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Aus Schwarzbauten werden Siedlungen


Stadtteil: Reinickendorf
Bereich: Konradshöhe, Tegelort
Stadtplanaufruf: Berlin, Jörsstraße
Datum: 6. Juli 2015
Bericht Nr: 513

"Sandhausen" grenzt an die Sanddünen von "Baumberge" an. Man kann sich vorstellen, dass es in einer solchen Phantasielandschaft nur Sand, Heidekraut und Kiefern gibt und nichts gedeiht. Doch Sandhausen und Baumberge gibt es wirklich, sie liegen im südlichen Teil von Heiligensee, dort wo der Ortsteil zwischen Havel und Tegeler See eine Halbinsel bildet. Vom Wind angeweht in der Eiszeit, waren die bis zu 62 Meter hohen Sanddünen in der Nachkriegszeit für die französische Besatzungsmacht ein ideales Übungsgelände für ihre Panzer. Heute stehen die Baumberge mit ihren Trockenrasenflächen unter Naturschutz.

Die Bauern waren froh, als sich Städter für die unbebaute Halbinsel interessierten, denn für den Ackerbau waren ihre Sandböden nicht geeignet. Ein Kupferschmiedemeister war der erste, der im Jahr 1865 Flächen in der "Kuschelheide" erwarb. Heute würde es vielleicht manche Paare zum Kuscheln in die Heide treiben, der Wortursprung ist aber ein ganz anderer. "Kuschel" und "Kussel" sind laut Duden verwandte Begriffe. Das Niederdeutsche bezeichnet als "Kusseln" einzeln stehende verkümmerte Bäume oder den spärlicher Bewuchs mit einzelnen Büschen und Sträuchern. Die Kuschelheide war also ein spärlich bewachsenes Gelände. Diesen Hinweis verdanke ich dem Gemeindekirchenrat der Heiligenseer Gemeinde, an den ich mich gewandt hatte, weil auf der Homepage der Kirche eine ausführliche Chronik der Ortsgeschichte veröffentlicht ist. Vielen Dank an den Ehrenältesten des Gemeindekirchenrats, der mir hier weitergeholfen hat.

In die Kuschelheide stellte der Kupferschmied Rohmann ungeniert einen Schwarzbau hin, baute Kupferschmiede, Wohnhaus mit Kellereien und Stall und stellte erst einen Bauantrag, als alles fertig war. "Conrads Höh" nannte er das Anwesen nach seinem ältesten Sohn. Weder über den Bau noch über den Namen war das Königliche Landratsamt begeistert, doch Rohmann machte weiter, baute ein Kesselhaus mit 20 Meter hohem Schornstein.

Abreißen musste er die Fabrik nicht wegen der fehlenden Genehmigung - die er nachträglich doch noch aus Potsdam bekam - sondern weil seine Fabrik nicht lief, er fand wohl in der menschenleeren Gegend keine Arbeiter. Stattdessen entstanden auf seinem Gelände die "Konradshöher Terrassen", die Berliner entdeckten Konradshöhe als Ausflugsgebiet und bauten schließlich ihre Landhäuser hier. Der Berliner Bankier Bonte, der bereits die Jagdrechte in Heiligensee gepachtet hatte, baute sich in der Falkenhorststraße eine Villa mit Gärtnerhaus, die er immer in den Sommermonaten bewohnte.

Auch ein Kupferhaus stand bis 2001 in der Rohrweihstraße, ein Fertighaus mit integrierten Leitungen einschließlich Einbauküche und Zentralheizung, entworfen u.a. von Walter Gropius. Am Schwarzspechtweg entstand in den 1930er Jahren die Ev. Jesus-Christus-Kirche. In der Beatestraße zeigt ein Haus die Handschrift von Heinz Schudnagies, der mit freien Grundrissen und polygonen (vieleckigen) Formen für organische Architektur steht.



Der Schwarzbau machte Schule. Im Jahr 1872 kaufte der Berliner Färber Carl Berger an der heutigen Scharfenberger Straße ein Grundstück, setzte ein Wohnhaus mit Stallgebäude drauf und stellte anschließend den Bauantrag. Dass sich aus dem Schwarzbau eine neue Ansiedlung entwickeln würde, konnte die Behörde nicht mehr verhindern. Aus Bergers Haus wurde der "Seegarten", weitere Ausflugslokale und Wohnhäuser entstanden in der "Tegelort" genannten neuen Siedlung. In der Scharfenberger Straße eröffneten ein paar Häuser weiter die "Terrassen am See". Der Maurermeister August Conrad plante und baute kurz nach 1900 in der Luisenstraße die Schule und in der Ottilienstraße ein Wohnhaus, am Seegarten baute er einen Sommersaal an. Wenn in dieser Zeit Bauhandwerker Häuser entworfen haben, dann hatten sie eine Ausbildung an Baugewerkschulen erhalten und konnten so mit einem umfassenden Wissen ähnliche Tätigkeiten wie Architekten ausführen. Oben in Sandhausen hatte der Vergnügungspark Tivoli eröffnet, die Halbinsel wurde ein beliebtes Ziel der vergnügungssüchtigen Berliner.

Eine weitere Siedlung entstand nördlich der Jörsstraße. Während die aus Schwarzbauten hervorgegangenen beiden Siedlungen Konradshöhe und Tegelort ihren Namen noch heute tragen, ist der Name der legal errichteten Siedlung Jörsfelde untergegangen - frech kommt weiter. Im Jahr 1891 kaufte der Berliner Hutfabrikant Otto Jörs Land für die Villenkolonie, parzellierte es und veräußerte es weiter. Als 1908 die Straße nach ihm benannt wurde, hatte die Siedlung bereits 400 Einwohner.

Heute ist der Seegarten eine Ruine, die zwar noch als Denkmal eingetragen ist, aber von üppigem Grün umgeben ihrem Ende entgegen dämmert. Vorbei die Zeit, als Ausflügler Gastsaal, Sommersaal und Tanzsaal bevölkerten. Auch die Vergnügungsetablissements sind Geschichte, Wassersport ist heute angesagt. Konradshöhe ist kein Luftkurort geworden, auch wenn es sich eine Zeit lang so genannt hat, doch ein Spaziergang an der Havel kann den stadtmüden Wanderer erfreuen. An der Jörsstraße kann man mit der Fähre nach Spandau übersetzen.



In Konradshöhe lebte auf der "Billy-Jenkins-Ranch" ein Greifvogeldompteur, Kunstschütze, Kunstreiter, Lassowerfer, Zirkusartist, Weltenbummler, der neben alledem auch eins war - ein begnadeter Selbstdarsteller. Man sagt, das Reiten und Schießen habe er in Amerika gelernt, er sei zur See gefahren bis zum Kap der Guten Hoffnung und nach China. Nach Gold gegraben habe er, den Burenkrieg in Afrika und den Boxeraufstand in China soll er miterlebt haben. Ob er das 'erlebt' hat oder selbst geglaubt hat, ist nicht wichtig, jedenfalls hat er es 'gelebt'. Als Erich Rosenthal geboren, wählte er den Künstler-Vornamen "Billy" aus Verehrung für Buffalo Bill, der den kleinen Erich 1890 bei einem Berlin-Gastspiel auf den Schoß genommen haben soll. In der Nazizeit wechselte er seinen Namen zu Erich Fischer, trat trotz seiner jüdischen Abstammung in die NSDAP ein und konnte unbehelligt weiter arbeiten.

Adler und Falken konnte er abrichten wie kaum ein anderer, in den 1920er Jahren war er der bedeutendste Greifvogeldompteur der Welt. Billy Jenkins trat im Zirkus auf (u.a. Busch, Sarrasani), im Varieté (u.a. Scala, Wintergarten) und spielte in zwei Hollywood-Western mit (u.a. "Die Ranch auf dem Pulverfaß"). Als Stuntman doubelte er im "Bär von Baskerville" den Hauptdarsteller beim Lassowerfen.

Auch zu Hause in Konradshöhe war Billy Jenkins stilgerecht in Cowboykleidung unterwegs, manchmal mit einem Adler auf der behandschuhten Hand. Und er war der Held in einer Serie von Western-Romanen, diese Groschenhefte machten ihn zum "König der Cowboys". Mehr als 370 Wildwest-Hefte der Reihe "Billy Jenkins" mit seinem Portraitbild und abenteuerlichen Zeichnungen als Titelbild erzählten "seine Geschichte", nur vier davon hatte er selbst geschrieben.



Durch einen schweren Unfall verlor er einen Teil seines Brustkorbs und musste seitdem ein Stahlkorsett tragen. In einem Wohnwagen in Köln starb er zurückgezogen 1954 und hatte danach noch einmal einen ganz großen Auftritt. Cowboys und Indianer und seine Fans, die "Jenkinsianer", kamen in großer Zahl zu seiner Beerdigung und schossen Salut. Goodbye, Billy Jenkins!

Für unser Flaniermahl haben an der Friederikestraße Ecke Almazeile das in den 1930er Jahren als Wohnhaus und Bootshaus gebaute Ausflugslokal angesteuert. Früher hieß es "Igel", das Fliesendekor in den Toilettenräumen weist noch darauf hin. Bei der Neueröffnung 2014 wollte man sich davon abheben, mit Wortwitz ist aus dem "Igel" der "Eagle" geworden, der englische Adler mit gleichem Wortklang wie der deutsche Igel. Das Haus heißt jetzt Eagle Lodge, und aus der früheren Ausflugsgaststätte wurde ein gutes Restaurant mit aufmerksamer Bedienung, in dem wir mit Wein, Quiche und Havelblick sehr zufrieden sind.

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(Textversion vom 28.Juli 2015)

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Hierzu gibt es einen Forumsbeitrag: Konradshöhe (6.7.2015)

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route
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