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Messerstecher in der Heide


Stadtteil: Pankow
Bereich: Schönholz
Stadtplanaufruf: Berlin, Hermann-Hesse-Straße
Datum: 27. Juni 2011 (Textergänzung 7. Juni 2020)

___Auf der Schönholzer Heide, da gab’s ’ne Keilerei,
___Und Bolle, gar nich feige, war mittenmang dabei,
___Hat’s Messer rausjezogen, und fünfe massakriert.
___Aber dennoch hat sich Bolle, janz köstlich amüsiert.

In dieser Ballade ist Bolle als Raubein und Raufbold ein nicht untypischer Besucher der ausufernden Berliner Volksfeste, auf denen nicht nur gelacht, getanzt und getrunken wurde. Sie konnten auch wie der "Stralauer Fischzug" in Tätlichkeiten ausarten. Das Stralauer Volksfest war zum Schluss 1873 von der Polizei wegen der sich wiederholenden Krawalle verboten worden (1). Messer, die schnell zur Hand sind und Krawalle zu bestimmten Gelegenheiten, erinnert uns das nicht irgendwie an unsere Gegenwart?

Schönholz
Bolle war auf der Schönholzer Heide mittenmang dabei, einem Ausflugsziel in Pankow, das später als Vergnügungspark ausgebaut wurde Aber auch zwei Friedhöfe gibt es hier, und die sind sicherlich nicht für die Opfer von Bolles Messerstecherei errichtet worden. Schönholz hat eine S-Bahn-Station, von hier aus sind wir der Geschichte und der Gegenwart Niederschönhausens auf der Spur.

Königin Elisabeth Christine, die ungeliebte Frau von Friedrich dem Großen, war ins Schloss Schönhausen abgeschoben worden, man sah sich nur selten. 1751 legte sie in Schönholz die "Königin-Plantage" an, sie ließ Maulbeerbäume pflanzen, die ihr ferner Gemahl so dringend für die Seidenraupenzucht benötigte (2). Ob er diesen Wink verstand, mit dem sie ihm vielleicht Nähe signalisieren wollte? Schönholz mit Obstbäumen und Alleen wurde ein beliebtes Ausflugsziel. Es war nie ein Dorf, sondern eine Kolonie, in der böhmische Einwanderer angesiedelt wurden.

Volkspark Schönholzer Heide
Aus einem um 1800 gebauten Gutshaus wurde das "Schloss Schönholz", 1920 wurde nach dem Beispiel des Lunaparks in Halensee der Vergnügungspark "Traumland" angelegt mit Attraktionen wie einer Himalaya-Bahn, einem Riesenrad, einem Tanzpavillon. Man zeigte "Schönholz in Flammen" und führte in der "Traumstadt Liliput" Kleinwüchsige in Pavillons vor, die ihrer Körpergroße entsprechend dimensioniert waren. Es gab einen Tennisplatz, einen Fußballplatz und ein Schützenhaus mit Schießständen. Das um 1880 errichtete Schützenhaus ist das älteste von Berlin und wird immer noch genutzt ("ruhige Hand, scharfes Auge" - Schützenverein Schönholzer Heide).

Ende der 1920er Jahre wurde die Schönholzer Heide zu einem Waldpark mit Volkswiesen, Spielplätzen und Rodelbahn umgestaltet. Arbeitsverpflichtete schütteten 1930 einen 15 Meter hohen künstlichen Berg auf. Dazu wurde der Aushub verwendet, der bei der Verlängerung der U-Bahn zum Bahnhof Vinetastraße (3) angefallen war. Der Bahnhof hieß damals Pankow (Vinetastraße) und blieb bis ins Jahr 2000 die Endstation auf der Linie U 2 nach Norden. Erst nach der Wende wurde die Linie bis zum S-Bahnhof Pankow verlängert.

Aus dem "Traumland" wurde der "Lunapark" und schließlich das "Lunalager". Während des Zweiten Weltkriegs wurde im "Lunalager" ein Zwangsarbeiterlager eingerichtet. Es war das zweitgrößte Lager innerhalb Berlins. Die Insassen arbeiteten in den Bergmann-Borsig Elektrizitätswerken in Wilhelmsruh (4) oder in dem Industriekomplex von Rüstungsbetrieben zwischen Holzhauser Straße und Eichborndamm in Borsigwalde (5). Der Vergnügungspark konnte nach Kriegsende nicht mehr aktiviert werden. Ein Versuch der DDR, 1956 mit dem "Heide Theater" an seine Geschichte anzuknüpfen, schlug fehl.

Borussia vor Schönholz
Die Frauenfigur mit Preußenadler und Krone am Beginn der "Straße vor Schönholz" ist nicht, wie man vermuten könnte, der hier allgegenwärtigen Königin Elisabeth Christine gewidmet. Es handelt sich vielmehr um die Borussia, eine allegorische Figur, die als Person Preußen darstellt, so wie die Germania für Deutschland steht, die Marianne für Frankreich oder die Berolina für Berlin.

Eine Borussia stand im Schlüterhof des zerstörten Stadtschlosses. Andreas Schlüter hatte als Hofbildhauer des Kurfürsten Friedrich III. Gipsabgüsse antiker Skulpturen auf seinen Reisen gesammelt. Aus Italien brachte er den Abguss einer Markgräfin aus der Toskana mit, die heilig gesprochen worden war. Mit den passenden preußischen Insignien wurde sie zur Borussia. Für den Schlossneubau wird jetzt die drei Meter hohe Figur nachgeschöpft, sie soll wieder im Schlüterhof aufgestellt werden.

Villa vor Schönholz
An der Ecke Provinzstraße lässt die Republik Sambia ihr geplantes Botschaftsgebäude verfallen. Eine witzige Koinzidenz zu der Internetseite des Landes, auf der Unterseite "Embassy" (Botschaft) erhält man den Hinweis, sie sei "currently under construction". Na dann baut mal schön, vielleicht auch mal am Haus?. Welche Geschichte verbindet sich mit dem Bau? Von der Terraingesellschaft Bahnhof Schönholz 1911 errichtet, wurde er später wegen seiner Lage am Vergnügungspark von Restaurants wie "Tivoli" oder "Borussia-Park" genutzt. Zur DDR-Zeit war er ein Altersheim, bis er durch den Mauerbau in den Grenzstreifen rutschte. Von da an war eine Dienststelle der Volkspolizei in der Villa untergebracht, das war nur konsequent. Nach der Wende bezog das Gewerbeamt mit einem bis zu 100 Jahren zurückreichenden Aktenschatz die Villa. Eine Brandstiftung, die vielleicht den Akten gegolten hat, machte das Haus unbrauchbar, und so steht es heute noch.

Das Dorf Niederschönhausen
Durch den Park und über den Hügel erreichen wir den alten Dorfkern von Niederschönhausen (6) am Ossietzkyplatz und der Dietzgenstraße. Sie ist die Dorfstraße des Ortes, der schon 1376 bestand, zwischendurch hieß sie nach dem ersten deutschen Kaiser von 1890 bis 1951 Kaiser-Wilhelm-Straße. Am Ossietzkyplatz steht die Friedenskirche, eine von Berlins Musikkirchen, in denen "Hauptstadtblech" und andere Gruppen und Orchester Konzerte geben. Die mittelalterliche Dorfkirche wurde 1871 unter Verwendung des alten Baumaterials als trutzige neoromanische Kirche neu aufgebaut, Grundlage soll eine Skizze des Königs Friedrich Wilhelm IV. gewesen sein. Der Platz wurde damals von Kirchplatz in Friedensplatz umbenannt und verweist auf den Frieden nach dem deutsch-französischen Krieg. Der Sieg über Frankreich war so bewegend, dass in Berlin und Umgebung die Kolonie Friedenau und mehrere Straßen und Plätze hiernach benannt wurden.

An der Hermann-Hesse-Straße am Güllweg in einem kleinen Park kauert die "Kauernde" von Rolf Winkler, auf dem Nachbargrundstück steht eine unbenannte klassische Dame, der gerade das verhüllende Tuch entgleitet. Sie stand vorher auf dem Dach einer Villa, die 2005 abgerissen wurde. Der Kreuzgraben fließt - wenn er Wasser hat - unter der Straße hindurch und mündet zwei Blocks weiter in die Panke.

Die Bundesstraße 96a führt mitten durch den alten Dorfkern. Viele Menschen sind unterwegs, aber die Aufenthaltsqualität ist gering. Die Bauten überwiegend aus der Gründerzeit, meistens Mietshäuser, zeigen erstaunlich viel Stuck und Fassadenschmuck jeder Art. Nahe dem Schloss Niederschönhausen gelegen, zeigt sich hier, wie ein städtischer Vorort repräsentieren konnte.

Bis zum Nordend (7) sind wir nicht mehr gekommen. In der Dietzgenstraße finden wir einen Griechen, der uns aufmerksam bedient und mit einem wohlschmeckenden Ouzo als Abschiedsgetränk entlässt, eine Aufmerksamkeit, die wir in einigen Lokalen auf unseren Touren vermisst haben.

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(1) Stralauer Fischzug: Ein Mops namens Rolex
(2) Seidenraupenzucht: Sie kleidet den Reichen - Sie naehret den Armen
(3) U-Bahn Vinetastraße: überirdisch bewegt
(4) Bergmann-Borsig: Vier Enden hat Berlin
(5) Borsigwalde: Besteigung der Borsigwalder Alpen
(6) mehr über Niederschönhausen: Niederschönhausen
(7) mehr über Nordend: Nordend

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Unsere Route
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überirdisch bewegt
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