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Rosen in der Wendeschleife


Stadtteil: Wilmersdorf
Bereich: Schmargendorf
Stadtplanaufruf: Berlin, Am Wilden Eber
Datum: 13. Januar 2020
Bericht Nr.:683

Das Roseneck in Schmargendorf verdankt seine Existenz einer Wendeschleife der Straßenbahn. Am Potsdamer Platz einsetzende Straßenbahnlinien mit Endstation Roseneck fuhren dort über eine Kehre in die Stadt zurück. An der Hagenstraße wurde der Innenraum der Kehre mit Rosen bepflanzt, so bekam der Verkehrsknoten seinen Namen. Die Große Berliner Straßenbahn hatte diese Linien um 1900 eingerichtet, die BVG fuhr dort 1957 zum letzten Mal, dann wurde in West-Berlin die Straßenbahn durch Busse ersetzt.

Wilder Eber
Zwischen Roseneck und Wildem Eber erstreckt sich ein Villenviertel, dessen Straßen vorzugsweise die Namen preußischer Ministern und Generäle tragen. Auch die Benennung des Platzes am Wilden Eber hat seine eigene Geschichte. Bevor der Platz angelegt wurde, stand hier das Gartenrestaurant "Zur Waldschänke", das 1885 mangels umgebender Bebauung am oder im Wald lag. An der Hundekehle am nahen Grunewaldsee sammelten sich in jenen Jahren Hundemeuten bei der Treibjagd. Ob ein Eber während einer Treibjagd aufgescheucht wurde oder einfach nur so an dem Gartenrestaurant auftauchte ist nicht überliefert, jedenfalls erschreckte er die Gäste der Waldschänke.

Der Wirt erschoss den Eindringling und war von seiner Heldentat so begeistert, dass er seine Gastwirtschaft fortan "Gasthaus zum Wilden Eber" nannte. Nachdem die Gastwirtschaft einer Mittelinsel gewichen war, wurde die Bronzeplastik eines Ebers dort aufgestellt. Dem Hunger nach kriegswichtigem Material fiel der Eber im Zweiten Weltkrieg zum Opfer und wurde eingeschmolzen. Heute steht ein Nachguss an seinem Platz. Hier können Kinder gefahrfrei Rodeoreiten üben.


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Lou Andreas-Salomé
Selbstmord wegen verschmähter Liebe, aber dann auf Ewigkeit im gemeinsamen Grab? Bei unseren Spaziergängen waren wir schon einmal auf dieses Thema gestoßen, das aus Lebensschicksalen unter Grabsteinen heraufschimmerte. Die Schauspielerin Tilla Durieux wollte sich von dem Kunsthändler Paul Cassirer scheiden lassen, mit dem sie Ehehöllen erlebt hatte. Daraufhin nahm er sich in ihrer Gegenwart das Leben. Nach einem erfüllten Leben wurde die Durieux 45 Jahre später an seiner Seite beigesetzt, nach der Unfähigkeit zu einem gemeinsame Leben eine Verbindung für die Ewigkeit.

Die Schriftstellerin Lou Andreas-Salomé wohnte ab 1898 der Hundekehlestraße in der Villa Waldfrieden. Bei unserem Rundgang kommt uns ihr ungewöhnliches Lebensschicksal vor Augen. Der Orientalist Friedrich Andreas verehrte sie heiß, wurde aber von ihr abgewiesen. Er versuchte, vor ihren Augen Selbstmord zu begehen. Eine etwas ungewöhnliche Brautwerbung, der eine ungewöhnliche Ehe folgte: Sie willigte nur unter der Bedingung ein, dass beide eine platonische Beziehung führen ohne körperliche Liebe. Bis zu seinem Tod nach 43 Jahren hielten sie daran fest, und waren trotzdem gegenseitig eifersüchtig auf die Außenbeziehungen des anderen. Nach einer sprach-losen Ehe stellten sie erst kurz vor seinem Tod fest, wie viel sie sich zu sagen hatten. Lou Andreas-Salomé überlebte ihren Mann um sieben Jahre und wurde im Grab neben ihm beigesetzt. Nach einer Zeit des Schweigens auf Erden konnten sie jetzt in der Sprache der Ewigkeit miteinander sein.

Lou Andreas-Salomé war eine Frau, die bedeutende Männer intellektuell und körperlich in ihren Bann zog. Es waren Emanzipation und das Wechselspiel von Geist und Eros, deshalb erzähle ich die Geschichte hier etwas ausführlicher. Den bunten Blättern will ich damit auf meiner Homepage keine Konkurrenz machen.

Als Lou zehn Jahre mit Friedrich Andreas verheiratet war, lernte sie Rainer Maria Rilke kennen. Es ist für beide überwältigend, er ist für Lou "das Zarteste, das ihr begegnete und das Härteste, womit sie rang". Rilke ist ihr verfallen: "Keine Sonne will ich sehen außer Dir! Mein klarer Quell!" Sie verbringen ihre Zeit zusammen und als sie 1897 nach Berlin geht, folgte Rilke ihr und hält sich meist in der Wohnung der Eheleute Andreas-Salomé auf und verreist auch mit ihnen zusammen. Als Rilke von ihr zunehmend abhängig zu werden begann, schickte sie ihn auf Reisen und beendete die Liebesbeziehung, sie blieben Freunde.

Vor Rilke war es Friedrich Nietzsche, der von Lou mehr als entzückt war. Einen Heiratsantrag von ihm lehnte sie ab, eine geistige Freundschaft blieb, und so musste er nicht befürchten, dass sie ihn "an der Vollendung seines Lebenswerkes hindern könne".

Mit 50 Jahren lernte Lou Sigmund Freud kennen. Beide waren voneinander fasziniert, beide fanden sich "beschenkt". Sie hörte seine Vorlesungen am Wiener Kolleg, und wenn sie mal nicht anwesend war, "starrte er wie gebannt in die Sitzlücke, die man für Sie gelassen hatte" und fühlte sich "unsicher". Lou Andreas-Salomé, die Theologie, Philosophie- und Kunstgeschichte studiert hatte, wendete sich in Wien dem Studium der Psychoanalyse zu.

Daraus wurde auch eine enge geistige Beziehung zum Altmeister der Psychoanalyse Sigmund Freud. Sie durfte das, was andere nicht durften. Sie besuchte die Vorlesungen von Alfred Adler. Sie deutete seine psychoanalytischen Konzepte auf ihre Weise poetisch und literarisch, woraufhin er sie die "Dichterin der Psychoanalyse" nannte, weil er "nur" Prosa schriebe. Seine Verehrung gipfelte schließlich darin, dass er ihr "Überlegenheit über uns alle" bescheinigte.


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In der Wiener Zeit traf sie auf den Arzt Friedrich Pineles und verlobte sich symbolisch mit ihm, so dass er zwölf Jahre lang ihr "inoffizieller Gatte" war. Seinen offiziellen Heiratsantrag hatte sie abgelehnt, schließlich war sie verheiratet. Da es mit Pineles keine geistige Verbindung gab, verleugnete sie später diese Beziehung, schrieb abstrakt einen Essay darüber "Gedanken über das Liebesproblem".

Prof. Werner Stein
Wenden wir uns einem anderen Bewohner der Villensiedlung zu, dem Hochschullehrer und ehemaligen Berliner Kultussenator Werner Stein, er wohnte Rheinbabenallee 3. Zur Zeit der Berliner Studentenunruhen in den 1960er Jahren war er für die Universitäten als Senator zuständig und verantwortlich. Eine Rolle, in der man nur Feinde haben konnte. Für seine Kollegen aus der Politik war er zu weit links, die "rote Sonne der FU (Freien Universität)".

Er änderte das Berliner Universitätsgesetz auf revolutionäre Weise, die Universität sollte statt des überkommenen Rektors einen Präsidenten bekommen. Dadurch konnte ein "einfacher" Wissenschaftler wie Rolf Kreibich als Präsident an die Spitze der FU kommen. Manchen Studentengruppen wie den "Roten Zellen" ging das nicht weit genug, auch von hier erfuhr er Schmähungen. War das Senatorenamt schlicht "unerfüllbar", wie sein Vorgänger Adolf Arndt resigniert erklärt hatte? Stein blieb mit perfektem Understatement seinen Zielen treu und ließ sich nicht beirren.

Den "Kulturfahrplan", den er verfasst hat, ein Kompendium der Geistes- und Kulturgeschichte, nannte er eine "erfolgreiche Jugendsünde". Ein Wälzer mit mehr als 1.800 Seiten, in dem eine unermessliche Zahl von Fakten und Daten chronologisch - wie am Zeitstrahl - präsentiert werden. Das Besondere daran ist, dass die Gleichzeitigkeit von Ereignissen aus Kunst, Dichtung, Musik, Religion, Wissenschaft, Wirtschaft sichtbar wird. Für einen Zeitpunkt oder Zeitraum kann man aus dem Blickwinkel des Historikers einen Überblick gewinnen. Heute wird der Kulturfahrplan nicht mehr gedruckt, sondern nur noch digital vorgehalten.

Villen, Landhäuser und ein Hochhaus
Gehen wir noch einmal zurück zum Roseneck. Hier steht Berlins ältestes Wohnhochhaus mit 15 Stockwerken und einem Penthouse, erbaut in den 1950er Jahren. Dieser Bau der frühen Nachkriegsmoderne besitzt sogar einen Müllschlucker. Der Y-förmige Grundriss ermöglicht in jeder der 90 Wohnungen ein nach Süden ausgerichtetes Zimmer. Das Haus setzte Maßstäbe, aus ihm wurden die bundeseinheitlichen "Richtlinien für Hochbau" abgeleitet. Die dreieckige Grünfläche zu seinen Füßen ist nach Betty Hirsch benannt, die - selbst blind - 1914 die erste Kriegsblindenschule in Berlin gegründet hatte.

Im Restaurant Hundekehle trafen sich zu West-Berliner Zeiten Prominente, umrahmt von Schickimicki-Typen. Es gab ewige Auseinandersetzungen mit Anwohnern, die sich vom Außenbereich des Restaurants gestört fühlten und pünktlich um 22 Uhr und 0 Minuten Ruhe einforderten, auch per Gerichtsurteil. Ein Österreicher hat die Restauration übernommen, uns blieb aber unerwartet die Tür verschlossen, das Lokal war dunkel, als wir dort unser Flaniermahl einnehmen wollten.

Wie im angrenzenden Dahlemer Villenviertel haben auch im Gebiet um die Rheinbabenallee viele bekannte Baumeister ihre Visitenkarte hinterlassen. Hier einige Beispiele:

Otto und Hugo Schellenberg
Zwei Häuser weiter haben die Architekten Otto und Hugo Schellenberg ein Landhaus an der Hundekehlestraße 31 für sich selbst erbaut. Die Schellenbergs bauten allein im angrenzenden Dahlem über 40 Villen, die genau wie Siedlungsbauten und Wohnanlagen von ihnen in Berlin Denkmalstatus haben.

Heinrich Straumer
An der Rheinbabenallee 14 steht das vom Architekten Heinrich Straumer erbaute Landhaus Schröder. Straumer hat nicht nur den Funkturm errichtet und das Empfangsgebäude des U-Bahnhofs Thielplatz, auch die "Rauchlose Siedlung" in Steglitz hat er entworfen. Und die prachtvolle Villa einer Versicherung in der Kaiserswerther Straße, die in der Nachkriegszeit von der Alliierten Kommandantur annektiert wurde, ist ein Werk von Straumer.

Peter Großmann

Am Wilden Eber steht eine Villa, die ihre Flügel gleichmäßig nach drei Seiten ausrichtet. Am Platz treffen sieben Straßen zusammen, in die spitze Ecke von Rheinbabenallee und Warnemünder Straße ist das "Dreigruppenhaus" hereingebaut worden. Der Hausgrundriss sieht wie ein Mercedes-Stern aus, jeder Strahl ist ein eigenes Wohnhaus mit selbstständigem Zugang, die drei Bauglieder sind optisch stark voneinander getrennt, aber baulich verbunden. Entworfen hat das Haus der Architekt Peter Großmann, der auch die Backsteinvilla an der Rheinbabenallee 18 erbaut hat, einen aus Kuben zusammengesetzten Bau, der expressionistisch anmutet. Das von Peter Großmann errichtete Doppelhaus in der Rheinbabenallee 40-40a wurde später von Otto Rudolf Salvisberg überarbeitet.

Breslauer und Salinger
Das Nebenhaus Rheinbabenallee 44 haben der Architekt Alfred Breslauer und sein Schwager Paul Salinger als Architektengemeinschaft errichtet. Die Ungersche Klinik in der Derfflingerstraße, die wir gerade im Kielganviertel gesehen haben, ist ein weiteres Werk beider Architekten. Zu ihren Bauten gehören Wohnhäuser, Villen und Geschäftshäuser wie das Haus der Polnischen Apotheke in der Friedrichstraße.

Ernst Paulus
Die Gegend um die Rheinbabenallee war eine bevorzugte Wohnlage, die auch Architekten für sich selbst entdeckten. So wie die Architekten Otto und Hugo Schellenberg ein Landhaus an der Hundekehlestraße für sich selbst erbaut hatten, errichtete auch Ernst Paulus ein Wohnhaus für seine Familie in der Rheinbabenallee 32-34, einen Backsteinbau mit phantasievollen Dachformen und unterschiedlichen Elementen wie Fachwerk, Fensterläden, Rundbögen.


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Paulus war mit seinem Architekturbüro mit anderen Kollegen in verschiedenen Konstellationen assoziiert. Zu seinen Schöpfungen gehört die Kreuzkirche am Hohenzollerndamm, ein ungewöhnlicher, expressionistischer Sakralbau.

Breite Straße

Die Hundekehlestraße geht an der Berkaer Straße in die Breite Straße über. Als Schmargendorf ein beschauliches märkisches Dorf war, lag hier an der Dorfstraße der Dorfanger. Auf dem Weg zur wohlhabenden Berliner Vorstadt mussten die alten Bauernhäuser mehrstöckigen Wohnbauten mit Geschäftszeilen im Erdgeschoss weichen. In den 1960er Jahren verschwand auch der Dorfanger, die Straße wurde sechsspurig zur Durchgangsstraße ausgebaut. Die Häuser auf der Südseite hat man abgerissen und am verbreiterten Straßenverlauf neue Gebäuderiegel errichtet. Auf dem breiten Bürgersteig wurden Ladenpavillons vor die Gebäude gesetzt.

Hier beenden wir unseren Rundgang in einem Café, das sich einen ganz besonderen Clou für den Milchkaffee einfallen lässt: Bis zu 1,5 cm über dem Tassenrand schwebte auf dem Kaffee eine Schicht aus aufgeschäumter Milch, eine Inszenierung, auf die die Bedienung erkennbar stolz ist. Aber wie kommt man an den Kaffee? Wenn man die Milchscheibe mit dem Löffel abgelöffelt hat, ist der Magen mit Milchschaum gefüllt und satt.
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Unsere Route:
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Das Lob nicht vergessen
Wenn Architekten raten, Efeu zu pflanzen