Bezirke
  Straßenverzeichnis     Personen     Themen     Aktuell     Forum  
Charlottenburg-Wilmersdorf
Friedrichshain-Kreuzberg
Lichtenberg
Marzahn-Hellersdorf
Mitte
Neukölln
Pankow
Reinickendorf
Spandau
Steglitz-Zehlendorf
Tempelhof-Schöneberg
Treptow-Köpenick
Allgemein:
Startseite
Ich bin NEU hier
Hinweise
Kontakt
Impressum
Datenschutz
Links
SUCHEN
Sitemap

Hitlerjunge bei der Bergpredigt


Stadtteil: Tempelhof
Bereich: Mariendorf
Stadtplanaufruf: Berlin, Ullsteinstraße
Datum: 31. August 2015
Bericht Nr: 520

Die Eiszeit hat im Berliner Raum zahlreiche Pfuhle (Wasserlöcher) zurückgelassen, die in den Dörfern oft von den Bauern mit Feldsteinen umlegt wurden. In mancher Sage wurden die unergründlichen Pfuhle zum Tor in die Unterwelt. Aber auch zu ihrer Entstehung gab es eine sagenhafte Theorie, ein Königlicher Oberbaurat hielt sie wegen der Steinumlagerung für erloschene Vulkane. Auch wenn viele Pfuhle durch Grundwasserabsenkungen und Baumaßnahmen verschwanden, gab es in Mariendorf einen Riesenpfuhl, der 1876 zu einem Seebad ausgebaut wurde. Vorher war hier in den Wintermonaten Natureis hergestellt worden, indem man aus den zugefrorenen Teichen das Eis heraussägte und mit Eiswagen nach Berlin transportierte, um es hier zu verkaufen.

Für das Seebad wurden von der Wasserfläche, die 1.000 Meter lang war, nur 100 Meter verwendet, den Rest hat man zugeschüttet. Auch wenn das Bad ganz in der Nähe des Teltowkanals lag, blieb es von dessen Ausbau ab 1900 verschont. Das Bad hatte eine wettkampftaugliche 125-Meter-Bahn, einen Sprungturm, aber auch einen Nichtschwimmerbereich und natürlich zeittypisch getrennte Bereiche für Männer und Frauen. 1911 fanden hier die Deutschen Meisterschaften statt, ein Jahr später das Qualifikationsschwimmen für die Olympischen Spiele, das von 1.500 Zuschauern besucht wurde. Andererseits wurde das Bad zur Vergnügungsstätte ausgebaut, Gasträume, eine Kegelbahn und ein Konzertpavillon entstanden. Das "Seebad in Flammen" mit großem Feuerwerk durfte nicht fehlen. Der Badebetrieb zählte täglich bis zu 4.000 Gäste.

Es folgten schwierige Jahre als Lazarett (1.Weltkrieg), Zwangsarbeiterlager (1943), Büros des Reichsluftschutzbunds, nach dem Zweiten Weltkrieg tagten die Bezirksverordneten hier. Von den Nazis wurden die jüdischen Eigentümer 1939 herausgedrängt und bekamen auch nach Kriegsende ihr Eigentum nicht zurück, die Tochter des Gründers endete in den 1950er Jahren in Armut. Das Ende des Bades kam 1953: Es wurde geschlossen und zugeschüttet, das Gelände neu bebaut. Per Zufall blieben zwei Reste des Bades erhalten, eine kleine Wasserfläche und eine Grotte. Die Steingrotte wurde gern zum Posieren genutzt, auf ihrer terrassenförmigen Außenseite stellten sich Schwimmer zum Gruppenfoto auf. Heute ist hier das eingezäunte Außengelände eines Altersheims, das mit "unvergleichlich großer Parkanlage mit alten Bäumen und Gartenteich" wirbt. Nur von der umgebenden Grünanlage kann man einen Blick auf das ehemalige Seebad werfen.

Das Stadtquartier entlang der Rathausstraße wird manchmal als Fürstenviertel bezeichnet, weil die Querstraßen die Herrschertitel Markgraf, Kurfürst, König, Kaiser und Prinz tragen, ohne konkreten Personen zu bezeichnen. Das namensgebende Rathaus gibt es nicht mehr. Es stand an der Ecke Kaiserstraße und wurde im Krieg zerstört. Trotzdem ist es hier ein zentraler Ort von Mariendorf geblieben, denn Feuerwache, Polizei und Realgymnasium - alle 1911 gebaut - stehen in unmittelbarer Nachbarschaft.

Für die damals zu einem Zentrum gehörende Kirche wurde zwar 1918 das Grundstück an der Rathausstraße erworben, aber erst 1933 begann man, die Kirche zu errichten. Der protestantische Sakralbau wurde so sehr mit nationalsozialistischen Symbolen durchsetzt, dass sie manchmal als "Nazi-Kirche" apostrophiert wird. Nachts wirkt der beleuchtete Turm wie ein Lichtdom. Im Vorraum der Kirche schauen sich die Terrakottaköpfe von Martin Luther und Generalfeldmarschall Hindenburg an.



Im Innern wird der Altarraum vom Kirchenschiff durch einen Triumphbogen abgetrennt, der gleichermaßen Hakenkreuz und Christusmonogramm, Dornenkrone und NS-Hoheitszeichen abbildete. Bereits 1937 haben die Nazis selbst einzelne Symbole aus der Kirche entfernt, weil sie mit dem "Gesetz zum Schutz der Bezeichnungen der NSDAP" verboten, ihre Zeichen in Kirchen zu verwenden. Weitere NS-Symbole wurden nach dem Krieg entfernt, der Reichsadler blieb mit leeren Krallen, das Hakenkreuz hatte man herausgekratzt. Figürliche Darstellungen blieben, das Relief an der Kanzel zeigt immer noch einen Soldaten und zwei Hitlerjungen in Uniform, die Christus bei der Bergpredigt zuhören, am Taufstein ist ein SA-Mann sichtbar. Mehr darüber steht in meinem Bericht mit Bildern über die Innenbesichtigung am Denkmaltag 2015.

Erst die Fassade und dann das Mauerwerk zu bauen, konnte nicht gut gehen. An der Stahlkonstruktion der Kirche wurden zuerst die Terrakottaplatten aufgehängt und dann mit Mauerwerk hinterfüllt. Die daraus resultierenden Bauschäden konnten erst vor kurzer Zeit aufwendig beseitigt werden.

An der Rathausstraße finden wir auch einen Siedlungsbau der "Baugenossenschaft Vertriebener Ostdeutscher". Mit dem emotional aufgeheizten Spruch "Durch Feindeshass vertrieben ..." und einem Relief an der Fassade wird an die Flüchtlinge aus den 1919 verlorenen ostdeutschen Gebieten erinnert. Es war eine Folge des Versailler Vertrages und Wiedergutmachung früheren Unrechts, näheres hatte ich zu einem weiteren Wohnblock dieser Baugenossenschaft an der Ollenhauerstraße in Reinickendorf geschrieben.



Zwei Friedhöfe östlich des Mariendorfer Damms besuchen wir, den Evangelischen Friedhof "Zum Heiligen Kreuz" und den (dritten) Dreifaltigkeitsfriedhof. Im hinteren Bereich des Heilig-Kreuz-Friedhofs befindet sich der Griechisch-orthodoxe Friedhof. Hölzerne Grabkreuze sind hier die typischen Grabdenkmäler. Von ihrer Form her verwirren sie, weil sie eher den Lateinischen als den Griechischen Kreuzen entsprechen. Beim "typisch christlichen Kreuz" (Lateinischen Kreuz) ist der Querbalken kürzer als der Längsbalken, es steht "aufrecht". Das griechische Kreuz hat dagegen vier gleich lange Arme ("gekürztes Kreuz"). Das Kreuz der russisch-orthodoxen Kirche hat zusätzlich zu den Querbalken einen schräggestelltem Arm, so wie wir es auf dem russisch-orthodoxen Friedhof in Tegel gesehen haben.

Ein freistehendes Kolumbarium (Urnenwand) auf dem Heilig-Kreuz-Friedhof ähnelt eher einem Regal als einer Grabstätte. Hier ist im einzelnen offenen Fach nur Platz für eine Grabplatte als Rückwand und eine Blumenvase davor. Angesichts der auch auf diesem Friedhof vorhandenen Einzelgräber und Erbbegräbnisse ein starker Kontrast, der zeigt, welche kultureller Werte bei der Beerdigungskultur nach und nach verloren gegangen sind



Ein Gemeinschaftsgrab "Die BVG ihren im Dienst gefallenen Kolleginnen" erinnert an elf zwangsverpflichtete Hilfs-Schaffnerinnen ("Arbeitsmaiden"), die kurz vor Kriegsende ums Leben kamen, als ihre Wohnbaracke bombardiert wurde. Die merkwürdige Wortwahl "gefallene" erinnert an das "Gefallenendenkmal" der Dominikanerinnen auf dem Friedhof Hermsdorf. Tatsächlich haben die Schwestern und auch die BVG-Kolleginnen nicht mit der Waffe in der Hand gekämpft, sondern sind bei Bombenangriffen ums Leben gekommen. Sie haben sich nicht selbst in Gefahr gebracht, sondern sind als Unbeteiligte gestorben, das macht in der Wahrnehmung der Lebenden schon einen Unterschied.

Die Häuser der Monopolsiedlung hatten wir bereits einmal - vom Ullsteinhaus kommend - gesehen. Die in den 1920er Jahren gebaute Siedlung ist als Gartenstadt angelegt, bei der wie in Deutschland üblich der Garten im Vordergrund steht und nicht die sozialreformerische und stadtplanerische Idee des englischen Modells von Ebenezer Howard. Der Architekt hat hier auf Bürgersteige verzichtet, die Straßen waren nur für Fußgänger bestimmt. Die unterschiedlich angeordneten Einfamilienhäuser mit Satteldächern werden durch niedrigere Zwischenbauten miteinander verkettet. Ich hatte mir damals Gedanken gemacht, ob die Mitarbeiter der Branntwein-Monopolverwaltung diese ungewöhnlichen Bauten dazu nutzen könnten, mit Deputaten ihres Arbeitgebers (einem Fingerhut Branntwein) Brennversuche anzustellen, bei deren Misslingen nur der Zwischenbau, nicht aber das ganze Haus in die Luft fliegt. Aber solche Naturalleistungen für die Beschäftigten sind ja nicht in Verwaltungen üblich, sondern im Bergbau oder in der Landwirtschaft.

Zu Füßen der Kirche in der Rathausstraße hat sich ein Italiener eingemietet, bei dem kaum ein Platz frei ist. Hier finden wir einen Tisch und einen überbeanspruchten Ober, der nach anfänglichem Knurren freundliche Worte findet. Wir entscheiden uns für gut angerichtete Salate, mehr verlangt der Körper angesichts der Hitze nicht.

--------------------------------------------------------------
... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
--------------------------------------------------------------

--------------------------------------------------------------
... und hier sind weitere Bilder ...
--------------------------------------------------------------

--------------------------------------------------------------
Unsere Route
--------------------------------------------------------------

zum Vergrößern ANKLICKEN



Sehnsucht nach der Autobahn
Christliche Volksgemeinschaft