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Pfeile, die den Ring verlassen


Stadtteil: Charlottenburg
Bereich: Zwischen Salzufer und Ernst-Reuter-Platz
Stadtplanaufruf: Berlin, Salzufer
Datum: 31. Juli 2024
Bericht Nr.:843

Wer hat sich nicht schon einmal über die Ansage "Dovebrücke" im BVG-Bus gewundert? Aber "doof" kann nicht gemeint sein, bei allem Witz, den unsere BVG versprüht. Tatsächlich gibt es eine Verbindung zur Wettervorhersage: Heinrich Wilhelm Dove etablierte die Meteorologie als Wissenschaft, 1845 erhielt er eine Professur an der Berliner Universität.

Vom Salzufer an der Dovebrücke bis zum TU-Gelände am Einsteinufer führt unser heutiger Stadtrundgang. Beide Straßen sind einseitig bebaut, der Kanal wird nur von einer grünen Böschung eingefasst. Das Salzufer ist ein Gewerbestandort, drüben am Einsteinufer hat sich die TU nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren Institutsbauten breitgemacht.

Das weiße Gold
Zeitgleich mit dem Bau des Landwehrkanals Ende der 1840er Jahre entstand am Abzweig von der Spree ein Salzmagazin, das der Straße den Namen gab. Salz war ein wertvolles Gut ("weißes Gold"), bis es industriell hergestellt werden konnte. Auf Elbkähnen kam es zum Salzhof in Haselhorst und wurde dort auf kleine Kähne umgeladen. Vom innerstädtischen Salzmagazin an der Spree erreichte es dann die Abnehmer in der Stadt. 1867 endete das Salzmonopol, danach übernahmen die Vereinigten Berliner Mörtelwerke das Gelände am Landwehrkanal.

Ein Bebauungsplan von 1857 zeigt, dass das Salzmagazin von dem Kanalabschnitt eingerahmt wurde, an dem Paul Baumgarten später eine Müllverladestation errichtete. Landwehrkanal und Charlottenburger Verbindungskanal wurden gleichzeitig erbaut, am Zusammenfluss mit der Spree entstand so ein idealer Verkehrsknotenpunkt, den sowohl die Kähne mit Salz als auch später die Mülltransporte nutzten.


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Vereinigte Chemische Werke AG
Am oberen Salzufer siedelte sich 1867 eine chemische Fabrik an, deren Produkte europaweite Bedeutung erlangten. Das zwei Jahre vorher für eine Dachpappenfabrik erbaute Gebäude hatte wegen Umweltverschmutzung schließen müssen. Der Chemiker Dr. Benno Jaffé gründete an dem Standort eine Ammoniak- und Glycerinfabrik, die mit zwei Produkten wesentliche Märkte erschloss: Glycerin ist ein Zuckeralkohol, es wird vielfältig verwendet beispielsweise als Reinigungs- und Pflegemittel, als Zusatz zu Lebensmitteln, Kosmetika und Tabakwaren, als Frostschutzmittel, Arzneistoff, Kraftstoff. Ammoniak, ein giftiges Gas, ist eine der meistproduzierten Chemikalien und wird beispielsweise verwendet in Düngemitteln, als Arzneistoff, als Treibstoff.

Lanolin
Jaffé war Stadtrat und Stadtverordnetenvorsteher in der damals noch selbstständigen Stadt Charlottenburg und ihr Ehrenbürger. Zusammen mit einem Partner produzierte er sieben Jahre später Produkte aus Lanolin, einem von Schafen erzeugten Naturstoff zum Schutz der Wolle und Haut. Das Angebot reichte von Lanolin-Seife und Lanolin-Creme über Hautöl und Puder bis zu Fleckreinigungswassern und Schuhpflegemitteln.

Pfeilring
Vertrieben wurde es unter dem Logo Pfeilring, einem Ring, von dem sich mehrere Pfeile im Uhrzeigersinn lösen. Den Pfeilring könnte man symbolisch deuten als Vollkommenheit (Kreis), die sich vielfach vorwärts verbreitet (Pfeil) - ein schlüssiges Marketing-Argument.

Pfeilring wurde als Warenzeichen 1895 beim Patentamt eingetragen. Es war aber nur als "Wort" und nicht als "Bild" geschützt.

Ein Jahr später hatten die Pfeilringwerke in Solingen (Pinzetten, Gabeln, Messer u.ä.) ebenfalls "Pfeilring" beim Patentamt als Warenzeichen schützen lassen, allerdings als Wort- UND Bildmarke. Erstaunlich: Identische Marken können nebeneinander existieren, wenn sie unterschiedlichen Waren- und Dienstleistungsklassen zugeordnet sind.


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Als "Pfeilring"-Schmuckstück wird heute ein Freundschaftsring angeboten mit einem Pfeil, der sich leicht aus der Rundung löst und als Amors Pfeil gedeutet wird ("Pfeil zu deinem Herzen").

Es gibt im Zusammenhang mit der Lanolinfabrik eine weitere merkwürdige Dopplung: Unter dem Namen Lanolin wurden eine Zeit lang Miniatur-Tierfiguren vertrieben, die aus einem künstlichen Stoff wie Elastolin geformt waren, also mit dem Naturstoff der Schafe nur den Namen gemeinsam hatten.

Das Unternehmen am Salzufer firmierte erst als Jaffé & Darmstädter, dann als Vereinigte Chemische Werke und schließlich nach der Übernahme durch Schering als Pfeilring-Werke. Heute gehört es zum Pharmakonzern Pfizer.

Das Industriegelände mit Fabrikgebäude, Maschinenhaus und Kontorhaus wurde nach der Wende mit einem straßenseitigen Eingangsgebäude ergänzt. Dessen Fassade "ist eine minimalistische, moderne Interpretation klassischer Fabrikarchitekturen mit einem lebendigen und hochwertigen, warmgrauen Klinker". Im Innenhof wurden ein Kesselhaus und ein Kanalhaus neu gebaut, das äußerlich angepasst ist an die vorhandenen Gebäude, im Innern ermöglicht der "Industrial Style“ eine flexible Aufteilung. Das ganze Ensemble macht einen hochwertigen und - falls man das bei Architektur sagen kann - warmherzigen Eindruck.

Am Salzufer Ecke Dovestraße stehen sich zwei farblich konträre Nachwendebauten gegenüber. "Spree One" mit gelb-beigen Ziegeln und "Salzufer 22 Berlin" mit abweisenden dunkelgrauen Natursteinplatten. Das Volumen der beiden Bauten scheint ähnlich, aber die Bau-Ideen unterscheiden sich grundsätzlich. Während der graue Klotz nur in mehrere Gebäuderiegel für Büronutzung aufgeteilt ist, hat Spree One eine "städtebauliche Figur, die neue Stadträume entstehen lässt":


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Zwischen zwei zehngeschossigen Bauteilen steht ein Flachbau für einen Supermarkt mit einem begrünten Dach als Innenhof. Ein weiterer Garten befindet sich auf der Rückseite. Genutzt wird der Gebäudekomplex für Wohnungen, Büros, Läden und eine Kindertagesstätte.

Heyn und Heyl
Am Salzufer 20 setzt sich die Bebauung zweistöckig mit einer chemischen Fabrik von 1912 fort. Weiter östlich an der Franklinstraße sind sich die Namen von zwei Fabrikarealen zum Verwechseln ähnlich: Die Chemisch-kosmetische Fabrik von Alfred Heyn am Salzufer 9-10 und die Farbenfabrik und Chemische Großhandlung J. F. Heyl & Cie, die früher am Salzufer 8 stand.

Hedwig Heyl
Hedwig Heyl, die Ehefrau des Fabrikherrn, war eine bedeutende aber politisch umstrittene Frauenrechtlerin. Sie rief die erste Haushaltungsschule und die erste Gartenbauschule für Frauen ins Leben und gehörte um 1900 zu den Gründerinnen des Deutschen Hausfrauenbundes. Als Vorsitzende des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft versuchte sie, Mischehen der Deutschen in den Kolonien mit Einheimischen ("Verkafferung") zu verhindern und stattdessen "Frauen für die Kolonisten auszusuchen und geeignetes Mädchenmaterial zu verschicken". Anmerkung des Flaneurs: Meine Großtante hat in Deutsch-Südwestafrika (Namibia) einen Deutschen geheiratet, sie gehörte zum "geeigneten Mädchenmaterial".

Heyn
An der Franklinstraße Ecke Salzufer errichtete die Kosmetische Fabrik Alfred Heyn 1956 einen typischen Bau der Nachkriegsmoderne. Über dem Sockelgeschoss schwebt ein zweistöckiger Bürobau mit mehreren Fensterachsen. Flachbauten mit den Fabrikationsabteilungen schließen sich daran an. Heute prangt das Nivea-Logo an der Seitenfront, Beiersdorf hatte die Bauten in den 1980er Jahren übernommen und produziert dort Shampoos und Duschbäder.


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Zwietusch
Bevor auf dem Weg zum östlichen Ende des Salzufers ein ganzes Straßenkarree mit gläsernen Bauten des Autoherstellers Mercedes auftaucht, kommt man zur Telephon-Apparat-Fabrik E. Zwietusch und Co. In dem Gebäude mit dem ansprechenden Stufengiebel und den Köpfen als Fassadenschmuck produzierte eine Tochtergesellschaft von Siemens. Den Bau errichtete 1925 der Siemens-Hausarchitekt Hans Hertlein weitab vom Hauptsitz des Unternehmens in Siemensstadt. Siemens hatte seinerzeit am Salzufer ein ganzes Areal mit seinen Produktionsstätten bebaut, die dann nach und nach abwanderten nach Siemensstadt, bis 1929 der Standort Charlottenburg ganz aufgegeben wurde.

"Mercedes-Welt"
Einen ganzen Straßenblock umfassen am Salzufer die Gebäude der "Mercedes-Welt" für Vertrieb und Service der Automobile mit dem Stern. Erst vor sechs Jahren wurde auf "zukunftsweisende Service-Technik umgestellt, die den Werkstattservice neu definiert". Man setzte "Maßstäbe hinsichtlich Kundenbetreuung, Werkstattservice und Elektromobilität". Doch die Kundenbetreuung ist dem Konzern plötzlich nicht mehr wichtig, er verkaufte in einem Schlag alle seine 60 Niederlassungen. Autos können heute bequem online konfiguriert und bestellt werden, die Nachfrage geht sowieso zurück, da ist ein Besuch beim Händler selten geworden. Autohändler wie der deutsche Ableger eines chinesischen Konzerns übernahmen gern mehrere Niederlassungen im Bündel.

Dovebrücke und Marchbrücke
Im Verlauf des Salzufers wurden 1911 vom Charlottenburger Baustadtrat Heinrich Seeling zwei Brücken über den Landwehrkanal erbaut. Beide Brückenwerke ersetzten frühere Holz(klapp)brücken. Die Dovebrücke ist aus Beton gegossen. Die Seitenflächen sind mit rötlichen Klinkern verblendet, der plastische Bauschmuck besteht aus Muschelkalk. Eine Ladestraße am Salzufer sorgte mit elektrischen Ladekränen für den Umschlag zwischen Wasser und Land. An der Brücke angeschlossen waren ein hoher Uhrenturm und ein kleines Bürogebäude für den Ladebetrieb.

Die Marchbrücke ist eine mit Sandstein verkleidete Spannbetonbrücke. Von der reichhaltigen Ausschmückung ist durch Kriegseinwirkung nur ein Teil erhalten geblieben: Ein mit Ornamenten versehenes Turmhaus und als Bauplastik die Reliefs "mit unterschiedlichen Motiven aus der maritimen Mythologie".


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"Thiergartenfeld" oder "Marchviertel"
Über die Marchbrücke kommen wir zum Einsteinufer. Dort dehnte sich das ehemalige "Thiergartenfeld" bis zur Straße des 17. Juni und der Marchstraße aus. Von der ursprünglichen Bebauung sind dort nur noch zwei Gebäude vorhanden, ansonsten hat sich die Technische Universität in der Nachkriegszeit mit ihren Institutsbauten auf dem gesamten Dreieck des Stadtareals ausgebreitet. Früher lag dort das "Marchviertel", das den Eltern bzw. Großeltern der "Olympiastadion-Architekten" Otto und Werner March gehörte. Zur Erinnerung: Fast ein Generationskonflikt: Vater Otto March errichtet um 1909 die Rennbahn Grunewald und das Deutsche Stadion, Sohn Werner March reißt unter tatkräftiger Hilfe seines Bruders Walter 25 Jahre später Vaters Werke ein und baut das Olympiastadion und das umliegende Sportgelände für Hitlers Olympia 1936 neu.

Ernst March hat 1836 im Thiergartenfeld eine Töpferei gegründet, die sich vom Handwerksbetrieb zum bedeutendsten Unternehmen der keramischen Industrie auf dem europäischen Kontinent entwickelte. Hergestellt wurden Terrakotten, Reliefs, Dekorfiguren, Tonformen, Gebrauchsgeschirr, Technische Keramik. Bis heute sind beispielsweise am Roten Rathaus, am Martin Gropius Bau und an der Friedrichswerdersche Kirche Schmuckelemente von March zu sehen

Auf dem Fabrikhof hatte March 1858 eine Grotte, eine künstliche Felsenpartie, als Ausstellungsobjekt aufbauen lassen. Nach fünf Jahren wurde die Grotte umgestaltet zum Abtritt mit geräumige Toilettenzellen. Als auf dem Thiergartenfeld immer mehr Villen entstanden, wurde die March‘sche Fabrik 1904 aufgegeben. Die Sophienstraße auf dem Gelände (Vorname von Marchs Ehefrau) wurde in der Nachkriegszeit in Bellstraße umbenannt und später entwidmet.

Campus-Gärten Charlottenburg
Auf dem ehemals March'schen Gelände sind zwei Einfamilienhäuser erhalten geblieben. Das eine Haus hatte Otto March zu dem Zeitpunkt erbaut, als die Fabrik aufgegeben wurde. Reste anderer Bauten finden sich am Wegesrand. Inmitten des Geländes hat die TU mit den "Campus-Gärten Charlottenburg" einen attraktiven Freiraum geschaffen: "Mitten in der Stadt können sich Uniangehörige und Student/innen bei Gartenarbeit kennenlernen und gleichzeitig einen Beitrag zu einem grüneren, belebteren Campus leisten. Dafür wurden Hochbeete und Sitzgelegenheiten angelegt".

Bodenskulpturen Einsteinufer 17
Zwei Studenten, die am Ufer zwischen niedrigen Metallobjekten eine Auszeit genießen, machen uns aufmerksam auf zwei Metallplatten, die - gemeinsam eingerahmt - genau in der falschen Reihenfolge mit "rechts" und "links" beschriftet sind. Aber wir lassen uns nicht verunsichern, wir wissen wo rechts und links ist. Oder? Lassen wir den Sprachvirtuosen Ernst Jandl mit den Worten spielen:


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___manche meinen
___lechts und rinks
___kann man nicht velwechsern
___werch ein illtum

Am Einsteinufer gegenüber, vor dem Institutsgebäude der TU, steht eine Arbeit aus Edelstahl von Volkmar Haase. Die fünf Eisengüsse am Ufer gehören wie die Edelstahl-Skulptur zu dem Ensemble "Environment", das als Ergebnis des TU-Wettbewerbs "Kunst und Nutzerbeteiligung" entstanden ist. Die Gruppe "Plastik 71", ein Zusammenschluss von Bildhauer/innen, hat diese Skulpturen geschaffen. Geplant war, über die Straße hinweg eine optische Verbindung herzustellen, so wie der Name Environment = Umgebung es nahegelegt hat, doch das wurde nicht verwirklicht.

Die meisten Eisengüsse betonen die Treppenstufen, die zum Kanal herunterführen. Der vorher unansehnliche und eingezäunte Uferbereich konnte neugestaltet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Bodenskulpturen schaffen eine zusätzliche Aufenthaltsqualität. Auf dem TU-Gelände sind etwa 80 Kunstwerke und Denkmäler aufgestellt, beidseits der Straße des 17. Juni. Das "Environment" schafft die Möglichkeit, am Einsteinufer den Universitätsbereich zum Stadtraum zu öffnen.


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Verkehr
Noch einmal zurück zum Salzufer. Die Mercedes-Gebäude haben in der Englischen Straße einen Altbau in die Zange genommen, eingekesselt. Das gefiel der Hausbesitzerin nicht, deshalb wollte sie den kleinen Puff im Erdgeschoss auf das ganze Haus ausweiten und beantragte die Nutzungsänderung beim Bezirksamt. Das fanden wieder die Vermieter der Daimler-Häuser niveaulos und klagten dagegen. Sozusagen "Verkehr ja, aber diesen Verkehr nicht". Das Gericht sah das anders, daraufhin gab das Bezirksamt die Genehmigung für ein Großbordell.

Das bisherige Ende dieser publikumswirksamen Story: Ein Bordell wurde (noch) nicht eingerichtet. Die Hausbesitzerin hatte das Gebäude inzwischen verkauft, der Käufer lässt es einfach dahindämmern.



Am Ernst-Reuter-Platz ist es naheliegend, das Café Carras gegenüber der TU zu besuchen, das vielleicht demnächst von der neuen Muttergesellschaft umgeflaggt wird in „Pret a Manger“. Egal wie das Café heißt, hier können wir entspannt den Stadtspaziergang beschließen.
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Unsere Route:
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Jeder hat von jedem gelernt