der Pücklerstraße 14 und in der Miquelstraße 66 wurden die Villen mal für den Bundespräsidenten, mal für den Bundestagspräsidenten oder für Bundeskanzler Schröder vorgehalten. In der Pacelliallee 14 befindet sich das Gästehaus der Regierung, es umrahmt einen kleinen Ehrenhof. Hier wohnte Joschka Fischer vorübergehend als Außenminister der rot- grünen Koalition. Das Eckhaus nebenan (Nr.18) ist ein Werk von Muthesius, das heute von der Stanford-University genutzt wird. Im Gegensatz zu manchen anderen Muthesius-Bauten ist dieses Haus nicht symmetrisch, der Straßengiebel steht seitlich, der öffentliche kleine Park hinter dem Haus wird optisch mit in die Gesamtkomposition einbezogen. Das Haus ist nur teilweise im Original erhalten, es flog in die Luft, als die damalige Eigentümerin in den 1950er Jahren den Gashahn aufdrehte, um ihr Leben zu beenden.

Im März 1900 feierte der Berliner Architektenverein den 119. Geburtstag Schinkels. Der aus London angereiste Regierungsbaumeister und Botschafter Hermann Muthesius (1861-1927) gab einen Abriss der Architekturgeschichte und würdigte dabei Karl-Friedrich Schinkel. Die Berlinische Monatsschrift berichtet hier über den Baumeister UND Botschafter Muthesius, wie kam er zu dieser ungewöhnlichen Doppelfunktion?

Das verweist auf einen Lebenslauf, der zielgerichteter, geradliniger kaum sein könnte. Hermann Muthesius hatte bei seinem Vater das Maurerhandwerk erlernt, er studierte Architektur, arbeitete als Architekt mit mehrjährigem Aufenthalt in Japan, wurde Regierungsbaumeister und Mitglied der Schriftleitung von zwei Bauzeitschriften und kam dann im amtlichen Auftrag als Architektur-Attaché für sieben Jahre an die Londoner Botschaft. In dem mehrbändigen Werk "Das englische Haus" veröffentlichte er seine Forschungsergebnisse insbesondere zum Landhausbau. Mit zahlreichen Artikeln und Büchern und als gefragter Vortragsredner beeinflusste er die deutsche Architekturentwicklung seiner Zeit, setzte sich für die Überwindung des an der Vergangenheit orientierten Historismus und des Jugendstils zugunsten eines zweckmäßigen, funktionsorientierten Bauens mit Gediegenheit, Wohnlichkeit und Komfort ein. Er starb durch einen Unfall bei der Besichtigung einer Baustelle und blieb damit selbst im letzten Augenblick noch seinem Lebensthema Architektur nah. Nach ihm ist eine Kunsthochschule in Kiel benannt, seine Frau, eine ausgebildete Konzertsängerin, wirkte als Innenarchitektin und Modedesignerin.

"Anständiges Leben gibt es nicht im Reihenhaus" - wenn das eine Devise für seine Entwürfe war, dann hat er selbst in der Preußensiedlung den Beweis dafür angetreten, dass sich seine Bauweise nicht für Kleinhäuser in einer Arbeiterkolonie eignet (--> 1). Selbst Villensiedlungen, deren Bebauung am Blockrand ausgerichtet ist, sind eine andere Kategorie. Seine Landhäuser öffnen ebenerdig mehrflüglige Türen direkt in den Garten, das Haus nimmt an der Natur teil, greift manchmal sogar optisch über das eigene Grundstück hinaus, indem es umliegende Grünflächen und Parks einbezieht. Im Innern des Hauses wurde man in einer Halle empfangen, es gab Herrenzimmer und Salon und natürlich Dienstboten. Muthesius hatte in London gelernt, dass es Butler und Housekeeper und Diener gab, und Hausmädchen, Köchin, Kinderfrau, Gärtner. Und so lebte man auch in den Berliner Landhäusern, bis man sich weder Dienstboten noch so ein Haus leisten konnte und das Gebäude schließlich für Mietparteien oder Eigentumswohnungen in mehrere Einheiten aufgeteilt wurde. Oder die Häuser werden von Einrichtungen genutzt, die solche Repräsentation auch heute noch brauchen und bezahlen können.

Kommen wir zurück zum Wilden Eber. Hier treffen sieben Straßen zusammen, in die spitze Ecke von Rheinbabenallee und Warnemünder Straße ist das "Dreigruppenhaus" hereingebaut worden. Der Hausgrundriss sieht wie ein Mercedes-Stern aus, jeder Strahl ist ein eigenes Wohnhaus mit selbstständigem Zugang, die drei Bauglieder sind optisch stark voneinander getrennt, aber baulich verbunden.

Die Lentzesiedlung zwischen Zoppoter und Misdroyer Straße ist eine der Kleinsiedlungen der 1920er Jahre, mit denen die Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg gemildert werden sollte und die gleichzeitig mit Nutzgarten und Stallgebäude der Selbstversorgung ihrer Bewohner dienten. Die zweigeschossigen Putzbauten haben am Obergeschoss eine schlichte Holzverschalung aus senkrechten Stäben, es sollte eine Ausrichtung an dem regionaltypischen Heimatstil sein. Gebaut wurden die Reihenhäuser für Mitarbeiter der Preußischen Oberfinanzdirektion, heute sind sie im Eigentum einer Stuttgarter Immobilienholding.

Pückler-Ecke Bernadottestraße steht noch ein Muthesius-Bau mit Blumendekoration auf dem Erker. Muthesius hat rund 70 Landhäuser gebaut, viele stehen in Nikolassee, auch sein eigenes Wohnhaus. Der nächste Spaziergang wird uns deshalb nach Nikolassee führen (--> 2). Heute steigen wir zur Heimfahrt am Bahnhof Podbielskiallee in dieselbe U-Bahnlinie, die uns zu Beginn unseres Spaziergangs zum Bahnhof Breitenbachplatz gebracht hatte.
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(1) Preußensiedlung: Wie wirklich ist die Wirklichkeit

(2) Muthesius in Nikolassee: Frevel gegen die Götter


Militärkommando und Mediengarten
Ein lichtes Berliner Dörfchen