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Schulen und Rathäuser aus einer Hand


Stadtteil: Tempelhof
Bereich: Mariendorf
Stadtplanaufruf: Berlin, Alt-Mariendorf
Datum: 2. März 2020
Bericht Nr.:689

Auf unserem Weg vom alten Dorfkern Mariendorfs zum Fürstenviertel begegnen uns vier Schulgebäude. Die älteste Schule ist die Gemeindeschule Alt-Mariendorf. Sie war eine einklassige Dorfschule, die zweimal nach Bränden 1748 und 1809 erneuert und schließlich 1873 durch ein zweigeschossiges Gebäude mit getrenntem Knaben- und Mädchenbereich ersetzt wurde. Die Bevölkerung wuchs, der spätklassizistische Bau mit zwei Portalen reichte bald nicht mehr aus. Auf dem rückwärtigen Grundstücksteil zur Friedenstraße wurde deshalb 1908 ein Neubau in großstädtischem Maßstab errichtet, der noch heute für den Schulbetrieb und die Volkshochschule genutzt wird. Der Erbauer, der Potsdamer Architekt Otto Kerwien, hat in Berlin außerdem das Rathaus Schmargendorf errichtet, über ihn gibt es kaum persönliche Informationen.

Realgymnasium Mariendorf
Zeitgleich entstand an der Rathaus- Ecke Kaiserstraße das Realgymnasium Mariendorf, eine ungewöhnlich vielgestaltige Anlage: "Die Schüler sollten sich in den freundlichen und hellen Klassenzimmern und auf dem großzügigen Schulhof zu Hause fühlen." Die Architekten Heinrich Reinhardt und Georg Süßenguth - Erbauer der Rathäuser Steglitz, Spandau, Charlottenburg, Treptow und des Hamburger Hauptbahnhofs - errichteten eine abwechslungsreich gestaltete Baugruppe mit mehreren Giebeln, Turmaufbauten mit geschwungenen Kupferhelmen, mehrfach abgeknickten Mansarddächern und einem Belvedere mit Aussichtsplattform.


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Sgraffito
Ein unscheinbares Schulgebäude in der Machonstraße birgt einen künstlerischen Schatz, der noch nicht gehoben worden ist. Die bildliche Darstellung, die man über dem Eingang sieht, ist keine Wandbemalung, sondern ein Sgraffito. Das sind großformatige und mit wenigen Linien und Flächen in den Putz gekratzte Bilder, so wie man sie wieder auf Fassaden der 1950er und 1960er Jahre finden konnte.

Diese seit der Renaissance bekannte Technik arbeitet mit mehreren Putzschichten, eine oder mehrere farbige Schichten befinden sich unter der Oberfläche. Durch Abkratzen mit Eisenwerkzeugen entsteht das Bild. Im Nationalsozialismus wurde diese Kunstform politisch instrumentalisiert, wie beispielsweise mit heimat- und erdverbundenen Szenen am Lüdenscheider Weg in Spandau. In der Nachkriegszeit wurden Sgraffito zu rein ästhetische Applikationen und schweben als scheinbar schwereloser Schmuck auf den Wandflächen.


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Elisabeth-Rotten-Schule
Die Elisabeth-Rotten-Schule, auf die das Sgraffito verweist, war eine Sonderschule für lernbehinderte Kinder. Kinder mit und ohne Behinderung sollen gemeinsam lernen (Inklusion), deshalb hatte der Bezirk die Sonderschule aufgelöst. Gegen den Willen der Eltern, die wegen fehlender personeller und räumlicher Ausstattung die Regelschule noch nicht gerüstet sahen für die Aufnahme behinderter Kinder.

An der Fläming-Grundschule in Friedenau haben 1975 Elterngruppen einen Integrations-Schulversuch durchgesetzt. Es war die erste Schule in Deutschland, die Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam unterrichtete. Die Schule wurde behindertengerecht ausgebaut. Soweit notwendig, begleiteten pädagogischen Mitarbeiterinnen den Unterricht der Lehrer. Seit 2008 ist das "Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" der Vereinten Nationen in Kraft, das zur Inklusion verpflichtet, aber solange die Regelschulen nicht in der Lage sind, den gemeinsamen Unterricht angemessen zu realisieren, kann keine wirkliche Integration stattfinden.

Elisabeth Rotten, deren Namen die Schule trug, hat als Pädagogin seit Ende des Kaiserreichs vielfältige Impulse für eine humanistische Erziehung gesetzt und ist trotzdem heute weitgehend vergessen. Sie unterrichtete an der Berliner Schulfarm Scharfenberg, an der staatlichen Wohlfahrtsschule Dresden-Hellerau und an der Pädagogischen Hochschule Berlin, arbeitete zusammen mit Albert Einstein und Ernst Reuter in der Deutschen Liga für Menschenrechte, gründete die Schweizer Montessori-Gesellschaft mit und ein Pestalozzi-Kinderdorf. Sie wirkte durch Kurse, Publikationen, Übersetzungen, Vorträge und internationale Vortragsreisen. So war Rotten eine der bedeutendsten Reformpädagoginnen des 20. Jahrhunderts, "sie war unterwegs für die, die noch unterwegs sind."

Kirchen
Die historische Dorfkirche von Mariendorf liegt zwischen Alt-Mariendorf und Friedenstraße. In Berlin gibt es sechs Friedenstraßen, für die Entstehung des Namens werden jeweils verschiedene Gründe herangezogen. Mal soll er sich auf die stille Lage der Straße beziehen, mal auf einen nahegelegenen Friedhof oder auf den Frankfurter Frieden, mit dem der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 beendet wurde. Die katholische Kirche "Maria Frieden" in der Kaiserstraße, 1919 gegründet, erinnert an das Ende des Ersten Weltkriegs. Mit dem Altartriptychon "Madonna vor Stacheldraht und Trümmern" von Otto Dix hat die Kirche noch einen ganz persönlichen Friedens-Bezug, der sie zur Wallfahrtskirche gemacht hat.

Otto Dix hat den Altar als Kriegsgefangener im französischen Colmar für die Kapelle des Gefangenenlagers gemalt. Es handelt sich um einen Flügelaltar, auf dessen Seitenflügeln die in Ketten gelegten Apostel Petrus und Paulus dargestellt sind. Im mittleren Bild sitzt die Madonna mit dem Christuskind in einem Garten, der von Stacheldraht umgeben ist. Im Hintergrund ist die Berglandschaft der Vogesen zu sehen.

In Mariendarstellungen wird der verschlossene Garten als Symbol für die Jungfräulichkeit verwendet. Das geht zurück auf das alttestamentarische Hohelied Salomos, eine Sammlung von Liebesliedern mit sehnsuchtsvollen, schwärmerischen und andeutungsreichen Äußerungen über die Liebe. Dort findet sich das Garten-Zitat, Martin Luther hat es so übersetzt:

"Siehe, meine Freundin, du bist schön! Deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur, und dein Mund ist lieblich. Deine beiden Brüste sind wie Zwillinge einer Gazelle, die unter den Lotosblüten weiden. Ein verschlossener Garten bist du, ein versiegelter Born, ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten".

Ungewöhnlich ist auch die bildhafte Gestalt der 1969 erbauten Kirche, die man als Zelt des wandernden Gottesvolkes sehen kann oder als Schiff mit hochgezogenem Bug und dem Glockenturm als Mast. Das schwingende Betondach - eine gewagte Konstruktion - wirkt sehr leicht, es hat die Form eines "hyperbolischen Paraboloids", hier verbinden sich Parabel und Hyperbel zu einem dreidimensionalen Gebilde.


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So unverständlich dieser Begriff wirkt, so widersprüchlich scheint seine Erklärung: Es ist eine doppelt gekrümmte Fläche, die trotz ihrer Kurven aus Geraden gebildet wird. Dabei liegen die Geraden so nebeneinander, dass sie der Krümmung folgen. Das hat den Vorteil, dass man mit Schalbrettern die Flächen für den Spritzbeton verkleiden kann. Der DDR-Architekt Ulrich Müther hat aus dieser Form kühne Gebilde entwickelt wie das Ahornblatt auf der Fischerinsel, das nach der Wende einem Hotelklotz weichen musste.

Vom Dorf zur Stadt
Als sich vor genau einhundert Jahren die Residenzstadt Berlin zu Groß-Berlin erweiterte, wurden nicht nur Städte wie Köpenick oder Spandau Teil des neuen Stadtgebildes, sondern auch Dörfer wie Mahlsdorf oder Mariendorf. Die Dörfer in der neuen Stadt hatten ganz unterschiedliche Gesichter, es waren entweder Landgemeinden oder meist aus einem Dorf hervorgegangen Städte wie Charlottenburg (Dorf Lietzow) oder Neukölln (Rixdorf), wie Wilmersdorf oder Reinickendorf. Je besser die Dörfer von der Stadt aus erreichbar waren, umso schneller hatten sie sich schon vor der Eingemeindung zu suburbanen Ansiedlungen entwickelt.

Die Landpartien zu dörflichen Gastwirtschaften, zu Fuß, mit der Pferdebahn oder Eisenbahn oder mit dem Kremser waren legendär. Bald gab es Tanzetablissements in den Ausflugsgebieten. Städter fanden Freude an den ländlichen Gefilden und siedelten sich hier an, vorstädtische Bauten und Siedlungen entstanden. Die Fahrwege um den Dorfanger wurden zu prächtigen Dorfstraßen. Unter der Entwicklung des Straßenbaus und des Verkehrs litten die Dörfer dann in unterschiedlicher Weise. Wenn es gut ging, wurde der Verkehr um die Dorfauen herum geführt.

Mariendorf ist eines der traurigen Gegenbeispiele. Zwei Bundesstraßen führen durch die ehemals dörfliche Ansiedlung, selbst die frühere Dorfstraße Alt-Mariendorf ist zur Bundesstraße geworden. Wenn man die Dorfaue sucht: sie liegt unter dem Asphalt begraben, fiel dem fünfspurigen Ausbau von Alt-Mariendorf zum Opfer. Auch wenn die Dorfkirche auf dem Karree zur Friedenstraße steht, dieses Straßenkarree ist nicht der alte Dorfanger, die Kirche steht außerhalb.

Die Postkutschen von Berlin fuhren vom Halleschen Tor über den Tempelhofer Berg nach Luckenwalde. Über "beschwerlich sandigen Boden" erreichten sie das Dorf an seiner Westseite, der Dorfanger blieb unangetastet. Bereits 1836 wurde im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung die Fernstraße Berlin-Dresden über Tempelhof und Lichtenrade gebaut. Sie kreuzte als Mariendorfer Damm den Dorfanger und führte zum Abriss von Dorfhäusern, aber auch zu einigem Wohlstand der Bauern, die über diese Verbindung ihre Produkte besser absetzen konnten. In den 1930er Jahren erhielt der Mariendorfer Damm südlich von Alt-Mariendorf sechs Fahrstreifen für den (erwarteten) Verkehr zur südlichen Autobahn "Berliner Ring".

Ein früherer Besuch in Mariendorf führte uns zu den "Grab-WGs" auf dem Heidefriedhof, jenen Ruhegemeinschaften mit und ohne individualisierter Grabstelle, wie wir sie inzwischen auf fast allen Friedhöfen antreffen, Erbbegräbnisse und prächtige Grabdenkmale sind passé. - Ein weiteres Ziel war die Rathausstraße. Dort haben wir in der Martin-Luther-Kirche gesehen, wie eindrucksvoll die Kirchengemeinde mit den Relikten der Nazizeit umgegangen ist - nicht verstecken, sondern sich positionieren. - Das Industriegebiet zwischen Großbeerenstraße und dem stillgelegten Gaswerk Mariendorf waren die Ziele eines weiteren Stadtrundgangs.
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Unsere Route:
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Schöner Schein und Mietskasernen
Gartenstadt ohne Sozialutopie