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Ein Dorf im Wandel |
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Stadtteil: Reinickendorf Bereich: Heiligensee Stadtplanaufruf: Berlin, Alt Heiligensee Datum: 22. Oktober 2025 Bericht Nr.:872
Das Dorf Heiligensee liegt im Norden Berlins auf einer Halbinsel zwischen dem gleichnamigen See und der Havel, die hier die Grenze zu Brandenburg bildet. Mit einer Länge von 1,2 km ist der Dorfanger Alt Heiligensee der längste seiner Art in den Berliner Dörfern. Durch die Randlage ist er von Verstädterung weitgehend verschont geblieben. Mehr als 20 Bauernhäuser und dörfliche Bauten sind als Baudenkmale erhalten geblieben, die übrigen Bauten fügen sich harmonisch in das Dorfbild entlang der Straße Alt Heiligensee ein. Als Verbindung nach Konradshöhe ist diese Dorfstraße auf einer Seite des Dorfangers relativ viel befahren, der Durchgangsverkehr bringt aber keine erhebliche Belastung, da die Fahrzeuge ihre Geschwindigkeit wegen der Enge der Straße und ihrer Pflasterung drosseln müssen.
Entwicklung eines Dorfes im Berliner Umland Am Beispiel von Heiligensee kann man geradezu exemplarisch die Entwicklung eines Dorfes im Berliner Umland nachvollziehen. Das Landbuch Kaiser Karls IV. als Quelle der Geschichtsschreibung erwähnt Heiligensee 1308. Es gab adlige Gutsherren, ging aber bereits 1544 dem Edlen von Pfuel durch einen Streit mit dem Kurfürsten verloren (worüber noch zur berichten sein wird). Die typische Anlage als Angerdorf zeigt auch in Alt Heiligensee einen Weg, der das Dorf durchläuft, sich am Dorfeingang gabelt und dahinter wieder schließt. Auf dem spindelförmigen Anger stehen die Dorfkirche mit Kirchhof, Schmiede und Feuerwehr. Dazu gehörte immer auch ein Löschteich.
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An den Außenseiten der Straßen standen in einer Art Rangordnung die Güter und Vollbauernstellen nahe der Dorfmitte, in beiden Richtungen weiter zum Ortsausgang waren die Kossäten (Kleinbauern) und Büdner (kleines Haus - "Bude" - mit wenig Land) angesiedelt. Das Dorf bewahrte über die Jahrhunderte seine klassische Form, die bäuerlichen Gehöfte prägten das Bild. Strohgedeckte Bauernhäuser sind nicht erhalten, Fachwerkhäuser aus der Zeit um 1800 mit Schiefer- oder anderer Dachdeckung gehören heute zu den ältesten Bauten. Vorstädtische Bauten mit einem Obergeschoss haben sich zwischen die Bauernhäuser gesetzt, trotzdem blieb der ländliche Charakter erhalten.
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Schwarze Küche Bei der inneren Struktur der Bauernhäuser hat sich über die Jahrzehnte ein Wandel vollzogen, vor allem bei der Anordnung der Räume und bei der Art der Feuerstellen in den Häusern. Küchen waren dunkel, verrußt und rauchig, solange die Nahrung am offenen Feuer zubereitet werden musste. Diese quadratische "Schwarze Küche" in der Mitte des Hauses endete nach oben in einer Öffnung zum Himmel. Eine radikale Veränderung wurde durch die Einführung von Schornsteinen erreicht, zwei königliche Bauvorschriften von 1822 haben das bewirkt. Jetzt konnten gemauerte Herde die offenen Feuerstellen ersetzen.
Mit der Ausdehnung Berlins und den ins Umland strömenden Berlinern wurde der Übergang vom Dorf zur Gemeinde eingeleitet. Die sonst zu beobachtende Entwicklung von Industriestandorten, Wohnsiedlungen und Ausflugsetablissements haben Alt Heiligensee nicht bedrängt. Die Vorteile städtischer Elemente wie Wasser und Entwässerung, Gas, Strom und Straßenbeleuchtung haben trotzdem Einzug gehalten, südlich des Dorfes befindet sich ein ehemaliges Gaswerk.
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Zu Wohnungen ausgebaute Ställe und Remisen, im Einzelfall auch größere Wohngebäude, bestimmen heute das Bild hinter den Bauernhäusern. Am nördlichen Dorfausgang sind sogar 16 Wohnungen in zwei Kleinbauerngrundstücke hereingequetscht worden, aber das ist eine Ausnahme. Je näher am südlichen Dorfende das Wasser heranreicht, eine begehrte Wohnlage, umso mehr verdrängen vorstädtische Villen und Häuser die an das Dorfbild angepasste Bauten. Nicht nur vom Volumen her, auch mit goldenen Verzierungen oder einem Adler in Kampfhaltung zeigen sie wenig Einfühlungsvermögen für ihr Umfeld.
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Vom Jugendheim zum Seniorenheim Ein Fremdkörper auf der Dorfaue Heiligensee ist ein langgestreckter Bau quer zur Straße, der heute als Seniorenfreizeitstätte genutzt wird. Erbaut wurde er 1937 als Heim für die Hitlerjugend. Um die heranwachsende Generation im Geiste des Nationalsozialismus zu erziehen, hatten die Nazis 1936 die Jugend im Deutschen Reich zwangsvereinigt. Es gab eine vormilitärische Ausbildung mit entsprechendem Befehlston. Originaltext aus einem Tagesbefehl des Jugendführer des Deutschen Reiches, Baldur von Schirach: "„Pimpfe ! BDM.=Mädel und Jungmädel ! Hitlerjungen ! Der Führer hat soeben einen Aufruf erlassen, ..."
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Die Städte und Gemeinden wurden verpflichtet, Heime für die Hitlerjugend zu erbauen. Das Nationalgefühl der Jugendlichen sollte mit den Mitteln der Heimatarchitektur - bodenständigen Materialien und traditionellen Motiven - angesprochen werden. In Heiligensee ist es ein weißer Putzbau mit einem hohen Satteldach. Im Erdgeschoss öffnen sich kleine Fenster, die durch Fensterläden verschlossen werden können. Im Innern führte ein breiter Appell-Flur zu den Gruppenräumen und zum Zimmer des HJ-Jugendführers. In Berlin wurden 149 Heimbauten geplant. Das "Musterhaus" steht im Wedding im Dohnagestell und wird als Begegnungsstätte nachgenutzt.
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Die Pfuelsche Fehde Die Sippe derer von Pfuel war zunächst Gutsherr, der letzte von Pfuel nur noch Lehnsherr, dem Land und Rechte vom Kurfürsten verliehen waren. Dieser von Pfuel hatte sich mit einer Adligen verlobt, die bereits einem anderen Adligen versprochen war und diesen dann auch heiratete. Der Kurfürst hatte die Hochzeit dieser Hofdame gefördert und damit die Feindschaft des genarrten Liebhabers herausgefordert. Dieser reagierte mit einer Fehde und zog zehn Jahre lang mordend, brandschatzend und plündernd durch das Land. Im Ergebnis verlor er dadurch sein Lehen Heiligensee, auch wenn letztlich ein Friedensschluss mit einer kurfürstlichen Abfindung in Goldgulden vermittelt wurde.
Die Fehde war im Mittelalter als Selbstjustiz gerechtfertigt, um sich gegen erlittenes Unrecht zur Wehr zu setzen. Gewaltsame Mittel waren erlaubt, solange unbeteiligte Personen geschont wurden. Den "Fehdehandschuh zu werfen", war eine spätere Redensart, die erst in der Zeit der Duelle entstand. Tatsächlich war das Verfahren streng formalisiert, die Fehde musste durch einen Brief angekündigt werden, dem eine Karenzzeit von drei Tagen zu folgen hatte.
Havel-Fähre, Wunderblutkirche Durch seine Lage am Wasser erhält der Fährverkehr über die Havel eine besondere Bedeutung für Heiligensee. Seit 1383 setzten hier Pilger auf dem Weg nach Wilsnack über, weil dort drei mit Blut befleckten Hostien magische Kräfte zugeschrieben wurden. Sie wurden gefunden nach der Brandschatzung der Kirche durch Heinrich von Bülow (einen Vorfahren von Loriot?). Bei einem früheren Besuch in Heiligensee habe ich ausführlicher über die "Wunderblutkirche" berichtet.
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Kirchhof und Gemeindefriedhof Die Dorfkirche ist von einem Kirchhof umgeben, auf dem mehrere ungewöhnliche Grabsteine zu finden sind: Aufrecht stehende Stelen, im oberen Bereich mit einer schräg angebrachten Inschrifttafel, die den Text ins Blickfeld bringt, ohne dass man sich herunterbeugen muss. Solche "Pultsteine" (ähnlich einem Stehpult) haben eine lange Historie, wir haben sie aber noch nie gesehen auf Berliner Friedhöfen.
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Interessant sind immer die Sprüche auf den Grabsteinen. Vor hundert Jahren gehörten Grabsprüche dazu, heute sind sie kaum noch zu finden. Dort lesen wir: "Dem Leibe ist im Grabe wohl", aber dieses Wohlbehagen möchten wir uns für später aufbewahren.
1911 wurde auf einem Teil der Heligenseer Baumberge ein Gemeindefriedhof angelegt, der Friedhof an der Kirche war damit Geschichte. Der Gemeindefriedhof ist "einer der schönsten Außenfriedhöfe Berlins", ein stimmungsvoller Ort mit altem Baumbestand. Am Ende einer ebenen Fläche windet er sich am Berg hoch zu den höher gelegenen Gräbern. Die Heiligenseer DADAistin Hannah Höch ist hier bestattet, ein Findling und der unvermeidliche Berliner Ehrengrab-Mauerstein liegen ihrem dem leicht ansteigenden Grabfeld.
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Pergamonfries Auf der Höhe im hintersten Bereich des Gemeindefriedhofes Heiligensee stehen zwei Nachbildungen von Pergamonfriesen. Die Reliefs aus rotem Sandstein sind etwa 1,5 Meter hoch, sie zeigen Szenen aus einem Fries des Pergamon-Altars. Doch wie kommen diese Reliefs in eine Friedhofsecke am äußersten Rand von Berlin?
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Als zur Vorbereitung der Gewerbeausstellung von 1896 der Ort Treptow näher an Berlin angebunden werden sollte, wurde die Wiener Straße über den Landwehrkanal verlängert bis zur heutigen Karl-Kunger-Straße (damals Wiesenufer). Die Wiener Brücke war mit vier Reliefs aus rotem Sandstein geschmückt. Der Pergamonaltar war gerade in Kleinasien ausgegraben worden, deshalb machte der Bildhauer Szenen aus dem Altar zum Thema, nämlich aus dem Gigantenfries den dramatischen Kampf der griechischen Götter mit den Giganten. 1945 sprengte die deutsche Wehrmacht die Brücke, um den Vormarsch der Sowjets aufzuhalten (vergeblich). Zwei der Friese überstanden die Sprengung, sie wurden - warum auch immer - nach Heiligensee umgesetzt. Jedenfalls wurde man dort nicht mehr an die unsinnige Sprengung erinnert.
Dörfliche Oase Als wir uns dem Gemeindefriedhof nähern, beginnt plötzlich ein heftiger Regenschauer. Für die Atmosphäre auf dem Friedhof eine stimmige Kulisse, für uns ein Grund, Schutz in einer Gaststätte zu suchen. Und tatsächlich, da ist sie, die Dorf- und Sportkneipe, Seebad genannt, die geöffnet hat. Hier bekommen wir Lokalkolorit (im doppelten Sinne, Lokal und lokal) geboten. Ein älteres Ehepaar sitzt an einem Tisch, im Laufe der Zeit kommen mehrere ältere Dorfbewohner hinzu. Offensichtlich sind alle zum Dart verabredet, Dartpfeile werden ausgepackt, aber mit dem Spiel lässt man sich Zeit. Ein Dorfsnack beginnt, man spricht über Nachbarn, Bekannte, Verstorbene. Alles entspannt in einem freundliche, fröhlichen Grundton, auch untereinander. Eine wohltuende Umgangsweise, die im "sozialen" digitalen Umgang kaum noch zu finden ist.
"Die weiße Frau vom Schifferberg" Der Gemeindefriedhof ist benachbart zu einer Düne - "Baumberge" -, die wie die Weddinger Düne am Kurt-Schumacher-Platz in der Eiszeit im Berliner Urstromtal entstanden ist. Diese Heiligenseer Erhebung könnte der "Schifferberg" sein, der in der Sagengestalt "Die weiße Frau vom Schifferberg" genannt wird. Die benachbarte Straße "In den Schifferbergen" deutet darauf hin. Die weiße Frau wird manchmal als germanische Göttin geschildert, die aus dem See auftaucht. Andererseits ist sie - wie beim Berliner Stadtschloss - eine Unheilsbringerin, die nach einem tödlichen Unfall auf der Straße als Anhalterin auftaucht.
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Der namensgebende Heiligensee Von einer im See versunkenen Kirche könnte der Name Heiligensee herrühren, kündet eine Sage. Doch auch ein Gespann schwarzer Stiere soll im See versunken sein und die bereits erwähnte Weiße Frau vom Schifferberg, ob sie alle sich da unten wohlfühlen? Der See ist seit mehr als hundert Jahren Privateigentum einer Familie, die ihn eingezäunt und unter Naturschutz gestellt hat. Nur am Freibad (Seebad) im Süden des Sees gibt es einen öffentlichen Zugang, Motorboote sind nicht erlaubt.
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Straßenbahn Die Gemeinde Heiligensee betrieb von 1913 bis 1958 eine eigene Gemeindestraßenbahn nach Tegel mit zwei Linien. Vorher gab es eine Pferdeomnibuslinie zum Bahnhof Heiligensee an der Kremmener Bahn. Der Straßenbahnhof der Gemeindestraßenbahn lag am Dorfanger Heiligensee zurückgesetzt auf einem gepachteten Grundstück. In der Wagenhalle konnten zuletzt 21 Straßenbahnwagen untergebracht werden. Bei guter Witterung verkehrten Sommerwagen, die seitlich offen waren. In Tegel wurde die Heiligenseer Bahn als "Weiße Elektrische“ bezeichnet, weil am Triebwagenende ein weißes Zielschild für Tegel angebracht war. An der Vorderseite waren die Zielschilder rot. --------------------------------------------------------------
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Landschaftlich schönster Ort in der Umgebung
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