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Genesungshilfe im Skulpturengarten


Stadtteil: Schöneberg
Bereich: Auguste-Viktoria-Krankenhaus
Stadtplanaufruf: Berlin, Rubensstraße
Datum: 6. Mai 2024
Bericht Nr.:834

Das Auguste-Viktoria-Krankenhaus an der Rubensstraße wurde 1906 von der Stadt Schöneberg als kommunales Krankenhaus erbaut. Es galt zu seiner Zeit als das modernste Berlins. Die Pavillonbauweise wurde inzwischen aufgegeben, die Pavillons sollen "modernen" Klinikbauten weichen. Das Wenckebach-Krankenhaus wird von seinem angestammten Platz hierher verlegt, beide Krankenanstalten bilden dann einen "Gesundheitscampus".

Operationsbunker
Zusammen mit dem Abriss von mehreren Altbauten wird gerade der Operationsbunker beseitigt, der in den 1940er Jahren hier wie an anderen Krankenhaus-Standorten die ärztliche Versorgung im Zweiten Weltkrieg sichern sollte. Das Baufeld ist so groß wie zwei Fußballfelder, die Oberkante des Bunkers ist noch sichtbar.


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Tunnelsystem
Auf dem Krankenhausgelände sind alle Gebäude durch unterirdische Versorgungsgänge miteinander verbunden. Auch heute noch werden die Patienten von den Stationen zu den Operationssälen durch diese Tunnelsysteme transportiert. Für einen Patienten - mit dem ich durch das Fotografieren ins Gespräch kam - war das ein so eindrucksvolles Erlebnis, eine solche Inszenierung, dass er nach Jahren für eine zweite Operation wieder dieses Krankenhaus gewählt hat, weil er neben der guten Medizin wieder das Erlebnis einer Tunnelfahrt genießen wollte.

Skulpturengarten
In dem parkartigen Gelände rund um die Krankenhausbauten sind rund 30 Skulpturen verteilt. Umgesetzt wurde die Idee eines Skulpturengartens vom Krankenhaus zusammen mit der Berlinischen Galerie, einem Architekten und einem Gartenarchitekten. Mit Förderung des Senats und Leihgaben der Berlinischen Galerie sowie Leihgaben und Schenkungen einzelner Künstler wurde eine Sammlung aufgebaut. Auch aus dem senatsgeförderten Skulpturengarten auf dem Messegelände am Funkturm wurden nach dessen Auflösung Arbeiten zum Krankenhauspark verbracht. Ob damit außer dem Titel "modern" ein eigenes Leitbild vorhanden ist, oder ist aus der Sammlung eine Ansammlung geworden?

Den Skulpturengarten hat 1998 der Chefarzt Professor Dr. med. Manfred L’age - offensichtlich hugenottischer Abstammung - angeregt, der sich seit den frühen 1980er Jahren beispielhaft für AIDS-Patienten eingesetzt, die Berliner Aidshilfe mitgegründet und ein bundesweit beachtetes Versorgungskonzept entwickelt hat. Die Präsentation der Kunstwerke im Park entstand aus dem Impuls, Kranken während ihres Aufenthalts "Trost und Genesungshilfe zu bieten und während der Grenzerfahrung einer Krankheit Denkanstöße zu geben". Der Chefarzt selbst hatte damals bekannt, er fühlte sich angesichts der Vielzahl unausweichlicher Todesfälle auf seiner Station hilflos, AIDS sei eine Herausforderung, die gefühlsmäßig noch nicht bearbeitet sei.

Folgt man eindimensional der These, der Kranke solle positive Lebenshilfe bekommen, wenn er selbst unsicher ist, wie er nach der Behandlung aussehen wird: Dann würden alle Skulpturen ausscheiden, die unvollständige Menschenbilder zeigen oder Menschen, die in Maschinen eingehängt sind. Genauso wären Köpfe unpassend, die verschnürt sind, oder Skulpturen wie "Endspiel" oder "Schreiender". Auch rostende Figuren, die aus Überresten vom Schrottplatz bestehen, würden keine Harmonie erzeugen.

Harmonie ist Vollkommenheit, eine Ausdrucksform der schönen Künste, sie bestätigt unser Bild von uns und von der Welt. Aber das Unvollkommene, Unvollständige, Unerklärliche, Provozierende bringt uns zum Nachdenken, und diese Denkanstöße will der Skulpturenpark anregen. Ob das tatsächlich gelingt? Wer grübelnd durch den Park geht, wird vielleicht darauf reagieren, doch meist geht es um Naheliegenderes.

Wir kommen mit einem jungen Sportler ins Gespräch, der auf dem Sockel des "Mädchens aus Yucatan" sitzt, das ich fotografieren möchte. Die Reha seiner Sportverletzung beschäftigt ihn, seine "Sitzbank" hat er noch gar nicht angesehen und ein Mädchen in dem ziemlich abstrakten Werk zu erkennen, fällt ihm schwer. Der Pferdeschwanz und die Füße der Figur helfen dann aber weiter.


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Im Park vermissen wir Hinweise, die zur Deutung des Gesehenen beitragen, beispielsweise Infostelen oder Erläuterungsschilder. Teilweise sind nicht einmal die Namen der Skulpturen vorhanden.

Der "Schreiende", ein Torso aus Sandstein, von den Knien aufwärts dargestellt, mit emporgereckten Armen ohne Unterarme und Hände, das Gesicht zum Himmel gerichtet, berührt auch ohne einen angebrachten Titel oder eine Erläuterung. Auch "Emmi eins", eine Frau mit riesigen Beinen und Füßen, überdimensionierten Händen, breiten Armen und kleinem Busen wird ohne weitere Hinweise "verstanden". Was aber ist mit den Metallskulpturen, die in Mehrzahl im Park verteilt sind?


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Die "Eisentirade" aus unterschiedlichen Stahlteilen kann mit "Wortschwall" übersetzt werden. Das Bild einer menschlichen, nach vorne gebeugter Gestalt, die wild gestikuliert, könnte man vielleicht deuten, wenn nähere Informationen vorhanden wären: Wer mehr weiß, sieht mehr.

Auch beim "Harvester" hilft schon eine Übersetzung etwas weiter, es handelt sich um eine Holzernte-Maschine. Dagegen bleiben bei der abstrakten "Tutola" aus Metall sicher viele ratlos, es sei denn, dass sie in der römischen Frühgeschichte bewandert sind und die Legende dieser römischen Magd kennen.

Rotation
In der Metallskulptur "Rotation" sind zwei menschliche Körper mit ihren Händen und Füßen in eine Apparatur eingehängt. Die Körper sind nur mit ihrem Rücken zu sehen, abstrahiert ohne männliche oder weibliche Merkmale. Sie haben wohl die Aufgabe, in der symmetrischen Anordnung den Querbalken auf einem Pfeiler in Schwung zu bringen. Eine Erläuterungstafel wäre auch hier erhellend.


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Trotz Abstraktion lassen sich manche Plastiken ohne weitere Hilfen entschlüsseln.

Drei Paare
Der Bildhauer Rüdiger Preisler hat im Skulpturengarten drei Stahlplastiken aufstellen können, die sich mit dem Thema "Paar" beschäftigen. Es sind völlig abstrakte Figuren, die trotz der Abstraktion dem Titel gerecht werden. Eine Figur sitzt auf dem Schoß der anderen Figur, die Körper sind durch Stahlstreben angedeutet. Eine weitere Plastik zeigt die (Zu-)Neigung innerhalb einer gemeinsamen Metallskulptur. Bei einer dritten Plastik steckt die größere Figur in der kleineren, die Aussage ist offensichtlich.


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Meditationsraum (Verschnürter Kopf)
Ein verschnürter Kopf, die Seile gehen auf einer Seite des Gesichts durch Ösen in den Kopf hinein und kommen auf der anderen Seite wieder heraus.

Welche Tortur, welches Leiden drückt sich in verletzten, verschnürten und vernagelten Köpfen aus, die der Bildhauer Rainer Kriester zeitlebens geschaffen hat. Nach einem Medizinstudium in der DDR wegen staatsfeindlicher Äußerungen inhaftiert, danach nach West-Berlin geflohen, in Italien heimisch geworden. Dort wurden seine Skulpturen offener, glatter, bekamen Lineaturen mit Sonnen, Augen, Tätowierungen. In einem Park mit 35 seiner monumentalen Skulpturen wurde er am Ende seines Lebens begraben.


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Johannes Grützke
"Ich bin ein Klassiker, stehe wie ein Denkmal auf dem Podest und warte nur auf den Avantgardisten, der mich hinunterwirft". Diese Bitte des Künstlers Johannes Grützke hat sich fast erfüllt, aber anders, als er sich das vorgestellt hat. Statt der Handlung eines Vorkämpfers war es leider ein Akt des Vandalismus, dass der "Lächelnde Kopf" von Johannes Grützke vom Sockel gehauen wurde und die Säulen seines Hains nur noch einen leeren Sockel umstehen. Doch wir bleiben nicht ganz ohne ein Bild von ihm: Auf seinem Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof können wir den Kopf unversehrt sehen.

"Grützke war einmalig. Grützke war wahrhaftig. Nachmachen konnte man Grützke nicht". Er sorgt für Aufsehen und produziert Anstößigkeiten. Fiel aus der Rolle, macht sich lustig, entlarvte. Er pflegte einen figurativen Stil im Gegensatz zur herrschenden Abstraktion in der Kunst, verzerrte seine Figuren aber bis ins Groteske. Mit verformten Gesichtern, riesigen Ohren, Grimassen und verzeichneten Körpern sorgte er für Aufsehen und produziert Anstößigkeiten. Grütze war ein spöttischer Außenseiter in der Nachkriegskunst.


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Endspiel
Auch die Skulptur "Endspiel" wurde beschädigt, sie blieb in diesem Zustand bis heute stehen. Ihr wurde das Spielfeld weggenommen, damit fehlt ihr die Erzählung. Zwei Spieler stehen sich in ihren Schuhen gegenüber, die Körper sind unterhalb der Knie abgeschnitten. Der eine Spieler hält die Füße parallel, sein Gegenüber schreitet über einen Draht auf ihn zu. Doch die Bronzepfähle am Rande und der damit gespannte Draht fehlen, aus dem Werk in Bewegung ist ein starres Bild von Schuhen geworden.


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Wir sind das Kapital
"Wir stehen hier. Wir liegen hier. Wir sind das Kapital". Das hat Witz, warum fehlt der Titel an den Steinskulpturen dieses Ensembles: Ein aus merkwürdigen abgerundeten Steinen aufgehäufter Hügel, ein Turm aus Steinen wie ein Kunstwerk von Toni Cragg, alles wie aus zufällig liegen gelassenem Baumaterial zusammengefügt.


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Gerald Matzner
"Matzner gestaltet Hohlräume, ist fasziniert von Außenräumen, die die Innenräume umgeben". Wer würde in der "Kofferpyramide" im Skulpturengarten dieses Thema entdecken? Fröhlich türmen sich Koffer und Taschen aus rotem Ton in die Höhe, durchwandert und angekrabbelt von Insekten oder sonstigem Getier. Nur eine abgerissene menschliche Hand und ein gerupftes Huhn stören die Freude über diese Idylle. Das könnte das Reisegepäck des Forschers Alexander von Humboldt sein, dessen Kopf - ebenfalls von Matzner gestaltet - nebenan in einer Vitrine in mehreren Versionen zu sehen ist. Tatsächlich gibt es diese Verbindung beider Kunstwerke aber nicht.

Mensch mit Gepäck
Auch der "lebensgroße männlichen Akt in realistischer Darstellung" nebenan ist erkennbar ein Werk Matzners. Der Mann mit Hut hat Koffer und Reisetasche fallengelassen, breitet die Arme waagerecht aus und scheint sich in seiner Nacktheit an der Wegkreuzung trotz weit aufgerissener Augen wohlzufühlen. Lurch, Kröte und weitere Kriechtiere als typische Beigabe des Künstlers runden das surrealistische Werk ab.


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Auch Wilhelm von Humboldt, der Bruder des Forschers, wird von Matzner porträtiert (siehe Eingangsbild oben). Den Gründer der Berliner Universität zeigt der Bildhauer in der Pose: "Nach Worten ringend". Das kann verzweifelt sein oder schöpferisch oder beides.

Und wo ist das Denkmal von Kaiserin Auguste Viktoria, Königin von Preußen, der Namensgeberin der Klinik? Es steht im Foyer des Altbaus. Von Carl Begas, einem Spross der Künstlerdynastie 1906 geschaffen, wurde das Abbild der Kaiserin im Tiergarten aufgestellt. Nach Beschädigung 1950 in der Nachkriegszeit verbuddelt, dann wieder ausgebuddelt und repariert. Dabei war der Kopf der beschädigten Figur nicht mehr ganz an der richtigen Stelle aufgesetzt worden. In dieser Haltung wurde sie 20 Jahre im Lapidarium verwahrt, zwischendurch auch mal im Hamburger Bahnhof ausgestellt.


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Vivantes holte sie zur Einweihung seines Skulpturengartens aus dem Lapidarium, ließ Auguste Viktorias Kopf wieder an die richtige Stelle rücken. Und nahm sie ins Haus, statt sie draußen auszustellen, schließlich laufen zu viele Menschen mit Farbspraydosen herum.
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Ironischer Blick zurück aufs Leben