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Jeder hat von jedem gelernt


Stadtteil: Charlottenburg
Bereich: Mierendorff-Insel
Stadtplanaufruf: Berlin, Am Spreebord
Datum: 29. Mai 2024
Bericht Nr.:837

Bei unserem Rundgang über die Mierendorffinsel vor wenigen Wochen kam die Bildgießerei Noack ins Bild, die am Spreebord Neubauten für ihren Produktionsbetrieb, für eine Ausstellung und für ein exquisites Restaurant bezogen hat. Die Möglichkeit zu einer Fabrikführung (mit anschließendem Restaurantbesuch) haben wir gern genutzt.

Unaufgeregt begrüßt uns unser Guide, hemdsärmelig und in sommerlich kurze Hosen gekleidet. Wahrscheinlich ein fachlicher Mitarbeiter, der zur Not auch selbst Hand anlegen kann. Dieser Eindruck täuscht, es ist Hermann Noack selbst, der Firmeninhaber und Urenkel des Firmengründers. Eine Unternehmerdynastie, wie man sie sonst nur aus Amerika kennt, wo der Sohn denselben Vornamen trägt wie der Vater und deshalb die Hermann Noacks durchgezählt werden, der heutige Firmeninhaber ist Hermann Noack IV. Die männliche Reihe ist jetzt unterbrochen, vielleicht tritt eine der Töchter als fünfte Noack in den Betrieb ein.


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In Bronze gegossene Kunstwerke vollenden das Werk eines Künstlers, wobei die Bronzegießerei selbst eine faszinierende Kunstform ist. Für das Gelingen sind handwerkliches Geschick und technisches Verständnis erforderlich. Die Zusammenarbeit mit dem Künstler gelingt umso besser, je mehr dieser eigenes Verständnis aufbringt für die Technik des Bronzegusses - und für seine Grenzen.

Auf dem Weg durch die Gießereiwerkstatt können wir die einzelnen Arbeitsschritte verfolgen, die Produktionsräume sind in dieser Folge angeordnet. Als Vorlage für den Guss wird zunächst ein Modell aus einem anderen Material wie Ton, Wachs oder Gips erstellt. Dann wird das Modell in einer Gießform abgeformt, es entsteht eine Hohlform, die für den Guss verwendet werden kann. Heutzutage kann man die Gießform auch im digitalen Druckverfahren herstellen.


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Im Wachs(ausschmelz)verfahren wird auf die Hohlform eine Wachsschicht aufgetragen, die später ausgeglüht wird. Der entstandene Hohlraum kann dann durch geschmolzene Bronze ausgegossen werden. Anders beim Sandgussverfahren, dabei wird das Gussmodell in Feinsand abgeformt. In diese Form wird das geschmolzene Metall gegossen. Eine innenliegende verkleinerte Form des Modells - ein "Kern" - schafft beim Guss den nötigen Hohlraum für das Objekt.


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Bronze-Barren
Bronze ist eine Legierung aus Kupfer mit Zusatzstoffen, meist Zinn oder Zink. Noack verwendet Siliziumbronze, sie ist mechanisch und chemisch hoch beanspruchbar. Die Bronze wird in 9,5 kg schweren Barren angeliefert. Bei mehr als 1.000 ° C werden die Barren geschmolzen. Die Bronzemenge darf beim Guss nicht zu gering bemessen werden. Ein unvollständiger Guss kann nicht ergänzt werden, sondern muss komplett eingeschmolzen und neu gegossen werden. Nach einem Guss muss die Bronze abkühlen und aushärten. Danach wird die Gießform entfernt und das gegossene Objekt freigelegt.


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Figuren aus Bronze werden nicht voll vergossen, sondern mit einem Hohlraum hergestellt. Das hat natürlich mit dem Materialverbrauch zu tun, aber auch mit dem möglichen unerwarteten Nachgeben der Oberfläche beim Vollguss. Welche Auswirkungen der Vollguss auf die Volkswirtschaft haben kann, zeigte das DDR-Denkmal für Ernst Thälmann an der Greifswalder Straße. Für das Monument wurde die gesamte DDR-Jahresproduktion an Bronze gebraucht, andere Kunstwerke und Denkmäler aus Bronze konnten dort 1986 aus Materialmangel nicht mehr hergestellt werden.


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Nachbearbeitung
Nach dem Gießen müssen Unreinheiten und eventuell vorhandener Grat entfernt werden. Schleifen und Polieren verleiht der Bronze das gewünschte Aussehen. Größere Werke aus Bronze werden nicht in einem Stück gegossen, sondern aus mehreren Teilen zusammengesetzt. Das erfordert sensibles Nacharbeiten, damit das Werk einheitlich wirkt. Mit dem Patinieren wird das Werk vollendet. Die Zusammensetzung der Patina ist ein Betriebsgeheimnis der Noacks.


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Gießereien
Die Bildgießerei Noack stellt nur Bronzeguss her, keinen Eisenguss. Gießereien, die Eisenguss verarbeiten, gehören einer anderen Sparte an. Zu den Eisenguss-Fabriken gehörten das 1645 auf dem Friedrichswerder für die Herstellung von Geschützen gegründete Kurfürstliche (Königliche) Gießhaus. Und die (zivile) Königlichen Eisengießerei von 1804 in der Invalidenstraße sowie die Eisengießereien von Borsig, Egells, Pflug, Wöhlert, Schwartzkopff an der Chausseestraße ("Feuerland").

Allerdings hat der Bronzegießer Hermann Gladenbeck, der sich 1851 selbständig machte und mit seiner Fabrik in Friedrichshagen bedeutende Standbilder, Denkmale und Plastiken herstellte, sein Handwerk in der Königlichen Eisengießerei gelernt. Die Gladenbecks wurden zu einer Gießer-Dynastie. Und der erste Noack war bei Gladenbeck in Friedrichshagen in die Lehre gegangen, bevor er 1897 seine eigene Kunstgießerei gegründet hatte.

Auch die Eisengießer aus "Feuerland" lernten voneinander. Franz Egells hatte in der Königlichen Eisengießerei gearbeitet, bevor er seinen eigenen Betrieb eröffnete. August Borsig wiederum war jahrelang Mitarbeiter bei Egells, als er sich schließlich selbstständig machte. Borsig holte von dort seinen ehemaligen Kollegen Friedrich Wöhlert als Werkmeister nach, der nach vier Jahren seine eigene Eisengießerei gründete. Louis Schwartzkopff hatte bei Borsig gelernt, bevor er sich mit der Produktion von Lokomotiven selbstständig machte. Wenn man das hässliche Wort "spionieren" vermeiden will, kann man sagen, jeder hat von jedem gelernt.

Echte Industriespionage war es allerdings, als der preußische Staat den Eisengießer Franz Egells nach England schickte, um dort die Herstellung von Lokomotiven zu lernen. Die Königliche Eisengießerei hatte eine Dampflokomotive hergestellt, die aber über mehrere Ehrenrunden auf dem Fabrikhof nicht hinauskam. Die Engländer hatten das Know-how, das wollte man ihnen abluchsen. Letztlich profitierte auch Borsig davon, der eine Lokfabrik einrichten konnte. Dem "Spion" Egells finanzierte Preußen als Gegenleistung Maschinen für seine Betriebsgründung, die aus England importiert wurden.

Die Gießerei Noack genießt international hohes Ansehen, sie ist eng mit dem Kunstmarkt verknüpft und hat durch die von ihr geschaffenen Werke die Kunstgeschichte mit geprägt. Namhafte Künstler erteilten und erteilen der Gießerei Aufträge, weltweit sind Arbeiten von Noack zu finden. Auch im Berliner Stadtbild sind seine Werke aus Bronze prominent vertreten, schauen wir uns in der Stadt um:

"Liegende", Henry Moore
Auf einem Sockel vor der Akademie der Künste am Hanseatenweg fläzt sich eine "Liegende". Es ist keine realitätsgetreue Abbildung des Körpers, allerdings ist ihr Aussehen der menschlichen Gestalt angenähert. Man kann sie ergründen, weil der Künstler in der Abstraktion trotz der Abweichung von der natürlichen menschlichen Anatomie ihre Haltung deutlich hervortreten lässt.

Auf ihrem linken Unterschenkel trägt die Liegende zwei Inschriften: »Moore«, die den Künstler Henry Moore benennt. Und »GUSS-H-NOACK-BERLIN« als Hinweis auf die Bildgießerei Hermann Noack, die das Kunstwerk angefertigt hat. Moore war von der Qualität so überzeugt, dass er nur noch bei Noack gießen ließ und eine Freundschaft zwischen dem Künstler und dem Kunstgießer entstand.


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Botschafterin Berlins
Bei der Berlinale vergibt die internationale Jury als Preise den Goldene Bär und die Silbernen Bären. Entworfen hat den auf den Hinterpfoten stehenden Bären mit nach vorne ausgestreckten Vorderpfoten die Bildhauerin Renée Sintenis im Jahr 1956 für die Filmfestspiele. In ununterbrochener Folge werden seitdem die Bären von der Bildgießerei Hermann Noack hergestellt. Die Berlinale-Bären sind knapp 19 cm hoch. Eine gut anderthalb Meter hohe größere Version begrüßt die Besucher der Stadt an der Autobahn 115 beim Erreichen der Stadtgrenze. Auch dieser Bär wurde bei Noack gegossen.

"Der Herabschreitende", Georg Kolbe
Die Gießerei Noack hat bzw. hatte mit Künstlern wie Käthe Kollwitz, Henry Moore, Joseph Beuys, Rainer Fetting, Georg Baselitz zusammengearbeitet. Auch Georg Kolbe, der sein Atelier in der Nähe des Bahnhofs Heerstraße hatte, ließ seine Werke bei Noack herstellen. Im Garten seines Ateliers steht "Der Herabschreitende", eine von Kolbe geschaffene Plastik, die ebenfalls bei Noack gegossen wurde.


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Quadriga
Auch die Quadriga auf dem Brandenburger Tor ist im Atelier Noack neu erstanden, nachdem während des Zweiten Weltkriegs nur noch ein Torso übriggeblieben war. Schon in der Originalversion wurde die Figurengruppe aus Kupferblech getrieben, nur der Pferdewagen ist ein Bronzeguss, sonst wäre die Quadriga zu schwer gewesen für das Tor.

Der Bildhauer Johann Gottfried Schadow hatte die Friedensgöttin und den Triumphwagen mit Pferdegespann 1793 geschaffen. Sie hielt einen Lorbeerkranz, auf dem ein römischer Adler saß. Was mit der Quadriga in den Zeitläuften seitdem geschah, kommt einem kurzen Abriss der europäischen Geschichte nahe.

Entstanden kurz nach der Französischen Revolution von 1789, wurde die Figurengruppe schon siebzehn Jahre später ein Opfer der Besetzung Berlins durch Napoleon. Dieser "Pferdedieb" ließ sie 1806 nach Paris bringen. Als die Preußen Napoleon besiegt hatten, holten sie die Quadriga weitere acht Jahre später in einem Triumphzug nach Berlin zurück.


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Sehr viel später entdeckte man, dass eines der Pferde kleiner ist und nicht dem Bild und dem Gestus der übrigen drei entspricht. Das Pferd "tanzt aus der Reihe". Es wurde wohl in Paris bei einer Reparatur der Quadriga ausgetauscht. Dass der erste Entwurf Schadows eine unproportionierte Pferdelenkerin zeigte, hatte er schon vor der Herstellung korrigiert. Zu beißend war der Spott der Berliner über sie als "einzige Berlinerin ohne ein Verhältnis".

Mit der Rückkehr änderte sich der Charakter der Quadriga von einem Friedenssymbol zu einem Sinnbild des Sieges. Den Lorbeerkranz ersetzte Schinkel durch einen Eichenkranz, das "Eiserne Kreuz" kam hinzu. Und ein preußischer Adler als "Raubvogel" mit ausgebreiteten Schwingen ersetzte den römischen.

Am 30. Januar 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Uniformierte SA- und SS-Kolonnen feierten die "Machtergreifung" mit einem Fackelzug durch das Brandenburger Tor unter der Quadriga. Die Bilder vom tatsächlichen Ereignis waren der NS-Propaganda nicht machtvoll genug, deshalb wurde der Fackelzug später nachgestellt und von der Bavaria Film gedreht. Die Wirkung war wichtig, die Wahrheit musste dahinter zurückstehen. Ein Fake, wie wir es heute vielfach vorgesetzt bekommen.

Im Zweiten Weltkrieg sollte die Quadriga anders als andere Standbilder im Herzen der Stadt sichtbar bleiben. Vorsichtshalber wurden kurz vor Kriegsende durch die Gipsformerei nachts Abdrücke der Figurengruppe genommen. Tatsächlich wurde die Quadriga dann weitgehend zerstört. Als Torso stand sie bei Kriegsende quer auf dem Brandenburger Tor, bis die letzten Überreste entfernt wurden. Lediglich ein Pferdekopf wurde gerettet.


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Die feindlichen Brüder Ost- und Westberlin einigten sich erstaunlicherweise 1950 auf eine Wiederherstellung des Tors und der Quadriga. Die Figurengruppe wurde von der Gießerei Noack nach den vorhandenen Gipsabdrücken neu geschaffen. Allerdings bestand die DDR als "Friedensmacht" auf einer neuen Friedensgöttin. Das Eiserne Kreuz und der preußische Adler fehlten bei der Wiederherstellung.


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Es war klar, dass das nach der Wende nicht so bleiben würde. 1990 wurde die Quadriga restauriert, seitdem trägt die Wagenlenkerin wieder das Eiserne Kreuz und den preußischen Adler auf der Lanze. Die Mauer um das Tor ist durch friedliches Zusammengehen beider Stadthälften verschwunden, stolz werden seitdem Staatsgäste aus aller Welt durch das Tor geführt.

Der geneigte Leser weiß, dass wir unsere Stadterkundungen gern mit einem Flaniermahl beenden. Diesmal mussten wir es nicht selbst organisieren, es gehörte im Arrangement zur Fabrikführung, und es war exquisit. Die Idee mit dem Restaurant ist für Noack nicht neu, schon seinem Urgroßvater als Firmengründer gehörte neben der Fabrik ein Künstlerwohnhaus mit Kneipe.
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Vom Zuckerhut zum Kachelofen