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Auf Kunstwerken herumturnen


Stadtteil: Lichtenberg
Bereich: Fennpfuhl
Stadtplanaufruf: Berlin, Karl-Lade-Straße
Datum: 21. August 2023
Bericht Nr.:814

Zum Fennpfuhl in Lichtenberg hat uns heute ein Bauprojekt aus der DDR-Zeit gelockt, zu dem auch ein ausgedehnter Skulpturenpark gehört. Die Großsiedlung Fennpfuhl ist das einzige nach einem gesamtdeutschen Architektur-Wettbewerb errichtete DDR-Bauprojekt. Und: Als "Kunst am Bau" wurden in einem internationalen Bildhauersymposium Plastiken geschaffen und im Fennpfuhlpark aufgestellt, ein Skulpturengarten entstand.

Ost-Berlin und West-Berlin waren meist feindliche Brüder. Es gab viele Bauwerke und Institutionen doppelt, beispielsweise Funkturm/Fernsehturm, Zoo/Tierpark, Freie Universität/Humboldt-Universität, Freie Volksbühne/Volksbühne, Kongresshalle/CongressCentrum. Andererseits haben beide Seiten manches zur gleichen Zeit realisiert wie "Kunst am Bau", die seit 1950 vorgeschrieben ist. Manchmal haben Ost und West auch kooperiert, beispielsweise zur 750-Jahr-Feier, als sie die im Westen gelagerten Teile des Ephraim-Palais und das im Osten verwahrte Archiv der Königlichen Porzellanmanufaktur austauschten.

Einziger gesamtdeutscher Architekturwettbewerb
Auch in der Architektur gab es Bau und Gegenbau, die Bauten der Stalinallee (1952) und des Hansaviertels (Interbau 1957) zeigen die Gegensätzlichkeit der Architekturauffassungen in Ost und West. Erstaunlicherweise öffnete sich die DDR-Architektur aber in den 1950er Jahren für kurze Zeit gegenüber dem westlichen Nachbarn. 1956 hatte die DDR je acht Architekten aus Ost und West eingeladenen zu einem Ideen-Wettbewerb für eine ausgedehnte Wohnsiedlung am Fennpfuhl, die den Auftakt des DDR-Wohnungsbauprogramms bilden sollte. Die Jury war paritätisch besetzt, den Wettbewerb gewann ein Hamburger Architekt. Er entwarf eine Wohnsiedlung mit vorgefertigten Bauelementen, deren drei-, fünf- oder zehnstöckige Häuserblocks unregelmäßig über weite Grünflächen verteilt sind.

Die Ernüchterung der DDR-Verantwortlichen folgte auf dem Fuße, es fehlte eine deutliche Abgrenzung zum Westen in ideologischer Hinsicht. Sollte man die ostdeutsche Architektur nicht mehr von der westdeutschen unterscheiden können? Was war überhaupt sozialistische Architektur? Zwar gab es Architekten, die die gesamtdeutsche Ausrichtung "fachlich als fruchtbar" einschätzten. Der DDR-Architekt Henselmann beobachtete, dass manche Arbeiten aus Ost und West gleichermaßen eine "formalistische Monotonie“ aufweisen Systemtreue Städtebauer forderten, die Prinzipien des Städtebaus im Sozialismus klar herauszuarbeiten, um "ideologische Unklarheiten" zu überwinden. Letztlich ging es um die Frage des richtigen Bewusstseins. Das Tauwetter war schnell vorbei, es gab keine friedliche Koexistenz mehr mit westlicher Architektur.

Die erste Plattenbau-Großwohnsiedlung der DDR entsteht
Die Umsetzung der Wettbewerbsergebnisse ließ Jahrzehnte auf sich warten. Der Fennpfuhl liegt in einer eiszeitlichen Senke, das Gelände war von Gärtnereien und Kleingärten genutzt worden. Probleme mit der Trockenlegung des Gebietes und fehlende finanzielle Mittel führten dazu, dass am Fennpfuhl erst 1972 der Grundstein gelegt wurde für die erste zusammenhängende Plattenbau-Großwohnsiedlung der DDR. Sie sollte "das Beispiel eines sozialistischen Stadtteils der Zukunft sein".

Fennpfuhlpark
Zusammen mit dem Bauprojekt wurde der Bereich um den Fennpfuhl zum Fennpfuhlpark umgestaltet, die Kleingärten am Wasser verschwanden. Viele alte Bäume waren vorhanden, neue wurden gepflanzt. Der Fennpfuhl und der nördlich davon liegende Langpfuhl wurden 1981 zu einer zusammenhängenden Wasserfläche verbunden, die von einer Fußgängerbrücke mit Schmuckmotiven überquert wird. Der Weg über die Brücke führt zu einer halbrunden Sitzbank, die als "steinerner offene Rosenpavillon" eines der Bildhauerwerke des Parks ist.

In dem schmiedeeisernen Brückengeländer finden sich Darstellungen von Vogelmotiven. Es ist zu einer Tradition geworden, dass Liebespaare dort wie an anderen Gittern überall auf der Welt "love-locks" einklinken, Vorhängeschlösser, mit denen sie sich ewige Liebe schwören und deshalb die Schlüssel wegwerfen.


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Der Fennpfuhlpark ist gut besucht, er wird offensichtlich von den Bürgern angenommen. Am Anton-Saefkow-Platz sitzt man entspannt vor den Lokalen und dem Café im Freien, die Bebauung bedrängt den Platz nicht. Der Bürgerverein Fennpfuhl kümmert sich um die Erhaltung des Parks. Es gibt Putzaktionen, mit denen der Kiez von herumliegendem Unrat befreit wird. Der Verein "Junge Tauchpioniere" hat den See von alten Fahrrädern, Elektrogeräten und anderem Schrott befreit. Trotzdem gibt es Vandalismus. Skulpturen sind beschmiert und mit Farbe besprüht. Aus einer Wasserwand mit drei versetzten Wasserbecken wurden die Wasserleitungen herausgerissen, heute ist sie funktionslos hinter Büschen und Zäunen verschwunden.

Hungriger Wolf und Seeterrassen
Um 1900 gab es drei Gastwirtschaften am Fennpfuhl, davon eine mit dem Namen "Hungriger Wolf". Als Ausflugslokale boten sie den Berlinern einige der zeittypischen Vergnügungen wie Tanz, Ruderbootfahrten und Musikdarbietungen. Es gab einen Turnplatz, eine Tribüne, einen Aussichtsturm. Später breiteten sich Kleingärten bis zum Wasser aus. In dem 1978 neu geschaffenen Fennpfuhlpark errichtete die DDR einen Gaststättenkomplex "Seeterrassen", der sicherlich funktional war, aber jede Spur von Gestaltung und Design vermissen ließ. Nach der Wende wurden die Seeterrassen abgerissen und der Bereich in den Park integriert.

Skulpturengarten
Mittelpunkt des Parks wurde der Anton-Saefkow-Platz, an dem einige Hochhäuser der Großwohnsiedlung verteilt stehen. Der Park wurde zu einem Skulpturengarten. Der Bildhauer Karl-Heinz Schamal erarbeitete 1978 eine Kunst- und Gestaltungskonzeption, im Sommer 1987 fand dann ein Internationales Bildhauersymposiums unter dem Motto "Poesie der Großstadt“ statt. Künstler vor allem aus Ostblockländern und der DDR, aber auch Syrien und Finnland nahmen daran teil.

Den Bildhauern wurden Sandstein-Blöcke aus einem sächsischen Steinbruch für ihre Arbeiten zur Verfügung gestellt. Einige Künstler behielten deren kubische Form bei, aus der sie Figuren und Konturen herausarbeiteten. Manche der dort aufgestellten Plastiken sind unabhängig von dem Symposium zu anderen Zeiten entstanden. Der Bürgerverein Fennpfuhl hat dafür gesorgt, dass die Kunstwerke kleine Erläuterungsschilder erhielten.


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"Poesie der Großstadt"
Den Namen des Symposiums nimmt das Kunstwerk "Poetische Stimmung" sinngemäß auf. Die aus zwei Blöcken zusammengesetzte Skulptur zeigt eine Relieffigur vor einer gotischen Spitzbogenarchitektur. Die nackten Beine hängen kraftlos im Wasser. Körperhaltung und Gesichtsausdruck vermitteln den Eindruck von Hoffnungslosigkeit, poetisch ist diese Haltung nicht.

Zwei Blöcke, die sich direkt "Poesie der Großstadt" nennen, stehen am westlichen Rand des Parks. Doch wo bleibt die Poesie? Sie wird nicht in der Gestaltung sichtbar, die im Originalformat belassenen Blöcke sind an allen Seiten mit geometrischen und grafischen Formen auf meist spröde gestalteten Oberflächen versehen.

Voluminöse Gestalten
Am Anton-Saefkow-Platz sind aus einem voluminösen quadratischen Steinblock drei unbekleidete Männer herausgearbeitet worden, die sich vor dem Stein winden oder in den Stein gepresst werden ("Der Entfesselte"). Ein politisches Statement, das dem von der DDR immer wieder beschworenen Gedenken an den "Widerstand gegen den Faschismus" gewidmet ist.

"Dem Leben gewidmet" ist ein weiteres politisches Statement nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl: "Inmitten vom Himmel herabstürzender toter Vögel erhebt sich als Symbol des zu schützenden Lebens die Figur einer Mutter mit Kind im Stil mittelalterlicher Christus- und Madonnendarstellungen". Auch diese Figur wurde aus Sandstein geschaffen.

David hat Goliath den Kopf abgeschlagen. In der zweiteiligen Skulpturengruppe aus Sandstein blickt David auf den massigen abgeschlagenen Kopf des Goliath. Unwillkürlich denkt man an den ebenfalls auf der Seite liegenden Leninkopf, der in der Zitadelle Spandau ausgestellt wird. Auf Davids Rücken ist eine Tastatur zu sehen, ist er Mensch oder Maschine? "Er ist wohl Sieger des Zweikampfes, verkörpert aber keineswegs das Gute. Er war nur der Schlauere, der besser Gerüstete".


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Am Anton-Saefkow-Platz liegt träge ein Löwe, Die Skulptur besteht aus vier Sandsteinblöcken. Tatzen, Gesicht und Mähne des Löwen sind fein ausgearbeitet, die übrigen Körperformen werden nur grob angedeutet. Vom ursprünglichen Platz am Südrand des Parks durfte der Löwe zum prominenten Aufstellort am zentralen Anton-Saefkow-Platz wandern.

Die "Zwiesprache" aus zwei übereinandergesetzten Sandsteinblöcken zeigt Sprachlosigkeit, entsetzt hält ein Mann eine Hand vor den Mund. Er schaut auf ein gesichtsloses Wesen gegenüber ohne menschliche Konturen, ein zylinderförmiges technisches Objekt. Zunehmende Technisierung macht sprachlos, Zwiesprache unmöglich.

Auch drei Sandsteinblöcke als "Refrain" haben keine Sprache. Mit abgerundeten Kanten und zylinderähnlichen Formen auf der Oberfläche stehen sie da, als hätten Kinder vom nahegelegenen Spielplatz "backe backe Kuchen" gespielt und ihre Förmchen auf den Blöcken entleert.

Vor der Kulisse eines Hochhauses führt ein Weg durch den Park. Am Weg gibt es eine "Begegnung", er wird von zwei großflächigen Halbkugeln umfasst, die gleichzeitig eine Leichtigkeit vermitteln in ihrer aufgelockerten Anordnung und den lebendigen Innenflächen. Die Begegnung mit dem Hochhaus ist wohltuend, Wohnen und Erholen sind hier im Gleichgewicht.


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Eine dralle weibliche Aktfigur sitzt auf der Rasenfläche. Mit einem fröhlichen Lächeln ist diese "Felicitas" wie in der römischen Mythologie der Inbegriff der Glückseligkeit. Diese Figur zeigt den bildhauerischen Kontrast, dass die Sandsteinblöcke auch fein behauen werden können.

Liegende und Liebende
Ein lebensgroßes Paar hält sich an den Händen, doch die Blicke gehen aneinander vorbei in die Ferne. Das "Paar" aus Sandstein ist nur in Höhe des Oberkörpers vollständig ausgearbeitet, vielleicht ist auch ein dünnes Tuch um die dicht beieinander stehenden Gestalten geschlungen. Die Skulptur steht auf einer ausgedehnten Grünfläche. Vielleicht hätte die ursprünglich geplante Aufstellung vor einem ruhigen, geschlossenen Hintergrund den intimen Charakter der Plastik besser zur Geltung gebracht. Bleiben würde auch dann die sichtbare Entfremdung, die dem Wettbewerbsthema "Poesie der Großstadt" deutliche Kritik entgegensetzt.

Eine üppige Frauengestalt liegt seitlich auf der rechten Hüfte und "schaut träumerisch in die Ferne". Vielleicht schaut sie auch nur sehnsuchtsvoll oder heilfroh? auf das Geschehen auf dem Kinderspielplatz vor sich. Der Bildhauer Siegfried Krepp hat außer dieser Bronze der "Großen Liegende (bekleidet)" auch eine unbekleidete "Große Liegende (Sommer)" geschaffen, die am Obersee aufgestellt wurde. Von Krepp stammt auch der "Entfesselte" aus Sandstein am Anton-Saefkow-Platz. Welch ein Gegensatz, aber die Liegende ist bereits zwanzig Jahre vor dem Wettbewerb entstanden.


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Ausgelassen und fröhlich tanzt ein Paar miteinander: "Die Liebenden" haben einen Platz im Bereich der ehemaligen Seeterrassen gefunden. Schon von Weitem zieht das Paar die Blicke auf sich. Zuerst war es 1980 im Treptower Park in der Ausstellung "Plastik und Blumen" zu sehen. Diese Ausstellung fand im zweijährigen Abstand 30 Jahre lang bis 1988 statt und wurde von namhaften Künstlern wie Fritz Cremer oder Waldemar Grzimek, aber auch von Nachwuchskünstlern bespielt.

Poesie der Großstadt?
Bei einem Überblick über die Bildhauerwerke im Fennpfuhlpark fällt auf, dass das Wettbewerbs-Thema "Poesie der Großstadt" von mehreren Künstlern dazu verwendet wurde, um statt der Harmonie kritische Blicke auf Entfremdung und Hoffnungslosigkeit zu lenken. Und dass bereits vor 36 Jahren das Thema Mensch und Maschine so bedeutend war, dass zwei Bildhauer Roboter oder maschinengesteuerte Menschen ins Bild gesetzt haben.

Alles ist Kunst
Bei so viel Kunst kann auch manchmal ein banales Objekt zum Kunstwerk werden. Vor dem Standesamt an der Karl-Lade-Straße steht ein Sägebock. Als Ritual nach der Trauung pflegen Brautleute einen Baumstamm zu zersägen, es ist das erste große Hindernis, das dem Brautpaar den Weg in die Ehe versperrt und das sie mit vereinten Kräften gemeinsam aus dem Weg räumen sollen. Dieser Sägebock ist als Kunstwerk gelistet, anstelle eines echten wurde der bronzene Abguss eines alten Sägebocks aufgestellt. Man kann es auch übertreiben mit der Kunst.

Es erinnert an die Anekdote um den Düsseldorfer Kultusminister Johannes Rau, der nach einer Auseinandersetzung den Künstler Joseph Boys an der Kunstakademie entließ, "bevor er mich zum Kunstwerk erklärt".

Das Standesamt war 20 Jahre lang in der Villa untergebracht, die ein Kaiserlicher Hofgärtner 1896 am Rand seiner Gärtnerei errichten ließ. Bevor das Standesamt einzog, hatte die Bauleitung für das Neubauviertel Fennpfuhl sich dort eingerichtet. Jetzt ist ein Catering-Unternehmer Besitzer der Villa, die er nach denkmalgerechter Herrichtung auch wieder für Trauungen zur Verfügung stellt.


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Künstliche Intelligenz verzweifelt an meinen Fragen
Der Bildhauer Karl-Heinz Schamal erarbeitete 1978 eine Kunst- und Gestaltungskonzeption für den Fennpfuhlpark und die Aufstellung von Skulpturen. Ich habe die künstliche Intelligenz "Bing KI" von Microsoft dazu befragt und mehrere gute Hinweise und Quellenangaben bekommen. Dann hat sich die KI allerdings verhaspelt und behauptet, einzelne Skulpturen seien so gestaltet, dass sie Kletter- und Rutschmöglichkeiten bieten. Dass man auf ihnen herumturnen könne, leitete die KI aus der erwünschten Nähe zwischen den Menschen und der Kunst ab, Kunst solle doch auch zum Spielen und Genießen einladen.

Auf meine verblüffte Nachfrage berief sich die KI auf ein Interview mit dem Bildhauer Schamal, konnte aber keine Fundstelle dazu nennen, verrannte sich in unsinnige Quellenangaben und schrieb schließlich zurück: "Ich möchte diese Unterhaltung nicht fortsetzen. Ich bin noch am Lernen, danke für Ihr Verständnis und Ihre Geduld".
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