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Aufgesperrtes Maul


· Stadtteil: Wilmersdorf
Bereich: Halensee
Stadtplanaufruf: Berlin, Rathenauplatz
Datum: 16. April 2018 (Update zu 16. Januar 2007)

Von der Gedächtniskirche bis zum Adenauerplatz ist der Kurfürstendamm ein Boulevard, eine Flaniermeile. Danach ändert sich das Bild Richtung Halensee. Nachkriegsbauten haben - oft in anspruchsloser Gestalt - viele Baulücken zwischen den Häusern der Gründerzeit gefüllt, Flagship-Stores der großen Marken gibt es hier kaum noch. Auf dem Weg zum Rathenauplatz bildet nur die Schaubühne ein kulturelles und architektonische Highlight. Wir mäandern durch die Seitenstraßen des Kudamms und treffen dabei auch auf Themen früherer Stadtrundgänge.

Automobile
Mehrere Geschichten drehen sich um das Auto: Der Kudamm in Halensee war einmal eine Versuchsstrecke für Automobile. Das VW-Porsche-Haus an der Ecke Katharinenstraße wurde für Eduard Winter gebaut, den Generalvertreter beider Marken. Vor dem Zweiten Weltkrieg handelte er mit amerikanischen Autos, war Europas größter Autohändler, ging dann selbst nach Amerika und wurde nach Kriegsende Berlins unangefochtener Verkäufer des "Käfers", der bis 1974 in Monokultur das einzige VW-Modell war.

Inzwischen verkauft der Volkswagenkonzern seine Autos selbst in der Franklinstraße unter dem Namen Eduard Winter. Am Kudamm stehen keine blitzenden Automobile mehr hinter gläsernen Schaufenstern. Ein Autohändler hat die Fassade geschlossen und seine Büros hier eingerichtet. Dieser Händler hat sich auch einen anderen Traditionsbetrieb einverleibt und Opel-Hetzer übernommen. Das gab Heidi Hetzer die Gelegenheit, einen Oldtimer um die Welt zu lenken.

Cadillacs in Beton
Am westlichen Ende des Kurfürstendamms, am Rathenauplatz, stehen auf einem verkehrsumtosten Rondell "2 Betoncadillacs in Form der nackten Maja" von Wolf Vostell. Ein Kunstwerk, das zur Zeit seiner Entstehung (750-Jahrfeier Berlins 1987) wütende Proteste und die übliche Diskussion über "Was ist Kunst" hervorrief. Eine Zeit lang stand als "Gegenkunst" ein Beton-Trabi daneben, den Unbekannte mit dem Spruch "Einigkeit und Recht auf künstlerische Freiheit" dort aufstellen ließen.

Die Vergänglichkeit der Autokultur, auf die Vostell mit seiner Skulptur und weiteren eingemauerten und aufgeschichteten Autos in Spanien und Köln unter anderem hinweisen wollte, ist seinem eigenen Kunstwerk immanent: Immer wieder bröckelte der Beton ab, die Autos verrosteten, so dass die Vostell-Skulptur mehrfach nachgebessert werden musste.


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Die Familie des inzwischen verstorbenen Künstlers hatte es 2006 komplett wiederherstellen lassen und bedankte sich für den "großen Zuspruch aus der Berliner Öffentlichkeit und der Befürworter für ihr Engagement und freut sich, dass nach fast 20 Jahren, das damals umstrittene Kunstwerk heute auf grossen Zuspruch trifft und für die Mehrheit der Berliner dieses Symbolträchtige 'Wahrzeichen' aus Berlin nicht mehr wegzudenken ist." In einem Internetforum konnte man auch entgegengesetzte Meinungen lesen: "Die Skulptur hat sich überlebt. Sie ist wie ein Witz, den man jeden Tag hört und der einem mittlerweile gründlich über ist."

Die Kurfürsten
In Dörfern und Kleinstädten weisen fast alle Straßennamen auf den nächsten Ort ("Berliner Straße") oder eine lokale Katasterbezeichnung ("Am Anger") hin. In der Großstadt sind wir gewohnt, mit der Benennung einer Straße berühmten Menschen oder Ereignissen ein Denkmal zu setzen (siehe die Diskussion um die Rudi-Dutschke-Straße). Da muss man erst zweimal hinsehen, um den Namen "Kurfürstendamm" als Zweckbezeichnung zu erkennen. Über diesen Knüppeldamm durch die Sümpfe ritten einst die Churfürsten vom Berliner Stadtschloss zur Jagd in den Grunewald. Ihnen zu Ehren sind in Halensee die meisten Kudamm-Querstraßen nach Kurfürsten benannt (Achilles, Hektor, Eisenzahn, Georg Wilhelm, Cicero, Joachim Friedrich).

Schaubühne
Die Schaubühne am Lehniner Platz ist der erste markante Punkt auf dem Weg nach Halensee. Expressionismus in der Architektur - das war die Zeit von Erich Mendelsohn (1887-1953). In Potsdam baute er den Einsteinturm, in Luckenwalde eine Hutfabrik, in Berlin das Mossehaus, das Metallarbeiterhaus. Dem als Universum-Kino errichteten Bau am Lehniner Platz schreiben Architektur-Kritiker "dynamisch-fließende Linienführung gepaart mit konstruktiver Klarheit in Gebäuden von expressiver Plastizität" zu. Motorhauben, Schiffsrümpfe und Flugzeugflügel sollen bei der Konstruktion Pate gestanden haben.

Die WOGA (Wohnungsverwertungs-AG) beauftragte Mendelsohn, eine Fläche von 40.000 qm zu bebauen. In seinem Konzept bilden ein Kino, ein Kabarett, ein Restaurant, ein Hotel, Läden und eine Wohnanlage eine Einheit. Die typischen Häuserfronten parallel zum Straßenverlauf werden durch schwingende Halbrundformen unterbrochen, zwei niedrige Kopfbauten bilden den Eingang zu der Ladenstraße, die auf das zurückgebaute Appartementhaus zuläuft und von ihr überbrückt wird.


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Die Zeitgenossen, die gedanklich noch wilhelminische Ordnung und Blockbebauung in gerader Linie gewohnt waren, haben diese Bauweise als "aufgesperrtes Maul" empfunden. Mit dem KaDeKo, dem Kabarett der Komiker, fand hier der Zeitgeist der zwanziger Jahre sein Quartier, in den Dreißigern trotzte hier der unerschrockene Werner Finck auf der Bühne den Nazis.

Der Kinobau für das Universum löste sich von der bis dahin vorherrschenden Theater-Architektur und fand eine eigene architektonische Ausdrucksform für das neue Medium Film (so wie sich Autos immer weiter vom Kutschwagen emanzipierten). Wie paradox, dass nach dem Umbau 1981 dann doch mit der Schaubühne ein Theater diesen Filmbau übernahm. Der Umbau nach unterschiedlicher Zwischennutzung (Beatschuppen, Musicaltheater - "Hair" habe ich hier gesehen) kam einem Kahlschlag gleich: man musste den Bau quasi abreissen und neu aufbauen, "um ihn zu retten" - ein weiteres Paradoxon der Nachkriegs-Baugeschichte.

Haus der Deutschen Klassenlotterie
Ein Neuköllner hat im letzten Jahr 42 Millionen Euro im Lotto gewonnen. Der Arme, jetzt fangen die Probleme an. Keinen Ferrari vor die Tür stellen, den Job nicht kündigen, niemanden einweihen, sonst wird man seines Lebens nicht mehr froh. "Lotto-Lothar" ist ein warnendes Beispiel. Im Jahr 1994 gewann der Sozialhilfeempfänger 3,9 Millionen DM. Fünf Jahre später war er tot, die Leber hatte nicht mehr mitgemacht, zuviel Wodka. Feten auf Malle, unter Palmen in Jamaika, ein Lamborghini, 3 Pferde, Freundin und Frau. Jeden Tag eine Schlagzeile in der Bild-Zeitung, dann floh er vor der Journaille ins Ausland. Die Ehe zerrüttet, die Freundin angeblich mittellos. Nach seinem Tod streiten sich Frau und Freundin vor Gericht um das, was vom Lottogewinn noch übrig ist.

Und auch das gab es: Der Berliner Kurier hat in diesem Jahr am 1.April die falschen Zahlen abgedruckt, sie waren von der Vorwoche. Das war nicht als Aprilscherz gedacht und brachte einen Berliner aus der Fassung. Immerhin hätte er mit diesen Zahlen 60 Millionen Euro gewonnen. Vor vier Jahren hat der ZDF-Text das auch fertig gebracht. Ebenfalls im April war dort die aktuelle Quote mit den Gewinnzahlen der Vorwoche zu lesen. Jetzt weiß man, was der Text "Ohne Gewähr" bedeutet, der diese Nachrichten immer begleitet.

Die staatliche Lotteriegesellschaft sitzt in Berlin im "Haus der Deutschen Klassenlotterie" an der Brandenburgischen Ecke Paulsborner Straße. Der Lotto-Bau umrundet schwungvoll die Straßenecke. Über dem Eingang schwebt ein vorkragendes Pultdach. Deckenleuchten mit Milchglasschalen beleuchten den Weg ins Haus. Ein typischer Bau der Nachkriegsmoderne, 1956 fertig gestellt.


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Lotto, Toto, Glücksspirale, Rubbellose, Sportwette, es gibt genügend Möglichkeiten, sein Geld zu verlieren, doch damit wird auch Gutes getan. Zwanzig Prozent der Spieleinsätze und der jährliche Reingewinn der Lottogesellschaft werden an Projekte und Institutionen verteilt. In gewissem Umfang werden damit auch staatliche Aufgaben aus Lottomitteln finanziert, den Finanzsenator freut's, nur der Rechnungshof ärgert sich über fehlende Einflussmöglichkeiten.

St. Albertus Magnus-Kirche
Noch einmal eindrucksvolle Nachkriegsmoderne: Eine katholische Kirche in der Nestorstraße, wie bei katholischen Gotteshäusern in Berlin üblich in die Blockrandbebauung eingebunden. Auf einem schmalen Grundstück steht der Neubau der kriegszerstörten Katholischen St. Albertus Magnus-Kirche. Der schlanke, abgerundete Kirchturm ist weithin sichtbar. Der Kirchenraum hat die Form eines Schiffsbugs mit einem aufgestellten Kreuz ist von der Häuserflucht zurückgesetzt. Eine Säulenhalle verbindet Kirchenraum und Kirchturm.

Rudi Dutschke
Im April 2018 ist es gerade 50 Jahre her, dass Rudi Dutschke auf dem Kurfürstendamm von einem Attentäer angeschossen und schwer verletzt wurde. Eine Gedenktafel im Boden erinnert daran. Der Studentenführer - er sah sich als Berufsrevolutionär - war eine Ikone der Studentenbewegung 1968. Mit unglaublicher Energie gewann er nach dem Attentat seine Sprache, sein Wissen und sein Denkvermögen zurück. In Dänemark, wo er danach mit seiner Familie lebte, starb er an den Spätfolgen seiner Verletzung. "Jeder hat sein Leben ganz zu leben", schrieb Dutschke in sein Tagebuch, und er hat es getan.

Beerdigt wurde er auf dem Kirchhof der St.Annen-Kirche in Zehlendorf. Der Pfarrer Helmut Gollwitzer war während der Studentenbewegung ein enger Freund und Wegbegleiter Rudi Dutschkes, jetzt liegen die Gräber von Gollwitzer und Dutschke nebeneinander. Miteinander ruhend warten sie auf das Ende der Ewigkeit.

Setzen Sie den Spaziergang hier fort: Amüsierbetrieb und Toteninsel

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Unsere Route:
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Solange es diese Zoogegend noch gibt