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Arm und reich liegen nah beieinander


Stadtteil: Kreuzberg
Bereich: Luisenstadt
Stadtplanaufruf: Berlin, Moritzplatz
Datum: 19. März 2012

In der Umgebung des Moritzplatzes - wo wir heute flanieren - liegen "sehr arm" und "unglaublich reich" dicht beieinander - jedenfalls wenn man sich die Geschichte der Häuser anschaut. An der Ecke Oranienstraße und Alte Jakobstraße steht das Gebäude der Reichsschuldenverwaltung. Dieses erste Staats-Bauwerk der Weimarer Republik diente der Verwaltung und Bewältigung der Schulden, die Deutschland zur Finanzierung des Ersten Weltkriegs aufgenommen hatte und die es als Verlierer im Versailler Vertrag auferlegt bekam. Ist das Gebäude deshalb so mächtig ausgefallen, weil die Schulden so hoch waren? Ist der mehrfach als Ornament dargestellte Adler deshalb so klapprig, weil es nach dem verlorenen Krieg nichts zu beißen gab?

Angesichts der immer teurer werdenden "Rettungsschirme" für das Euroland stellen wir uns sofort die Frage: Wo werden denn heute unsere Schulden verwaltet? Eine "Bundesschuldenverwaltung" wird man vergeblich suchen, unter welchem Begriff also hat man das heute versteckt? Wir wissen, die Sprache hat viele Möglichkeiten. Es gibt Wörter, die verschiedene Bedeutung haben und Bedeutungen, für die es verschiedene Wörter (Synonyme) gibt.

Heinz Erhard hat zum mehrdeutigen Wort "hängen" gereimt:
" Das Kind hängt an der Mutter,
der Bauer an dem Land,
der Protestant an Luther,
das Ölbild an der Wand.
Der Weinberg hängt voll Reben,
der Hund an Herrchens Blick,
der eine hängt am Leben,
der andere am Strick..."

Beispiele für die Erfindung neuer Wörter für alte Dinge (Synonyme) finden sich in beliebiger Menge in der Politik, denn der Euphemismus (Beschönigung, Verschleierung) ist hier nicht wegzudenken: Abwickeln, Gastarbeiter, Herdprämie, Integrationsverweigerer, Kollateralschaden, Migrationshintergrund, Sozialverträgliches Frühableben. Das "Wörterbuch des Unmenschen" hatte sich 1957 mit dem Missbrauch der Sprache durch verschleiernde und unhumane Begriffe beschäftigt, diese Idee wird von der Initiative "Unwort des Jahres" fortgeführt. Zurück zu den Bundesschulden: Bis 2001 werden sie offiziell auch so genannt, seitdem heißt die Bundesschuldenverwaltung mit neuem Namen „Bundeswertpapierverwaltung" - aus Schulden werden Wertpapiere. Reicher sind wir dadurch nicht geworden, aber das Bewusstsein für Schulden schwindet.

Zurück zur Luisenstadt: Ein paar Straßen weiter hat George Soros - einer der reichsten Männer der Welt - mit seiner Immobiliengesellschaft mehrheitlich die Otto-Suhr-Siedlung gekauft. Wie Bill Gates und Warren Buffet unterstützt Soros gemeinnützige Projekte mit Milliardenbeträgen (fast zwei Dritteln seines Vermögens). Er finanzierte während der Apartheid südafrikanische Unabhängigkeitsbestrebungen, half Andrej Sacharow und tschechischen Dissidenten, in 25 Staaten sind seine Stiftungen tätig. Multimilliardär und Menschenfreund - geht das zusammen? Wer ist George Soros? In Ungarn geboren, in den USA lebend, kennt er nicht nur die Sprachen dieser Länder, sondern aus seinem Elternhaus auch Esperanto, die künstliche Sprache zur internationalen Verständigung, für die sich sein Vater begeisterte. Für einen Denkfehler hält er sowohl den Marxismus als auch die unregulierten Märkte des Kapitalismus. Aber er kennt natürlich auch die Macht des Geldes und setzt sie ein. Als er die englische Währung für überbewertet hielt, zwang er die englische Regierung zur Abwertung, indem er eine gigantische Spekulationswelle lostrat. Er verdiente dabei Milliarden, die Engländer mussten ihre Notenbank reformieren. Heute unterstützt er die Occupy-Bewegung im Kampf gegen die Exzesse der Finanzindustrie und kritisiert Frau Merkel für ihre Haltung zu den Banken in der Euro-Krise. Ist George Soros ein "linksradikaler Spekulant?" fragte der Tagesspiegel und fand immerhin eine positive Seite am Spekulieren: "Der Spekulant, so lautet eine Theorie, ist der einzige Mensch auf der Welt, dem die Wahrheit gnadenlos ins Gesicht schaut" - was bitter ist, wenn er sich verspekuliert hat.

Die Otto-Suhr-Siedlung war wie die Ernst-Reuter-Siedlung (--> 1) ein Demonstrationsprojekt der 1950er Jahre. Man orientierte sich am Leitbild der aufgelockerten Stadt, räumte die in der bombengeschädigten Luisenstadt stehen gebliebenen Gebäude ab und stellte Zeilenbauten und ein Punkthochhaus in einen durchgrünten Stadtraum. 2.300 überwiegend kleine Wohnungen entstanden in den sechs- bis fünfzehngeschossigen Hochhäusern und den Bauten um die Jacobikirche.

Schinkels Nachfolger August Stüler hat die St. Jacobikirche im Stil einer römischen Basilika erbaut. Man fühlt sich durch den Campanile an Rom oder Florenz erinnert, Atrium, Arkadengänge und die Sandsteinplastik des Apostels Jakobus im Atrium verstärken diesen Eindruck.

Das "Springprojekt" grenzt hier an, eine weitere Siedlung aus der Nachkriegszeit, deren Namen man amerikanisch aussprechen sollte, denn er bezieht sich auf den Frühling, gebaut wurde mit finanzieller Unterstützung aus den USA. Auch hier ein fünfzehngeschossiges Hochhaus (das jetzt farblich herausgeputzt wurde) und mehrere sechs- bis achtgeschossige Zeilenbauten. Wie in der Otto-Suhr-Siedlung hat man auch hier auf die richtige Belichtung der Wohnungen geachtet und die Blöcke entsprechend ausgerichtet. Beim Springprojekt war das einfach, weil man sich über die historischen Straßenfluchten hinweg gesetzt hat. Am Rand des Springprojekts steht die von Franz Schwechten gebaute St.Simeon-Kirche, die 1897 eingeweiht wurde. Die Kirche ist in den Blockrand eingegliedert, sie wird von Bauten der Springsiedlung flankiert.

Zwischen Lindenstraße und Alter Jakobstraße hat die IBA 1984/87 (Internationale Bauausstellung) das durch Bomben in Zweiten Weltkrieg wesentlich zerstörte Stadtquartier "kritisch rekonstruiert", also auf dem historischen Stadtgrundriss neu erbaut. Den Bereich "Wohnen am Berlin-Museum" haben wir uns für einen späteren Besuch aufgehoben, nur die zwischen Ritterstraße und Feilnerstraße gelegenen Feilnerhöfe gehören zu unseren Zielen. Hier beherrscht Postmoderne das Bild, mit Backsteinfassaden wird an das Gebäude der angrenzenden Reichsschuldenverwaltung angeknüpft. Feilner war ein kreativer Handwerksmeister, der den Berliner Kachelofen mit den von ihm entwickelten glasierten, porzellanartigen Kacheln zu einem Meisterwerk der Ofenbaukunst machte. Für Schinkel schuf er Fresken und Skulpturen, und Schinkel baute ihm ein Wohnhaus in der Straße, die 1848 in Feilnerstraße umbenannt wurde. Das Feilnerhaus steht nicht mehr, nur ein Gebäuderest unklarer Herkunft wurde in die postmodernen Bauten einbezogen und ein Sockel ohne Skulptur steht im Innenhof.

Am Moritzplatz gönnen wir uns noch einen Milchkaffee in einem urigen Kolonialwarenladen moderner Prägung. Wenn Sie zwischen Kochbüchern, Küchenwerkzeugen, Lakritz, Geschirr, Feinkostprodukten und Weinen Kohldampfsküche - Verzeihung: Coledampf's Küche - ausprobieren wollen, sind sie im Haus des Aufbauverlags gerade richtig. Uns hat's gefallen.

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(1) Ernst-Reuter-Siedlung: Wandernde Friedhöfe und Fabriken


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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Otto-Suhr-Siedlung


Checkpoint Charlie
Architektur kann man fühlen