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Der grüne Jaguar vom Weißen See


Stadtteil: Weißensee
Bereich: Weißer See
Stadtplanaufruf: Berlin, Große Seestraße
Datum: 19. Juli 2023
Bericht Nr.:811

Ein Spaziergang rund um den Weißen See bringt eine Fülle von Skulpturen in den Blick. Sie stehen in dem Park westlich des Sees und in dem Stadtgebiet östlich der Berliner Allee. Die Kunstwerke entstanden vor allem in zwei Phasen: Seit seiner Entstehung 1914 bis in die 1920er Jahre wurde der Park mit mehreren Figuren geschmückt. In der DDR-Zeit wurde eine Vielzahl von weiteren Plastiken sowohl im Park als auch östlich des Sees aufgestellt.

Die Gemeinde Weißensee kaufte 1908 das Schloss Weißensee (1919 durch einen Brand zerstört), den Schlosspark und die Seepromenade und errichtete rund um den See einen zusammenhängenden Volks- und Bürgerpark. Vorher gab es auf dem Gelände das "Welt-Etablissement Schloss Weißensee" mit Musik- und Verkaufspavillons, Taucher-Bassin, Hippodrom, Riesenkarussell, Riesenrad, Schießhalle, Fotoatelier, Bierhallen, See-Theater und Badeanstalt, Ruderbooten, Motorschiff, Berg-und-Tal-Rutschbahn und elektrischer Eisenbahn. Eben alle Belustigungen, die damals die Berliner in die Vororte lockten, um dort zu schwofen.

Sozialistischer Realismus
Warum wurden in der DDR-Zeit bei Skulpturen die Körper nur bekleidet gezeigt? Wir haben die Antike und die Renaissance vor Augen, dort findet man überwiegend nackte Menschen dargestellt, schöne Körper, die unbekümmert Kraft und Reinheit ausstrahlen, wie beispielsweise der David von Michelangelo oder die Venus von Milo. Doch im Sozialismus ging es nicht um Schönheit, sondern um die Heroisierung der Arbeiter, die eine kommunistische Gesellschaft aufbauen wollten. Der Realismus des sozialistischen Alltags sollte in leicht verständlichen Formen gezeigt werden, ästhetische Überlegungen spielten keine Rolle.

Und so wirken die dargestellten Menschen wie hingestellt, unbeweglich, der Blick ausdruckslos, ihre Kleidung nur angedeutet. Der aufrechtstehende Arbeiter mit den Gummistiefeln (1968) könnte vom Sockel steigen und direkt durch die nächste Wasseransammlung patschen. Ich sehe die Wasserlachen vor mir, die manche neue Plattenbauten umgaben, bis nach einiger Zeit das Gelände befestigt wurde.

Beim "Denkmal der antifaschistischen Widerstandskämpfer" (1970) stehen zwei Männer unbewegt mit leichtem Abstand voneinander in einer eingefrorenen Freundschaftsgeste, der Arm des einen schwebt hinter dem Rücken des anderen in der Luft und berührt ihn nicht. Das Denkmal wurde von zwei Studenten der Kunsthochschule Berlin-Weißensee geschaffen.


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Der DDR-Mythos vom Antifaschismus
Die Bundesrepublik sei eine "monopolkapitalistische" Gesellschaft, die DDR zeichne sich durch ihren Antifaschismus aus. Diese Ideologie der DDR wurde gebetsmühlenartig beschworen und zeigt sich auch in ihrer Denkmalkultur. Gedacht wurde nur der verfolgten Kommunisten und eben Antifaschisten. So muss beim Denkmal der Widerstandskämpfer plakativ das Attribut "antifaschistisch" hinzugefügt werden, und selbst der Dank an die Bevölkerung für die Wiederherstellung des Parks nach dem Krieg wird zur antifaschistischen Propaganda (Gedenkstein 1955):

___Das Erbe des Faschismus war Schutt und Ruinen.
___Durch freiwillige Arbeit der Bevölkerung [...] entstand diese Anlage.
___Eine Tat des Friedens.

Trümmerfrau
Anders die Trümmerfrau - auch Aufbauhelferin genannt -, die ihr Gewicht auf das eine Bein verlagert, eine eingefrorene Bewegung (1968). Vielleicht verrät etwas an ihrer Haltung ihre Tätigkeit: Sie ist aufgerichtet, hält ihre Arme und Hände mit Abstand leicht vom Körper weg, so als hätte sie gerade zwei Eimer mit den abgeklopften Ziegeln abgestellt.


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Noch eine Trümmerfrau als halbhohes Modell (Katharina Szelinski-Singer, 1955) ist auf dem Gelände der Stephanus-Stiftung versteckt. Ein Mitarbeiter der Kantine - einen Teller Suppe in der Hand - brachte uns auf den Weg zu der Hausecke, an der er sie vermutete. Und tatsächlich war sie dort abgestellt, ohne Raum drum rum, im Schatten eines Baumes. Vier Modelle hatte die Künstlerin erstellt, das Original wurde dann im Volkspark Hasenheide aufgestellt. Es zeigt eine sitzende Frau, der die Last des Steineklopfens für den Wiederaufbau West-Berlins anzusehen ist, ihre Hände ruhen erschöpft im Schoß und halten den Hammer.

In Ost-Berlin wird Trümmerfrau ganz anders gesehen: Sie steht als Aufbauhelferin aufrecht und blickt vorwärts auf ihre Rolle aus gleichberechtigtes Mitglied der sozialistischen Gesellschaft. Hier werden die Rollenbilder sichtbar, die sich in Ost und West völlig unterschiedlich entwickelten. Im Westen tauchte das Thema Gleichberechtigung erst viel später auf.

Unklar ist, warum das Trümmerfrauen-Modell in der "falschen" Stadthälfte aufgestellt wurde. Sollte die versteckte Aufstellung darauf hindeuten, dass man im Osten nicht sehr glücklich war mit diesem Kunstwerk?

Herantasten an zwei Skulpturen
Östlich des Sees sind in einer Grünfläche an der Buschallee zwei Skulpturen aufgestellt. Der grob behauene und schraffierte Baustein soll "in stark abstrahierter Form" ein "sich umarmendes Paar" und eine "liegende Frau" zeigen (1987).

Wie gut, dass ein Bildhauereiverzeichnis uns Hilfestellung bei der Betrachtung der beiden Kunstwerke gibt: Bei dem sich umarmenden Paar sind "die Arme zu erkennen, weitere Körperteile jedoch kaum". Tatsächlich fehlt von dem Paar selbst jede Spur, dann müssen wir nicht weitersuchen. Die Sonnende "stützt sich mit ihrem linken Unterarm ab, ihr rechter Arm ruht auf dem angewinkelten Bein, ihr Kopf ist zum Himmel ausgerichtet". Das kann man nachvollziehen.


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Stefan Horota: "Eulenspiegel" und "Vater mit zwei Kindern"
Stefan Horota ist als Bildhauer mit fast 30 Werken im ehemaligen Ost-Berlin vertreten. Seine Themen sind beispielsweise "Storchenpaar", "Zwei Ziegen auf der Brücke", "Sieben Schwaben", "Paar in der Badewanne", "Kinder unter dem Regenschirm", "Erst kommt das Fressen, dann die Moral". Auch östlich des Weißensees finden wir zwei Skulpturen, die er geschaffen hat: "Eulenspiegel" und "Vater mit zwei Kindern".

Seine seit den 1960er Jahren entstandene Skulpturen zeigen Phantasie und Witz. Die ausdruckslosen und unbewegten Figuren des sozialistischen Realismus sind ihm fremd. Trotzdem war Horota in der Ausstellung "Das Antlitz der Arbeiterklasse in der bildenden Kunst der DDR" 1971 vertreten, die zu Ehren des VIII. Parteitages der SED veranstaltet wurde. Bis dahin hatte er vor allem Tiere dargestellt, das hatte wahrscheinlich verhindert, dass er zu Realismus-Darstellungen im Sinne der herrschenden Ideologie gedrängt wurde.

Der "Vater mit zwei Kindern" (1976) steht aufrecht, ein Junge und ein Mädchen sitzen auf seinen Oberarmen, fröhlich klatschen sie ihre Hände über dem Kopf des Vaters zusammen. Eine sommerliche Szene, die im Park an der Else-Jahn-Straße zu sehen ist.

Auf einer Säule balanciert Till Eulenspiegel, der Schalk des 14. Jahrhunderts mit Narrenkappe, der sich dumm stellte, um seinen Mitmenschen immer neue Streiche zu spielen (1979). Auf der Säule an der Buschallee sind Reliefplatten angebracht, auf denen mehrere Streiche Eulenspiegels dargestellt sind.

Tritonen auf der Seebrücke
In einen Park am See gehören natürlich Kunstwerke, die das Wasser thematisieren. Auf der Seebrücke kann man zusammen mit zwei Tritonen dem Treiben auf dem Wasser zusehen. Die 1912 aufgestellten Figuren sind Mischwesen mit menschlichem Oberkörper und fischartigem Unterkörper mit Schwanzflosse. Von den auf ihrem Rücken sitzenden Knaben spielt einer Mandoline, der andere Mundharmonika.


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Eine Gruppe von Tritonen findet sich auch im Rudolph-Wilde-Park am U-Bahnhof Rathaus Schöneberg. Auf dem steinernen Brückengeländer über dem U-Bahnhof warten Tritonen darauf, Nymphen über das Fenn zum anderen Ufer zu tragen. Die Skulptur ist zeitgleich mit der am Weißen See von einem anderen Künstler geschaffen worden.

Die Seebrücke war nicht nur Ausguck, sie hatte auch eine technische Funktion, sie diente dem Elektrizitätswerk in der Großen Seestraße 14 als Kühlwasserzulauf. Der Fabrikant Carl Ruthenberg hatte um 1900 entlang der Lehderstraße auf einer langen Reihe von Grundstücken Gewerbehöfe zur Vermietung errichtet und sie nach und nach zu einem Industriepark, einem ganzen Gewerbegebiet ausgebaut. Ein von ihm betriebenes Elektrizitätswerk versorgte nicht nur seine Bauten, sondern einen weiteren Teil von Weißensee mit Strom. Das Kühlwasser für das Elektrizitätswerk wurde am See unter der Seebrücke entnommen.

Schwimmer, Plansche
Etwas weiter südlich hat sich ein Schwimmer im Grünen niedergelassen, der gerade seinen Körper regeneriert. Die Plastik von Otto Placzek ist 1924 entstanden. Placzek hat für die Olympischen Spiele 1936 die offizielle Teilnehmermedaille mit klassizistischen Motiven geschaffen.

Zwei wasserspeiende Tiere sind die Attraktion der Plansche, die etwas abseits des Sees Kinder anlockt. Die Buckelnase deutet auf Seeelefanten hin, meist werden sie aber als Seelöwen bezeichnet (1925). "Eine idyllische Erholungsstätte für unsere Werktätigen" schrieb die DDR unter ein Bild der Plansche. Dass sie das auch nach der Wende geblieben ist, verdankt Weißensee den Anwohnern, die sich vehement gegen die Umwandlung in einen kostengünstigeren Matschplatz gewehrt haben. Bei der letzten Umgestaltung ist die große Wasserrutsche verschwunden, stattdessen wurden an Land Klettermöglichkeiten aufgebaut.


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Der grüne Jaguar
Aus dem Rahmen fällt ein grüner Jaguar (1938), der eine Grünfläche an der Amalienstraße durchstreift. Eine kraftvolle Tierplastik aus Bronze, die in der Gegenwart von Zeit zu Zeit ihre Farbe wechselt. Sie war schon einmal rot, erzählen uns Kinder, auch in blau oder orange ist sie im Internet zu finden. Egal, wer hier seinen eigentlich zu verurteilenden Schabernack mit der Kunst treibt, der grüne Jaguar ist cool.

Der Jaguar fällt auch deshalb aus dem Rahmen, weil er die einzige Skulptur am Weißen See ist, die in der Nazizeit geschaffenen wurde (ohne dies augenfällig zu zeigen). Das Werk wurde auf der Großen Deutschen Kunstausstellung in München 1940 gezeigt. Der Bildhauer Heinrich Drake war Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste, nach dem Krieg wurde er Gründungsmitglied der Kunsthochschule Berlin-Weißensee.


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Zwischen Albertinenstraße und Parkstraße am Weißen See unterhält die karitative Stephanus-Stiftung eine Kirche ("Friedenskirche"), eine Kita, eine Schule und Wohnungen sowie Angebote für Menschen mit Behinderung. Mehrere Kunstwerke mit religiösem und karitativem Bezug sind auf dem Gelände zu finden.

Glockenstuhlplastik
Vor der wieder aufgebauten Kirche steht eine Glockenstuhlplastik (Achim Kühn, 1975). Zwischen zwei trapezförmigen Seitenelementen aus Stahl sind zwei Glocken eingehängt, die mithilfe eines Seils geläutet werden können. Die täglichen Gottesdienste "werden in die Häuser der Stiftung übertragen, um die Bewohnenden am geistigen Leben teilhaben zu lassen".


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Caritas
An einer Hauswand schwebt ein "segnender Engel". Er schaut auf die Skulptur "Caritas" (1911), die etwas verloren auf einer Grünfläche aufgestellt ist. Diese Plastik wurde vom Kinderkrankenhaus Weißensee hierhergebracht, weil das Krankenhaus dort dem Verfall preisgegeben ist. Hier mischen sich die Konfessionen - evangelische Friedenskirche und katholische Caritas -, das wird bei der Ablage der Caritas an diesem Ort in Kauf genommen.

Zwei Steine
Zum Schluss zwei Steine: An der Ecke Rennbahnstraße / Berliner Allee liegt ein Gedenkstein an einer Eiche, mit dem die Weißenseer 1908 "ihren" Bismarck zum 10. Todestag geehrt haben. Ein Gedenken, das der DDR nicht gefallen hat, also hat sie durch Umbettung des Steins die Inschrift unsichtbar gemacht. Das kam nach der Wende dem Denkmal zugute: durch eine weitere Drehung des Steins war die Schrift unbeschadet wieder sichtbar.

An der Trierer Ecke Bernkasteler Straße liegt ein Steinquader vor dem Eckhaus, der so gar nichts über seine Bestimmung preisgeben will. Die Bildhauerei-Seite weiß nur über den Zustand zu berichten "gut, sieht gereinigt aus" und bittet den Leser um Mithilfe: "Ihre Information ist gefragt". Hier liegt ein Stein rum, wer weiß was?


An der Ecke Berliner Allee / Indira-Gandhi-Straße finden wir müden Wanderer ein Bäckerladen-Café mit dem Charme eines Kiosks und einem zugewandt und aufmerksam bedienenden Inhaber. Hier trifft sich BVG, DHL, PIN und alles, was eine stressfreie Pause gebrauchen kann. Auf die Frage nach dem Gehalt der Kuchenstücke vom Blech hebt der Inhaber jedes einzeln auf der Schaufel in die Höhe, damit man die Erläuterungen optisch nachvollziehen kann. Wo gibt es sonst einen solchen Service?
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Unsere Route:
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Und hier folgen zwei Lagepläne,
um die Skulpturen etwas leichter auffinden zu können:
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im Park westlich


im Park nördlich



Glockengeläut in der Eigentumswohnung
Ein Foto ist tot - Lebendiges bewegt sich