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Mauern als Anschauungsobjekte


Stadtteil: Kreuzberg
Bereich: Friedrichsvorstadt
Stadtplanaufruf: Berlin, Stresemannstraße
Datum: 11. Juni 2012

In der Stresemannstraße sind die Reste von Berliner Mauern aus zwei unterschiedlichen Epochen in derselben Straße vorhanden, das ist einmalig in der Stadt. Die Berlin umfassende Zollmauer (Akzisemauer) aus den 1730er Jahren und die Berlin teilende DDR-Mauer von 1961 haben in der Stresemannstraße Spuren hinterlassen, die nicht auf den ersten Blick zu sehen sind. Auf dem Mittelstreifen, knapp 2 km vom Potsdamer Platz entfernt, steht ein mehrere Meter langes Gebilde mit Bögen, das "zu Anschauungszwecken" aus fabrikneuen Ziegeln gemauert wurde und heute mit üppigem Grün überwuchert ist. Errichtet wurde es 1987, als das 750jährige Stadtjubiläum gefeiert wurde. Der historische Rest der Akzisemauer - ein Teil des Fundaments - befindet sich in einer Grube im Boden vor dem Anschauungsobjekt.

Mauerrest im Umweltministerium
Ein DDR-Mauerrest an der Erna-Berger-Straße um die Ecke vom Potsdamer Platz ist jetzt von einem Gebäude umschlossen, schließlich muss jeder Meter des Baugrunds genutzt werden. Diese Mauer schnitt einst eine kleine Ecke des Grundstücks ab. Sie wurde abgetragen, zwischengelagert und dann am Originalstandort innerhalb des Gebäudes wieder aufgebaut, das nun die wenigen Quadratmeter dazu gewonnen hat. Die Mauer ist wie gesagt nicht mehr original, sondern ein Nachbau unter Verwendung originaler Teile. Durch große Glasscheiben ist wenigstens ein Blick in das Gebäude auf den Mauerrest möglich. Wer mag sich diesen Irrsinn ausgedacht haben? Schließlich handelt es sich hier um keinen privaten Bauherrn, sondern das Umweltministerium.

Hört man das schlechte Gewissen aus der Aussage auf der Ministeriums-Homepage, die Betonsegmente blieben "für die Öffentlichkeit zugänglich"? Auf unserem Rundgang haben wir einen Objektverantwortlichen bei seiner Rauchpause vor dem Ministerium um Einlass gebeten. Entrüstet hat er das zurückgewiesen, Öffentlichkeit? (Wie wir dann doch noch hereingekommen sind, ist eine andere Geschichte). Warum nehmen Staatsbedienstete Begriffe wie Öffentlichkeit oder Transparenz immer so gern persönlich? Unser Senatssprecher hat gerade erklärt, dass Berlin in Sachen Transparenz nicht weit von dem bundesweit einzigartig transparenten Hamburg entfernt sei (Tagesspiegel 14.6.2012). Für Bundesbehörden gilt das wohl nicht.

Hier abschließend noch ein Zitat aus der Broschüre "Gebaute Nachhaltigkeit" des Umweltministeriums über diesen Bau: "Trotz aller Sicherheitsauflagen fehlt dem Regierungsbau jeder abgeschlossene Charakter. Dem Architekten gelang es, in unmittelbarer Nähe zum belebten Potsdamer Platz ein in der Erdgeschosszone möglichst offenes Haus zu schaffen, das sich der Stadt zuwendet und das Ministerium in das großstädtische Leben einfügt". Humor, Ironie oder Realitätsverlust?

Der in den Neubau einbezogene Altbau des preußischen Landwirtschaftsministeriums ist in den letzten wilhelminischen Jahren entstanden. Den ersten Entwurf fand Kaiser Wilhelm II. „sehr hässlich“, der Architekt wurde nach Potsdam strafversetzt und der Opernhaus-Architekt mit dem Bau beauftragt. Zu DDR-Zeiten übernahm die Berliner Konsumgenossenschaft das Haus mit leichten Kriegsschäden, setzte ein Betondach mit Dachpappe drauf und ersetzte die Natursteinfassade durch Kieskratzputz. Dabei hatte das Haus noch Glück, es blieb erhalten, als um den Potsdamer Platz im Zuge des Mauerbaus fast alle Gebäude - meist Ruinen - abgerissen wurden.

Wachturm
In der Erna-Berger-Straße, die am Ministerium in die Stresemannstraße einmündet, steht ein Vorgänger der bekannten viereckigen DDR-Mauertürme, der letzte Berliner "Rundblickbeobachtungsturm". Auf einem runden Schaft ruht eine achteckige Beobachtungskanzel, eine eiserne Leiter führte nach oben. Das Besteigen und Verlassen des Turms war aufwendig, deshalb wurden diese Türme bald wieder abgeschafft. Nach der Wende blieb natürlich auch dieses Mauerrelikt nicht einfach stehen, der Turm "musste um rund acht Meter nach Osten versetzt werden" (Stadtentwicklungssenat).

Fliegende Mauer
Noch eine absurde Nachwende-Mauerstory zum Abschluss: Das Kollhoff-Haus am Potsdamer Platz mit dem öffentlichen Panorama-Blick von der obersten Etage ist seit Jahren eingerüstet und wird aufwendig saniert, weil immer wieder Teile der Klinkerverblendung herab gefallen sind. 2010 hatte man die Idee für ein positives Marketing. Ein Mauersegment wurde mit dem Hubschrauber 100 Meter auf die Spitze des Kollhoff-Towers geflogen und dort unter Patenschaft von Joachim Gauck (damals noch nicht Bundespräsident) aufgestellt. Dieser "Flying Wall" bekommt eine Eintragung im Guiness-Buch der Rekorde.

Verwaltungsgebäude am Askanischen Platz
Die Stresemannstraße ist keine Flaniermeile für Shopping und Entertainment, die glanzvollen Zeiten des Anhalter Bahnhofs sind vorbei (--> 1). Aber es gibt einzelne Highlights: Der Tagesspiegel hat das ehemalige Siemens-Verwaltungsgebäude am Askanischen Platz bezogen. 1899 entstand der Bau mit fünf Innenhöfen. Um die Ecke in der Schöneberger Straße machte die „Telegraphen- Bau-Anstalt" von Siemens & Halske ihre ersten Schritte.

Später zog der Batteriefabrikant Varta ein, und nach dem Zweiten Weltkrieg ein Finanzamt. In den 1920er Jahren warb eine riesige Lichtreklame für die „Varta Starter Batterie“ und die „Pertrix Licht Batterie“. Auf der gegenüberliegenden Seite der Stresemannstraße empfahl eine weitere Lichtreklame für allzeit frischen Atem "morgens, mittags, abends Odol". Ende der 1920er Jahre hatte die Allianz-Versicherung das Europa-Haus und das Deutschland-Haus gebaut. In 63 Meter Höhe konnte man sich auf dem Dachgarten des Europahaus-Wolkenkratzers im Liegestuhl sonnen. Ein Tanztheater, ein Lichtspielhaus und ein Palmengarten zogen Besucher an. Ein Lichtturm warb nicht nur für Odol, sondern zeigte auch Reklame der Allianz-Versicherung.

Deutschlandhaus
In der Eingangshalle des Deutschlandhauses wird in einem Glasmosaikfenster der Berliner Bär mit einer Mauerkrone dargestellt. Damit bekommt unser Thema "Mauer" eine zusätzliche Dimension. 1839 taucht im Berliner Wappen erstmalig eine Mauerkrone über dem Bären auf. Auch in der Zeit des Nationalsozialismus und in Ost-Berlin wurde diese Darstellung beibehalten. West-Berlin setzte sich davon ab und gab dem Bären eine Laubkrone.

Bereits im antiken Griechenland hatte man Stadtgöttinnen mit einer Mauerkrone abgebildet. Im 19.Jahrhundert wurde die Mauerkrone gern wieder als stolzes Symbol der Städte verwendet. Da ihr Ursprung zu dieser Zeit aber auf die Heraldik Napoleons zurückging, dessen Herrschaft man gerade abgeschüttelt hatte, war die Mauerkrone im Berliner Wappen zu dieser Zeit nicht umunstritten. Im heutigen Stadtbild ist der Berliner Bär mit Mauerkrone verschiedentlich zu sehen, der Stadtbaurat Hermann Blankenstein hat ihn gern an seinen Bauten als Relief angebracht, insbesondere an Schulen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten sich im Deutschlandhaus Institutionen der Vertriebenen, Ostzonenflüchtlinge, Entwicklungshilfe. Zur Zeit werden einzelne Räume des leerstehenden Hauses von der 7. Berlin-Biennale ("Forget Fear") bespielt, danach wird es für die Vertriebenen-Stiftung zu einem Dokumentationszentrum ("Sichtbare Zeichen") umgebaut. Ein riesiges Fenster soll eine Sichtverbindung zur angrenzenden "Topographie des Terrors" herstellen.

Satiremagazin "Tarantel"
Weiter unten in der Stresemannstraße arbeiteten auch die Druckerei und Grafiker der "Tarantel". Die Tarantel war 1950 bis zum Mauerbau ein wahrscheinlich von den Amerikanern finanziertes übles Hetzblatt gegen die Ostzone/DDR, dessen satirische Artikel und Karikaturen West-Berliner und Ost-Berliner mit klammheimlicher Freude lasen. Das mehrfarbige Heftchen wurde kostenlos verteilt ("unbezahlbar") und mit vorgeblichen Ost-Absendern per Post in den Osten geschickt, mit Ballons abgeworfen, mit Flugblatt-Raketen verschossen auf dem Wasser "eingeschwommen".

Geheimratsviertel
Das Quartier um die Stresemannstraße - ein Teil der Friedrichsvorstadt - wurde auch „Geheimratsviertel“ genannt, weil hier nahe der Wilhelmstraße und dem Regierungsviertel gehobene Gesellschaftsschichten wohnten. Der Name blieb nicht exklusiv, auch das Botschaftsviertel wurde so genannt. Hier im Quartier waren die Berliner Philharmoniker mitten in ihrem Publikum, 1888 baute Franz Heinrich Schwechten einen Saal im Hinterhof der Bernburger Straße zur Philharmonie um.

Auch das 1907 erbaute Hebbel-Theater am unteren Ende der Stresemannstraße gehört in diesen Kontext. Oskar Kaufmann hat es entworfen, von ihm stammen weitere Theaterbauten wie Renaissance-Theater, Komödie und Kudamm-Theater, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Im Hebbel-Theater spielten Tilla Durieux, Paul Wegener, Elisabeth Bergner, Hans Albers, Paul Hörbiger, Werner Krauss, Ernst Deutsch, Curt Bois, inszenierten Fritz Kortner, Erwin Piscator. Heute ist das Gebäude eine der Spielstätten des "HAU - Hebbel am Ufer".

Wo einst die Philharmoniker spielten, entstand ein "Stadtökologisches Modellvorhaben" im Rahmen der IBA, der Konzertsaal wurde ein Opfer der Bomben. In dem Innenhof von "Block 6" entwickelt sich "Stadtnatur", eine Pflanzenkläranlage mit Regenwasserteich wurde als Forschungsobjekt betrieben, sie ist als technisches Denkmal innerhalb des Biotops verblieben. Die umgebenden Häuser sind trist, die Postmoderne der IBA-Zeit zeigt sich hier nicht (--> 3).

Briefverteileramt Berlin SW 11
An der Möckernstraße Ecke Hallesche Straße arbeitete früher das weltgrößte Briefverteileramt Berlin SW 11, das die Post für Berlins Süden verteilte. Das Gebäude war durch einen Tunnel direkt vom Anhalter Bahnhof zu erreichen. Von dort gab es über die in den 1930er Jahren gebaute Nord-Südbahn am Stettiner Bahnhof (Nordbahnhof) eine Verbindung zum Postamt N 4 in der Invalidenstraße, das die Briefverteilung im Norden Berlins übernahm. Der Kreuzberger Bau mit der städtebaulich betonten, abgerundeten Ecke ist mit Travertinplatten verkleidet. Er wird gerade für eine neue Nutzung als "Post-Palais" umgebaut.

Meistersaal
Ein weiterer Musentempel ist der Meistersaal in der Köthener Straße. Der Bauhandwerksverband errichtete hier 1913 sein Verbandshaus mit einem Kammermusiksaal, der auch für Tagungen und andere Veranstaltungen genutzt wird. In den 1920er Jahren mietete sich der Malik-Verlag hier ein, doch die Ausrichtung auf Dadaismus, Avantgarde und linke Literatur und die Etablierung einer Kunstgalerie von George Grosz im gleichen Haus gefiel dem Bauhandwerksverband nicht, nach einem Jahr wurde der Mietvertrag gekündigt.

Das italienische Restaurant in diesem Haus war eine gute Möglichkeit, unseren Rundgang mit dem gewohnten Flaniermahl zu beenden.

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(1) mehr zum Anhalter Bahnhof: Einstein im Untergrund
(2) Tagesspiegel am Anhalter Bahnhof: Von Zeitung zu Zeitung
(3) mehr zur IBA (Internationale Bauausstellung 1984/87): IBA 1984/1987

(Textversion vom 4.10.2013)


Architektur kann man fühlen
Brücke mit Romantikfaktor